Satelit
Tampilkan pada peta
  • E1-23-D-Blankenrode (25km)

    20 Juni 2015, Jerman ⋅ ⛅ 10 °C

    Allerlei Mystisches auf dem Eggeweg (2/3)

    Nach der morgendlichen Stärkung am üppigen Buffet geht es auf dem Eggeweg weiter. Er führt uns den Hexenberg steil hinauf, innerhalb von Minuten haben wir schon hundert Höhenmeter überwunden. Unterwegs gesellt sich eine neue Wegmarke hinzu, eine weiße Urne auf blauem Grund kennzeichnet den „Weg zu mystischen Stätten“. Das klingt geheimnisvoll. Wir schauen uns voller Erwartungen an. Doch die zwei Wege trennen sich bald. Der Eggeweg, dem wir weiter folgen möchten, führt leider an den mystischen Stätten vorbei. So wissen wir nicht, was wir verpassen.
    Meine Wanderbegleitung hebt eine Feder hoch. Ich hatte ihr einmal erzählt, dass ich zu Beginn eines Wandertages oft eine Feder am Boden liegen sehe und es immer so interpretiere, dass mein Schutzengel mir zeigt, dass er mich begleiten wird. Heute ist also auch ihr Schutzengel dabei.
    Eine sagenumwobene Stätte liegt dann doch auf unserem Weg. Wir treffen auf ein Försterkreuz, daneben steht auf einem Schild geschrieben:
    „An dieser Stelle wurde ein Förster ermordet. Er hat, bevor er starb, mit seinem eigenen Blut den Namen des Mörders in sein Notizbuch geschrieben. Doch der Wilderer wurde nicht gefasst, er hatte sich nach Amerika abgesetzt.“
    Der Weg wird nun schmaler und verläuft direkt an einer Felskante entlang. Es sind die Teutonia-Klippen. Den Namen verdankt er der Gesellschaft Teutonia, die den Wald einst kaufte, um Eisenerz zu schürfen. Am Fuße der Klippen liegen noch ehemalige Abbaustellen. Es sind Löcher, die von eingestürzten Stollen und Gruben zeugen, gegraben für die Eisenindustrie. Doch das scheint lange her zu sein, die Natur hat sich ihren Lebensraum längst zurück erobert. Natürliche Kräfte legten einen Mantel aus Bäumen und Büschen über die Wunden und kreierten zusammen mit Farnen und Moosen eine geheimnisvolle Kulisse. Die früheren Eingriffe des Menschen sind kaum noch sichtbar.
    Ein kurzer Abstecher führt uns zum Aussichtsturm Bierbaums Nagel, der die Baumwipfel überragt. Jüngst wurde er restauriert, er sieht nagelneu aus.
    1849 wurde er erbaut, der Gutsbesitzer Georg Bierbaum wollte seiner Frau einen Blick nach Kassel schenken, um ihr Heimweh zu lindern. Nebenbei war der Turmbau aber auch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Not leidende Arbeiter.
    Wie dicht doch Romantik und Praktizismus beisammen liegen können.
    Nach einer langen Mittagspause gehen wir weiter. Ich gehe voran, Beke folgt nach, schweigend gehen wir ein Stück, bis sie mir auf die Schulter tippt. Ich drehe mich um, ihre Hand weist auf einen schmalen Pfad.
    „Da lang!“, meint sie und nickt mit dem Kopf in die gezeigte Richtung.
    „Warum?“, frage ich, „das ist ein Umweg.“
    „Keine Ahnung. Der Weg sieht so verwunschen aus“.
    Ich will dem Pfad nicht folgen. Sie besteht darauf. Jetzt geht sie voran. Sie ist so schnell, dass ich ihr kaum folgen kann. Der Abstand zwischen uns wird größer, plötzlich ist sie verschwunden. Als ich aufhole, sehe ich sie in einer Senke. Sie steht breitbeinig, winkt zu mir rüber, signalisiert, ich solle ihr folgen.
    „Was ist da?“, rufe ich. Doch statt zu antwortet, dreht sie sich um und geht einfach weiter und verschwindet wieder. Was bleibt mir übrig, als ihr zu folgen? Ich hole sie wieder ein, als sie vor einem riesigen Stein steht, der am steil abfallenden Abhang ruht. Mit der Hand berührt den Stein und ist völlig in Gedanken versunken.
    Ich stelle mich daneben, bewundere den riesigen Klotz aus Kalksandstein. Er ist stark verwittert und löchrig vom Regen.
    Für mich ist das ein großer Stein. Doch Beke sieht offenbar mehr in ihm. Sie ist von dem riesigen Stein begeistert, umrundet ihn mehrmals, klettern schließlich hinauf, setzt sich, genießt die Sonnenstrahlen, die für Momente durchs Blätterdach blinzeln. Dann hüpft sie herunter, baut sich vor mir auf, legt den Kopf schief und meint:
    „Der Stein hat ein Gesicht.“
    Wo ihre Finger hinweisen, sehe ich ein Loch über einem Spalt.
    „Wo?“, frage ich.
    „Da. Kannst du es nicht sehen? Es sieht wie das Gesicht eines versteinerter Drachen aus?“
    Ein Loch ist ein Loch und ein Spalt ist ein Spalt, denke ich. Mich berührt der Stein nicht sonderlich. Aber ich weiß, dass das Schicksal in bestimmten Momenten Überraschendes bereit hält. Ein solcher Moment ist womöglich gerade gekommen. Der Stein scheint sie anzuziehen, sie muss ihn ständig berühren, lässt ihn gar nicht mehr los.
    Einer spontanen Eingebung folgend spreche ich es aus:
    „Dies ist vielleicht ein Ort, der dir etwas zu sagen hat. Bleibe du hier, während ich weitergehe. Am Ende des Pfades werde ich auf dich warten. Achte auf das, was dieser Ort mit dir macht und lausche auf das, was du hörst. Denn es ist deine innere Stimme, die zu dir sprechen will und vielleicht erhältst du die Antwort auf eine Frage, die dich beschäftigt. Dafür bist du doch mitgekommen, oder?“
    (Ich möchte an dieser Stelle kurz erklären, dass sie eine Frage beschäftigt, deren Inhalt nicht in eine Wanderbeschreibung gehört. Da sie bisher keine Antwort finden konnte, riet ich ihr, mich auf meinem Weg zu begleiten. Ich sagte ihr, der Weg hält für jeden etwas bereit. Sie willigte ein und deshalb begleitet sie mich.)
    Ich wende mich ab und gehe weiter, während sie am Stein verweilt. Was sie dort erlebt, werde ich wohl nicht erfahren.
    Mein Weg verläuft weiter dicht an der steilen Klippe entlang. Ich habe viel Zeit, um zu betrachten, was mich umgibt: da sind abgestorbene Bäume, die bleichen Skeletten ähneln, moosbedeckte Steinen, die geheimnisvolle Figuren formen, eingestürzte Stollen, die vielleicht kleine Trolle beherbergen, glutroter Fingerhut, der wie kleine Blutstropfen auf grünem Farn wirkt. Hat der Stein auf mich doch eine geheimnisvolle Wirkung entfaltet?
    Viel zu früh findet der schmale Pfad sein Ende. Er mündet wieder auf den breiten Eggeweg. Lange, sehr lange muss ich auf Beke warten. Endlich sehe ich sie kommen. Ich bin erleichtert. Noch ein Stück entfernt, ruft sie schon:
    „Ich habe eine unheimliche Begegnung gehabt! Eine Frau stand plötzlich hinter mir. Sie war einfach da, ich habe sie nicht kommen gehört. Sie war groß und ganz schlank und ihre roten Haare waren zu einem Zopf gebunden. Gesagt hat sie nichts, aber mich sehr intensiv angeschaut. Sie hat richtig durch mich hindurch geschaut. Es war unheimlich.“
    So malt sie diese Frau mit den roten Haaren direkt in mein geistiges Auge. Und ich male fleißig weiter. In mir entsteht eine Figur mit weißem Gewand. Zwei Flügel wachsen aus ihrem Rücken. Am Ende steht ein Engel vor mir.
    Etwas unsicher frage ich sie: „War das eine Erscheinung?“
    „Quatsch!“, erwidert sie. Mein Bild zerplatzt.
    „Dann wird die Frau ja gleich kommen, oder?“
    Wir warten gespannt. Sie kommt nicht.
    Langsam, ganz langsam und ohne Eile, trotten wir den langgezogenen Waldweg entlang, den sanften Hügel hinauf. Wir schauen uns viel zu oft um, nur weil wir hoffen, dass die Frau mit den roten Haaren sichtbar wird. Aber das geschieht nicht. Auf dem Hügel angekommen, bleiben wir stehen, schauen noch lange nach ihr. Doch sie erscheint nicht auf dem Weg. Ich will weiter, zögere aber.
    „Sie kommt nicht mehr, sie ist verschwunden“, meine ich.
    In meiner Vorstellung hat die Erscheinung ihre Flügel ausgebreitet und ist in die Lüfte aufgestiegen und im Nichts verschwunden. Diesen Gedanken behalte ich aber lieber für mich.
    Beke hat eine realistischere Erklärung parat: „Sicherlich hat sie einen anderen Weg genommen.“
    Unschlüssig stehen wir da. Schließlich drehen wir uns um, gehen schweigend weiter, beide in unsere Gedanken verstrickt.
    Roters Eiche ist eine große Rasenfläche mitten im Wald, auf der eine uralten knorrigen Eiche steht. Sie signalisiert das Ende der geheimnisvollen Felsenlandschaft. Für uns ist es der Platz, an dem unseren Gedanken aus der Phantasiewelt zurück in die Wirklichkeit kehren. Was nur hat dieser Weg mit uns gemacht?
    Mit schnellem Schritt stoßen wir bald auf die Stadtwüstung Blankerode, einer vor langer Zeit aufgegebenen Siedlung. Auf einer Informationstafel lesen wir, dass in dem burgähnlichen Ostteil Ritter und Burgmannen wohnten, im Westteil die Bauern und Handwerker, dazwischen die Kirche. Die Burg wurde mehrere Male zerstört und wieder aufgebaut, im 14. Jahrhundert endgültig verlassen. Seitdem legt sich zu Erde gewordenes Laub über den Ort. Wir umrunden die Wüstung und freuen uns, bald ins heutige Blankenrode zu kommen. Denn dort liegt die Pension Eggewald, in der wir heute zu Gast sein dürfen.
    Als wir eintreten, sehen wir einen Wanderer in der Gaststube sitzen. Er hat uns den Rücken zugewandt, trinkt genüsslich ein Bier. Der Wirt kommt sofort aus der Küche geeilt, begrüßt uns mit Handschlag und sagt, er würde uns sogleich das Essen machen.
    „Die Küche macht gleich zu. Dazu gibt es höchstens zwei Flaschen Bier für jeden. Mehr nicht!“ Gastfreundschaft klingt anders, denke ich und schaue verwundert drein.
    Wir wollen erst einmal einen Kaffee und danach auf‘s Zimmer, uns frisch machen und umziehen. Der Wirt wird sich gedulden müssen. Offenbar ärgert ihn das, denn er murrt, als er uns den Kaffee bringt.
    Nach einer schnellen Dusche leiste ich dem Wanderer Gesellschaft, bald stößt auch Beke frisch geduscht dazu. Wir plaudern munter drauf los, denn Wanderer haben sich immer etwas zu erzählen.
    Schnell stellt sich heraus, dass wir Gemeinsamkeiten haben. Nicht zuletzt den Namen, denn auch er heißt Michael wie ich. Prost darauf! Doch das Bier ist alle, wir bestellen mehr. Den Wirt freut es, er bringt volle Flaschen heran und ist gar nicht mehr mürrisch.
    Beke erzählt Michael, dass sie im Wald eine Begegnung hatte.
    „Ach, das war sicher Mia“, sagt er, „ich bin ihr schon mehrere Male begegnet. Sie ist seit vier Wochen auf dem E1 unterwegs.“
    Ich horche auf. Sie geht den E1? Den Gedanken, sie als Erscheinung zu sehen, gebe ich auf und gebe mich mit der einfachen Erklärung zufrieden, dass sie einen anderen Weg genommen haben muss.
    Wir lassen uns gerade die leckeren Schnitzel schmecken, als sich die Tür zur Gaststube öffnet. Im Türrahmen steht - Mia.
    „Guten Abend. Kann ich bei Ihnen etwas zu essen bekommen?“ fragt sie den Wirt, während sie den Rucksack abstreift. Ich freue mich schon auf ein angeregtes Gespräch mit ihr.
    Die Miene des Wirts, die mittlerweile fast fröhlich geworden ist, verfinstert sich schlagartig wieder. Erneut wirkt er wie zugeknöpft und fragt zurück:
    „Übernachten Sie hier?“
    „Nein“, sagt Mia, „ich habe mich in der Pension da drüben einquartiert.“ Ihr Arm zeigt Richtung Dorf.
    „Dann habe ich nichts zu essen für Sie. Die Küche hat schon geschlossen.“
    Das kann doch nicht wahr sein! Wir sind schockiert und reden auf ihn ein. Doch er bleibt hart. Mia muss hungrig gehen.
    „Ich hätte so gerne mehr über ihre Wanderung auf dem E1 erfahren“, sage ich leise, wie zu mir selbst.
    Um die Stille zu füllen, bestellt Michael mehr Bier.
    Und wieder zaubert unser Wirt neue Flaschen herbei, bringt sich sogar selbst eine mit. Seine Stimmung ist wieder ausgelassen.
    Ein paar Bier später erscheint Mia wieder. Zaudernd bleibt sie in der Eingangstür stehen und sagt leise:
    „Michael, du hast doch morgen deinen letzten Wandertag. Ich möchte mich von dir verabschieden.“
    Er winkt sie herein, der Wirt protestiert. Doch jetzt lassen wir sie nicht wieder gehen. Bier für alle, auch für den Wirt! Da wird er weich.
    So sitzen wir in der großen Gaststube, reden, lachen und trinken bis kurz vor Mitternacht. Der Wirt wird wohl morgen neues Bier bevorraten müssen. Aber morgen ist morgen, heute trinkt er kräftig mit.
    Baca selengkapnya