E1-Deutschland.Mitte

May - October 2015
Auf dem E1 durch das Mittelgebirge Deutschlands. Vom Steinhuder Meer zum Taunus am Rhein.
E1-Tag 16-40, Mehrtagestouren, 597km.
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    May 1, 2015 in Germany ⋅ 🌧 10 °C

    Mitte Mai 2015 geht die Wanderung am Steinhuder Meer weiter.
    In diesem Jahr folge ich dem E1 nicht konsequent, lasse seine mitunter ausschweifenden Umwege aus und wähle stattdessen andere lokale Weitwanderwege.
    Da die Anfahrtswege immer länger werden, gehe ich dazu über, zwei bis viertägige Wandertouren zu unternehmen.
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  • E1-16-D-Steinhuder Meer (32km)

    May 14, 2015 in Germany ⋅ ⛅ 12 °C

    Einmal nur ist Vatertag

    Der Wecker klingelt früh, doch statt Vorfreude zu empfinden, dass es mit dem Wandern nun wieder los geht, verspüre ich eher einen nicht genau bestimmbaren Unmut. Habe ich etwa keine Lust mehr zum Wandern? Mein Blick nach draußen verspricht einen verhangenen Tag und im Bett zu bleiben scheint schöner als nach draußen zu gehen. Doch der zweite Kaffee, noch im Bett genossen, gibt mir die notwendige Energie, mich aufzuraffen und meine Siebensachen zu packen. "Was gehört noch einmal in den Rucksack?", frage ich mich still, "und was habe ich als Proviant immer dabei gehabt?" Die Routine ist noch nicht wieder da, aber schließlich habe ich alles beisammen. Es ist schon spät geworden, als ich zum Bahnhof fahre.
    Während der Zugfahrt freue ich mich dann doch, dass es wieder los geht! Der Winter war lang und auch erfüllt. Ich hatte mich auf den ersten Marathon meines Lebens vorbereitet und bin ihn im April gelaufen. Damit starte ich jetzt gut vorbereitet in die neue Wandersaison.
    Erst um 12:30 Uhr stehe ich am Bahnhof von Neustadt am Rübenberge. Vor einem halben Jahr wartete ich genau hier am Gegengleis auf den Zug, der mich nach meinem letzten Wandertag zurück nach Hamburg bringen sollte. Der Bahnhof sieht noch unverändert aus, es wird immer noch gebaut.
    Aber das ist mir egal, ich schultere den kleinen Rucksack und verlasse schnell diesen trostlosen Bahnhof. Ich habe mich auf eine zunächst langweilige Strecke eingestellt, denn bis zum Steinhuder Meer ist der Weg nur ein Verbindungsstück. Umso mehr bin ich überrascht, dass der schmale Pfad an Wiesen und Feldern vorbei führt und wunderschön ist.
    Meine Füße und Beine erinnern sich schnell ans Wandern und die ersten Kilometer fließen gemächlich und entspannt dahin.
    Zehn Kilometer weiter erreiche ich den Ort Steinhude. Ich biege in die Deichstraße ein, sie führt direkt zum See und endet auf einem großen Platz, dahinter liegt der riesige See, dem der Ort seinen Namen gab: das Steinhuder Meer. Er soll nicht sehr tief sein, durchschnittlich nur 135cm. Könnte ich von hier aus ans andere Ufer waten? Ein interessante Frage, aber der Magen lenkt davon ab, denn er knurrt und signalisiert, es sei Zeit für eine Pause. Schnell noch einen Kaffee im Pappbecher gekauft, setze ich mich auf eine Steinbank direkt am Seeufer und hole meinen Proviant heraus. Während ich genüsslich in mein Brot beiße und ein Ei abschäle, schweift der Blick umher. Auf dem Platz herrscht munteres Treiben, denn es ist Vatertag. Menschen nutzen den Feiertag für Unternehmungen, alleine oder in Gruppen. Die Cafés freuen sich über den regen Zulauf. Neben mir hockt ein kleines Kind und will einen Schwan füttern. Hinter dem Kind die Mutter, legt schützend die Hände auf die Schultern des Kindes, ist aufgeregt, vielleicht hat sie selber Angst vor dem großen, weißen Tier. Oder, weil das Kind ins Wasser fallen könnte. Sie hält es fest und das Kind fängt an zu weinen. Etwas weiter entfernt eine Brücke über einen Seitenarm, der zu einem Bootsverleih führt. Ein Ruderer versucht, mit seinem Ruderboot unter der Brücke hindurch zu kommen, tut sich aber schwer damit. Ständig dreht er sich um, rudert mal hier, mal dort hin, aber nie gerade aus. Er hat offenbar keine Übung im Rudern. Hinter dem Ruderboot einige Segelboote mit schlaffen Segeln, sie dümpeln im glatten Wasser, denn kein Lüftchen bewegt sie vorwärts. Dahinter viel offenes Wasser, das andere Ufer ist nur undeutlich auszumachen. Der See hat riesige Dimensionen, aber ihn als Meer zu bezeichnen, erscheint doch etwas übertrieben. Die Bezeichnung „Meer“ kommt auch aus dem Plattdeutschen und im Mittelalter wurden große Seen so genannt.
    Nach einer ausgiebigen Pause geht es weiter. Über die Brücke, eine Uferpromenade entlang, Ausflüglern ausweichend, die hier flanieren. Die Promenade weicht einem hübschen Uferweg, der mehrere Kilometer am See entlang führt, gesäumt von einer Baumallee. Dahinter ein kleines Waldstück. Ich komme vorbei an einem Stadtfest, das laute Musik wummernd herüberschickt. Vorbei an Menschen, die sich zum Picknick mit Bier oder Kaffee versammelt haben. Dann ein kleines Schauspiel: ein Mann legt seinen Kopf in den Nacken und heult mit tiefem Ton aus voller Brust. Die Luft entweicht seiner Lunge, dann wird er still, da stimmt ein neben ihm sitzender Hund ins Geheul ein. Er kann es besser als sein Herrchen. Danach ein Moment der Stille, doch der Mann versucht es ein zweites Mal. Der Hund erwidert seinen Ton. So geht es hin und her, ich kann es noch hören, als sie schon außer Sicht sind.
    Der Uferweg endet am Lürssen-Damm, dort führt eine Brücke weit in den See hinaus und gewährt einen letzten, schönen Blick über das Meer. Viele Ausflügler haben es sich auf der Brücke bequem gemacht und genießen den Augenblick.
    Der Weg wendet sich ins Landesinnere. Kaum einen Kilometer weiter kommt ein Kiosk in Sicht. Zeit für ein Eis, finde ich. Ich lehne mich auf den Verkaufstresen und bestelle ein Nogger. Neben mir leicht schwankend zwei junge Männer, vielleicht sind sie nicht mehr ganz nüchtern. Mutig geworden, flirten sie mit der ebenso jungen, aber weiblichen Bedienung, versuchen, sie zu überreden, vorzeitig Feierabend zu machen. Sie wollen, dass sie mit ihnen kommt und lassen sich eine Menge Sprüche einfallen. Dabei sind sie durchaus amüsant, sie aber hat für die beiden nur jede Menge kesser Antworten parat und denkt nicht daran, den Wünschen der Halbwüchsigen nachzugeben. Wie viele Sprüche sie sich wohl heute schon hat angehören müssen?
    Weiter geht es. Bald durchquere ich den Ort Hagenburg, komme an einem Grundstück vorbei, in dem allerlei lustige Steinskulpturen aufgestellt sind. Ich kann Pferde sehen, ein rosa Schwein lugt lustig herüber, im Hintergrund scheint eine weiße Schafherde über das kurz geschorene Gras zu rennen, ohne je voranzukommen. Ein Klapperstorch steht auf einem Kutschbock und dirigiert stolz ein eingespanntes Pferd durch den Garten. Und vor einer kleinen Windmühle hat es sich ein Gartenzwerg gemütlich gemacht.
    Hagenburg folgt ein Waldstück, das auf seiner anderen Seite von Düdinghausen begrenzt ist. Kurz bevor ich den Ort erreiche, ein Schild, darauf die Information, dass ich mich auf diesem Pfad auf zwei Pilgerwegen gleichzeitig bewege: der eine ist der Loccum-Volkenroda, der - über 290km lang - zwei Klöster miteinander verbindet, der andere der Sigwardsweg, der auf 170km die Wirkungsstätten eines ehemaligen Bischofs von Minden (1120 – 1140 n.Chr.) zeigt. Ich streife diese Pilgerpfade jedoch nur kurz. Eigentlich folge ich heute noch einmal dem E1, dessen Zeichen ich auf meinem Weg auch immer mal wieder entdecke.
    Hinter Düdinghausen wird es beschwerlich, denn es geht eine Anhöhe hinauf, bis auf 100m. Oben angekommen, werde ich durch eine gute Aussicht belohnt. Zunächst interessiert mich, was östlich liegt, denn einige Kilometer weit entfernt ist ein schmutziggrauer Hügel zu sehen, er ist so hoch, dass er bereits vom Steinhuder Meer aus zu erblicken war. Meine Wanderung führt im weiten Bogen um ihn herum. Es ist die Abraumhalde des Kaliwerkes Sigmundshall, der letzten Abbaufläche von Kalisalz in Niedersachen. Abgebaut wird untertage, der Abraum wird zusammen mit dem gewonnenen Kalisalz nach oben befördert. Während das Salz zu Düngemittel verarbeitet wird, verbleibt der Abraum an Ort und Stelle und hat mit der Zeit einen imposanten Berg entstehen lassen. Nähert man sich, so wie ich heute, vom Steinhuder Meer, dann dominiert er die vor einem liegende flache Landschaft.
    Ich wende meinen Blick jetzt südlich, in die Richtung, die ich gleich einschlagen werde. Eine wunderschöne Aussicht auf ein weites Tal liegt vor mir. Dort soll der Mittellandkanal hindurchfließen, den ich überqueren will. Allerdings ist er noch nicht auszumachen, unsichtbar ist er von hier aus. Hinter dem großen Tal, in noch weiter Entfernung liegt der Deister im Dunst. Seine Hügel ragen bis auf 400m hinauf, das ist für die norddeutsche Tiefebene eine mächtige Erhebung.
    Über den Deister wird meiner nächsten Wanderung führen und in diesem Moment bin ich voller Freude auf das, was vor mir liegt.
    Weiter geht es jetzt bergab. Im Nu bin ich am Mittellandkanal, der verborgen bleibt bis zu dem Moment, als ich den ihn begrenzenden Deich erklimme. Da liegt das Fahrwasser, zieht sich von Ost nach West in einem blauen Band. In der Ferne kommt ein langes Motoschiff langsam näher. Die Aufbauten ragen weit aus dem Wasser, es fährt ohne Ladung. Darüber die Sonne, die hell und warm scheint. Dazu der Himmel, er zeigt sein schönstes Blau, nur wenige weiße Wölkchen sind darauf getupft. Es ist schön geworden. Es ist bestes Vatertagswetter.
    <<Exkurs: Der Mittellandkanal ist von Menschenhand erbaut und mehr als 100 Jahre alt, die Arbeiten begannen bereits 1906. An ihm wurde lange Zeit gebaut, zwei Weltkriege unterbrachen den Bau und behinderten schließlich seine Vollendung. Heute wird wieder an ihm gewerkelt, unter anderem wird er vergrößert. Für die Berufsschifffahrt hat der Kanal nach wie vor eine Bedeutung, aber auch für die Freizeit wird er viel genutzt. Während auf dem Wasser die Freizeitkapitäne mit ihren Motorbooten, Kanus oder Ruderbooten unterwegs sind, werden die Betriebswege, die über seine gesamte Länge von fast 400km auf mindestens einer Seite des Kanals immer vorhanden sind, von Fußgängern und Radfahrern genutzt. >>
    Ich folge für vier Kilometern dem Wirtschaftsweg an der nördlichen Kanalseite, wandere in östliche Richtung und will in Wilhelmsdorf den Kanal auf einer der zahlreichen Brücken überqueren.
    Kurz vor der Brücke begegne ich einem jungen Mann, der sich auf dem Weg reichlich breit macht. Er scheint zu torkeln, sein Schritt ist unsicher und er braucht Orientierung an den Wegbegrenzungen. Mal geht er links, dann wieder rechts. Er lässt sich auf einer Bank nieder, atmet schwer. Als ich an ihm vorbei komme, wünsche ich ihm einen guten Tag. Er erwidert freundlich, aber sichtlich bemüht, sich seinen berauschten Zustand nicht anmerken zu lassen. Ob ich ihm helfen soll? Doch da sind seine Kumpels, die bereits ein Stück weiter auf der Brücke auf ihn warten, ihm jetzt zurufen, er solle sich beeilen. Er rappelt sich hoch, torkelt weiter. Ein Kumpel kommt ihm entgegen, wohl um ihm unter die Arme zu greifen. So gehe ich weiter, bin jetzt unbesorgt. Sie werden ihm weiterhelfen. „Glücklicherweise ist nur einmal im Jahr Vatertag!“, denke ich.
    Jetzt ist es nur noch ein kurzes Stück bis zum Bahnhof in Haste. Ich muss nicht lange warten und der Zug bringt mich zurück nach Hamburg. Die Fahrt im Regionalzug dauert fast drei Stunden.

    Ab jetzt wird es für eintägige Wanderungen zu weit, denke ich, kurz bevor ich sanft entschlummere.
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  • E1-17-D-Bad MĂŒnder (35km)

    May 30, 2015 in Germany ⋅ 🌧 11 °C

    Der Weg der drei Türme (1. Tourtag)

    Früh geht es los am Samstag, denn nun sind es bereits zwei Stunden Autofahrt zum Ausgangspunkt der heutigen Tour. Das Auto bleibt am Bahnhof Weetzen auf dem Park&Ride Parkplatz zurück, weiter geht es mit der S-Bahn nach Haste. Ich kann es kaum erwarten, heute über den Deister zu gehen.
    Aber von Haste ist es noch ein Stück bis dorthin. Eine Weile muss ich dem Wanderweg kreuz und quer durch die flache Feldmark folgen, den Blick sehnsüchtig Richtung Deister gerichtet, dessen Hügel ich mich ganz allmählich nähere.

    Hinter Waltringshausen liegt eine gemauerte Autobahnunterführung. Sie ist lang und dunkel und wird mir im Moment des Durchschreitens zum Symbol des Übergangs in eine andere Welt des Wanderns. Hiermit verlasse ich das Norddeutsche Tiefland, trete ein in die bergige Landschaft des deutschen Mittelgebirges, das bis an den Alpenrand reicht. Das erscheint mir jetzt noch so unendlich weit weg. Ich vermute, das Wandern wird beschwerlicher werden als bisher, denn viele Höhenmeter gilt es ab jetzt zu überwinden.
    Hinter dem Tunnel wartet das Niedersächsische Bergland, zu dem auch die Höhenzüge des Deisters und des Süntel gehören, beide bis zu 400 Meter hoch und überwiegend mit Buchen und Eichen bewaldet.
    Dichter Wald empfängt mich und gleich geht es aufwärts. Hundert Höhenmeter sind in kurzer Stecke zu erklimmen, für mich als Flachländer eine ungewohnte Bewegung, die mich mächtig zum Schnaufen bringt. Aber bereits nach einem Kilometer werde ich erlöst. Der dichte Wald öffnet sich einen Spalt weit und gewährt mir einen einen letzten Blick zurück auf die norddeutsche Tiefebene. In der Ferne sehe ich den Kaliberg, den ich bei der letzten Wanderung umrundet habe. Von hier sieht er ganz klein aus.
    Eine Bank lädt zum Verweilen ein, ich lasse mich nieder, denn zehn Kilometer liegen bereits hinter mir. Mit Genuss beiße ich in die mitgeführte Butterstulle, das hartgekochte Ei schmeckt köstlich. Zum Abschluss des kleinen Picknicks habe ich mir einen Baumkuchen auf die Bank gelegt, den ich als Wegzehrung geschenkt bekam. Er sieht mit seinem Zuckerüberzug richtig lecker aus. Doch als ich nach diesem Genuss greifen will, fällt er mir auf den schmutzigen Boden, direkt hinein in eine Pfütze. Nun ist er Futter für die Regenwürmer. Wie dumm von mir.
    Während ich mich ärgere, packe ich die Sachen in den Rucksack, werfe ihn auf meinen Rücken und wende mich endgültig ab von dem, was hinter mir liegt. Auf zu neuen Ufern!
    Wieder geht es bergauf, auf gut befestigten Wanderwegen erklimme ich weitere hundertfünfzig Höhenmeter. Dann eine verwitterte Treppe, sie führt steil hinab, ist feucht und glitschig. Auf halber Strecke kommen zwei Wanderer entgegen, wir müssen aufpassen, dass wir auf dem engen Pfad nicht ausrutschen. Alles geht gut.
    Mein Abstieg endet an der Teufelsbrücke, die mit starken Bohlen die ruhig dahinfließende Ackersbeke überquert. Anschließend geht es wieder bergauf. Immer weiter hinauf. Auf 375 Höhenmetern endlich liegt der Kammweg. Er heißt so, weil er dem Kamm des Deisters über viele Kilometer von Norden nach Süden folgt.
    Der Deister ist insgesamt 20 km lang und mit einem dichten Laubwald bewachsen, der leider jeden Weitblick ins Tal verhindert. Dafür belohnt er mit Ursprünglichkeit und Ruhe, unterlegt mit heiterem Vogelgezwitscher. Nur wenige Menschen sind unterwegs. Das ist nicht verwunderlich, denn ist kalt, es hat nur 12 Grad.
    Ich bekomme klamme Finger. Meine einsame Wanderung wird durch einen Jogger unterbrochen. Er überholt mich, grüßt kurz und schon ist er vorbei. Ich schaue ihm lange nach, bis er schließlich hinter der nächsten Kurve verschwindet. Ich vermute, dass er auf einem langen Lauf unterwegs ist, denn er hat eine Wasserflasche an seinem Hüftgürtel hängen, die munter bei jedem seiner Schritte auf und ab wippt. Er muss eine gute Kondition besitzen, wenn er hier oben auf 350 Höhenmetern läuft. Ich bewundere ihn, während ich für einen Moment an mein eigenes Lauftraining erinnere, das zugunsten des Wanderns brach liegt. Beides zusammen geht irgendwie nicht.
    Ich komme am alten Fernmeldeturm Barsinghausen vorbei, der seit 1969 Radiowellen in den Äther schickt. Mein Blick fährt den schlanken Turm hinauf, hält einen Moment an der runden Plattform inne, gleitet weiter entlang der rotweiße Antenne und bleibt schließlich an der dahinter stehenden tiefschwarzen und bedrohlich wirkenden Regenwolke hängen, die wirkt, als sei vom Mast aufgespießt worden. Noch hält sie ihren Regen, aber lange kann es nicht mehr dauern, bis sich ihre Schleusen öffnen.
    Und tatsächlich. Unvermittelt prasseln dicke Tropfen auf meinen Kopf, ein Wasserband, das im Nu alles um mich herum nass werden lässt und mich Schutz suchend in den dichten Wald treibt. Das Laubdach hält perfekt und so schnell, wie es zu regnen begann, ist es vorbei und ich kann weitgehend trocken zurück auf den Kammweg. Dort haben sich dicke Pfützen gebildet.
    Eine nahe Sehenswürdigkeit etwas abseits des Kammweges verleitet mich zu einem Umweg. Bald stehe ich vor der Alten Taufe, einem riesigen Quader aus Sandstein mit drei Metern Kantenlänge und einer tiefen Mulde auf der Oberseite. Es soll eine heidnische Opferstätte sein, auf der vor Urzeiten Menschenopfer dargebracht wurden. Oder vielleicht ist es ein altes Taufbecken der Christen, was dem Stein seinen Namen gab. So genau ist es nicht bestimmbar, wie ich lese. Fest steht, dass der Stein heute gerne von Esoterikern aufgesucht wird, die diesen Platz als einen Kraftort ansehen und ihm eine bewusstseinserweiternde Wirkung zugeschreiben. Zwei junge Männer, ganz in Schwarz gekleidet, sitzen gemütlich mit einer Flasche Bier in der Hand und betrachten in aller Seelenruhe den Opferstein. Ich frage nicht, was ich eigentlich fragen will, ob sie Esoteriker seien, die hier ihren Seelenfrieden suchen. Stattdessen frage ich, woher sie kommen und wohin sie gehen. Ihre Antwort kommt bereitwillig und sie erzählen, dass sie aus dieser Gegend stammen und den heutigen Samstag für eine Rundtour um den Deister nutzen. Im Gegenzug erzähle ich, dass ich auf meinem Weg durch Deutschland bin. Da staunen sie und meinen: „Soweit würden wir es nicht schaffen, die heutige Tour ist uns lang genug“. Ich bitte sie, mich vor dem Kraftstein zu fotografieren. Sie tun es gerne.

    Der Kammweg wird auch der „Weg der drei Türme“ genannt. Der erste Turm kommt bald in Sicht. Der Nordmannsturm ist ein hübscher, aus Steinen gemauertes Bauwerk. In seinem Fuß befindet sich eine Schänke, am Tresen bestelle ich Kaffee und Kuchen. Der kleine Gastraum ist voller Menschen, die Schutz vor der Kälte suchend die Tische belegt haben. Die Luft ist stickig, es ist klamm und sehr laut. Deshalb möchte ich nicht drinnen bleiben, doch die nette Bedienung serviert gerne auch draußen, wo ich mich auf eine Bank ausstreckte. Der lange Weg hier herauf hat müde gemacht, doch der Kuchen gibt neue Kraft und bevor es weitergeht, erklimme ich noch die neunzig steinernen Stufen, die im Innern des Turms zur Aussichtplattform hinauf führen. Als ich die schwere Eisentür öffne, kann ich endlich den ersehnten weiten Blick über die Wipfel der Bäume genießen, der mir bisher im Wald verborgen blieb. In einem entfernten Tal liegt Bad Münder und dahinter erhebt sich der Süntel, den ich morgen bezwingen werde. Drüber türmen sich weitere regenschwangere Wolken, die in meine Richtung schweben und vermutlich nur darauf warten, an den Deister zu stoßen, um sich ihrer Wasserlast zu entledigen. Hoffentlich wird es nicht gerade hier sein.
    Drei Kilometer weiter bricht das Unwetter los. Der Himmel wird rabenschwarz, ein heller Blitz zuckt aus dunkler Wolke und nur ein kurzer Moment vergeht, bis der Donner grollt. Das fiese Gewitter ist schon ganz nah. Ich weiß, dass ein Gewitter im Wald gefährlich sein kann, doch noch gefährlicher ist es, in so einem Moment auf dem Kamm eines Berges zu stehen. Der Radarturm der Deutschen Flugsicherung (DFS) kommt in Sicht und darauf dreht sich hoch über den Baumwipfeln eine eiserne Radarschüssel. Ich denke, dass dort wohl der Blitz zuerst einschlagen würde und nicht hier auf den Weg. Dieser Gedanke beruhigt mich, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Es blitzt wieder, der Donner folgt ohne Verzögerung, das Gewitter ist jetzt genau über mir und ich bekomme eine Gänsehaut. Noch ein Blitz und ein Donnerschlag, der am Berg widerhallt. Und noch einer. Doch nun dauert es schon etwas länger, bis der Donner folgt. Das Unwetter scheint weiter zu ziehen.
    Das war unheimlich. Es folgt heftiger Regen. Ich weiß, dass in der Nähe der nächste bewirtschaftete Aussichtsturm ist und ich hoffe, dass ich ihn gleich erreichen werde, um ins Trockene und Warme zu schlüpfen. Ich gehe immer schneller, indes sich der Regen in Hagel verwandelt. Dicke, weiße Körner fallen vom Himmel, prallen hart und laut auf den Weg und verwandeln ihn im Nu in einen weißen Matschteppich. Ich muss Schutz unter den nahen Bäumen suchen. Die Temperatur stürzt um einige Grad und es wird noch kälter als es ohnehin schon ist. Der Atem dampft. Die Hände verschwinden in den warmen Hosentaschen. Wenigstens bleibe ich unter dem Laubdach weitgehend trocken. Und dabei beginnt in zwei Tagen der meteorologischen Sommer. Mir ist kalt.
    Ein paar Minuten später ist es vorüber, doch der weiße Teppich bleibt noch eine Weile liegen. Ich trete aus dem Blätterdach hervor, zurück auf den Weg und schreite mit forschem Schritt weiter den matschigen Kammweg entlang. Nur langsam wird mir wieder warm.
    Da ist endlich den Annaturm, doch jetzt brauche ich ihn nicht mehr. Ich lasse ihn links liegen, denn auf eine Pause habe ich jetzt keine Lust mehr. Er ist eh keine Augenweide.
    Ein paar Kilometer weiter verlasse ich den Kammweg. Nun geht es den Deister durch dichten Buchen- und Eichenwald bergab. Der von den Blättern herabtropfende Regen zaubert eine besondere Stimmung, doch weite Blicke ins Tal bleiben weiterhin verwehrt. Erst kurz vor Bad Münder öffnet sich der Wald einen Spalt breit, gewährt mir einen Blick auf den immer noch fernen Süntel. Darüber lasten neue dunkle Wolken.
    Ein junger Mann kommt mir entgegen, auf seinem Rücken trägt er eine mächtige Last, regendicht verpackt. Das liefert mir den Grund, ihn anzusprechen. „Wie schwer ist denn Ihr Rucksack?“, will ich wissen und bin neugierig auf die Antwort, denn mein winziger Rucksack drückt mittlerweile auf meine Schultern. „15 Kilo sind drin, aber ich trainiere nur. Nächste Woche geht es nach Island.“ Das klingt nach einer interessanten Geschichte, die ich aber nicht erfahren werde, weil er sich schon wieder in Bewegung gesetzt hat.
    Ich nehme mir vor, allen Wanderern mit großem Gepäck, denen ich noch begegnen werde, nach ihren Geschichte zu fragen und sie dann hier aufzuschreiben.
    Der feuchte Wald weicht nassen Wiesen und so bin ich also am südöstlichen Ende des Deisters angekommen. Bad Münder sollte nun in Sichtweite voraus liegen. Tut es aber nicht, denn es liegt irgendwo vor mir im Nebel. Ein Stück gehe ich die Wiese entlang, dann drehe ich mich zum Abschied noch einmal Richtung Deister.
    Es verschlägt mir den Atem. Ein blaues Band erstreckt sich über dem hinter mir liegenden Deister und die Sonne bricht sich gerade ihre Bahn durch die dunklen Wolken, die langsam über mich hinweg Richtung Süntel ziehen. Keine Wolke folgt nach, so dass das tiefe Blau immer mehr Raum am Himmel findet. Die Sonne sendet ihre wärmende Kraft zu mir herab, bringt mir die ersehnte Wärme und die Straße zum Dampfen.
    Ein Anblick, der mich fröhlich stimmt. Gut gelaunt mache ich noch einen Abstecher in den Kur- und Landschaftspark, der links des Weges liegt, wandel die geschwungenen Parkwege entlang und komme an einem künstlichen See inmitten des Parks vorbei, dessen skurrile Künstlichkeit so gar nicht in diese Landschaft passt.
    Am südlichen Parkende liegt das Hotel und ich bin froh, angekommen zu sein. Es thront auf einer kleinen Anhöhe und behauptet von sich, ein Themenhotel zu sein: „Zu Gast im Terrassen Café – in der Welt zu Hause." Jedes Zimmer sei ein Unikat und einem speziellen Land zugeordnet. Ich checke ein und bin gespannt, welches Thema der Wirt für mich bereit hält. Als ich mein Zimmer betrete, wartet Australien auf mich, mit Bumerang und Pusterohr an den Wänden und einem gemalten Bild hinter dem Bett, das wohl Ayers Rock darstellen soll, einem Wahrzeichen Australiens und Heiligtum der Aborigines.
    So richtig interessiert es mich aber nicht, denn ich bin nur müde und freue mich jetzt auf eine heiße und sehr lange Dusche und danach auf ein leckeres Abendessen. Das deutsche Schnitzel schmeckt nach 30 Kilometern Fußmarsch einfach wunderbar und die zwei Biere befördern mich ruck zuck in das Land der Träume.
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  • E1-18-D-Hameln (25km)

    May 31, 2015 in Germany ⋅ ⛅ 20 °C

    Der Weg der drei Türme (2. Tourtag)

    Am nächsten Morgen stehe ich früh auf. Die Sonne zeigt sich bereits von ihrer besten Seite, die dunklen Wolken sind woanders hingezogen. Zunächst geht es durch die kleine Fußgängerzone von Bad Münder, die Geschäfte haben geschlossen, die Petri-Paul-Kirche ruft mit ihrem Geläut zum Sonntagsgottesdienst.
    Hinter der Stadtgrenze beginnt der Süntel. Wie der Deister ist auch er mit Laubwald bedeckt. Wie gut, dass ich kräftig gefrühstückt habe, denn der fünf Kilometer lange Aufstieg ist steil, aber auch sehr anmutig. Nach einer anstrengenden Stunde erreiche ich den Gipfel in 437 Metern ü.NN. Erschöpft und froh, es geschafft zu haben, lasse ich mich auf einer Bank nieder. Sie steht vor dem Süntelturm, 1899 auf der Hohen Egge erbaut, der höchsten Erhebung des Süntel. Hier steht der dritte Turm der <Drei Türme Route>. Während ich Luft schöpfe, schaue ich mich um. Der Turm ist umgeben von Laubwald, sieht dem Nordmannsturm zum Verwechseln ähnlich, ist aber ein paar Meter höher, wie ich bei Wikipedia nachlese. Dort steht auch, dass der massive Steinanbau, in dem die Gaststätte betrieben wird, schon 1910 hinzu gekommen ist. Offensichtlich zieht er (oder seine Gastronomie) bei gutem Wetter viele Leute an, die vor dem Turm auf den Bänken bei Speis und Trank sitzen. Viele sind Sportradfahrern und ich frage mich, warum sich Radsportler immer die schwierigsten Ziele aussuchen.
    Nachdem auch ich wieder Kraft geschöpft habe, entrichte ich für die Turmbesteigung meinen Obolus, öffne die schwere Tür zur Steintreppe und stapfe die 95 Stufen den Turm hinauf. Schwere, massive Holzbalken auf der Innenseite der gewendelten Treppe stützen die Stufen, trotzdem wirkt es auf mich nicht sehr vertrauenserweckend. Andererseits, baufällig sieht die Treppe auch nicht aus. Im Internet kann ich später bei Wikipedia lesen: „Im Jahre 2012 wurde der Aufstieg zum Turm wegen Einsturzgefahr der Treppenstufen gesperrt. Die Sanierung der Treppe wurde im Juli 2012 abgeschlossen“. Also sind die Holzbalken die Sanierung. Na, so was! Noch 12 Stufen eine Stahltreppe hinauf, dann bin ich auf der Aussichtsplattform. Ein junges Paar weicht aufgeschreckt zurück. Sie hatten sich heftig umarmt und verdrücken sich nun schnell. In aller Ruhe lasse ich den Blick über den Süntel schweifen. Wohin ich schaue - nur Wald. Da öffnet sich die Turmtür. Ein Vater tritt leise stöhnend auf die Aussichtsplattform. Er hat ein kleines Kind im Arm, ein zweites an der anderen Hand. Kaum angekommen, macht es sich von der Hand los und beugt sich weit über die Brüstung.
    Nun ist es an mir, mich zu verdrücken.
    Wenn man einen Berg hinauf steigt, muss man auch wieder hinab. Und so ist es auch jetzt, steil geht es die nächsten fünf Kilometer den Süntel runter, die erste Hälfte der Strecke auf einem gut ausgebauten Wanderweg, dann einen schmalen Waldpfad entlang, bis der Süntel im Ort Unsen zu Ende ist.
    Nach dem Auf und Ab ist es entspannend, eine Weile auf der Ebene zu wandern, auch wenn es eine Straße entlang geht. Doch sie ist nicht viel befahren. Die Freude währt nicht lange, kurz hinter dem Ort geht es links wieder die Höhe hinauf, jetzt wartet der Schweineberg auf seine Bezwingung. Aber zuvor mache ich Rast und beobachte, auf einem Holzstoß sitzend, den eleganten Flug zweier Greifvögel. Es müssen Schwarzmilane sein, die gegabelten Schwänze und das dunkle Gefieder deuten darauf hin. Sie lauern auf Beute und kreisen dabei über einem nahen Feld, auf dem der Bauer gerade Heu wendet. Die Schwingen fast bewegunglos, gleiten sie hin und zurück, einem immer gleichen Bogen folgend. Lange Minuten, Runde um Runde, fliegen sie im Kreis, bis plötzlich einer der beiden in das Feld hinab stößt und mit einer Maus aufsteigt. Da fängt der andere aufgeregt an zu fiepen, der erste schraubt sich höher. Lange beobachte ich den Flug der beiden Milane, wie sie auf die andere Talseite fliegen, sich dabei necken und mit der Beute in der Luft spielen. Dann sind sie außer Sicht und meine Pause ist lang genug geworden. Ich folge dem Hinweisschild Richtung Schweineberg, der nur einen halben Kilometer von hier entfernt sein soll. Gleichzeitig wird das Schild auch als Marke für den E1 verwendet und so weiß ich, dass ich noch auf dem Fernwanderweg bin.
    Es folgen 600 Meter, die es in sich haben, denn es geht wieder bis auf 280 Meter ü.NN hinauf. Die Mühe wird wieder nicht mit einem Fernblick belohnt, denn auch hier stehen hohe Laubbäume dicht bei dicht und das Unterholz gewährt keine Durchsicht. Und schon geht es wieder bergab, jetzt ist es nur ein schmaler Pfad. Ich verlaufe mich, denn er endet mitten im Wald. Zurück will ich nicht, also schlage ich mich mit dem Smartphone vor der Nase, das mir mit der Komoot Karte beim Navigieren hilft, durch das Unterholz. Ein paar hundert Meter weiter treffe ich wieder auf den Weg. Glück gehabt.
    Ich komme an sehr hohen Bäume vorbei, alten Veteranen von gewaltigem Durchmesser. Auf manchen von ihnen hat der Wegewart ein dickes, weißes Kreuz als Wegmarke des E1 gemalt, von weitem schon gut sichtbar. Ich bin auf einem Waldlehrpfad und Schilder erläutern mir die Geschichte einiger Baumriesen, die hier schon lange stehen. Manche sind über 200 Jahre alt. Respekt!
    Das idyllisch gelegene Forsthaus Heisenküche mit seinen weiß gedeckten Tischen auf der Terrasse lädt zum Verweilen ein. Aber nein, keine Rast mehr, ich will weiter.
    Doch das stellt sich im Nachherein als Fehler heraus. Hätte ich doch nur noch einmal Kraft bei einer Tasse Kaffee getankt. Denn kaum ist die Straße überquert, geht es schon wieder steil bergan. Noch einmal sind 80 Höhenmeter zu überwinden, und dieses Mal ist das Ende des Pfades in luftiger Höhe bereits von unten auszumachen, es geht schnurgeradeaus steil nach oben. Noch stehe ich ganz unten und fühle mich als Flachlandtiroler entmutigt, denn ich bin schon ganz ausgepowert von dem ständigen Auf und Ab. Mit meinen letzten Kraftreserven schaffe ich den Aufstieg und schnaufe mächtig. Der Schweiß rinnt und ich komme an meine Grenzen. Aber es hilft nichts, ich muss da hoch. Ein wenig versöhnt die Schönheit des Waldes. Endlich komme ich oben an – und wieder keine Fernsicht.
    Dann folgt der letzte Abstieg. Der schmale Pfad windet sich durch den Wald, bis ich nach mehr als fünfzig Wanderkilometern wieder in den Lärm der Stadt eintauche. Doch vorher kann ich vom Aussichtspunkt <Paul-Gerhardt-Gemeinde> noch einen Blick auf Hameln werfen, das sich hier nicht von seiner schönen Seite zeigt.
    Nur noch wenige Minuten, dann bin ich am Bahnhof. Ein Latte Macchiato im Restaurant gegenüber vom Bahnhof verkürzt die Wartezeit. dann bringt mich die S-Bahn nach Weetzen zurück, wo das Auto wartet. Ich fahre müde, aber glücklich und von vielen Eindrücken erfüllt von meiner zweitägigen Wanderung nach Hamburg zurück.
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  • E1-19-D-Löwensen (27km)

    June 7, 2015 in Germany ⋅ ☀ 23 °C

    Viel Muße auf dem Weg zur Quelle - Der Emmerweg (1/3)

    (Wieder einmal macht der E1 einen Schlenker, der nach Detmold und dem Hermannsdenkmal führt. Ich kenne es schon von früher und entscheide mich, die Route zu verkürzen. Statt auf dem E1 geht es den Emmerweg entlang. So komme ich meinem Ziel, dem Bodensee, schneller näher.)

    Früh sitze ich im Zug nach Hameln. Nun muss es schon der ICE nach Hannover sein, von dort geht es mit der S-Bahn weiter nach Hameln. Insgesamt dauert die Anfahrt bereits mehr als zwei Stunden. Als ich in Hameln aus dem Zug steige, ist der Himmel blau und klar, keine Wolke ist zu sehen.

    Wenn man nach Hameln reist, sollte man sich für die historische Altstadt etwas Zeit nehmen. Es ist die Stadt der Rattenfänger, die Sage ist laut Wikipedia mehr als einer Milliarde Menschen bekannt: es war einmal ein Mann, der hatte eine wundersame Pfeife, mit der er erst die Ratten und später die kleinen Kinder aus der Stadt lockte. Keines von ihnen sah man je wieder...

    Also bin auch ich erst einmal touristisch unterwegs, flaniere durch den historischen Stadtkern, die Touristen sind derweil wohl noch beim Frühstück. Einige Einheimische beten bereits in der Nikolai Kirche, den Gottesdienst will ich nicht stören, ein Foto durch die Glastür ins Kircheninnere muss genügen.
    Dann ein Blick auf den Pferdemarkt. Dort steht das verspielte Hochzeitshaus, das im 17. Jahrhundert als letztes Steinhaus im Renaissance-Stil erbaut wurde. Siebenunddreißig Glocken hängen am Giebel nebeneinander aufgereiht und warten auf ihren Einsatz. Sollten sie ertönen, würde sich gleichzeitig eine Bronzetür öffnen, die Figur des Rattenfängers heraustreten und im Kreis laufen, verfolgt von einer Schar Ratten. Aber das findet zu einer anderen Zeit statt. Ich bekomme es nicht zu sehen. Weiter geht meine Entdeckungstour durch die Bäckerstraße, ich schaue nach links und nach rechts, sehe altehrwürdige, sehr sehenswerte Häuser und verlasse schließlich die sagenumwobene Stadt über den Europaplatz in Richtung Süden.
    Es geht die Weser entlang, die ich mir breiter vorgestellt habe. Im Hafen liegt ein alter Mienensucher fest vertäut am Pier, die graue Tarnfarbe des ehemaligen Militärbootes blättert ab, die Scheuerleisten sind halb vermodert. An Deck schwanken Veteranen und halten sich an ihrem Bier fest.
    Der Hafen endet in einem Seitenarm der Weser, verrottete Güterwaggons warten auf ihre Verschrottung. Sie sind keine Augenweide für einen vorbeiziehenden Wanderer. Weiter geht es über eine Brücke zum Hauptfluss und nun begleite ich die Weser auf einem Uferweg, der, von knorrigen, alten Weiden gesäumt, mich bis ins Emmerthal führen wird. Er wird überwiegend von Radfahrern genutzt, die geschwind an mir vorbei radeln. Manche klingeln, andere zischen so knapp an mir vorbei, als gelte es, mich vom Weg zu verscheuchen. Die Tündernsche Warte - ein Gasthaus im bayrischen Flair - lockt mit Kaffeeduft, doch ich gehe vorbei, schließlich bin ich erst zwei Kilometer unterwegs. Kurz darauf ziehe ich an der schneeweißen Tündernschen Mühle vorbei, sie sieht aus wie ein knuffiges Bauwerk aus der Welt der blauen Schlümpfe. Immer mehr Radfahrer überholen mich, nur wenige kommen mir entgegen. Jeder Dritte von ihnen lässt sich elektrisch unterstützen, leise surren die E-Bikes. Unter dem Namen Pedelecs kennt man diese Gefährte auch, sie haben einen bis zu 250 Watt starken Elektromotor, der die Fahrt mehrere Stunden lang bis zu 25km/h elektrisch unterstützt. Eine feine Sache. Eine Familie kommt mir auf Fahrrädern entgegen, zwei Kinder fahren vorneweg, die Eltern hinterher. Die Kinder halten sich ordentlich rechts und lassen mir ausreichend Platz. Trotzdem ermahnt die Mutter:
    „Thimo, Nele, fahrt brav hinter Klaus her.“
    Warum macht sie das? Die Kinder haben alles richtig gemacht.
    „Ist die Frau unentspannt,“, höre ich einen Mann hinter mir sagen. Auch er sitzt auf dem Fahrrad, radelt just an mir vorbei. Ich muss laut lachen, denn ich weiß um die Bedeutung seiner Worte und er schaut mich zuerst erstaunt an, dann lacht auch er. Wir wissen beide, warum und sind für einen Moment in diesem Wissen vereint.
    Noch mehr Radfahrer schnurren vorbei, ich fühle mich allmählich wie auf einer Fahrradautobahn. Ein Schild weist darauf hin, dass hier der Weser-Radweg verläuft, folgt der Weser von der Quelle bis zur Mündung in der Nordsee. Radfahrer werde ich noch bis Emmerthal ertragen müssen, erst dort werde ich Wanderwegen folgen können, die Radfahrer vermutlich nicht nutzen. Komoot möchte, dass ich die Weser überquere. Eine alte Eisenbahnbrücke ist auch da, ein Weg neben den Gleisen, die über die Stahlbrücke führen, ist ebenfalls vorhanden. Nur das große Schild „Durchgang verboten – Bahnanlage“ kennt Komoot offenbar nicht. Ich ärgere mich, ob über Komoot oder das Verbotsschild, kann ich gar nicht genau sagen. Schnell entscheide ich, dem Verbot zu folgen, strebe der nächsten Brücke zu. Sie ist nicht weit entfernt, die Aufregung also unbegründet und den kleinen Umweg kann ich in Kauf nehmen. Außerdem hilft in solchen Momenten immer die Frage an sich selbst: „was ist das Gute daran?“ Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten, denn in Emmerthal ist ein Stadtfest in vollem Gange. Ohne Umweg hätte ich keine Bratwurst bekommen, die ich nun auf dem Rasen liegend vor der Petrikirche genüsslich verspeise, während ich dem munteren Treiben zuschaue. Wieder wurde mir ein mußevoller Augenblick geschenkt.
    Gestärkt und gut erholt lasse ich Fest und Ort hinter mir, wende mich vom Tourismus ab, der mich seit Hameln begleitet hat. Unter einer Brücke am Ortsausgang strömt gemächlich der Emmer, den ich hier das erste Mal zu sehen bekomme. Seinetwegen bin ich ja gekommen, gehe ich doch den Emmerweg. Unweit von hier verbindet der Emmer sich mit der Weser. Ich werde dem Emmer nun sechzig Kilometer bis zur Quelle folgen. Hinter der Brücke geht es steil bergauf, die ersten Höhenmeter dieser Tour sind zu erklimmen. Schnell bin ich oben angekommen. Ein Blick zurück präsentiert das weite Emmerthal, das von bewaldeten Höhen in weiter Ferne begrenzt wird. Und endlich umgibt mich, was ich beim Wandern am Meisten genieße: Ruhe und das Alleine-Sein. Vogelgezwitscher überall, manchmal auch der Ruf eines Kuckucks, die Felder duften nach Heu und am Wegesrand blühen bunte Blumen. Der Flieder ist reif und schickt aus weißen Blüten betörenden Duft zu mir herüber. Das haben auch die Bienen gerochen, ihr Summen ist aus manchem Busch schon von Weitem zu hören. Herrliches Wandern!
    Mein Alleine-Sein wird unterbrochen, als ein Greis mir, gestützt durch seine Wanderstöcke, entgegen humpelt. Als wir uns begegnen, fragt er:
    „Haben Sie das hässliche AKW geknipst? Das haben sie uns hier mitten ins Emmerthal gebaut. Richtig verschandelt haben sie alles damit!“.
    Wut schwingt in seiner Stimme mit. Er meint wohl das Kernkraftwerk Grohde, das hier seit vierzig Jahren seinen Dienst tut. Aus zwei Kühltürmen entweicht weißer Wasserdampf, der hoch steigt und sich zu den weißen Wolken gesellt, die am Himmel stehen. Es steht klotzig mitten im Emmerthal und es lässt sich kaum vermeiden, dass die große runde Kuppel und die Kühltürme mit auf das Foto geraten sind, das ich eben mit dem Smartphone geschossen habe.
    „Ja, es sieht hässlich aus", entgegne ich, "und es passt so gar nicht in diese schöne Gegend. Aber ich habe es gar nicht fotografiert, sondern den Weg, den ich herauf gekommen bin“. Ich zeige Richtung Norden. Er folgt meinem Finger, deutet ihn aber falsch. „Ja, da hinten auf dem Schecken, da haben sie Hitler immer den roten Teppich ausgelegt, wenn er hier in der Gegend Gelder eingesammelt hat.“
    „Haben Sie das miterlebt?“, frage ich. Vielleicht hat er eine interessante Geschichte zu erzählen, schließlich könnte er einiges aus dieser Zeit als Augenzeuge miterlebt haben.
    „Nein, ich komme aus Böhmen, bin erst nach dem Krieg hierher gekommen. Da habe ich dann auch mein Haus gebaut, in dem wohne ich noch heute, aber jetzt geht die Heizung nicht mehr richtig…“.
    Er redet sich warm, vielleicht froh, jemanden gefunden zu haben, der sich sein rückwärts gerichtetes Denken anhört. Doch ich möchte Wandern und Neues erleben. Mit den Worten: „Toll, dass Sie noch so gut zu Fuß sind“ wende ich mich ab zum Gehen.
    Wenn es Zeit wird für eine Pause und der Wanderer keinen Gasthof ansteuern möchte, dann sucht er sich gerne eine geeignete Bank für seine Rast. Geeignet bedeutet dabei: sie soll ruhig liegen, einen schönen Ausblick bieten, im Schatten liegen, sofern die Sonne scheint, sauber und heil sein. Selten findet der Wanderer, wonach er sucht. Heute aber treffe ich auf die perfekte Bank für meine Rast. Sie ist ganz neu, blitzeblank, wohlgeformt und lang genug, um die Beine auszustrecken. Gekennzeichnet ist sie mit den Buchstaben XW, das Zeichen des WeserWanderweges. Vermutlich wurde die Bank vom Weserbergland Tourismus e.V. aufgestellt, dem ich an dieser Stelle ganz herzlich danken möchte. Und das Highlight ist: die eine Seite der Bank liegt in der Sonne, die andere im Schatten. So verschlummere ich auf ihr eine entspannte, sonnige Stunde. Mein Kopf liegt im kühlen Schatten und der Körper wird von der Sonne gewärmt. Aber auch die schönste Pause muss irgendwann zu Ende gehen, schließlich will ich heute noch bis Bad Pyrmont kommen.
    Nur noch ein kurzes Stück durch den Wald, dann stoße ich auf eine Nebenstraße, die nach Hämelschenburg führt. Es ist aber keine Burg, sondern ein im 15. Jahrhundert gebautes Schloss. Karpfen ziehen Kreise in einem Teich direkt an der Straße. Sie schwimmen knapp unterhalb der Wasseroberfläche, heben ihre Köpfe aus dem Wasser, die Mäuler weit geöffnet. Schnappen die Fische nach Luft oder wollen sie Enten gleich gefüttert zu werden? Ich finde es nicht heraus, denn ich habe kein Brot in der Tasche und bin auch schon vorbei. Ein paar Schritte weiter liegt die Ostseite des Schlosses. Dort gibt es fünf riesige Wasserspeier zu bestaunen, die, langen Speeren gleich, weit über das Dach des Schlosses hinaus ragen. Bei Regen fließt das Regenwasser vom Dach über die Speier aus der Höhe des dritten Stockwerks direkt in den Schlossgraben. Das Plätschern wird den Schlossbewohnern wohl manch schlaflose Nacht beschert haben. Heute aber scheint die Sonne und Regen ist fern. Was die Schlossanlage zu bieten hat - ob Kunstsammlung, Gartenanlagen, Wassermühle, Wirtschaftsgebäude oder Kirche - ich muss es links liegen lassen. Denn ich will weiter. Der Eindruck des Schlosses verfliegt rasch. Erst meine nachträgliche Recherche ergibt, dass ich hier an einem Hauptwerk der Weserrenaissance mit seiner langen und bewegten Geschichte eilig vorbei geschritten bin. Wären die Tagesdistanzen kürzer als ich sie plante, hätte ich länger verweilen können.
    Der Weg führt nun an Bahngleisen entlang, die von Hameln nach Bad Pyrmont führen. Der Emmerweg folgt ihnen durch grüne Wälder und sanfte Hügel. Erst geht es hinauf, dann wieder hinunter, an Getreidefeldern entlang, deren noch unreife Halme schon bis an die Hüfte reichen. Wald, Felder, Hügel - eine endlose Folge. Kilometer reiht sich an Kilometer. Mittendrin liegt der Ort Welsede mit seinem großen Gehöft. Der Weg macht einen Bogen um die Steinmauer, der Blick auf das dahinter liegende Gutshaus wird mir so verwehrt. Ein schnelles Foto bannt ein Informationsschild auf die Speicherkarte des Smartphones, für spätere Recherchen, denn auch hier bleibe ich nicht lange stehen. Dann geht es das zweite Mal über den Emmer. Nein, es ist nur der Mühlenbach, zu schmal ist der Flussarm für den Emmer. Früher hat das Wasser eine Mühle angetrieben und heute liefert es für das Gut den Strom. Erst unter der nächsten Brücke fließt der Emmer hindurch, er ist viel breiter als der Mühlenbach. Überhaupt, wo ist er die ganze Zeit gewesen? Obwohl es der Emmerweg ist, auf dem ich gehe, hat sich der Fluss bisher rar gemacht.
    Steil geht es nach Löwensen hinab. Bis zur gebuchten Pension ist es jetzt nicht mehr weit. Rechts von mir liegt der Königsberg, zum Abschluss wollte ich ihn eigentlich noch besteigen, um die Aussicht über Bad Pyrmont vom hohen Bismarckturm zu genießen. Aber jetzt fehlt mir die Lust und auch die Energie dazu. Gleich die Füße hochzulegen ist auch eine gute Aussicht. Die Klingel an der Haustür meiner Pension lässt oben im Haus ein Fenster öffnen. „Einen Moment, bitte“. Kurz darauf werde ich vom Pensionswirt eingelassen. Ich bekomme ein schönes Einzelzimmer. Auch wenn ich müde bin, für das Abendessen muss ich noch in den Ort gehen. In der Brunnenstraße, der Fußgängerzone von Bad Pyrmont finde ich im Ratskeller, was ich suche: Spargel mit Schinken. Ein Bier rundet diesen herrlichen Wandertag ab.
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  • E1-20-D-Steinheim (30km)

    June 8, 2015 in Germany ⋅ ⛅ 18 °C

    Viel Muße auf dem Weg zur Quelle - Der Emmerweg (2/3)

    Bad Pyrmont war früh bekannt, bereits 1556 sollen Menschen aus ganz Europa hier her gekommen sein, um durch wundertätige Quellen Heilung zu finden. Von diesen Quellen profitiert die Stadt noch heute, viele mondäne Gebäude belegen dies. Auch das Glücksspiel hat zum Ruf der Stadt beigetragen.
    Wenn man schon in Bad Pyrmont ist, dann muss man es sich auch ansehen. Deshalb habe ich mein Frühstück für acht Uhr bestellt.
    "Geht auch acht Uhr fünfzehn? Da kommen dann auch die anderen Gäste", fragt der Wirt. Ja, das geht auch. Zu dritt im Frühstücksraum nehmen wir ein gutes Frühstück zu uns.
    Die Brunnenstraße, durch die ich nun zum zweiten Mal gehe, ist heute morgen wesentlich belebter als gestern Abend. Für eine Stunde bin ich Tourist, besuche den Brunnenplatz, das Goethehaus, das altehrwürdige Hotel Fürstenhof, flaniere am großen Hotel Steigenberger vorbei, sehe das alte Staatsbad von außen, gehe die Allee der Heiligenangerstraße entlang. Den Kurpark und den Palmengarten lasse ich aus, denn es kostet 4€ Eintritt ohne Kurkarte, sagt der Mann am Schalter. Es soll einer der Schönsten Deutschlands sein und wäre sicherlich den Besuch wert.
    Dann treibt es mich die Schlossstraße entlang, Richtung Schloss und Festung. Vor der Brücke, die über den Schlossgraben führt, bleibe ich fasziniert stehen, blicke nach oben zum Schloss. Es ist ein wundersamer Anblick: unten die Mauer der Festung, umgeben von einem Burggraben, darüber das prunkvolle Schloss. Es wurde 1536 als Sommerresidenz des Grafen von Spiegelberg erbaut. Nach hundert friedlichen Jahren war es im dreißigjährigen Krieg Schauplatz zahlreicher Auseinandersetzungen, in dessen Verlauf es fast vollständig zerstört wurde. 1710, also erst viele Jahre später, war ein neues Schloss fertiggestellt. Stetig wurde daran gebaut, verändert und ergänzt, bis es ab 1855 sein heutiges Aussehen behielt. Die Symbiose aus Burg und Schloss begeistert mich. Hier die wehrhafte Kraft der Festungsmauern, die dem Feind trotzt, dort die leichte Eleganz eines Schlosses, das sich öffnet und einlädt zu rauschenden Festen. So flitze ich hin und her, laufe auf Burgmauern entlang, schaue durch Schießscharten auf die Stadt, tauche ein in die Tiefen der Festungskasematten, kann sogar die Soldaten in ihren Rüstungen erahnen, wie sie in dunklen, aber schützenden Gewölben gegen den Artilleriebeschuss der feindlichen Truppen ausharren. Zehn Monate trotzten sie und mussten doch am Ende aufgeben.
    Schließlich gehe ich – widerstrebend - weiter.
    Südlich von Bad Pyrmont verlasse ich Niedersachsen und betrete das dritte Bundesland meiner Wanderung: Nordrhein-Westfalen.
    Der Ort Lügde grüßt den Wanderer auf seiner Ostseite mit einem hässlich ausschauenden Gewerbebetrieb. Die Idylle eines am Wegesrand liegenden Bauernhofes mit freilaufenden Hühner, die neugierig gackernd heran wackeln und mir zwischen die Beine geraten, können darüber nicht hinwegtäuschen. Wenn sich ein Ort dermaßen von seiner schlechten Seite präsentiert, will der Wanderer ihn auf der anderen Seite, sofern er denn durch den Ort muss, schnell wieder verlassen. Lüdge allerdings kann mit einem so schönen alten Ortskern auftrumpfen, das der Ortseingang schnell vergessen ist. Auch können sich die 10.000 Einwohner mehreren Kirchen erfreuen, was ein Ort dieser Größe nicht vermuten läßt. Ich steuere die katholischen Pfarrkirche Stankt Marien an und mache in der Kühle des großen Gotteshauses Rast. Ich sitze auf einer Bank des Mittelschiffs, wende den Kopf hierhin und dorthin, betrachte die neugotische Architektur, die das hohe Kirchenschiff formt. Dann ruht mein Blick auf dem einen riesigen, bunten Bleikristallfenster, das über dem Hauptaltar thront. Jedes Detail ist mir wichtig. Lange sitze ich. Ich liebe Augenblicke wie diese in der Stille einer Kirche, die mir so ruhevolle Muße schenkt. Endlich erhebe ich mich zu einem Rundgang, der mich zu einer Schnitzfigur führt. Ihr Anblick fesselt mich. Ein alter, bärtiger Mann sitzt im Zentrum, scheinbar erschöpft, vielleicht schon tot. Gehalten wird er von einem jüngeren Mann, vermutlich ist es Jesus, der ihn mit dem linken Arm stützt. Dabei beugt er sich schützend über den Alten, hält seine rechte Hand hoch, zwei Finger gestreckt, um ihn zu segnen. Er schaut dem Alten dabei direkt in die brechenden Augen. Dieser hat beide Hände wie zum Empfang des Segens geöffnet, die Rechte ist erschlafft niedergesunken, die Linke hingegen wird von der Hand einer Frau, vielleicht Maria, gestützt. Sie zeigt mit dem Finger der anderen Hand auf den Segnenden und schaut ihn dabei an. Sehr lange stehe ich vor der hölzernen Schnitzarbeit in Lebensgröße, muss immerzu zu ihr auf aufsehen. Was ist es, was mich an dieser Skulptur so in den Bann zieht? Es lässt mir keine Ruhe und so suche ich später im Internet, finde zunächst nur, dass der Namen der Skulptur lautet: „Tod des heiligen Josef von Mormann“. Wer ist das, frage ich mich? Ich bin nicht bibelfest. Später komme ich drauf, dass es Joseph von Nazareth sein muss, der Ehemann von Maria und damit der gesetzliche Vater von Jesus. Damit wird es mit klar: die beiden Figuren links und rechts sind Jesus und Maria, die um ihren toten Vater und Ehemann trauern. So kann ich im Nachhinein diese Wissenslücke noch schließen, dem Internet und Wikipedia sei Dank.
    Schließlich verlasse ich die Kirche und bald auch die kleine Stadt auf ihrer Südseite, gehe vorbei an der noch völlig intakten Stadtmauer. Dahinter liegt der Wallgraben, beides soll schon im 12. Jahrhundert entstanden sein. Ich wundere mich über die geringe Höhe der Mauer, mit der offenbar Barbaren abgehalten werden konnten, die Stadt zu erobern.
    Kurz hinter Lüdge kreuze ich wieder einmal den Emmer, von dem ich auch heute bislang wenig zu sehen bekam. Es geht eine schmale Straße hinauf, vorbei an einem kleinen Café mit dem lustigen Namen Ponderosa. Erinnerungen an meine Kindheit flackern auf. Vor dem geistigen Auge erscheinen Bilder aus der alten US-Serie Bonanza, die meine Kindheit begleitete. Immer sonntags war Fernsehzeit, keine Serie wurde ausgelassen, wenn die Cartwrights über die Prärie ritten. Ben, Adam, Little Joe und der dicke Hoss. Die Assoziation ist wohl gewollt, denn Pferde laufen auch hier auf der Koppel. Aber anstelle der Cowboys ist es hier ein Mädchen, dass einem glänzenden Rappen die Hinterläufe striegelt. Das kräftige, pechschwarze Tier genießt die Behandlung anscheinend sehr, denn es hält ganz still. Ich schaue ein wenig neidisch herüber. Meine Waden könnten eine Massage auch gebrauchen.
    Ganz allmählich verliert sich der Weg in den Höhen. Der Straßenlärm, der vom Tal herauf schallt, verfliegt nach und nach, verstummt schließlich ganz. Vogelgezwitscher tritt an seine Stelle. In Stereo. Ein Vogel zwitschert links, ein anderer antwortet von rechts. Ein endloser Kanon aus vielen Vogelkehlen lullt mich ein, erzeugt die meditative Ruhe, die der Wanderer sucht. Die Füße finden wieder ihren Weg von ganz alleine. Geschenkte Zeit, um Gedanken nachzuhängen. Sie kommen und gehen, verlieren sich in Zeit und Raum, verblassen, um zurück zu kehren, bringen neue Impulse mit, die gleich darauf schon wieder vergessen sind. Unmöglich, sie jetzt - im Nachhinein – wieder aufzuspüren. Aber sie wirken im Unterbewusstsein, dessen bin ich gewiss.
    Mein Weg führt am Schieder See vorbei, der Emmer wird zum Stausee, der hier Ende der 1970er Jahre angelegt wurde, um die Altstadt von Lüdge vor dem Hochwasser der Emmer zu schützen, was wohl gelang. Neben der Schutzfunktion hat sich im Laufe der Zeit ein Naherholungsgebiet entwickelt. Aber davon sehe ich nichts, denn ich gehe auf der nördlichen und damit vermutlich falschen Seite den Sees entlang. Doch der Emmerweg will es so. Die südliche Seite wäre die Bessere gewesen, denn dort reicht der Wald bis zum See. Ich aber bleibe durch eine vorbeilaufende Bahntrasse getrennt vom Ufer des Sees, das eh steinig und nicht einladend ausschaut. So bleibt die extra mitgenommene Badehose im Rucksack. Eine Abkühlung wäre mir willkommen gewesen, denn es ist heiß geworden, Schweißperlen kullern von meiner Stirn. Die Sonne scheint aus klaren Blau, nur vereinzelt sind weiße Tupfer in den Himmel gemeißelt. Nach drei Kilometern ist der See zu Ende. Wieder überquere ich den Emmer und nun auch die Bahnschienen, gelange in den Kurpark von Schiede. Der Weg führt zum Schloss Schieder hinauf, das erst im 18. Jahrhundert im Klassizismus-Stil Bau errichtetet wurde. Es ist klein, schlicht und anmutig. Auf der Rückseite wird die Terrasse für das Kuchengeschäft klargemacht, Sonnenschirme werden aufgespannt und Stühle zurecht gerückt. Es ist fünfzehn Uhr. Kaffeezeit! Aber ich lasse mich nicht locken, kaufe mir stattdessen eine Banane und einen Apfel im nahegelegenen Supermarkt.
    Zurück im Wald geht es an Bäumen vorbei, die milden Schatten spenden. Ich erklimme eine Anhöhe. Dort endet der Wald. Ich folge nun einem mit Gras bewachsenen Feldweg, schön frisch gemäht. Zum ersten Mal frage ich mich, wer wohl alle diese wunderbaren Wanderwege, die ich bereits gegangen bin, so herrlich in Ordnung hält. Warum frage ich es mich gerade jetzt? Vielleicht, weil die Antwort geradewegs vor mir steht! In Gestalt eines älterer Herrn im roten Sweatshirt, zünftig gekleidet mit Wanderhose und –stiefeln. Über die Straße gebeugt, sieht er mich nicht kommen. In der einen Hand hält er eine Spraydose, in der anderen Hand einen Besen. Er wirkt sehr beschäftigt, kehrt mit dem Besen erst den Boden, um danach einen weißen Pfeil auf die Straße zu sprayen. Ich bleibe eine Weile vor ihm stehen, bis er mich schließlich bemerkt. Da kommt er aus gebückter Haltung hoch, schaut mich verwundert an.
    „Die Wege hier sind alle so gut in Ordnung und frisch gemäht. Wissen Sie, wer das hier so macht?“, frage ich einfach so drauflos.
    „Ich“, sagt er. „Ich bin hier der Wegewart.“
    Damit hatte ich nicht gerechnet. Kaum stelle ich mir die Frage, schon erhalte ich die Antwort.
    „Im Moment zeichne ich allerdings den Weg für den Volkslauf aus.“
    Daraufhin erzähle ich ihm, dass ich aus Hamburg komme und im April dort den Marathon gelaufen bin. „Da war ich auch, aber nur als Zuschauer“, erwidert er, „ich habe meine Tochter besucht, die wohnt auch da.“ Nach einer kleinen Plauderei verabschiede ich mich, nicht ohne mich zu bedanken für seine Mühen als Wegewart.
    „Viel Glück auf dem weiteren Weg und dass Sie heil in Konstanz ankommen mögen“, ruft er mir noch nach.
    Einen Hügel weiter wechselt der Weg auf einen Bergwanderweg. Es wird schmal und immer schmaler, das Gras wächst wild und immer wilder. Ich denke nur: Zeckenalarm! Die Angst vor Borreliose keimt kurz auf. So lasse ich trotz der Hitze die aufgekrempelten Hosenbeine herunter, die Hose bedeckt jetzt die nackten Beine. Schwitzen ist besser als Zeckenbiss! Der Weg führt hinauf, vorbei an einsam liegenden Feldern, rote Mohntupfer ragen aus dem satten Grün des reifenden Getreides. Dann plötzlich ist endgültig Schluss mit dem Emmerweg; er wird unpassierbar. Hier ist bestimmt nicht der nette Wegewart von vorhin zuständig, oder doch? Ich weiche auf eine Wiese aus, kein Zaun verhindert den Zugang. Hier ist schon jemand vor mir gegangen. Ich folge den Spuren, die sich durch die Wiese ziehen. Es geht durch kniehohes Gras, reife Samen streifen meine Hosenbeine. In der Ferne schimmern die Halme rötlich, während sie sich im leichten Sommerwind wiegen. Viele hundert Meter geht es über die Wiese eine Anhöhe hinauf. Oben angekommen, ist Steinheim in Sicht. Die Wiese wird von einem Zaun begrenzt, auf dessen anderen Seite der Weg liegt, hier wieder wunderbar gemäht und gut begehbar. Ich schmeiße den Rucksack über den Stacheldraht. Nein, so war es nicht! Ich lege ihn vorsichtig auf der anderen Seite ab und steige sehr vorsichtig über die Stacheln. Endlich bin ich zurück auf dem offiziellen Emmerweg, der nun weiter an der Wiese entlang führt. Er macht eine Biegung nach links, führt durch ein kleines Wäldchen, macht noch eine Biegung nach rechts und - da ist ein Gatter zur Wiese. Es ist offen. Das Klettern über den gefährlichen Stacheldrahtzaun wäre unnötig gewesen, wenn ich mehr Geduld gehabt hätte. Offenbar war der zuständige Wegewart der Meinung, dem Wanderer eine neue Erkenntnis zu verschaffen: "Sei nicht voreilig“.
    Danke, lieber Wegewart.
    Es ist nun nicht mehr weit bis nach Steinheim. Nur noch einen Hügel hinab, dann durch den Ort ins Zentrum. Am Bahnhof liegt mein Hotel für die heutige Nacht. Es wirbt mit dem Slogan: "Wir wollen, dass Sie sich wohlfühlen und mit hohem Komfort zu angenehmen Preisen Steinheim genießen“.
    Das hat mir gefallen, als ich vor der Wanderung nach einer Unterkunft suchte. Nun stehe ich in einer leeren Bahnhofshalle. Ein Automat übernimmt den Check-In Vorgang - ganz vollautomatisch. Ich hätte lieber einem Menschen in die Augen geschaut und zusammen mit dem Zimmerschlüssel ein paar nette Willkommensworte entgegen genommen. Schließlich bin ich von weit her bis hierher gewandert. Aber die Zeiten ändern sich und ich hätte mir auch ein anderes Hotel aussuchen können. Der Automat bekommt es hin, in wenigen Augenblicken halte ich meine Plastikkarte für das Hotelzimmer in der Hand. Das „Sesam öffne dich“ zu meinem schicken, modernen und tatsächlich komfortablen Hotelzimmer für die Nacht.
    Steinheim am Montagabend muss man sich so vorstellen:
    Montag ist Ruhetag. Das bedeutet, alle Geschäfte, sämtliche Restaurants und wirklich alle Kneipen haben geschlossen. Man begegnet keinem Menschen, die Straßen sind wie leer gefegt. Die Steinheimer haben sich offenbar abgesprochen, wollen hungrige Wanderer wie mich aus der Stadt vertreiben. Alle Steinheimer? Nein! Denn da gibt es die eine Bar, die offen hat. Es ist die Cosmo:Lounge, die sich mir hungrigen Wanderer erbarmt. Dazu auch der Stadtjugend, die sonst keinen Platz findet in dieser Stadt. Ein Tisch ist noch frei, ich setzte mich, umgeben von Jungs und Mädels, die an ihrer Cola saugen. Ich bestelle ein feinsüffiges Krombacher Pils, es kommt in einem richtig großen Glas. Dazu gesellt sich eine Pizza Tonno. Sie ist lecker, heiß und knusprig. Während ich esse, ruht mein Blick auf der ultramodernen Bar, der gläserne Tresen tränkt sich in Blau, dann folgt Weiß, Rot und Pink. Das Farbenspiel folgt einem festen Rhythmus. Ich nutze das kostenlose WLAN, um ein paar Nachrichten über das vielseitig einsetzbare Smartphone in die Welt zu pusten. Das lenkt ab von dem unerhörten Lärmpegel des aus jungen Kehlen entstammenden Stimmengewirrs.
    Es wird spät an diesem Montag in Steinheim und deshalb höre ich in der Nacht keinen vorbeifahrenden Zug, obwohl das Fenster wegen der Wärme weit geöffnet ist.
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  • E1-21-D-Altenbeken (31km)

    June 9, 2015 in Germany ⋅ ⛅ 14 °C

    Viel Muße auf dem Weg zur Quelle - Der Emmerweg (3/3)

    Das Automaten-Hotel in Steinheim bietet ein kleines Frühstücksbuffet im Kiosk der Bahnhofshalle an. Danach endet der Hotelaufenthalt so unpersönlich, wie er begonnen hat. Die Plastikkarte, mein Schlüssel zum Hotelzimmer, verschwindet beim Verlassen des Hotels im Briefkasten. Kein Auf-Wieder-Sehen, kein aufmunterndes Wort für den Weg. Davon abgesehen hat es mir hier gefallen. Es ist ein gutes Nutzungskonzept für sonst sterbende Bahnhöfe.
    Der Weg begleitet nun den Flusslauf des Emmer, rechts und links liegen Felder, die zum Horizont reichen, wo eine Baumreihe mit dem Himmel verschmilzt. Dunkle Wolken in allerlei Grau saugen Wasser aus ihnen, stillen ihren Durst, werden allmählich satt, wandern weiter und werden ihre Last sicher irgendwo wieder los werden wollen. Aber noch saugen sie. Es ist trocken. Ich komme zügig voran. Nach zehn Kilometer erreiche ich Nieheim, der Weg mündet auf eine Straße, die in die Innenstadt führt. Bunte Vorgärten schmücken den Weg. Gelegentlich ist auch ein Gemüsegarten dazwischen. In einem von ihnen hackt ein altes Weib in gebückter Haltung Unkraut aus dem Kohlrabi. Für mich als Großstädter ein bemerkenswertes Bild.
    Im Zentrum lädt Sankt Nikolaus, eine große Kirche, zum Verweilen ein. Wieder ein Ort, der mir Ruhe bietet. Offenbar ziehen Kirchen mich an. Viele Gegenstände gäbe es im Innern zu bewundern, sogar eine Ritterfigur. Mich interessiert allerdings mehr ein Erker. Lange stehe ich davor und betrachte detailliert, was es zu sehen gibt. Das habe ich gesehen: an der rückwärtigen Wand die hölzerne Jesus-Figur, ans Kreuz genagelt, die Finger und Füße von Nägeln durchbohrt. Es sieht aus, als hätte er seinen neunstündigen Todeskampf bereits hinter sich, denn der Kopf ist nach unten gebeugt und die Augen sind geschlossen. Doch noch steht sein Körper aufrecht und die Knie sind durchgedrückt. Er sieht nicht leidend aus - und doch hat er alles Leiden der Menschheit auf sich genommen. Ein Schild über ihm wurde ans Kreuz genagelt. INRI steht mit großen Lettern darauf (Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum, Jesus von Nazaret, König der Juden). Sein Peiniger Pontius Pilatus ließ es zur Begründung seiner Schuld anbringen, wie es 30 n.Chr. üblich war. Links und rechts neben dem Gekreuzigten stehen zwei Frauen. Die eine ist blau gewandet, der Kopf vom weißen Kopftuch halb verdeckt, die Hände sind gefaltet, ihr Blick ist Jesus zugewandt. Vielleicht stellt sie seine Mutter Maria dar. Rechts eine junge Frau in rotem Gewand, ihr Kopf hängt vor Trauer, ihr Blick ist nach unten gerichtet, die Hände sind ebenfalls gefaltet. Vielleicht ist es seine (Halb-) Schwester Maria. Besser gefällt mir die Vorstellung, es sei Maria Magdalena, seine liebste Gefährtin, eine von mehreren Frauen, die Jesus nachfolgten und für seinen Unterhalt sorgten, während er predigte. Allerdings soll sie sich bei der Kreuzigung im Hintergrund gehalten haben. Mehr noch als die Figuren interessiert mich das ausliegende Buch. Es ist vor dem Gekreuzigten im Zentrum des Erkers aufgestellt, von bunten Blumensträußen gesäumt, aus denen zwei weiße Kerzen ragen. Sie brennen nicht. Ich trete näher heran, lese scheu auf der aufgeschlagene Seite von jemandem, der Gott dankt, ein anderer bittet um seinen Segen, wieder einer bittet um Bestand. Vorsichtig blättere ich ein paar Seiten zurück, berühre das Papier kaum. Verzweifelte Worte kann ich lesen, auch Verbitterung. Ich selbst hinterlasse keine Botschaft, schreibe keine Zeile in das Buch, denn ich glaube nicht in der Weise, wie es die Kirche lehrt. Es berührt mich dennoch. Leise ziehe ich mich zurück, verlasse - in Gedanken versunken - diesen heiligen Ort.
    Auf der Straße, zurück gekehrt in die Welt, meldet sich Hunger. Gegenüber hat ein Bäcker geöffnet und während ich die leckerste Frikadelle meines Lebens genieße, rücke ich meine Gedanken zurecht.
    Viele Minuten später geht es weiter, tausend Schritte trennen mich bereits von Nieheim, als ich mitten im tiefsten Wald entferntes Motorengeräusch wahrnehme. Es ist nicht wie sonst, es ist nicht das unangenehme Zischen von Autos, die eine Straße entlang eilen, sondern es klingt kernig und satt. Es ist der Klang von Motoren mit sehr viel Hubraum, die bei hoher Drehzahl ihre Kraft entfalten dürfen. Es ist mal ein tiefes Röhren, dann ein lautes Dröhnen, gefolgt von quietschenden Geräuschen, wie reibendes Gummi auf Asphalt. Hier wird offenbar im Grenzbereich gefahren, Höchstleistungen am Limit in engen Kurven erbracht. Ein Blick in die Karte gibt Auskunft: es ist die „Test- und Präsentationsstrecke Bilster Berg“, auf der wohl gerade ein Fahrer seine Rennmaschine im großräumigen Kreis herum hetzt. Das Motorgeräusch kommt schnell aus der Ferne näher, wird lauter, schwillt infernalisch an, entfernt sich wieder, schwillt ab und erstirbt schließlich in der Ferne. Nach kurzer Dauer wiederholt sich das Hörspiel. So geht es Runde um Runde, viele Male, die das Fahrzeug in hoher Geschwindigkeit mit wechselnden Gängen und Drehzahlen zurücklegt. Ich gehe lange an der Rennstecke entlang, ohne je einen Blick auf die Strecke erhaschen zu können. Zu gut ist sie durch hohe Erdhügel abgeschirmt, die vermutlich dem Lärmschutz dienen, vielleicht aber auch als Sichtschutz gedacht sind. Im Internet lese ich später: „Das Bilster Berg Drive Resort – die Test- und Präsentationsstrecke mitten in Deutschland. Das parkähnlich angelegte Gelände bietet gleichzeitig einen adäquaten Rahmen für Fahrzeugpräsentationen, Produkteinführungen, Events und Incentives auf und neben der Strecke. Der 4,2 Kilometer lange selektive Naturrundkurs ist in die gegebene Topografie eingebettet, und Rallye- wie Le Mans-Legenden, aktive Profis und Formel-1-Fahrer schwärmen von der anspruchsvollen Streckenführung…“.
    Wenige hundert Meter weiter, am südlichen Ende der Rennstrecke, wartet gleich noch eine Attraktion auf mich:

    die Telegrafenstation Nr. 32, die auf dem Bilster Berg steht. Sie ist eine von einundsechzig Stationen, die vor bald 200 Jahren, 1832, errichtet wurden, um Depeschen von Berlin nach Koblenz über eine Entfernung von 550km in nur eineinhalb Stunden visuell zu übermitteln. Ein reitender Bote brauchte dafür vier Tage. Nachrichten wurden mittels eines dekadischen Zahlensystems von Station zu Station übermittelt. Es gab 4096 definierte Stellungskombinationen, die über sechs Telegrafenflügel dargestellt wurden und Zahlen symbolisierten, denen mittels geheimer Codebücher Wortbedeutungen zugeordnet waren. Aber kaum zwanzig Jahre später war die Technik bereits überholt. Die Anlage wurde abgewrackt und 1984 wieder neu aufgebaut, dieses Mal für touristische Zwecke.
    Technik kann einen Mann beeindrucken, er vergisst darüber schon einmal das Wandern und verbringt viel Zeit damit, die Infotafel sehr genau zu studieren. Und auch der herrliche Blick ins Tal hält mich hier.
    Irgendwann aber muss man weiter. Wieder Wald und noch mehr Wiesen. Einmal geht es an weißen Kühen vorbei, die mit ihren Kälbern und –das ist selten- ihrem Bullen -widerkäuend auf der Sommerwiese lungern. Es sieht nach einer glücklichen Kuhfamilie auf Sommer-Urlaub aus. Am Mühlenbach laufe ich am abzweigenden Weg vorbei, das merke ich erst hundert Meter später. Der Pfad ist nicht zu erkennen gewesen, denn er ist zugewachsen. Aber Komoot kennt den Weg und so finde ich ihn schließlich. Den Mühlenbach quere ich auf einer Holzbrücke, die bereits stark vermodert ist, die Balken löchrig. Wird sie mich noch halten? Sie tut es.
    Schließlich erreiche ich Erpentrup.

    Der kleine Ort, hält einen technischen Leckerbissen für mich bereit, den ich hier nicht vermutet hätte.
    Ein gemütlich wirkender Mann steht vor der Garage seines Hauses, putzt an einem Gefährt herum, das man nicht alle Tage zu sehen bekommt. Der schwarze Lack ist verwittert, die Reifen sind schmal, vorne steckt eine Kurbel, mit der das Automobil angelassen werden kann. Es interessiert mich, etwas über dieses Auto zu erfahren. So spreche ich den Herrn an. Er lässt sich, etwas widerwillig, auf ein Gespräch mit mir ein. Vielleicht wird er zu oft von vorbeiziehenden Fußgängern auf den Oldtimer, der vor der Garage steht, angesprochen. Vielleicht halte ich ihn von einer liebgewonnenen Tätigkeit ab, der er viel lieber nachgehen würde als sich mit einem neugierigen Wanderer zu unterhalten. Aber ich stelle Fragen und er redet sich warm. Erzählt mir, dass die schwarze Droschkenkutsche ein Rover Ten, Baujahr 1933 sei. Mit Rechtslenkung, weil es aus Großbritannien stammt. Außen wie innen ist es noch der Restauration bedürftig.
    „Gestern bin ich ihn das erste Mal gefahren. Ich will ihn wieder zulassen, mit einem H-Nummernschild“, meint er stolz. Ein historisches Nummernschild mit Dauerzulassung und regelmäßigem TÜV.
    „Aber der Lack bleibt, wie er ist. Das ist noch der Originallack, den darf man nicht übermalen.“
    Aha, denke ich und betrachte die mächtige, verwitterte Motorhaube, die so gar nicht glänzt und hier und da zarte Roststellen aufweist.
    „Interessieren Sie sich für Motoren?“, fragt Herr Pott, der mit mittlerweile erzählt hat, dass er in Motoren vernarrt ist.
    „Eher nicht, ich fahre nur einen Smart mit 'nem ganz kleinen Motor.“
    Es hält ihn nicht davon ab, die schwere Garagentür zu öffnen und mich einzulassen in sein Heiligtum. Was ich zu sehen bekomme, lässt mich staunen: direkt hinter dem Garagentor steht eine zwei Meter lange Flugzeugturbine.
    „Das ist eine Propellerturbine, voll funktionsfähig. 2000 PS. Wenn ich die starte, würde sie sich aufschaukeln, in der Gegend rumfliegen und alles kaputt schlagen.“
    Mein Blick schweift im Raum herum. An der gegenüberliegenden Wand: dutzende alter Röhrenradios im Regal gestapelt, große braune Kästen, aus Holz gefertigt.
    „So ein Ding hatten meine Eltern früher im Wohnzimmer“, meine ich.
    „Ja, die stammen aus den fünfziger und sechziger Jahren.“
    Ein Dreirad mit Motor sehe ich, eine alte Telefonzelle, gefüllt mit allerlei Exponaten. Davor ein altes Notstromaggregat.
    „Springt sofort an, braucht aber unheimlich viel Sprit.“
    „Eine Garage ist es nicht, eher ein Museum“, denke ich. Damit liege ich nicht falsch, denn ich bin, ohne es zu wissen, in das Motorenmuseum der Familie Pott geraten und Herr Pott, leidenschaftliche Eigentümer, Sammler und Restaurateur alter Maschinen, führt mich gerade darin herum.
    „Kommen Sie mal mit“, sagt er und zeigt auf die Treppe, die ins Untergeschoss führt. Und dort stehen sie alle, die alten Diesel-, Benzin, Benzol-, Gas- und Schwerölmotoren, die ich nie zuvor gesehen habe.
    „Sie laufen alle noch“, sagt er. Stolz schwingt in seiner Stimme mit. Eine komplette "Elektrizithäts-Centrale", gebaut 1910, mit großem Schwungrad und Schalttafel aus massivem Marmor kann ich bestaunen. Oder ein Schiffsdiesel, zwei Sternmotoren aus alten Flugzeugen. Sogar ein silbrig glänzender V12 Jaguar Motor, Baujahr 1973, ist vorhanden. Er sieht noch ganz neu aus. „Der läuft auch noch wie geschmiert“, meint er.
    Damit ist die Führung zu Ende Ich bedanke mich sehr und verabschiede mich.
    „Kommen Sie wieder, Sie sind jederzeit herzlich willkommen“, sagt er zum Abschied und wendet sich wieder seinem Oldtimer zu. Als ich mich nach ein paar Meter noch einmal umdrehe, sehe ich ihn selbstvergessen den Spiegel putzen. Ich habe den Motorennarren ins Herz geschlossen.
    ( http://www.motorenmuseum.de)

    Jetzt geht es für ein paar Kilometer am Emmer entlang. Der Fluss hat sich bereits zum Bach verjüngt. Die Vegetation ist üppig, das Flussdelta fruchtbar. Da weist ein unscheinbares Schild auf seine Quelle. Ich folge dem Pfad und erreiche bald die Emmerquelle. Aus aufgeschichteten Steinen sprudelt das Wasser an zwei Stellen hervor, bildet schmale Rinnsale, die sich verbinden und gluckernd als Bach davon plätschern.
    Zurück auf dem Emmerweg geht es noch eine Weile durch dichten Wald hinauf. Die erklommenen Höhenmeter bringen mich noch einmal zum Schnaufen und Schwitzen. Dann geht es wieder runter und kurz vor Altenbeken kreuze ich den Eggeweg, der ab der nächsten Wanderetappe mein Leitweg sein wird.
    Um 18:27 Uhr sitze ich in der S-Bahn nach Hannover. Von dort bringt mich der ICE pünktlich nach Hamburg. Die Strecke dauert jetzt schon mehr als drei Stunden und ich stelle fest: auch die Zeit der dreitägigen Wanderungen ist bald vorbei. Anfahrt und Rückweg werden nun zu lang.
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  • E1-22-D-Willebadessen (29km)

    June 19, 2015 in Germany ⋅ ⛅ 13 °C

    Allerlei Mystisches auf dem Eggeweg (1/3)

    << Der Eggeweg ist ein stiller Wanderpfad für Naturliebhaber. Er führt auf ca. 70km abseits von Stress und Hektik durch die weitläufigen Wälder des Eggegebirges, verbindet den Teutoburger Wald mit dem Sauerland.
    Er beginnt an den Extersteinen in Holzhausen-Externsteine und verläuft durch den südlichen Teutoburger Wald sowie auf dem Kamm des Eggegebirges. Der Weg führt entlang einer alten Handelsroute bis nach Marsberg.
    Gekennzeichnet ist er mit einem weißen [X] und/oder [E1] als Teilstück des E1. >>

    ICE und S-Bahn bringen mich frühmorgens nach Altenbeken. Dort angekommen, habe ich nur den einen Gedanken: Kaffee! Heiß und schwarz soll er sein! Aber nirgends kann ich ihn bekommen und so beginnt meine dreitägige Tour ohne das belebende Gebräu. Die Beine sind vom langen Sitzen noch steif und mögen sich nicht recht bewegen. Allein mein Wille treibt sie den Dübelsnacken hoch. Nach zweihundert Höhenmeter habe ich mich eingelaufen. Auf dem regennassen Heinrich-Heine-Weg geht es immer höher hinauf und bald ist der Eggeweg erreicht, dem ich nun folgen werde.
    Alte Burgen finde ich cool und hier liegt eine fast auf dem Weg. Bald ist die Iburg erreicht. Während ich den Burgwall entlang schreite und in den tiefen Burggraben schaue, ahne ich, wie mächtig und uneinnehmbar die Anlage einst gewesen sein muss.
    << Nur von der Westseite kann man sich der Burg nähern, steile Felswände schützen die anderen Seiten. Die Burg wurde bereits vor Christi Geburt von den germanischen Sachsen gebaut, diente Jahrhunderte lang als Fliehburg. Lange schützte sie vor Feinden, doch 772 n Chr. erstürmten die Franken die Burg. Irmansul, die hölzerne Säule, das Heiligtum der Germanen fiel in die Hände von Karl, dem Großen. Er ließ sie fällen und schändete so die Gottheit der Sachsen, die Vergeltung fordernd gegen die Franken zu Felde zogen. Dreißig Jahre lang tobte Krieg und das Ende ging schlecht für die Sachsen aus. Während Karl zum Kaiser ernannt und fortan der Große genannt wurde, wurden die Sachsen zu Christen zwanghaft bekehrt und Irmansul vergessen. Auf der Iburg wurde zum Gedenken an die fränkischen Heldentaten eine Kirche errichtet, genau dort, wo Irmansul stand. Weitere siebenhundert Jahre überdauerte die Burg mit wechselvoller Geschichte, im 14.Jhrdt. brannte sie endgültig nieder. Heute erinnern nur noch Reste an die ruhmreiche Zeit der Iburg. >>
    Am Rand des Burgplateaus, dort, wo der Iberg am steilsten ist, steht zum Gedenken an Karl der Kaiser-Karl-Turm. Achtzig steinerne Stufen führen zur Aussichtsplattform hinauf und wer hinaufsteigt, kann die Burg von oben sehen. Gleichzeitig hat man traumhafte Blicke in südliche Richtung über das Eggegebirge. Daran kann ich mich nicht satt sehen, bleibe sehr lange hier oben stehen, schaue in Gedanken versunken sogar über den Horizont hinaus. Dort hinten, hinter den Bergen, noch immer ganz weit entfernt, liegt irgendwo der Bodensee. Ich weiß, er wird geduldig auf meine Ankunft im nächsten Jahr warten.
    Am Turm liegt die Sachsenklause. Hier bekomme ich endlich den Kaffee, den ich mir sehnlich gewünscht habe. Genießerisch schlürfe ich den Bohnensaft, während ich durch große Panoramascheiben den grandiosen Blick über Bad Driburg genieße.
    Vom Koffein belebt geht es weiter. Der Eggeweg schlängelt sich tief und tiefer in die Wälder hinein.
    << Wald gab es hier nicht immer, denn sechs Jahrhunderte lang wurde er gerodet und als Feuerholz in den Schmelzöfen des Glasgewerbes verheizt. Als im achtzehnten Jahrhundert nichts mehr übrig war, musste die Glasindustrie auf Kohlefeuer umstellen. So konnten die Bäume wieder wachsen. Eine Informationstafel am Wegesrand gibt mir Auskunft, dass die Buche die dominierende Baumart in den europäischen Wäldern wäre, wenn der Mensch sie wachsen ließe. Hier hat er es getan und so gibt es im Eggegebirge mächtige Buchenwälder. >>
    Einen einzelnen Baum sieht man vor lauter Wald oft nicht mehr. Doch manchmal fällt da einer aus dem Rahmen. So geschieht es jetzt, als ich vor Erstaunen stehen bleiben muss, um genau hin zu schauen. Ein einzelner Baum, von großen Fichten umgeben, von ihm auf Abstand gehalten. Er selbst: eher klein. Warum zieht er meinen Blick auf sich? Es ist sein so dunkler Stamm. Er ist nicht nur dunkel, er ist tiefschwarz. Ein Schwarz, das das Grün des Waldes hinter ihm noch grüner macht. Mehr als fünfzig Meter Distanz sind zwischen ihm und mir und er wirkt auf mich wie ein schwarzes Loch, das mich magisch anzieht. Ich kann gar nicht anders, ich muss zu ihm gehen. An einer unsichtbare Grenze, jenseits der kein Baum mehr wurzelt mag, bleibe ich stehen. Dort spüre ich seine Kraft, die auch mich auf Abstand hält. Ich schaue ihn an, würde ihn gerne berühren, wage es jedoch nicht. Ich sehe, wie fest er mit dem Boden verwurzelt, wie dick sein Stamm ist. Totholz liegt morsch am Boden, das noch Gesunde strebt steil zur Sonne und oben im Licht entfaltet sich sein grünes Blätterdach. Lange stehe ich da und betrachte ihn. Dann kann ich gehen, lässt er mich los.
    Es beginnt zu regnen. Ich eile nach Herbram-Wald. Im Golf-Stübchen finde ich ein trockenes Plätzchen unter einer überdachten Terrasse. Die nette Wirtin bringt mir Kaffee und Kuchen, dazu Erdbeeren mit Schlagsahne und schon lacht die Sonne durch die Regenwolken hervor. Kaum bin ich wieder in Bewegung, da beginnt es wieder zu regnen. Eine Weile schützt das Blätterdach, doch bald wird der Regen heftiger, rinnt förmlich an mir herab. Wie gerufen liegt da die Aselner Schutzhütte, ein trockenes Plätzchen direkt am Wanderweg. In der Hütte liegt ein Wanderbuch aus, das mir die Zeit vertreibt. Viele Wanderer haben Sprüchen hinterlassen, manche von ihnen bedanken sich bei den Erbauern.
    Dann lese ich:
    „Ich bin unterwegs auf dem E1 in Richtung Bodensee…“.
    Ein Wanderer mit gleichem Ziel ist erst vor einer Woche hier gewesen.
    Ich hinterlasse folgende Botschaft für nachfolgende Wanderer in dem Buch:
    „Ich bin auf meinem Weg von Hamburg zum Bodensee. Dafür habe ich mir drei Jahre gegeben. Dieses ist das zweite Jahr. Heute komme ich an dieser Hütte vorbei. So verbringe ich hier eine trockene Pause im Regen. Vielen Dank den Erbauern.“
    Irgendwann hört auch der längste Regen auf. Endlich kann ich weiter. Doch es dauert nicht lang, dann gießt es erneut. Im feuchten Nebel erscheint ein Wegweiser, der den Weg nach Willebadessen weist. Es sind nur noch vier Kilometer dorthin. „Das ist nicht mehr weit“, denke ich mir und gehe einfach weiter. Durchweicht und verkühlt erreiche ich den Ort. Im Jägerhof wartet eine heiße Dusche auf mich.
    Kurze Zeit später trifft Freundin Beke ein. Sie will mich zwei Tage begleiten und ich freue mich über Gesellschaft beim Wandern. Den Abend genießen wir plaudernd und schlemmend. Wir machen Pläne für den morgigen Wandertag und amüsieren uns nebenbei über eine Wandergruppe, die im Nebenraum unermüdlich Reden schwingt.
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  • E1-23-D-Blankenrode (25km)

    June 20, 2015 in Germany ⋅ ⛅ 10 °C

    Allerlei Mystisches auf dem Eggeweg (2/3)

    Nach der morgendlichen Stärkung am üppigen Buffet geht es auf dem Eggeweg weiter. Er führt uns den Hexenberg steil hinauf, innerhalb von Minuten haben wir schon hundert Höhenmeter überwunden. Unterwegs gesellt sich eine neue Wegmarke hinzu, eine weiße Urne auf blauem Grund kennzeichnet den „Weg zu mystischen Stätten“. Das klingt geheimnisvoll. Wir schauen uns voller Erwartungen an. Doch die zwei Wege trennen sich bald. Der Eggeweg, dem wir weiter folgen möchten, führt leider an den mystischen Stätten vorbei. So wissen wir nicht, was wir verpassen.
    Meine Wanderbegleitung hebt eine Feder hoch. Ich hatte ihr einmal erzählt, dass ich zu Beginn eines Wandertages oft eine Feder am Boden liegen sehe und es immer so interpretiere, dass mein Schutzengel mir zeigt, dass er mich begleiten wird. Heute ist also auch ihr Schutzengel dabei.
    Eine sagenumwobene Stätte liegt dann doch auf unserem Weg. Wir treffen auf ein Försterkreuz, daneben steht auf einem Schild geschrieben:
    „An dieser Stelle wurde ein Förster ermordet. Er hat, bevor er starb, mit seinem eigenen Blut den Namen des Mörders in sein Notizbuch geschrieben. Doch der Wilderer wurde nicht gefasst, er hatte sich nach Amerika abgesetzt.“
    Der Weg wird nun schmaler und verläuft direkt an einer Felskante entlang. Es sind die Teutonia-Klippen. Den Namen verdankt er der Gesellschaft Teutonia, die den Wald einst kaufte, um Eisenerz zu schürfen. Am Fuße der Klippen liegen noch ehemalige Abbaustellen. Es sind Löcher, die von eingestürzten Stollen und Gruben zeugen, gegraben für die Eisenindustrie. Doch das scheint lange her zu sein, die Natur hat sich ihren Lebensraum längst zurück erobert. Natürliche Kräfte legten einen Mantel aus Bäumen und Büschen über die Wunden und kreierten zusammen mit Farnen und Moosen eine geheimnisvolle Kulisse. Die früheren Eingriffe des Menschen sind kaum noch sichtbar.
    Ein kurzer Abstecher führt uns zum Aussichtsturm Bierbaums Nagel, der die Baumwipfel überragt. Jüngst wurde er restauriert, er sieht nagelneu aus.
    1849 wurde er erbaut, der Gutsbesitzer Georg Bierbaum wollte seiner Frau einen Blick nach Kassel schenken, um ihr Heimweh zu lindern. Nebenbei war der Turmbau aber auch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Not leidende Arbeiter.
    Wie dicht doch Romantik und Praktizismus beisammen liegen können.
    Nach einer langen Mittagspause gehen wir weiter. Ich gehe voran, Beke folgt nach, schweigend gehen wir ein Stück, bis sie mir auf die Schulter tippt. Ich drehe mich um, ihre Hand weist auf einen schmalen Pfad.
    „Da lang!“, meint sie und nickt mit dem Kopf in die gezeigte Richtung.
    „Warum?“, frage ich, „das ist ein Umweg.“
    „Keine Ahnung. Der Weg sieht so verwunschen aus“.
    Ich will dem Pfad nicht folgen. Sie besteht darauf. Jetzt geht sie voran. Sie ist so schnell, dass ich ihr kaum folgen kann. Der Abstand zwischen uns wird größer, plötzlich ist sie verschwunden. Als ich aufhole, sehe ich sie in einer Senke. Sie steht breitbeinig, winkt zu mir rüber, signalisiert, ich solle ihr folgen.
    „Was ist da?“, rufe ich. Doch statt zu antwortet, dreht sie sich um und geht einfach weiter und verschwindet wieder. Was bleibt mir übrig, als ihr zu folgen? Ich hole sie wieder ein, als sie vor einem riesigen Stein steht, der am steil abfallenden Abhang ruht. Mit der Hand berührt den Stein und ist völlig in Gedanken versunken.
    Ich stelle mich daneben, bewundere den riesigen Klotz aus Kalksandstein. Er ist stark verwittert und löchrig vom Regen.
    Für mich ist das ein großer Stein. Doch Beke sieht offenbar mehr in ihm. Sie ist von dem riesigen Stein begeistert, umrundet ihn mehrmals, klettern schließlich hinauf, setzt sich, genießt die Sonnenstrahlen, die für Momente durchs Blätterdach blinzeln. Dann hüpft sie herunter, baut sich vor mir auf, legt den Kopf schief und meint:
    „Der Stein hat ein Gesicht.“
    Wo ihre Finger hinweisen, sehe ich ein Loch über einem Spalt.
    „Wo?“, frage ich.
    „Da. Kannst du es nicht sehen? Es sieht wie das Gesicht eines versteinerter Drachen aus?“
    Ein Loch ist ein Loch und ein Spalt ist ein Spalt, denke ich. Mich berührt der Stein nicht sonderlich. Aber ich weiß, dass das Schicksal in bestimmten Momenten Überraschendes bereit hält. Ein solcher Moment ist womöglich gerade gekommen. Der Stein scheint sie anzuziehen, sie muss ihn ständig berühren, lässt ihn gar nicht mehr los.
    Einer spontanen Eingebung folgend spreche ich es aus:
    „Dies ist vielleicht ein Ort, der dir etwas zu sagen hat. Bleibe du hier, während ich weitergehe. Am Ende des Pfades werde ich auf dich warten. Achte auf das, was dieser Ort mit dir macht und lausche auf das, was du hörst. Denn es ist deine innere Stimme, die zu dir sprechen will und vielleicht erhältst du die Antwort auf eine Frage, die dich beschäftigt. Dafür bist du doch mitgekommen, oder?“
    (Ich möchte an dieser Stelle kurz erklären, dass sie eine Frage beschäftigt, deren Inhalt nicht in eine Wanderbeschreibung gehört. Da sie bisher keine Antwort finden konnte, riet ich ihr, mich auf meinem Weg zu begleiten. Ich sagte ihr, der Weg hält für jeden etwas bereit. Sie willigte ein und deshalb begleitet sie mich.)
    Ich wende mich ab und gehe weiter, während sie am Stein verweilt. Was sie dort erlebt, werde ich wohl nicht erfahren.
    Mein Weg verläuft weiter dicht an der steilen Klippe entlang. Ich habe viel Zeit, um zu betrachten, was mich umgibt: da sind abgestorbene Bäume, die bleichen Skeletten ähneln, moosbedeckte Steinen, die geheimnisvolle Figuren formen, eingestürzte Stollen, die vielleicht kleine Trolle beherbergen, glutroter Fingerhut, der wie kleine Blutstropfen auf grünem Farn wirkt. Hat der Stein auf mich doch eine geheimnisvolle Wirkung entfaltet?
    Viel zu früh findet der schmale Pfad sein Ende. Er mündet wieder auf den breiten Eggeweg. Lange, sehr lange muss ich auf Beke warten. Endlich sehe ich sie kommen. Ich bin erleichtert. Noch ein Stück entfernt, ruft sie schon:
    „Ich habe eine unheimliche Begegnung gehabt! Eine Frau stand plötzlich hinter mir. Sie war einfach da, ich habe sie nicht kommen gehört. Sie war groß und ganz schlank und ihre roten Haare waren zu einem Zopf gebunden. Gesagt hat sie nichts, aber mich sehr intensiv angeschaut. Sie hat richtig durch mich hindurch geschaut. Es war unheimlich.“
    So malt sie diese Frau mit den roten Haaren direkt in mein geistiges Auge. Und ich male fleißig weiter. In mir entsteht eine Figur mit weißem Gewand. Zwei Flügel wachsen aus ihrem Rücken. Am Ende steht ein Engel vor mir.
    Etwas unsicher frage ich sie: „War das eine Erscheinung?“
    „Quatsch!“, erwidert sie. Mein Bild zerplatzt.
    „Dann wird die Frau ja gleich kommen, oder?“
    Wir warten gespannt. Sie kommt nicht.
    Langsam, ganz langsam und ohne Eile, trotten wir den langgezogenen Waldweg entlang, den sanften Hügel hinauf. Wir schauen uns viel zu oft um, nur weil wir hoffen, dass die Frau mit den roten Haaren sichtbar wird. Aber das geschieht nicht. Auf dem Hügel angekommen, bleiben wir stehen, schauen noch lange nach ihr. Doch sie erscheint nicht auf dem Weg. Ich will weiter, zögere aber.
    „Sie kommt nicht mehr, sie ist verschwunden“, meine ich.
    In meiner Vorstellung hat die Erscheinung ihre Flügel ausgebreitet und ist in die Lüfte aufgestiegen und im Nichts verschwunden. Diesen Gedanken behalte ich aber lieber für mich.
    Beke hat eine realistischere Erklärung parat: „Sicherlich hat sie einen anderen Weg genommen.“
    Unschlüssig stehen wir da. Schließlich drehen wir uns um, gehen schweigend weiter, beide in unsere Gedanken verstrickt.
    Roters Eiche ist eine große Rasenfläche mitten im Wald, auf der eine uralten knorrigen Eiche steht. Sie signalisiert das Ende der geheimnisvollen Felsenlandschaft. Für uns ist es der Platz, an dem unseren Gedanken aus der Phantasiewelt zurück in die Wirklichkeit kehren. Was nur hat dieser Weg mit uns gemacht?
    Mit schnellem Schritt stoßen wir bald auf die Stadtwüstung Blankerode, einer vor langer Zeit aufgegebenen Siedlung. Auf einer Informationstafel lesen wir, dass in dem burgähnlichen Ostteil Ritter und Burgmannen wohnten, im Westteil die Bauern und Handwerker, dazwischen die Kirche. Die Burg wurde mehrere Male zerstört und wieder aufgebaut, im 14. Jahrhundert endgültig verlassen. Seitdem legt sich zu Erde gewordenes Laub über den Ort. Wir umrunden die Wüstung und freuen uns, bald ins heutige Blankenrode zu kommen. Denn dort liegt die Pension Eggewald, in der wir heute zu Gast sein dürfen.
    Als wir eintreten, sehen wir einen Wanderer in der Gaststube sitzen. Er hat uns den Rücken zugewandt, trinkt genüsslich ein Bier. Der Wirt kommt sofort aus der Küche geeilt, begrüßt uns mit Handschlag und sagt, er würde uns sogleich das Essen machen.
    „Die Küche macht gleich zu. Dazu gibt es höchstens zwei Flaschen Bier für jeden. Mehr nicht!“ Gastfreundschaft klingt anders, denke ich und schaue verwundert drein.
    Wir wollen erst einmal einen Kaffee und danach auf‘s Zimmer, uns frisch machen und umziehen. Der Wirt wird sich gedulden müssen. Offenbar ärgert ihn das, denn er murrt, als er uns den Kaffee bringt.
    Nach einer schnellen Dusche leiste ich dem Wanderer Gesellschaft, bald stößt auch Beke frisch geduscht dazu. Wir plaudern munter drauf los, denn Wanderer haben sich immer etwas zu erzählen.
    Schnell stellt sich heraus, dass wir Gemeinsamkeiten haben. Nicht zuletzt den Namen, denn auch er heißt Michael wie ich. Prost darauf! Doch das Bier ist alle, wir bestellen mehr. Den Wirt freut es, er bringt volle Flaschen heran und ist gar nicht mehr mürrisch.
    Beke erzählt Michael, dass sie im Wald eine Begegnung hatte.
    „Ach, das war sicher Mia“, sagt er, „ich bin ihr schon mehrere Male begegnet. Sie ist seit vier Wochen auf dem E1 unterwegs.“
    Ich horche auf. Sie geht den E1? Den Gedanken, sie als Erscheinung zu sehen, gebe ich auf und gebe mich mit der einfachen Erklärung zufrieden, dass sie einen anderen Weg genommen haben muss.
    Wir lassen uns gerade die leckeren Schnitzel schmecken, als sich die Tür zur Gaststube öffnet. Im Türrahmen steht - Mia.
    „Guten Abend. Kann ich bei Ihnen etwas zu essen bekommen?“ fragt sie den Wirt, während sie den Rucksack abstreift. Ich freue mich schon auf ein angeregtes Gespräch mit ihr.
    Die Miene des Wirts, die mittlerweile fast fröhlich geworden ist, verfinstert sich schlagartig wieder. Erneut wirkt er wie zugeknöpft und fragt zurück:
    „Übernachten Sie hier?“
    „Nein“, sagt Mia, „ich habe mich in der Pension da drüben einquartiert.“ Ihr Arm zeigt Richtung Dorf.
    „Dann habe ich nichts zu essen für Sie. Die Küche hat schon geschlossen.“
    Das kann doch nicht wahr sein! Wir sind schockiert und reden auf ihn ein. Doch er bleibt hart. Mia muss hungrig gehen.
    „Ich hätte so gerne mehr über ihre Wanderung auf dem E1 erfahren“, sage ich leise, wie zu mir selbst.
    Um die Stille zu füllen, bestellt Michael mehr Bier.
    Und wieder zaubert unser Wirt neue Flaschen herbei, bringt sich sogar selbst eine mit. Seine Stimmung ist wieder ausgelassen.
    Ein paar Bier später erscheint Mia wieder. Zaudernd bleibt sie in der Eingangstür stehen und sagt leise:
    „Michael, du hast doch morgen deinen letzten Wandertag. Ich möchte mich von dir verabschieden.“
    Er winkt sie herein, der Wirt protestiert. Doch jetzt lassen wir sie nicht wieder gehen. Bier für alle, auch für den Wirt! Da wird er weich.
    So sitzen wir in der großen Gaststube, reden, lachen und trinken bis kurz vor Mitternacht. Der Wirt wird wohl morgen neues Bier bevorraten müssen. Aber morgen ist morgen, heute trinkt er kräftig mit.
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  • E1-24-D-Marsberg (18km)

    June 21, 2015 in Germany ⋅ ⛅ 15 °C

    Allerlei Mystisches auf dem Eggeweg (3/3)

    Der Wecker klingelt, das Aufstehen ist mühsam. In der Gaststube steht ein gutes Frühstück bereit, das uns mit frischer Energie versorgt. Der Wirt bringt Kaffee und begrüßt uns nett. Wir dürfen uns sogar etwas für unterwegs einpacken. Michael sehen wir nicht mehr, er ist schon aufgebrochen und auch wir machen uns jetzt auf den Weg.
    Eilig überqueren wir die Autobahn Richtung Ruhrgebiet. Hier ist es wieder einmal unerträglich laut, aber schon bald umgibt uns wieder Wald und Stille.
    In Oesdorf wartet eine Kirche auf uns, schenkt uns in ihrem Innern ruhige Momente. Während Beke auf Entdeckungsreise geht, setzte ich mich ins Mittelschiff und lasse wieder einmal Blicke schweifen. Dieses Mal verfangen sie sich an einem Gemälde, das eine realistische Abbildung Gottes darstellt. Wallendes Haar und weißer Bart verleihen ein väterliches Aussehen. So kann man sich Gott Vater vorstellen, wie er wohlwollend von seiner Wolke herab auf die Menschen blickt. Gleichzeitig hebt er seine Arme, seine Finger weisen gütig auf vier Geschöpfe, die rechts und links von ihm sitzen, sie sehen aus wie Tauben mit Engelsgesichtern. Über allem steht: „Dieser ist mein geliebter Sohn – an dem ich mein Wohlgefallen habe.“ Das ist ein Vers aus Matthaeus 3.17, was kleine Buchstaben in der rechten Ecke verraten. Eine verstohlene Recherche auf dem Handy bringt die Erkenntnis, der Psalm lautet im Ganzen: „Und da Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser; und siehe, da tat sich der Himmel auf über ihm. Und er sah den Geist Gottes gleich als eine Taube herabfahren und über ihn kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.“
    Damit kann ich das Gemälde deuten: Jesus, der in diesem Bild unsichtbar bleibt, wurde soeben auf der Erde von Johannes getauft. Nun nehme ich auch drei Kreise wahr, die sich in der Mitte schneiden und jetzt weiß ich auch, was es bedeutet. Es ist das Symbol der Dreieinigkeit, bestehend aus den drei Einheiten (1)„Gott Vater“, (2)„Sohn“ und (3)„Heiliger Geist“. Gott Vater sehe ich ja deutlich vor mir, den Heiligen Geist erkenne ich in den Tauben, aber wo ist der dritte Teil der Dreieinigkeit? Wo ist Jesus, auf den Gott Vater gerade herab blickt? Ich sehe mich um. Jesusfiguren gibt es einige in dieser Kirche, doch alle sind schon am Kreuz, keine wird gerade getauft. Mein Blick verfängt sich in den Bildern, die in den Seitenschiffen hängen. Ich muss aufstehen, um sie mir genauer zu betrachten. Ich sehe zwölf Bilder auf zwei Seitenschiffe verteilt, sechs befinden sich auf jeder Seite. Alle zusammen erzählen sehr detailgetreu die Kreuzigungsgeschichte Jesu. Ganz langsam gehe ich von Bild zu Bild, verfolge gebannt die Geschichte von Festnahme über Verurteilung, Geißelung und den Weg zur Kreuzigung. Auf einem Bild sehe ich ihn zusammengebrechen, auf einem anderen hängt er am Kreuz und auf dem letzten liegt er im Grab. In zwölf Bilder wird mir sein Leid und sein Sterben vor Augen geführt. Sehr lange betrachte ich die Bilder, jedes einzelne schaue ich mir sehr genau an, brenne es mir in mein Gedächtnis ein. Dann stelle ich mich in die Mitte der Kirche, dort, wo ich eben noch saß und schaue noch einmal zum Abbild Gottes empor, frage still:
    „Wie konntest DU es IHM antun? Den ganzen Schmerz der Welt hat er für uns auf sich genommen. Wie kann man daran Wohlgefallen haben? Und hat es genützt?“
    Eine Antwort erhalte ich hier nicht. Nachdenklich verlasse ich die Kirche. Draußen wartet Beke schon ungeduldig auf mich. Sie zeigt mir ihre Fotos, die sie im Innern gemacht hat. Es sind filigrane Holzarbeiten. Dinge, die ich überhaupt nicht wahrgenommen habe.
    So sehen Menschen also in eine Richtung und doch sieht es für jeden anders aus.
    Wir gehen weiter. Eine Weile noch bleibe ich nachdenklich. Doch Wald, Wiesen und meine Wegbegleiterin hellen meine Stimmung schnell wieder auf. Wir sind schon wieder munter am Plaudern, als wir eine Schutzhütte erreichen. Dort wartet eine freudige Überraschung auf uns, denn Mia sitzt da, hat die Beine übereinander geschlagen und lacht uns an. Lange vorher muss sie uns schon kommen gehört haben. Wir setzten uns zu ihr, freuen uns sehr, sie wieder zu sehen.
    Sie erzählt, dass sie gerade mit ihrer Transfergesellschaft telefoniert hat. Zwei Wochen kann sie den E1 noch bewandern, dann muss sie zurück, sich auf ihre berufliche Zukunft vorbereiten. Wie die aussieht, dass will sie auf ihrer Wanderung herausfinden.
    Sie erzählt auch, dass sie Michael noch getroffen hat, der wie sie sehr früh aufgebrochen ist.
    Dann kommt endgültig der Abschied, der nur mit einer innigen Umarmung geht und uns traurig macht. Wahrscheinlich werde ich weder Mia noch Michael je wiedersehen. Das ist Wanderschicksal.
    In der Ferne ist ein großer, eckiger Turm zu sehen. Dort muss Marsberg liegen und dahin wollen wir. Bald sind wir da, es ist noch Zeit genug, um im Bleichhaus am Minigolfplatz eine Bratwurst vom Grill und Bier vom Fass zu genießen.

    Schließlich ist es Zeit für den Rückweg mit der Bahn.
    Wir haben nicht mehr darüber gesprochen, doch ich hoffe, Beke hat die richtigen Antworten in ihrem Gepäck mit nach Hause genommen. Fragen, die das Leben stellt und die zu Hause in der gewohnten Umgebung, in der man allzu oft im Kreis denkt, keine Antworten finden lassen. Erst die freie Natur, darin alleine oder mit einem Wanderpartner in einem bewegten GeHspräch unterwegs, führen wie von selbst zur Antwort, die schon im Herzen verborgen lag.
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