• E1-24-D-Marsberg (18km)

    June 21, 2015 in Germany ⋅ ⛅ 15 °C

    Allerlei Mystisches auf dem Eggeweg (3/3)

    Der Wecker klingelt, das Aufstehen ist mühsam. In der Gaststube steht ein gutes Frühstück bereit, das uns mit frischer Energie versorgt. Der Wirt bringt Kaffee und begrüßt uns nett. Wir dürfen uns sogar etwas für unterwegs einpacken. Michael sehen wir nicht mehr, er ist schon aufgebrochen und auch wir machen uns jetzt auf den Weg.
    Eilig überqueren wir die Autobahn Richtung Ruhrgebiet. Hier ist es wieder einmal unerträglich laut, aber schon bald umgibt uns wieder Wald und Stille.
    In Oesdorf wartet eine Kirche auf uns, schenkt uns in ihrem Innern ruhige Momente. Während Beke auf Entdeckungsreise geht, setzte ich mich ins Mittelschiff und lasse wieder einmal Blicke schweifen. Dieses Mal verfangen sie sich an einem Gemälde, das eine realistische Abbildung Gottes darstellt. Wallendes Haar und weißer Bart verleihen ein väterliches Aussehen. So kann man sich Gott Vater vorstellen, wie er wohlwollend von seiner Wolke herab auf die Menschen blickt. Gleichzeitig hebt er seine Arme, seine Finger weisen gütig auf vier Geschöpfe, die rechts und links von ihm sitzen, sie sehen aus wie Tauben mit Engelsgesichtern. Über allem steht: „Dieser ist mein geliebter Sohn – an dem ich mein Wohlgefallen habe.“ Das ist ein Vers aus Matthaeus 3.17, was kleine Buchstaben in der rechten Ecke verraten. Eine verstohlene Recherche auf dem Handy bringt die Erkenntnis, der Psalm lautet im Ganzen: „Und da Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser; und siehe, da tat sich der Himmel auf über ihm. Und er sah den Geist Gottes gleich als eine Taube herabfahren und über ihn kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.“
    Damit kann ich das Gemälde deuten: Jesus, der in diesem Bild unsichtbar bleibt, wurde soeben auf der Erde von Johannes getauft. Nun nehme ich auch drei Kreise wahr, die sich in der Mitte schneiden und jetzt weiß ich auch, was es bedeutet. Es ist das Symbol der Dreieinigkeit, bestehend aus den drei Einheiten (1)„Gott Vater“, (2)„Sohn“ und (3)„Heiliger Geist“. Gott Vater sehe ich ja deutlich vor mir, den Heiligen Geist erkenne ich in den Tauben, aber wo ist der dritte Teil der Dreieinigkeit? Wo ist Jesus, auf den Gott Vater gerade herab blickt? Ich sehe mich um. Jesusfiguren gibt es einige in dieser Kirche, doch alle sind schon am Kreuz, keine wird gerade getauft. Mein Blick verfängt sich in den Bildern, die in den Seitenschiffen hängen. Ich muss aufstehen, um sie mir genauer zu betrachten. Ich sehe zwölf Bilder auf zwei Seitenschiffe verteilt, sechs befinden sich auf jeder Seite. Alle zusammen erzählen sehr detailgetreu die Kreuzigungsgeschichte Jesu. Ganz langsam gehe ich von Bild zu Bild, verfolge gebannt die Geschichte von Festnahme über Verurteilung, Geißelung und den Weg zur Kreuzigung. Auf einem Bild sehe ich ihn zusammengebrechen, auf einem anderen hängt er am Kreuz und auf dem letzten liegt er im Grab. In zwölf Bilder wird mir sein Leid und sein Sterben vor Augen geführt. Sehr lange betrachte ich die Bilder, jedes einzelne schaue ich mir sehr genau an, brenne es mir in mein Gedächtnis ein. Dann stelle ich mich in die Mitte der Kirche, dort, wo ich eben noch saß und schaue noch einmal zum Abbild Gottes empor, frage still:
    „Wie konntest DU es IHM antun? Den ganzen Schmerz der Welt hat er für uns auf sich genommen. Wie kann man daran Wohlgefallen haben? Und hat es genützt?“
    Eine Antwort erhalte ich hier nicht. Nachdenklich verlasse ich die Kirche. Draußen wartet Beke schon ungeduldig auf mich. Sie zeigt mir ihre Fotos, die sie im Innern gemacht hat. Es sind filigrane Holzarbeiten. Dinge, die ich überhaupt nicht wahrgenommen habe.
    So sehen Menschen also in eine Richtung und doch sieht es für jeden anders aus.
    Wir gehen weiter. Eine Weile noch bleibe ich nachdenklich. Doch Wald, Wiesen und meine Wegbegleiterin hellen meine Stimmung schnell wieder auf. Wir sind schon wieder munter am Plaudern, als wir eine Schutzhütte erreichen. Dort wartet eine freudige Überraschung auf uns, denn Mia sitzt da, hat die Beine übereinander geschlagen und lacht uns an. Lange vorher muss sie uns schon kommen gehört haben. Wir setzten uns zu ihr, freuen uns sehr, sie wieder zu sehen.
    Sie erzählt, dass sie gerade mit ihrer Transfergesellschaft telefoniert hat. Zwei Wochen kann sie den E1 noch bewandern, dann muss sie zurück, sich auf ihre berufliche Zukunft vorbereiten. Wie die aussieht, dass will sie auf ihrer Wanderung herausfinden.
    Sie erzählt auch, dass sie Michael noch getroffen hat, der wie sie sehr früh aufgebrochen ist.
    Dann kommt endgültig der Abschied, der nur mit einer innigen Umarmung geht und uns traurig macht. Wahrscheinlich werde ich weder Mia noch Michael je wiedersehen. Das ist Wanderschicksal.
    In der Ferne ist ein großer, eckiger Turm zu sehen. Dort muss Marsberg liegen und dahin wollen wir. Bald sind wir da, es ist noch Zeit genug, um im Bleichhaus am Minigolfplatz eine Bratwurst vom Grill und Bier vom Fass zu genießen.

    Schließlich ist es Zeit für den Rückweg mit der Bahn.
    Wir haben nicht mehr darüber gesprochen, doch ich hoffe, Beke hat die richtigen Antworten in ihrem Gepäck mit nach Hause genommen. Fragen, die das Leben stellt und die zu Hause in der gewohnten Umgebung, in der man allzu oft im Kreis denkt, keine Antworten finden lassen. Erst die freie Natur, darin alleine oder mit einem Wanderpartner in einem bewegten GeHspräch unterwegs, führen wie von selbst zur Antwort, die schon im Herzen verborgen lag.
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