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  • E1-38-D-Berghausen (22km)

    October 9, 2015 in Germany ⋅ ☀️ 15 °C

    Ungeduldig unterwegs auf dem Aar-Höhenweg und durch den Taunus (1/3)

    << In Limburg a.d.Lahn geht es weiter. Auf einer dreitägigen Tour folge ich zunächst der Aar auf dem Höhenweg Richtung Quelle. Ab Bad Schwalbach geht es dann direkt über den Taunus Richtung Süden weiter. Am Rhein ist in Walluf (bei Wiesbaden) nicht nur das Ziel dieser Tour erreicht, sondern auch die E1-Fernwanderung für dieses Jahr beendet. >>

    Am Samstagmorgen um acht Uhr dreißig sitze ich im Hamburger Hauptbahnhof am Gleis 11 und warte - noch etwas dösig - auf den Zug nach Gießen. Ich bin viel zu früh unterwegs. Eine Menschenmasse fließt am Bahnsteig gegenüber die Treppe hinab, verteilt sich langsam über dem Bahnsteig und erstarrt. Ein Mann führt den Aufzug an, hält ein Schild hoch, um gesehen zu werden. Die ihm nachfolgen, sind junge Männer mit südländischen Gesichtszügen. "Das sind Flüchtlinge!", durchfährt es mich. Ich schaue genauer hin. Als erstes fallen mir die bunten Sportschuhe auf, die sie tragen. Sie leuchten in grellen Farben und heben sich seltsam grotesk von ihrer gedeckten Bekleidung ab. Sie haben kein Gepäck bei sich. Manche haben die Arme vor die Brust verschränkt. Vielleicht ist es ihnen in der zugigen Bahnhofshalle zu kalt? Oder sie fühlen sich unwohl, so wie ich im Moment. Der Mann an der Spitze wedelt mit seinen Armen und dem Schild, auf dem mit großen Lettern das Wort SWEDEN geschrieben steht. Er bringt die jungen Männer dazu, sich Schuljungen gleich in langen Zweierreihen aufzustellen. Schließlich stehen sie ruhig vor dem Zug, dürfen auf sein Zeichen den Waggon entern. Das geschieht völlig lautlos, aber schnell und geordnet. Sobald sie im Zug sind, zerbricht die gerade geschaffene Ordnung wieder. Hastig werden freie Plätze ergattert. Diejenigen, die keinen abbekommen haben, laufen im Zug hin und her. Ein paar Passagiere ergreifen die Flucht, hasten in andere Waggons, machen so ungewollt Platz für die Flüchtlinge. Die Waggontüren schließen sich, der Zug rollt an. Bald ist er verschwunden, hinterlässt einen Bahnsteig, so leer wie zuvor. Es ist, als hätte das Schauspiel nie stattgefunden. Doch es war real und unzählige solcher Szenen sind an Bahnhöfen und sonstwo in ganz Europa gerade an der Tagesordnung, denn unzählige Menschen sind auf der Flucht vor Bürgerkrieg, Verfolgung, Zerstörung, Armut und was weiß ich. Sie kommen unter Entbehrungen aus ihren Heimatländern, aus Afrika und Nahost, in die noch sicheren Gebiete Europas. Die meisten wollen nach Deutschland, andere nach Schweden - wie offenbar diese Gruppe. Sie wollen in Länder, von denen sie gehört haben und von denen sie doch nichts wissen. Was wollen sie hier? Was erwarten sie von uns? Was erwartet sie überhaupt? Europa hat bisher keine befriedigende Antwort gefunden. Auch ich sitze hier gerade ratlos und fühle lediglich, dass ich froh bin, dass sie weiter gefahren sind. Vieles in unserem Land wird sich vermutlich verändern.
    Dann kommt mein Zug. Ich steige ein, setze mich auf den für mich reservierten Platz. Gegenüber sitzt schon ein Mann, ansonsten bleibt das Sechserabteil unbesetzt. So haben wir Glück, dass viel Raum für eine bequeme Reise bleibt. Ich ziehe meine Wanderstiefel aus und strecke die Beine von mir. Eigentlich möchte ich jetzt noch etwas ruhen, aber der Mann spricht mich an. Wir kommen ins Plaudern. Nach einer Weile kommt er zum Kern, erzählt mir, dass er eine Weile noch als Coach arbeiteten würde, aber bald in den Vorruhestand geschickt werde. "Nicht ganz freiwillig", schließt er ab. Ich betrachte ihn und finde, dass er noch recht jung aussieht. "Dabei bin ich noch gar nicht alt! Und ich habe noch viel vor!", schiebt er nach, als habe er meine Gedanken gelesen. "Im nächstes Jahr werde ich mit meiner Frau nach Österreich übersiedeln. Wir wollen ein Haus in den Bergen kaufen." Das ist doch ein guter Plan für jemanden, der bald viel Zeit haben wird. Heimlich beneide ich ihn dafür sogar ein bisschen. Schwupps sind wir in Hannover, er muss hier aussteigen. Ich hätte ihm noch länger zuhören können. Wer weiß, welche Impulse er mir noch gegeben hätte.

    Einige Stunden später komme auch ich an. Während ich vor dem Bahnhof die frische Luft einatme, erinnere ich mich an den Limburger Dom, die reizvolle Altstadt und an das nette Café, in dem ich das letzte Mal den leckeren Milchkaffee genoss. Ein Kaffee am Ende einer Wanderung ist stets eine wunderbare Belohnung und ein Stück Kuchen dazu das Sahnehäubchen. Mir kommt das herrliche, sommerliche Wetter in den Sinn, das vor vier Wochen hier herrschte und mich zum Schwitzen brachte. Heute ist es bereits herbstlich kühl. Es ist bestes Wanderwetter, also los geht's!

    Ich wende mich gleich Richtung Süden, vom schönen Limburg sehe ich nichts mehr. Es geht Feldwege entlang, irgendwann stoße ich auf den Aar-Höhenweg, der mir jetzt für zwei Tage die Richtung vorgeben wird. Er wird mich die Aar stromaufwärts geleiten. Am dritten Tag verlasse ich den Höhenwanderweg dann, um über den Taunus nach Süden dem Rheintal zuzustreben.
    In der Ferne sehe ich eine verfallene Burg. Aber ich bin schon auf so viele Ruinen gewesen. Diese hier lasse ich aus, denn sie ist klein und schon sehr kaputt.

    Ich bin schon zweieinhalb Stunden zu Fuß unterwegs, es ist Zeit für eine Rast. Ein Einheimischer gibt mir den Rat, es mit der Eisdiele „La Dolce Vita“ zu versuchen. Die Eisdiele sei etwas Besonderes. So ist es! Der Besitzer hat sich offenbar von dem gleichnamigen Kinofilm von 1960 inspirieren lassen. In dem Streifen von Frederico Fellini geht es um schöne Frauen, Flirten, Partie und den Sinn des Lebens. "Geht es nicht immer darum?", frage ich mich, während ich in der Eisdiele die zahlreichen Bilder betrachte, die allerlei Szenen des Films widergeben. Ich bestelle zwei Kugeln in der Waffel und setze mich nach draußen in die pralle Sonne. Während ich schlecke, bewundere ich ein Plakat, das Anita Eckberg in all ihrer dralligen Weiblichkeit präsentiert. La dolce vita! Wie süß ist doch das Leben.

    Weiter geht's mal auf dieser, mal auf jener Seite der Aar. Die Bäume am Wegesrand und im nahen Wald haben schon ein buntes Kleid übergeworfen. Der Herbst ist im vollen Gange. Er scheint mir die schönste Jahreszeit zum Wandern zu sein, zumindest, wenn er so schön ist wie im Augenblick.

    In Schließheim muss ich die Aar für heute verlassen, denn jetzt geht es Richtung Nachtquartier. Es war schwierig, eines zu finden, denn viele Hotels und Pensionen sind ausgebucht. Ich fand ein freies Zimmer abseits der Route in Berghausen und der Name ist wahrlich Programm! Denn nun geht es bergauf, und bald verliert sich der Weg. Es geht eine Wiese entlang, die im feuchten Morast endet. Irgendwo muss ich den Weg verpasst haben. Aber wie geht es nur weiter? Zurück? Niemals! Dann doch lieber durch den Knick, irgendwo auf der anderen Seite muss der Weg doch sein. Ich zwänge mich durch die Hölzer, muss danach noch einen tiefen Graben überwinden und dann endlich finde ich auf den Weg zurück. Und weiter geht es bergauf. Puh!

    Ein kurzen Blick zurück zum Verschnaufen. Die versinkende Sonne färbt über der anderen Seite des Tals die Wolken bereits rot. Wie schön es aussieht! Es beginnt zu dämmert, achtzehn Uhr ist schon durch. Fünf Kilometer liegen noch vor mir. Das wird eng heute! Ich kann einer Straße folgen. Das ist besser, als im schon finster werdenden Wald auf schmalem Pfaden über Wurzel zu stolpern. Doch auch die Straße verläuft durch den Wald und ich fürchte, dass Autofahrer mich im Zwielicht am Straßenrand nicht mehr erkennen. Gottlob ist nur wenig Verkehr. Kommt mal ein Auto vorbei, springe ich schnell von der Straße in den Grünstreifen. Die letzten Kilometern ziehen sich endlos hin, doch dann kann ich den Berghof ausmachen, der als heller Punkt verheißungsvoll am Ende des dunklen Dorfes Berghausen liegt. Ich trete ins Licht und werde herzlich willkommen geheißen. Im Restaurant steht heißes Essen auf den Tischen, die Gäste prosten sich heiter zu. Auch ich habe Hunger und vor allem - Durst. Also schnell ein Pils gezischt! Das erste Bier nach dem Wandern ist immer das Schönste. Dann verschwinde ich kurz auf mein Zimmer, nach einer raschen Dusche sitze ich gleich wieder im Restaurant, bestelle Wildschweinschinken und Köstritzer Schwarzbier. Der Schinken schimmert tiefrot und das Bier schwarz mit weißer Krone. Eine sehr gelungene Farbkomposition! Beides schmeckt wunderbar und ich gebe zu, das ich mehr Köstritzer koste, als mir gut tun. Beschwipst lande ich im Bett und bin froh, den Körper nach einem langen Tag auf einer guten Matratze ausstrecken zu können.
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