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  • E1-40-D-Walluf am Rhein (21km)

    October 11, 2015 in Germany ⋅ 🌧 6 °C

    Ungeduldig unterwegs auf dem Aar-Höhenweg und durch den Taunus (3/3)

    Nur zwanzig Kilometer sind es noch bis zum Ziel! Heute ist viel Zeit, um die Sachen in aller Ruhe in den Rucksack zu verstauen.
    Eigentlich hatte ich bisher, ob nun zwei, drei oder fünf Tage unterwegs, immer dasselbe dabei. Alles passt in den kleinen grauen Rucksack hinein, der mich dieses Jahr begleitet. Bin ich mehr als drei Tage unterwegs, wird die schmutzige Wäsche halt mal mit REI in der Tube im Handwaschbecken gewaschen. Das war nie ein Problem, denn am nächsten Morgen waren die Sachen fast immer trocken. Falls nicht, wird körpergetrocknet. ;-)
    Ein Leitspruch, den jeder Wanderer früher oder später beherzigt: Nur wer wenig Gepäck mitnimmt, hat es leicht. So halte ich es auch.
    Bereits viertel vor Acht stehe ich vor der Tür zum Frühstücksraum. Ich habe Hunger. Doch die Tür ist verschlossen.
    „Es gibt noch nichts, erst um 8“, meint der Wirt. Er lässt nicht mit sich verhandeln. Da kann man nichts machen, ich muss die Zeit mit einen kleinen Spaziergang im nahen Kurpark überbrücken. Punkt Acht bin ich zurück und nun steht die Tür zum Frühstücksraum weit offen. Und da staune ich nicht schlecht, was alles auf meinem Tisch aufgefahren wurde: Nutella, Honig, Marmelade, Käse, Schinken, Wurst, Müsli mit frischer Milch, Brötchen, Quark, Obst und Kuchen. Wer soll das nur alles essen? Ich bekomme sogar noch Proviant mit auf den Weg. Ein tolles Haus!
    Weiter geht es dem Ziel entgegen, das nun nicht mehr weit ist. Der Gedanke daran erzeugt ein Kribbeln in meiner Magengegend. Die Ungeduld wächst. Am liebsten würde ich gleich hinter der nächsten Bergkuppe, die ich keuchend erklimme, den Rhein erblicken. Doch ich muss mich gedulden, erst heute Nachmittag werde ich mein Etappenziel erreichen, das ja auch ein weiterer Meilenstein meiner E1-Wanderung darstellt.
    Wieder geht es durch bunten Blätterwald. In der Ferne lugt ein Fernmeldeturm über den Baumwipfeln hervor. Er gibt mir die Richtung vor. Dort hinauf geht es. Eine Stunde später ist der sanfte Anstieg geschafft, ich passiere den Fernmeldeturm auf der Hohen Wurzel. Damit habe ich die höchste Stelle im Taunus erreicht, von nun an geht es bergab. Es macht mein Wandern gleich leichter.
    Ich komme an einem eingezäunten Waldstück vorbei. Auf einem Schild steht TERRA LEVIS – Land des Sprühregens. Hier liegt der dritte Bestattungswald, dem ich auf meiner Wanderung begegne.
    Der Taunus ist ein beliebtes Naherholungsgebiet des Rhein-Main-Gebietes. Und tatsächlich, je näher ich meinem Ziel komme, desto mehr Menschen begegne ich. Sie tragen Körbe und Tüten in den Händen, sind einzeln oder in großen Trauben unterwegs. Ihnen gemein ist die gebückte, suchende Haltung, sie spähen auf dem Waldboden nach Pilzen und Esskastanien, die es hier in Hülle und Fülle gibt.
    Der Wald öffnet sich, macht Platz für blauen Himmel. Geblendet von der hellen Sonne stehe ich wie angewurzelt am Waldrand, schaue überrascht ins weite Rheintal, das sich vor mir ausbreitet. Auf einen solchen Anblick war ich nicht vorbereitet, er überwältigt mich. Man kann bis nach Wiesbaden, Mainz und Rüdesheim schauen, deren Gebäude und Schornsteine weit entfernt in der Sonne glitzern. Direkt vor mir: Weinberge, die bis ins Tal reichen. Lange bleibe ich stehen, sauge in mich auf, was ich sehe und ganz allmählich begreife ich, dass ich angekommen bin. Mein Mund verzieht sich zu einem breiten Grinsen. So viele Tage bin ich gewandert, habe mich so sehr auf diesen Moment gefreut und nun ist er plötzlich da. Kindliche Freude erfüllt mich.
    Doch Glücksgefühle sind flüchtig und sie verebben rasch.
    Ich bin bereit für das letzte Stück, das mich die Weinberge, deren Rebstöcke voller Weinbeeren hängen, hinab ins Tal bringen soll. Bald bin ich am Bahnhof Walluf, greife in die Tasche, ziehe mein Smartphone heraus, aktiviere den Bildschirm und drücke auf den Komoot-Funktionsbutton <Tour beenden>. Mit dem Speichern ist die Tour jäh zu Ende, der letzte Schritt von sechshundert in diesem Jahr gewanderten Kilometern ist gelaufen.
    Doch da ich schon hier bin, möchte ich auch einen Blick auf den Rhein werfen. Ein paar Schritte nur und da liegt er vor mir: der Fluss meiner diesjährigen Sehnsucht. Es gibt eine Fähre, die mich im nächsten Jahr auf die andere Rheinseite bringen soll. Ob es stimmt, möchte ich herausfinden. Tatsächlich gibt es eine Fahrradfähre, deren Betrieb aber für dieses Jahr bereits eingestellt ist. Doch im nächsten Frühjahr wird sie wieder übersetzen. Das genügt ja.
    Auch am Rhein gibt es Cafés. Genau gegenüber der Fähre ist eines. Dort sitze ich nun und bestelle Apfelkuchen und Milchkaffee. „Milchkaffee gibt’s nicht!“, die Bedienung ist offenbar etwas mürrisch gestimmt. Meine gute Laune will sie offenbar nicht teilen. Na, dann eben einen Latte Macchiato. Den gibt’s. Na also, geht doch, meine gute Laune kriegt sie nicht klein!
    Später nehme ich die Vorortbahn nach Frankfurt und erfahre, dass der Zug nach Hamburg vierzig Minuten Verspätung hat. Wegen der Flüchtlinge, sagt man mir. So endet die Tour, wie sie begann: mit der Flüchtlingsproblematik.
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