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  • E1-66-D- Schattenmühle (11km)

    October 16, 2016 in Germany ⋅ ☁️ 13 °C

    Dem Ziel entgegen (5)

    Raureif begrüßt mich am nächsten Morgen, während ich den Reißverschluss meines Zeltes hochziehe. Ich sehe die noch langen Schatten vor meinem Zelt, die hohe Bäume werfen. Sie verdecken das Glühen der Morgensonne, die noch ganz tief über dem angrenzenden Feld steht und sich müht, mit warmen Strahlen den Morgennebel zu vertreiben. Eine friedliche Stimmung liegt über dem Platz und etwas widerstrebend schäle ich mich aus dem wärmenden Schlafsack. Doch die Aussicht auf eine heiße Dusche lockt auch. Während ich den beheizten Sanitärbereich genieße, schaffen es die Sonnenstrahlen derweil nicht, den Reif zu vertreiben, der noch auf meinem Zelt ruht. So verschwindet es auch heute wieder nass im Zeltsack. Das ist wohl so im Oktober und langsam gewöhne ich mich auch an die morgendliche Feuchtigkeit. Es ist ja nur Wasser. Mit dem fix und fertig gepacktem Rucksack klopfe ich leise am Wohnwagen von Nancy und Mike, um den versprochenen Morgenkaffee einzulösen. Nancy öffnet verschlafen das Vorzelt und reicht mir einen heißen Kaffee. Sie hat schon gewartet. Während Mike im Wohnwagen noch schläft, plaudern wir leise im Vorzelt. Nancy hat so gar keine Lust, heute den Wohnwagen zu klarieren und sie bedauert, dass sie nun ein halbes Jahr nicht mehr herkommen werden. Ich kann sie gut verstehen. Und doch möchte ich gerne weiter und nicht hier bleiben. So bedanke ich mich für den Kaffee und mache mich auf den Weg.
    Auf die nun vor mir liegende Strecke freue ich mich ganz besonders, denn es wird heute durch die Wutachschlucht gehen, von der ich dank Kai Sackmanns Beschreibung und seinem Wandervideo schon viel weiß. Auf mich wartet eine überwältigende Urlandschaft, durch die ich die nächsten zwei Tage laufen werde.
    Aber zuvor geht es die Haslachschlucht auf einem wildromantischen Weg entlang. Als der Steig in die enge Klamm hinunter ans Wasser führt, verzichte ich jedoch auf den Abstieg, denn die Schlucht liegt noch im dichten Morgennebel und ich vermute, da unten wird es noch bitterkalt sein. So wandere ich lieber am Rand der Schlucht weiter. Schließlich geht es nicht mehr anders, ich muss in die Schlucht absteigen, um über eine schmale Brücke die Haslach zu queren, die an dieser Stelle mit der Gutach zusammenfließt und so zur Wutach wird, so genannt, weil bei Hochwasser aus ihr ein reißender Strom werden kann, der schon mal Brücken mit sich reißt und Bäume entwurzelt. Zu solchen Zeiten ist der Weg, dem ich jetzt folge, meist gesperrt. Aber ich habe Glück, denn die Wutach führt derzeit extrem wenig Wasser und plätschert seicht vor sich hin.
    Im stetigen Wechsel führt der Steig mal dicht am Wasser, mal auf dem Kamm der Schlucht entlang, der mich immer mehr begeistert. Voller Freude schreite ich an kleinen Wasserfällen vorbei, die über moosbedeckte Felsen tropfen. Allerdings sollte man das Wasser nicht trinken, denn es stammt aus darüber liegenden landwirtschaftlich genutzten Flächen und enthält vermutlich Schadstoffe, die Chlortabletten nicht ausfiltern können.
    Nach elf Kilometern erreiche ich die Schattenmühle, die inmitten der Wutachschlucht liegt. Anders als der Name vermuten lässt, liegt ihre Terrasse in praller Frühnachmittagssonne. Heute ist Sonntag und deshalb ist die Terrasse gut besucht. Auch ist die Schattenmühle mit dem Auto erreichbar. Die Gäste lassen sich Schwarzwälder Kirschtorte und andere Leckereien schmecken, die junge Mädchen im Dirndl servieren. Auf ihren hübschen Köpfen leuchten rot die landestypischen Bollenhüte, die lustig ausschauen. Ich lasse mich in der Sonne nieder, bestelle Kaffee und Kirschtorte und genieße einen Nachmittag voller Wonne. Natürlich ist gleich jemand vom Nebentisch neugierig, woher ich komme und wohin ich gehe, er hat halt meine Wanderkluft und den großen Rucksack gesehen. Nachdem das Staunen über meine Wandergeschichte abebbt, erzählt der Herr seine Geschichte, Das er in Schweden als Dirigent arbeitet, aber oft zu Hause im Schwarzwald sein kann. Er scheint für seine Arbeit zu brennen, obwohl er bescheiden auftritt und ob er berühmt ist, finde ich nicht heraus.
    Der Nachmittag schreitet voran, ich strecke fauler werdend die Beine immer weiter aus und beschließe schließlich, in der Schattenmühle zu übernachten. Es ist noch ein kleines Zimmer frei, so kann ich bleiben und den Abend bei Steak und Bier genießen, das allerdings in der gemütlichen Wirtsstube, denn draußen ist es wieder kalt geworden. Neben mir sitzt ein Motorradfahrer, der mir erzählt, dass er kurz mal mit seiner Maschine eine Sonntagsausfahrt hierher gemacht hat, weil es in den Bergen so schöne Kurven hat. Gleich muss er aufbrechen, zurück nach Genf. Das sind 300km, also 600km für eine Ausfahrt!
    Ich würde jetzt nicht mehr gerne raus in die Kälte und freue mich auf mein warmes, weiches Bett, das mich gleich erwartet.
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