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  • E1-86-DK Kalø Vig (35km)

    May 26, 2017 in Denmark ⋅ 🌙 20 °C

    Ich schaffe den Weg (2)

    Am nächsten Morgen wartet ein Luxus-Frühstück auf mich. Kaffee, Grapefruitsaft, Rührei, zwei Sorten Schinken, Käseauswahl, Weintrauben, Erdbeeren, Melone, getrocknete Tomaten, Brot und Brötchen. Habe ich etwas vergessen? Nichts lasse ich übrig. Am Tisch nebenan sitzt eine blonde Dänin mit ihrem Jungen, sonst sind keine Gäste da. All die Mühe nur für uns drei! Ich bin der Wirtin sehr dankbar für die schmackhaften Kalorien und hätte noch länger verweilen können. Doch was muss ein Wanderer tun? Richtig: Wandern! Zum Abschied frage ich die Wirtin, ob sie wisse, wo hier der Zeltplatz sei. „Ja“, meint sie, „den habe ich hier früher betrieben, aber das ist schon mehr als zehn Jahre her.“ So hat sich auch das geklärt.
    Durch das Kongresscentrum "Skandinavien Center", das mich an das Europacenter in Hamburg erinnert, gelange ich in die Aarhuser Innenstadt. Aarhus ist die größte Stadt Jütlands und die zweitgrößte Dänemarks und hat was zu bieten. Vorbei geht es an Kunsthalle und Musikschule und einigen Kunstgegenständen. Die Einkaufsmeile ist lang und endet mit dem Domplatz, über dem der Kirchturm hoch aufragt. Im Innern ist der Dom erstaunlich schlicht und das mag ich viel lieber als all den goldenen Pomp anderer Kirchen.
    Die Stadt verlasse ich durch Stadtwald im Norden, erhasche noch einen Blick auf das Quartier am Hafen. Es ähnelt der Hamburger Hafen City, zumindest aus der Entfernung. Auch hier wird noch gebaut.
    Hinter Aarhus beginnt die Molsroute, die 80km weit bis nach Grenaa führt und mit dem Weg des E1 identisch ist.
    Kilometerlang geht es direkt am Strand der Aarhus Bucht entlang. Hunderte, wenn nicht gar tausende Häuser stehen hier mit Blick auf die Ostsee. Manche sind klein und ganz schlicht, andere groß und überaus protzig. Die Gegend sei teuer, erzählt mir jemand, der es wissen muss. Hier und da weht der rot-weiße Danebrog munter im Wind. Der Tag ist sonnig, der Himmel blau, die Luft lau und der Weg führt immer am Wasser entlang. Mir geht es gut.
    Erst kurz vor Studstrup wandelt sich das Bild. Ein hoher Schlot überragt den Yachthafen und verschandelt das Bild. Der Schornstein ist Teil eines gewaltigen Heizkraftwerks, das 1963 der Natur seinen Stempel verpasste. Es sieht unschön aus, muss aber vermutlich sein, um auf Wachstum getrimmte Volkswirtschaften mit Energie zu versorgen. Die Abwärme der Kondensatoren wird direkt in die Bucht Kalø Vig geleitet, die ich gerade entlang gehe. Es scheint zu funktionieren, wird ja seit Jahrzehnten so gemacht.
    Hinter Studstrup weist der Weg ins Landesinnere. Hier ist es heiß und ich komme mächtig ins Schwitzen, zumal es auch noch bergauf geht. Hier beginnen die Molsbjerge. Doch bald schon, bei Havhusene kehrt der Weg zur Bucht zurück und die kühle Brise, die wieder über das Meer landwärts weht, tut dem Körper gut. Der Schlot dominiert noch immer das Bild.
    Eigentlich bin ich durch für heute, denn 25km liegen jetzt bereits hinter mir. Da lacht mich der ockerfarbene „Logten Strandkro“ an, doch der Wirt lacht nicht. Vielleicht mag er keine Wanderer, denn sein Angebot beschränkt sich auf ein einziges Appartement, für das er 900dKr haben will. Außerhalb des Budgets, gebe ich ihm zu verstehen, doch er hat kein anderes Angebot für mich. Immerhin meint er, und das etwas süffisant, dass es zum Campingplatz nicht weit sei. Doch das weiß ich, nur habe ich keine Lust, dort zu übernachten und gehe vorbei.
    Irgendwo im Wald auf einer Halbinsel der Bucht Kalø Vig soll ein einfacher Lagerplatz sein. Dorthin werde ich es noch schaffen. Die verbleibenden sechs Kilometer um die Halbinsel Hestehave ziehen sich zäh wie Gummi, so dass ich für die krüppelig gewachsenen Buchen an der Steilküste fast kein Auge mehr habe. Ankommen! Auf einer Wiese direkt am Wasser qualmt ein großes Feuer, darum lagern Jugendliche. "Ist das der Platz, nach dem ich Ausschau halte?", frage ich mich und bin schon etwas enttäuscht, denn in meiner Vorstellung ist da ein einsamen Platz nur für mich. Ein knappes „Hey“ von mir für die Jungs, dann gehe ich einfach weiter. Die Wiese ist zu Ende und ich stehe im Wald, höre mich knapp sagen: „Bleibe ich halt hier mitten im Wald“. Gesagt, getan. Kumpel fliegt ins Gras, ich beginne auszupacken. Von hinten surrt eine Mücke heran und sticht heimtückisch in meinen Hals. Doch es ist nicht nur die eine, es sind hunderte Blutsauger, die mich umschwärmen. „Nein, hier kann ich nicht bleiben, das überlebe ich nicht“. Also zurück auf die Wiese in die Sonne, wo die kleinen Teufel mich hoffentlich verschonen.
    Es ist ja auch reichlich Platz für die Jungs und mich auf der großen Wiese vorhanden und bald habe ich einen guten Standort für mein Zelt gefunden. Die Mücken sind auch hier, doch nicht in so großer Zahl und auch nicht so aggressiv. Ich versuche mich zu wappnen: lange Hosenbeine, Fleece-Pullover mit langem Arm, Schlapphut bis tief ins Gesicht. Nur noch Gesicht und Hände sind ungeschützt und solange ich mich bewege, lassen die Quälgeister mich in Ruhe. Aber wehe, ich sitze, dann blasen die Mücken zum Angriff. Mein Plan: schnell etwas essen und dann im Zelt verschwinden. Eigentlich wäre das schade um den lauen Abend und die grandiose Aussicht auf das Flachwasser der Bucht (Vig) und die Ruine der Burg Kalø.
    Glücklicherweise kommt da Björn ins Spiel. Mit einem lauten "Hey" schreckt er mich auf, als er wie aus dem Nichts plötzlich vor mir steht. Er will lediglich über Nacht bleiben. „Das mache ich öfters, denn man kann in klaren Nächten wie heute hier schön die Sterne beobachten“, meint er und schmeißt sein Wurfzelt direkt neben mein TarpTent. Die Mücken scheinen ihn nicht zu stören. Und wirklich, sie stechen nicht mehr. Liegt 's an der Dämmerung? Bald räumen die Jugendlichen ihren Lagerplatz und überlassen uns ihre Feuerstelle. Es ist noch genügend Feuerholz da und schon lodert das Feuer wieder. Der Qualm hält die verbliebenen Mücken auf Abstand und als es dunkel ist, verschwinden sie ganz. Dafür erscheinen die Sterne. Erst nur einer, vermutlich der Polarstern. Dann zwei, dann viele, schließlich unzählige. Björn hat kaltes Bier dabei, das er gerne mit mir an diesem lauen Abend teilt. Am Lagerfeuer erzählen wir uns Geschichten vom Wandern und anderem und kriechen erst nach Mitternacht in unsere Schlafsäcke. Was braucht der Mensch mehr? So hatte ich mir Wandern in Dänemark vorgestellt!
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