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  • E1-92-CH Einsiedeln (20km)

    August 31, 2017 in Switzerland ⋅ 🌧 12 °C

    Schwabenweg (4)
    Die Nacht ist heiß, richtig tropisch. Doch am Morgen regnet es und es ist so neblig, dass die Berge auf der anderen Seite des Zürichsees hinter tiefhängenden Wolken verschwinden. Das Jugendherbergsfrühstück ist gut, nur gibt es kein Nutella, und das ist bitter für mich. Um neun Uhr bin ich abmarschbereit, stehe in voller Regenmontur am Ausgang. Es gießt und ich denke: "da hättest du ja auch in Dänemark wandern können". Dort wollte ich ja eigentlich jetzt sein, lediglich das schlechte Wetter ließ mich umdisponieren. Doch zwei Unterschiede gibt es: der Regen hier ist wärmer und die Berge sind höher. Doch von denen ist nichts zu sehen.
    Etwas widerwillig breche ich auf, gehe einen matschigen Uferweg am Zürichsee entlang. Gleichzeitig bin ich voller Vorfreude, denn voraus lässt mich das erste Streckenhighlight das Schietwetter fast vergessen. Die hölzerne Fußgängerbrücke, die quer durch den Zürichsee verläuft und Rapperswil mit Hurden verbindet, liegt vor mir. Schon vor Urzeiten wurde sie gebaut, später abgerissen, wieder aufgebaut, wieder abgerissen und wieder aufgebaut. Die heutige Brücke ist von 2001 und mehr als 800m lang. Sehr langsam gehe ich auf den Planken entlang, nicht aus Angst, sondern genießend. Das Wasser ist glasklar, ich kann Blesshühner beim Tauchen beobachten.
    Dann bin ich drüben und der Zauber bricht schnell zusammen, als die Brücke auf dem Damm mündet, den sich Wanderweg, Bahnschiene und Straße teilen müssen. Hier ist es wieder: der Lärm der Schweiz, der nie weit entfernt ist.
    Hurden hat einen Bahnhof und der Jacobiusweg geht direkt daran vorbei. Ein Blick auf die Verbindungstafel zeigt, dass eine Zugverbindung nach Einsiedeln, dem heutigen Etappenziel, besteht. Sofort ist mein innerer Schweinehund hellwach und bellt mir zu: "Nimm den Zug!". Ich muss ihn energisch in die Ecke weisen, denn ich will jetzt den Etzel hochlaufen und nicht faul mit der Bahn fahren. Beim Coop wird noch schnell der Proviant aufgestockt, dann geht es in den Wald und bald auch in die Höhe. Ziemlich steil ist der Weg, ein kurzer Blick zurück zum See und dann weiter. Bleischwer und regenschwanger hängen die Wolken noch immer an den gegenüberliegenden Bergen fest. Bisher halten meine Regensachen dicht, ich fühle mich trocken. Auch die Lederstiefel halten sich.
    Wasser rinnt den Weg hinab, während es immer höher geht. Von meiner Stirn rinnt es auch, schmeckt aber salzig. Das ist kein Regen, der von der Kapuze tropft, sondern Schweiß von der Stirn. Ich schwitze, es ist echt anstrengend. Schritt für Schritt schraube ich mich weiter in die Höhe, 600m insgesamt. Die Plackerei findet in einer Schutzhütte am Etzel eine Unterbrechung. Was für ein Segen, ein paar Minuten im Trockenen zu sitzen.
    Doch es geht noch weiter bergauf. Die Kapelle St. Meinrad steht auf dem Etzelpass und erst damit ist der höchste Punkt erreicht. Jetzt sind es nur noch ein paar steile Meter und ich bin oben. Wird auch Zeit, ich kann nicht mehr! Das Wirtshaus hat natürlich Ruhetag. Doch die Kapelle ist offen, auf einer Kirchenbank finde ich ein paar Minuten der Ruhe. Mein Blick richtet sich zur Decke, wo die Geschichte des Mönchs und Eremiten Meinrad aufgemalt ist, der sich um 800nChr. hierher in damalige Einöde zurückzog. Da er eine Wunder vollbringende Nonnenfigur besaß, suchten ihn immer mehr Menschen auf und so sah er sich veranlasst, sich noch weiter zurück zu ziehen. Einen neuen Rückzugsort fand er in heutigen Einsiedeln. Der Sage nach wurde er dort von zwei Landstreichern erschlagen, die seinen Schatz stehlen wollten, der aus Gaben vorbeikommender Pilger bestand. Ein Rabe überführte die Diebe und Mörder, sie wurden gehängt und am Tatort wurde in Einsiedeln ein Kloster errichtet, aus dem im Laufe der Zeit ein wichtiger Marienwallfahrtsort mit Abtei, Kloster und Gymnasium wurde. Für viele Pilger ist diese Stätte heute eine wichtige Station oder Endpunkt ihrer Pilgerreise. Natürlich will auch ich dort hin. Doch es dauert noch eine Weile, bis ich den endlos erscheinenden Weg nach Einsiedeln im Dauerregen geschafft habe.
    Doch irgendwann erreiche ich tropfnass meine heutige Pilgerherberge, das Allegro Hotel. Es liegt nahe des Siehlsees, von dem ich wegen Nebel allerdings nichts zu sehen bekomme. Ich lege nur schnell meine Sachen ab, dann mache ich mich auf den kurzen Weg zur Wallfahrtsstätte, die mitten im Ort liegt und nicht vermutete Ausmaße hat. Ich bin überwältigt, als ich die Abtei betrete. Das Kirchenschiff ist gewaltig und überreich bunt dekoriert. Es findet gerade ein Gottesdienst statt, deshalb kann ich nicht im Kirchenschiff wandeln. Doch ich habe Gelegenheit, die Gnadenkapelle zu besuchen, wo Pilger knien und beten. Das erste Mal bekomme ich eine Ahnung, was Pilgern bedeutet. Ich beschränke mich aufs Staunen, denn zu der Energie, an die ich glaube, muss ich nicht in einer Kirche beten.
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