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  • E1-93-CH Schwyz (21km)

    September 1, 2017 in Switzerland ⋅ 🌧 14 °C

    Schwabenweg (5) - die Mythen hinauf

    Es regnet die ganze Nacht. Das weiß ich, weil lautes Geläute meinen eigentlich tiefen Wandererschlaf mehrfach unterbricht. Zu jeder vollen Stunde schlägt eine Glocke. Einmal um 1 Uhr, zweimal um 2 Uhr usw. Und dazwischen alle Viertelstunde. Das kann einen schon wahnsinnig machen. Trotzdem erwache ich frisch am frühen Morgen. Zwischen den Wachzeiten muss ich anscheinend ausreichend geschlafen haben. Draußen schüttet es immer noch. Das Frühstück liegt hinter mir und die Sachen sind gepackt. Es könnte also los gehen, doch ich habe überhaupt keine Lust auf das Sauwetter. So streife ich noch durch das große Pilgerhotel und finde einen Ort der Stille, genau das Richtige für diesen Moment. Es ist ein nur kleiner Raum, darin eine Jesusfigur, ein Kreuz, eine brennende Kerze. Das genügt, um mich innerhalb kürzester Zeit aus stiller Besinnung in eine spirituelle Stimmung zu versetzen. Ich schließe die Augen und meditiere. Ich danke - ja, wem auch immer, sagen wir, die mich umgebende und schützende Energie, dafür, dass mein Handy heute morgen wieder ging, nachdem es gestern im Regen nass geworden seinen Dienst quittierte. Bitte dafür, dass meine Wanderschuhe, deren Sohlen doch schon sehr abgelaufen sind, bis zum Ende durchhalten mögen und fühle tatsächlich, dass das Pilgern eine besondere Erfahrung ist. Hat hier gerade etwas auf mich gewirkt? Eigentlich pilgere ich ja nicht, ich wandere nur auf einem Pilgerweg. Aber eine Veränderung an mir konnte ich in dem Raum der Stille schon feststellen. Aber die Stimmung verfliegt.
    Beim Bezahlen funktioniert die EC Karte nicht. Ich zahle bar und bin froh, dass ich ausreichend sFr an einem Bankautomaten gezogen hatte. Während ich mich auf den Weg mache, frage ich mich, wie es wohl weiter gehen würde, würde die Karte jetzt dauerhaft den Dienst versagen. Mit den verbliebenen 200 sFr würde ich nicht sehr weit kommen. Wäre die Wanderung dann zu Ende? Ist das nach dem defekten Handy, das mir gestern große Sorgen bereitete, nun die nächste Prüfung?
    Um es vorweg zu nehmen, am Abend funktionierte die Karte wieder. Die Prüfung blieb mir erspart.
    Der Weg vor mir ist eben, es geht kilometerlang den Fluss Alp entlang, der eine Menge Wasser führt. Nach 10km kommt mir in Alpthal die Pfarrkirche St. Apollonia für eine ausgedehnte Pause gerade Recht. Zeit für eine Kirchenbesichtigung. Das Kircheninnere ist farbenprächtig.
    Gut, dass ich diese Pause gemacht habe, denn kurz darauf geht es rechts ab und hinauf, der nächste Berg ist zu bezwingen. Nun geht es zu den Mythen hinauf, die fast 1.900m hoch in den Himmel ragen. Doch zu sehen sind sie nicht, denn es ist talgig vor Nebel. Immerhin hat es aufgehört zu regnen. Der Weg vor mir ist steinig und steil, ich bin bald völlig erschöpft. Vor einer kleine Kapelle finde ich einen trockenen Platz für eine Rast. Zum ersten Mal hole ich den Hobo heraus und mache mit zwei Esbit-Würfeln einen heißen Kaffee. Die Wärme tut gut. Dazu gibt es zwei Würsten (Fett) und eine Banane (Kohlehydrate).
    Weiter, immer weiter bergan. Und dann noch ein Stück bergauf. Und noch ein bisschen. Schließlich taucht ein Schutzhütte auf, baugleich mit der, in der ich gestern Schutz fand. Für einen Moment ruhe ich aus, schaue in Richtung der Mythen, auf die es von hier einen wunderbaren Blick gibt. Doch die sehe ich nur auf dem Schild vor der Hütte.
    Ich muss weiter, auch wenn es gerade wieder anfängt zu regnen. Zum Vierwaldstätter See ist es noch weit, nun geht es um die Mythen herum. Der Weg bleibt schwierig, teils steil und steinig, dann geht es über glitschige Wiesen. Das Gehen ist anstrengend, es regnet in Strömen, Wege werden zu Sturzbächen und ich bin froh, in Haggenegg eine kleine Kapelle zu finden, die mir ein trockenes Plätzchen und Rast bietet. Die schwere Holztür ist mit einer geschnitzten Jacobsmuschel schön verziert, das schlichte Innere wird von einem Sandsteinkreuz dominiert. Dankbar lasse ich mich auf die eine Bank nieder, die sich in dem weißen Raum befindet. Die Regensachen breite ich zum Trocknen aus und atme erst einmal tief durch. Dieser Ort wirkt beruhigend und kraftgebend auf mich ein. Ich entzünde eine Kerze und versinke in ihr. Mein Herz wird groß und Frieden breitet sich aus. Ins Pilgerbuch schreibe ich: "Ich bin glücklich. Ich brauche nichts." Ja, so fühle ich mich in diesem Moment. Glücklich.
    Lange verharre ich hier. Etwas unwillig öffne ich lange Zeit später die schwere Holztür und trete hinaus in die reale Welt, in der es immer noch regnet und nebelig ist. Hinter mir schließt sich die Tür und der sakrale Zauber vergeht. Die Unbill der Natur verlangt jetzt wieder meine ganze Aufmerksamkeit. Ich will jetzt nur noch den Berg hinab nach Schwyz. Ich möchte ins Trockene, habe genug von der Nässe von oben und den Sturzbächen von unten. Meine Schuhe sind durch und quietschen bei jedem Schritt. Doch ich muss noch einige Kilometer über Stock und Stein durch nasskaltes Wetter waten. Irgendwann erhasche ich durch den Nebel einen ersten Blick auf den Vierwaldstädter See, kurz darauf liegt Schwyz vor mir. Damit ist es nicht mehr weit zum BackPacker Hotel "Zum Hirschen", das an diesem Abend ein kleines Zimmer für mich bereit hält. Tropfnass trete ich ein und werde herzlich willkommen. Hier versteht man den nassen Wanderer, mir wird beim Einchecken gleich Zeitungspapier für die nassen Wanderschuhe angeboten. Das finde ich prima. Bald klingt der Abend bei einer Kalbswurst, Pommes Frittes und einem Original Schwyzer Dunkelbier aus. Oder waren es zwei??
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