Satellite
Show on map
  • E1-95-CH Airolo [Gotthardpass] (22km)

    September 3, 2017 in Switzerland ⋅ ☁️ 15 °C

    Trans Swiss Trail (1)

    Dicke Regentropfen klopfen ans Fenster, doch sie sind es nicht, die mich wecken. Eher ist es ein wirrer Traum, der mir den Schlaf raubt, weit bevor es hell ist. Kaum bin ich wach, drehen sich sorgenvolle Gedanken um die Besteigung des Gotthardpasses. Sie bescheren mir ein zunehmendes Unwohlsein. Ziemlich bescheuert! Ich spüre genau, wie ich das Frühstück in die Länge ziehe, denn ich will einfach nicht los, der Berg flößt mir immer mehr Respekt ein, je intensiver ich an ihn denke. Noch nie bin ich alleine so hoch auf einen Berg gestiegen, wie ich es heute tun werde. Ich fühle, ich fürchte mich sogar ein wenig vor der heutigen Etappe. Doch es hilft nichts, ich muss jetzt los. Der Berg ruft!
    Vor der Tür des Hotels stelle ich fest, dass nach drei langen Tagen endlich der Dauerregen aufgehört hat. Dafür ist es jetzt bitterkalt hier oben. Doch da muss ich jetzt durch. Gut, dass ich Handschuhe und Buff dabei habe. Schon liegt die schmucke Einkaufsmeile des kleinen Wintersportorts hinter mir, da verläuft der Trail einem hohen Bergmassiv zu. Zweihundert Meter höher beginnt die Schneegrenze. Ist das schon der Gotthard, der vor mir liegt? Angesichts der hohen Felsen werde ich noch ein bisschen nachdenklicher. Ich fühle mich klein vor dem großen Massiv. Kurz vor dem Fuß des Berges biegt der Trail nach links, folgt der Reuss, die sich durch die Wiesen Richtung Hospental schlängelt.
    In Hospental wird an der Barockkirche Maria Himmelfahrt dem Wanderer die Entscheidung abverlangt, wohin er sich ab hier wenden soll. Für mich ist es klar: ich nehme den Weg Richtung Rom und der führt gleich über den Gotthard-Pass.
    Der uralte Pfad windet sich gemächlich über die Wiesen, immer höher geht es durch das grüne Tal hinauf, das von hohen Felsen begrenzt wird. In weiter Ferne ist ein sonderbares Gebäude zu sehen. Es ist noch ganz klein und ich kann nicht erkennen, was es sein könnte. Eine Kapelle vielleicht oder ein Mahnmal? Alles falsch! Als ich nah genug bin, erkenne ich es: ein riesiger Entlüftungsschacht ist es, genau unter mir verläuft nämlich der Gotthardtunnel.
    Ich gehe auf dem ersten Weg, der je über den Gotthard gebaut wurde. Auf groben Steinen konnte man fortan den Gotthard im Sommer zu Fuß überqueren, im Winter blieb der Pass weiterhin unpassierbar. Erst der Bau einer Straße in unmittelbarer Nähe des Trampelpfades machte die ganzjährige Überquerung mit Fahrzeugen möglich. Der Transitverkehr nahm zu und man brauchte eine größere Straße, die auf der Ersten gebaut wurde. Nun ging es viel schneller über den Pass. Doch bald reichte die Strasse nicht mehr. Zwei Tunnel wurden durch den Gotthard getrieben, seitdem haben die über den Pass führenden Straßen ihre ursprüngliche Bedeutung verloren.
    Touristen nutzen die beiden Straßen noch immer gerne, um zum Pass zu kommen und durch die Kurven zu brausen. Heute ist viel los auf den Straßen, denn es ist Sonntag und schönes Wetter. Glücklicherweise liegt der Trail ein Stück abseits der Straßen.
    Nach drei Stunden bin ich oben. Der Aufstieg war leichter als vermutet, das mulmige Gefühl unbegründet. Am Pass ist viel los. Überall parken Autos, Menschen laufen herum, besuchen das Museum, schießen Fotos, kaufen Bratwurst oder Souvenirs. Den Pass hatte ich mir anders vorgestellt - ruhiger und idyllischer. Ich bleibe nicht lange.
    Auf der Südrampe des St- Gotthard-Passes geht es nun die Tremola hinab. Die alte Passstraße mit ihren vierundzwanzig gemauerten Serpentinen gilt als der interessanteste Abschnitt der Etappe und ist das längste Baudenkmal der Schweiz. Der Trail verläuft quer zu den Serpentinen steil den Hang hinab. Ein Muskelkater ist nach diesem Abschnitt nicht auszuschließen.
    Irgendwann bin ich unten, jedenfalls fast. Vier Kilometer vor dem Etappenziel ist die Wegmarke weg und Else von Komoot quittiert mit tonloser Stimme: "Du hast die Tour verlassen, wirf einen Blick auf die Karte!". Was soll der Quatsch? Wo sie meint, das ein Weg sein sollte, ist nur Gebüsch. Hier gibt es keinen Weg. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Straße entlang zu laufen, wo Autos und Motorräder mir fast die Hacken abfahren und ich mich dicht an die Leitplanke drücken muss. Lebensgefahr für Fußgänger! Ich erreiche Airolo glücklicherweise ohne Schaden und finde sofort die Albergo Motto, die ich gestern so vergeblich in Andermatt suchte. Man begrüßt mich mit einem freundlichen "Buonasera". Richtig, im Tessin wird ja italienisch gesprochen. Ein Bärenhunger treibt mich ohne Verzug in die nahe Pizzeria, wo man draußen sitzt und den Sonntagabend genießt. Ich mache es ebenso und bald fühle ich mich inmitten des italienischen Stimmengewirrs wohl. Bei Pizza und Bier feiere ich meine Gotthardüberquerung.
    Read more