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  • E1-96-CH Cavagnago (32km)

    September 4, 2017 in Switzerland ⋅ ☁️ 15 °C

    Trans Swiss Trail (2) - Strada Alta

    Der Wecker reißt mich aus tiefsten Schlaf. Es ist sieben Uhr, wie ein Stein habe ich bis eben geschlafen. Am Frühstückstisch schaue ich, was heute dran ist. Der Trans Swiss Trail folgt nun bis Biasca für fünfundvierzig Kilometer dem Panoramaweg "Strada Alta" auf der sonnigen Seite des Valle Leventina. Es ist ein alter Verbindungsweg zwischen Bergdörfern. Es scheint ein ständiges auf und ab zwischen 1.000 bis 1.500 Höhenmetern zu werden. Die heutige Etappe soll eigentlich in Osca enden, doch erst ein paar Kilometer weiter finde ich in Cavagnago eine Übernachtungsmöglichkeit. Ein kurzer Mailverkehr sichert mir dort ein Zimmer. Für 18 Uhr melde ich mich in dem Privatquartier an.
    Auf, der Trail ruft! Die Strada Alta führt gleich bergauf zum ersten von vielen Bergdörfern, die sich wie Perlen auf der Schnur aneinander reihen. Ich komme heute durch Madrano, Brugnasco, Altanca, Ronco, Deggio, San Martino, Lurengo, Freggio, Osco, Calpiogna, Rossura, Tengia, Calonico, Anzonico und Cavagnago. Die Dörfer sind kaum voneinander zu unterscheiden, jedes besteht aus kleinen Häusern im Walser-Baustil. Bemerkenswert sind die alten Steindächer. Eine kleine Kirche steht in jedem Dorf, ein Brunnen davor. Hier scheint die Zeit still zu stehen, nur ein paar Autos zeugen hier und da von der Neuzeit.
    Die Strada Alta ist asphaltiert oder aus Schotter und einfach zu gehen. Das ändert sich aber nach fünfzehn Kilometern, als der Trail die Strada verlässt. Nun geht es auf einem Trampelpfad durch den Wald. Knorrige Wurzeln und rutschige Steine verlangen jetzt volle Aufmerksamkeit. Ein Stolpern könnte den Sturz in eine tiefe Schlucht bedeuten, der Pfad ist nur selten gesichert. Was für ein Glück, dass ich mich im letzten Moment doch noch für meine Bergstiefel entschieden hatte, die hier ihre Kompetenz unter Beweis stellen können.
    Osco hätte nach siebzehn Kilometern das Ziel dieser Etappe sein sollen, doch hier gibt es ja keine Unterkunft. Im Schatten der kleinen Kirche mache ich Kartenarbeit. Fünfzehn Kilometer liegen noch vor mir, fünf Stunden Fußmarsch sind es noch mindestens nach Plan. Mir ist heute morgen gar nicht bewusst geworden, wie weit es noch ist von Osco nach Cavagnago.
    Fünfzehn Uhr ist schon durch und für achtzehn Uhr bin ich in der privaten Herberge angemeldet. Bleiben also nicht fünf, sondern weniger als drei Stunden. Folglich muss ich jetzt mächtig auf die Tube drücken und das Wandern ausnahmsweise einmal nicht lustvoll, sondern effizient angehen. Stellt sich die nur Frage, wie? Die Antwort liegt nahe: schneller gehen, keine Pausen.
    Dafür braucht es jetzt eine Extraportion Kohlehydrate, eine Banane wird mich bis zum nächsten Bergdorf Rossura befeuern. Ich gebe Gummi und fliege über den Trail, Bäche und Wasserfälle huschen vorbei, ohne dass ich sie richtig wahrnehmen kann. Nach einer Weile beginne ich zu torkeln, der Glykogenspeicher scheint leer zu sein. Ich muss rasten und Atem schöpfen. Bei der Gelegenheit gibt es einen Apfel, dazu ein trockenes Brötchen. Damit ist der Speicher wieder gefüllt und es kann weiter gehen. So sehr ich eile, die Zeit verrinnt schneller. Auf dem Trail komme ich nicht schnell genug voran. Als der Waldpfad das nächste Mal die Straße kreuzt, bleibe ich auf der Strada. Tatsächlich komme ich hier schneller voran, aber dafür brennen mir bald die Füße. Asphalt ist halt eine arge Belastung für Gelenke und Sehnen. Bald ist die Energie wieder dahin, ohne Pausen geht es einfach nicht. Nun hole ich aus dem Rucksack als letzte Reserve eine große Rolle "Original Chocoly" von Wernli, die seit dem Einkauf am Zürichsee im Gepäck schlummert. Im Nu verdrücke ich Keks um Keks, jeder mit leckerer Schokolade gefüllt. Nur den allerletzten Keks bringe ich nicht mehr herunter. Nun bin ich mit neuer Energie für den Endspurt versorgt. Noch drei Kilometer! Ich eile weiter auf der so unendlich lang erscheinenden Straße, die jetzt auch noch ansteigt. Ich mobilisiere die letzten Kräfte. Ein Bus stoppt neben mir, ich hatte ihn gar nicht beachtet. Die Bustüren öffnen sich, der Fahrer beugt sich vor, macht Zeichen. Und endlich verstehe ich: ich soll einsteigen. Wie nett von ihm. Ich mache es nur zu gerne! Es sind nur wenige Augenblicke, da hält der Bus schon in Cavagnago. Als Dank für das Mitnehmen bekommt der Busfahrer den letzten Chocoly-Keks. Er freut sich und meint lächelnd: "ein Wernli teilt me gernli".
    Es ist 18:30 Uhr, ich habe es trotz höchster Eile nicht pünktlich geschafft. Doch das macht nichts, wie sich heraus stellt. Ich hätte auch langsamer machen können. Die Unterkunft ist ein Glücksgriff, denn ich darf in einem dieser uralten Walser-Haus übernachten, das nun ein möbliertes Appartement ist. Der Pferdefuß: heute muss ich mich mal selbst versorgen, das Restaurant im Dorf hat Ruhetag. Kein Problem, im Rucksack habe ich für den Fall der Fälle eine Portion Trek'n Eat dabei.
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