Norway
Søtjørna

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Travelers at this place
    • Day 45

      Røros - Klinkenveien

      July 14, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 11 °C

      Während ich am Vorabend das letzte Fiege vorm Nordkap trinke, klingelt das Telefon. Flo ruft an. Das kann eigentlich nur einen Grund haben. Und so ist es auch. Seit gestern Abend hat die Höhenbergstraße 64 eine neue Mitbewohnerin. Die kleine Marta ist gestern zur Welt gekommen. Was für eine tolle Nachricht und wie gut, dass ich gerade ein besonderes Getränk zur Hand habe. Die letzten Schlucke trinke ich auf Flo, Julia und Marta.

      Es dauert nicht so lange bis ich einschlafe. Mein neues Zimmer ist ruhig gelegen. In der Nacht werde ich nur zweimal kurz wach, schaffe es aber sofort, wieder einzuschlafen. Das hab ich richtig gebraucht. Nach der Dusche geht es runter zum Frühstück. Heute gibt es frisch gemachte Pancakes mit Ahornsirup, dazu frische Blaubeeren und Himbeeren. Auch sonst ernähre ich mich heute Morgen hauptsächlich von kleinen Croissants und Marmelade und Marzipancroissants. Und plötzlich höre ich wieder das Lied von gestern. Silver Lining von First Aid Kit. Das Lied kenne ich bereits seit einigen Jahren aus einem wunderschönen Gleitschirmvideo (Weightless von Jean-Baptiste Chandilier). Ich glaube jeder Gleitschirmflieger kennt diesen Song und natürlich das Video. Ich mag einfach den Refrain so sehr. „Won’t take the easy road.“ Das Lied hat mich damals zum Beginn meiner Selbstständigkeit, wo ich sehr oft mit Zweifeln gekämpft habe, immer wieder bestärkt. Die vermeintliche „Easy Road“ war damals meine Festanstellung in wechselnden Unternehmen. Aber dass ich selbstbewusster wurde, mich glücklich und frei gefühlt habe, fing erst an, als ich meinen eigenen, sicherlich nicht immer einfachen Weg gegangen bin. Ich glaube das ist auch das, was Niklas vor einigen Tagen in seiner Sprachnachricht als unpopuläre Entscheidungen tituliert hat. Und auch diese Reise hier durch Norwegen ist sicher alles andere als eine „Easy Road“. Im Berufsleben hat mich der einfache Weg der Festanstellung unglücklich gemacht. Hier auf meiner Reise hat die Easy Road meinen linken Fuß kaputt gemacht.

      Während das Lied läuft, google ich den Songtext. Teile davon kenne ich, aber so ganz bewusst hab ich ihn noch nie für mich übersetzt. Auch die Bedeutung von Silver Lining war mir bis heute fremd. Es geht wohl darum, dass mit etwas Schlechtem auch immer etwas Gutes verbunden ist. „Something good comes with the bad, a song's never just sad, there′s hope, there's a silver lining.“ Ich kann wieder gar nicht genau sagen, was los ist. Aber der Songtext berührt mich sehr und ich bekomme feuchte Augen. Der Blick aus dem Fenster ist ziemlich trist. Alles ist grau und verregnet. Trotzdem freue ich mich total, dass ich heute endlich weitergehe. So schön der Luxus eines Hotels und die vielen Möglichkeiten zum Einkaufen sind, sie tragen nicht dazu bei, sich frei zu fühlen. Dieses Gefühl, mit allem, was man bei sich trägt, mitten in der Natur und unabhängig zu sein, zumindest für ein paar Tage, vermisse ich jetzt schon wieder.

      Auch eine andere Zeile des Liedes beschäftigt mich: „These shackles I′ve made in an attempt to be free“ (Die Fesseln, die ich mir angelegt habe, bei dem Versuch, frei zu sein). Das erinnert mich wieder an den Anfang der Reise, wie ich mit großen Erwartungen an meinen Film gestartet bin. Ich bin nicht sicher, was das Lied genau aussagen möchte. Vielleicht mag ich es einfach deswegen, weil ich einige Zeilen daraus für mich uminterpretieren kann. Auf jeden Fall glaube ich, dass wir alle mit mehr Fesseln durch die Gegend laufen als uns bewusst ist. Die Fesseln, die uns ständig sagen, dass etwas nicht geht, weil…, oder dass wir etwas nicht machen können, weil…. Am Ende ist die Fessel oft nur in unserem eigenen Kopf. Dass mich das Lied so berührt, liegt in diesem Moment ziemlich sicher daran, dass mir wieder einmal bewusst wird, dass ich einige dieser Fesseln los geworden bin. Mit dem Start in meine Selbstständigkeit, aber auch mit dem Entschluss, diese Reise zu machen. Auch wenn ich dazu sagen muss, dass ich die Fesseln oft nicht allein gelöst habe, sondern ein einfaches „mach das doch, das bekommen wir schon irgendwie hin“ von Nicole oft vieles in Bewegung gesetzt hat. Es ist doch eigentlich verrückt, dass wir die Dinge, die wir tun wollen, so oft vor uns her schieben und dafür dauerhaft etwas tun, was wir eigentlich nicht wollen. Meist motiviert durch unser Bedürfnis nach Sicherheit. Sicherheit, getarnt als „Easy Road“.

      Dann belege ich mir noch zwei Semmeln großzügig mit Schinken und Käse. Also richtig großzügig! Gemeinsam mit einem hart gekochten Ei wandern diese, eingerollt in eine Serviette, in meine Hosentasche. Das wird mein heutiges Mittagessen. Zurück im Zimmer brauche ich nicht lange bis alles gepackt ist. Mit dem neuen Rucksack muss ich allerdings etwas überlegter packen, da der Platz nun doch begrenzt ist. Dafür ist dann aber alles kompakter und fest verstaut. Mein aktuelles Gepäck hätte ich in meinen alten Rucksack einfach hinein werfen können und er wäre nur zu zwei Drittel voll gewesen.

      Um kurz vor neun verlasse ich das Hotel. Es regnet immer noch leicht, warum ich im Hotel gleich die komplette Regenmontur angezogen habe. Am Anfang muss ich durch die vielen kleinen Straßen und kleinen Pfade zwischen den Häusern navigieren, bis ich auf meinem Hauptweg bin. Hier geht es weiterhin bei leichtem Regen eine Schotterstraße entlang, die ich nach einigen Kilometern über einen Pfad verlasse. Dieser ist dicht bewachsen und scheinbar nicht so oft begangen. Nach einiger Zeit stelle ich fest, dass ich meine eigentliche Route versehentlich verlassen habe. Aber die Dichte an Pfaden ist so hoch, dass ich mir spontan einen anderen Weg suche und an einer privaten Hütte wieder herauskomme. Von hier aus geht es erneut über die Schotterstraße, um dann wieder in einen Pfad abzubiegen. Diesmal ist dieser teilweise gar nicht mehr sichtbar aber dank App finde ich den Weg immer wieder.

      Heute bin ich mit meinen Laufschuhen unterwegs. Am Anfang hat der linke Fuß noch gemeckert. Mittlerweile läuft es sich aber ganz gut. Nur auf dem Asphalt und auf harten Schotterstraßen merke ich doch, dass nicht alles rund ist. Nach einigen Kilometern auf dem zugewachsenen und nassen Pfad fühlen sich meine Füße doch etwas nass an. Ich glaube, meine Erwartungen an Gore-Tex sind einfach zu hoch. Erst vor ein paar Jahren bin ich auf der katholischen Kirche ausgetreten und jetzt verliere ich den Glauben an Gore-Tex. Wo soll das noch hinführen?! Das Schöne an meinen Laufschuhen ist aber, dass sie nach einigen Kilometern auf der Straße auch innen wieder getrocknet sind. Scheinbar sind sie doch atmungsaktiv und haben nur mal versehentlich etwas Wasser geschluckt.

      Dann erreiche ich Glåmos. Ich sehe, dass es hier einen Supermarkt gibt. Hier könnte ich Mittagspause machen und mir noch irgendwas leckeres kaufen. Aber ich habe in den letzten Tagen genug leckeres Zeug gekauft und entschließe mich, den kleinen Umweg zum Supermarkt nicht zu machen. Es geht noch einmal von der Straße weg über einen Feldweg, dann bin ich wieder zurück auf der Straße. Um 13:00 Uhr mache ich eine Pause am Straßenrand. Kein schöner Ort aber ich habe Hunger. Ich esse die belegten Semmeln und das gekochte Ei und mache mich nach 20 Minuten wieder auf den Weg. Noch sechs Kilometer und ich habe mein Tagesziel erreicht. Ich bin mir aber jetzt schon sicher, dass ich noch weitergehen werde. Die Straße führt entlang an einem See und immer wieder an Häusern vorbei. Hier wird es schwer werden, ein Platz zum Zelten zu finden. Außerdem ist es noch früh und für die jetzt schon geleisteten Kilometer fühle ich mich noch ziemlich fit. Der deutlich leichtere und kompaktere Rucksack und die Laufschuhe sind echt ein Traum. Der Regen hat mittlerweile aufgehört. Wenn überhaupt waren es meist eh nur ein paar Tropfen. Jetzt wird es zunehmend heller und sogar die Sonne kommt heraus. Ich mache kurz halt, um Regenjacke und Regenhose auszuziehen, in denen es jetzt schnell warm geworden ist. Wenn ich heute wirklich weiter gehen möchte als mein Tagesziel, stehen jetzt zehn Kilometer Straße auf dem Programm. Auf der einen Seite hab ich keine Lust darauf, auf der anderen Seite bin ich froh, wenn ich die weg habe. Die ersten fünf Kilometer sind kurzweilig, weil ich mit meiner Schwester telefoniere. Auch sie macht sich morgen mit ihrem Camper auf den Weg nach Skandinavien. Nach 5 km schmerzen meine Füße und ich muss eine Pause machen. Ich setze mich auf einen abgelegten Baumstamm. Es dauert nicht lange, dann fängt es plötzlich deutlich an zu regnen. Ein paar Meter weiter ist ein kleines Wellblechdach, unter dem altes Holz gelagert ist. Hier mache ich es mir soweit es geht bequem und möchte hier warten bis der Regen vorbei ist. Stanley schreibt mir. Ich hatte ihm wenige Minuten zuvor eine Schätzung für ein Angebot für einen Film genannt. Das wäre ein spannendes Projekt, bei dem ich den Film produzieren und Stanley die Musik produzieren würde. Anstatt zurück zu schreiben, rufe ich einfach zurück. Eigentlich möchte ich mich hier nicht mit Arbeit auseinandersetzen. Aber das hier wäre ein spannendes Projekt und eine coole Zusammenarbeit. Und mit Stanley zu telefonieren fühlt sich eh nie wie Arbeit an. Wir bereden etwas das Angebot, was Stanley abgeben möchte und dann erzähle ich noch etwas von Norwegen. Dann kommt die Sonne wieder raus und ich mache mich auf den Weg. Das ist echt Aprilwetter heute.

      Kurz nach dem ich losgegangen bin, klingelt mein Handy schon wieder. Eine deutsche Handynummer, die ich nicht kenne. Es ist ein Forstwirt, dem ich von einem meiner ersten Kunden empfohlen wurde. Er benötigt kleinere Videos und Fotos, leider aber schon bis September. Ich schicke ihm dafür einen Kontakt, der ihm vielleicht weiterhelfen kann. Jetzt ist aber genug mit Arbeit. Die Pause hat meinem linken Fuß gut getan und die weiteren Kilometer laufen sich den Umständen entsprechend gut. Die Sonne scheint wieder und ich bin so unfassbar froh über meine Rucksack-Schuh-Kombination. Das ist jetzt ein ganz anderes Vorankommen. Dann ich erreiche die Stelle, wo mein Pfad von der Straße abbiegt. Ich erkenne die Stelle sofort. Bei meiner Routenplanung habe ich hier bei Google Street View geschaut, ob wirklich ein Pfad abgeht. Mittlerweile bin ich 31 km gelaufen und fühle mich nicht annähernd so müde und platt wie sonst.

      Von hier aus geht es ins Gelände. Allmählich geht es bergauf, immer entlang an einem breiten Bach. Was mich hier etwas stört, ist, dass an vielen Stellen Schaumbildung im Bach ist. Etwas Schaum würde mich nicht so sehr stören, aber diese Menge ist mir für einen Trinkwasserbach zu viel. Ich gehe weiter bergauf. Steil ist es wirklich nicht, dennoch habe ich bald die Baumgrenze erreicht. Auch das hier ist eine Art Hochebene. Aber es sieht irgendwie anders aus als in der Hardangervidda. Es ist schön, endlich wieder diese Weite vor mir zu haben. Noch gibt es viele sumpfige Abschnitte. In der Ferne sehe ich, dass die sumpfigen Abschnitte mit zunehmender Höhe weniger werden. Laut Karte soll ich auch noch einige Bäche queren. Der dritte Bach ist deutlich weniger schaumig. Hier finde ich auch eine halbwegs ebene Stelle, wo ich mein Zelt aufbaue. Über 35 km bin ich bisher gelaufen und fühle mich überraschend fit. Natürlich spielen die Erholungstage hier eine Rolle. Aber vor allem verdanke ich meine heutige Leichtigkeit den neuen Schuhen und dem leichteren Rucksack.

      Als ich das neue Zelt aufbaue, nähert sich eine dunkle Wolkenfront. Es sind noch nicht alle Heringe im Boden, als es stark anfängt zu regnen. So schnell es geht packe ich alles in den Zeltvorraum. Und dann klettere ich selbst ins Zelt. Der Einstieg ist deutlich niedriger als bei meinem letzten Zelt. Auch das Raumangebot ist deutlich weniger. Der Regen ist direkt ein guter Test. Mir fallen gleich ein paar Dinge auf, die mir in diesem Zelt nicht so gut gefallen. Zum Beispiel braucht es wirklich nicht viel Wind, dass Außen- und Innenwand sich berühren. Ob das ein Nachteil wird, wird sich zeigen. Auch das Vorzelt ist deutlich voller. Vorher hatte ich zwei Vorzelte und einen deutlich größeren Innenraum. Hier konnte ich meinen Rucksack immer gut verstauen. Jetzt liegt er im Vorraum ein wenig im Weg. Aber das alles sind Kompromisse, auf die ich mich eingestellt habe. Das hier ist mit Sicherheit nicht das Zelt, was mich dauerhaft in den nächsten Jahren auf weiteren Reisen begleiten wird. Aber für diesen Trip ist es ein guter Kompromiss. Ich weiß nicht, wie ich in einigen Tagen oder Wochen darüber reden werde, aber im Moment gehe ich lieber abends den Kompromiss mit dem Zelt ein und komme dafür tagsüber deutlich leichter voran.

      Der Regen hört schon bald wieder auf und ich hole Wasser am Bach, um zu kochen. Das Chicken Tikka Masala schmeckt mir heute überraschend gut. Dazu gibt es noch einen Kaffee. Ich habe das Gefühl, einen ganz leichten Schnupfen zu haben. Was warmes kann da nicht schaden. Jetzt bin ich gespannt, wie ich die erste Nacht im Zelt schlafe.
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    You might also know this place by the following names:

    Søtjørna, Sotjorna, Søtjønna

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