Norway
Trolltjønnbekken

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Travelers at this place
    • Day 18

      Hikers High

      June 17, 2023 in Norway ⋅ ⛅ 19 °C

      Gestern Abend schon machte sich eine kleine Verspannung bemerkbar. Damit habe ich zu Hause häufiger zu kämpfen. Von der rechten Schulter zieht es direkt in die rechte Schläfe. Es ist aushaltbar, aber kostet mich doch einiges an Schlafqualität. Dennoch hat es gut getan, mal eine Nacht unter einer Bettdecke zu verbringen und sich frei bewegen zu können.

      Am Morgen habe ich keine Eile. Apotheke und Intersport machen erst um 10:00 Uhr auf. Kurz nach acht gehe ich runter zum Frühstück. Es ist überschaubar, aber am Ende alles da, was man braucht. Schnell finde ich das Früchtemüsli und heißes Wasser. Ne, nicht wirklich! Heute gibt es all das, was ich sonst so nicht habe. Brot mit Käse, Brot mit Marmelade, zwei gekochte Eier, Erdbeerjoghurt und ein paar Tassen Kaffee, die deutlich näher am guten Kaffee sind als sonst mein Instantkaffee, über den ich mich trotzdem jeden Morgen im Zelt freue.

      Während ich frühstücke, schreibe ich dem Hotel auf Google eine fünf Sterne Rezension. Die vielen schlechten und mittelmäßigen Rezension ärgern mich. Was erwarten die Leute von einem Hotel der untersten Preisklasse? Ich schreibe, dass das hier nicht das Ritz Carlton ist, aber sicherlich ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Dass die Inhaber super freundlich sind, und dass die Zimmer wirklich sauber sind. Die etwas eklige Spülbürste verschweige ich.

      Nach dem Frühstück gehe ich zurück aufs Zimmer. Mein Rucksackinhalt ist im gesamten Raum verteilt. Dazu mache ich etwas, was ich sonst nicht so gerne mag, nämlich Musik aus dem Handylautsprecher hören. Aber auf Kopfhörer habe ich keine Lust und das Zimmer verfügt leider nicht über eine Dolby Surround 5.1 Multimediastation. Deswegen gibt es von mir auch einen Stern Abzug. Und weil beim Frühstück der Kaviar aus war.

      Ich höre eine Playlist, die ich mir mal für längere Autofahrten zusammengestellt habe. Spotify bietet an, zufällig weitere Songs in die Liste zu mischen, die zu meinem Profil passen. So läuft plötzlich Dire Straits „Iron Hand“. Ich nehme mir vor, später oben im Fjell mehr Songs von den Dire Straits zu hören. Dann aber über Kopfhörer.

      Mit Dire Straits verbinde ich einfach viel. Zum ersten Mal habe ich in der Oberstufe ihre Lieder gehört. Micha, mit dem ich Mathe- und Sportleistungskurs hatte, hat mir damals die Welt rund um Mark Knopfler eröffnet. Aber nicht nur das. Als begnadeter Gitarrenspieler hat mir damals die ersten Akkorde und Lieder auf der Gitarre beigebracht. Wir hatten sogar mal einen gemeinsamen Auftritt im Rahmen einer Chorveranstaltung seiner Mutter Christel. Ich weiß noch, wie ultra angespannt ich damals war. Obwohl ich auch zu der Zeit mit starken Ängsten zu kämpfen hatte, mich vor Leuten zu präsentieren, hab ich mich aus irgendeinem Grund dann doch immer wieder solchen Aufgaben gestellt. Angespannt und mit zittrigen Händen habe ich Micha zweimal am Klavier und zweimal an der Gitarre begleitet. Ich weiß nicht mehr genau, ob 50 oder 100 Leute im Publikum saßen. Ab drei Leuten aufwärts machte das für mich sowieso keinen Unterschied. Es wurde applaudiert, Unterwäsche flog aber nicht auf die Bühne. Deswegen sind wir dann auch nicht mehr zusammen aufgetreten. Vielleicht wäre es nun an der Zeit für ein Comeback. Micha und Max reunited. Also musikalisch. Weil sonst sind wir ja noch united.

      Als ich fertig gepackt habe, mache ich mich gleich auf den Weg zum Supermarkt. Ich muss meine Vorräte für die kommenden fünf Tage auffüllen. Als ich den Supermarkt betrete, läuft „What It Is“ von Mark Knopfler, eines meiner Lieblingslieder. Ich hab fast etwas Pippi in den Augen. Wie geil ist das denn? Ich kaufe Müsliriegel, Nussmischung, Müsli, aber kein Früchtemüsli und mach mich dann auf den Weg zur Apotheke und Intersport. Hier besorge ich mir Ibuprofen, Trekkingnahrung, vorsichtshalber eine Gas-Kartusche, weil ich nicht weiß, ob in meiner noch ausreichend Gas für fünf Tage ist, und zwei kleine Karabiner, um mein Solarpanel einfacher befestigen zu können.

      Um 10:45 Uhr habe ich alles, was ich brauche und mache mich auf den Weg. Es gibt zwei Möglichkeiten, um in die Hochebene zu kommen. Ein wohl eher anspruchsvoller Pfad, der sehr direkt nach oben geht und ein eher einfacher Pfad, der in vielen Serpentinen unterhalb der Seilbahn nach oben führt. Tobi hat mir gestern noch die einfachere Variante empfohlen. In Summe läuft man einen Kilometer mehr, kommt dafür aber unkompliziert nach oben.

      Der Weg liegt die meiste Zeit im Schatten. Doch da, wo die Sonne hin scheint, ist es drückend heiß. Obwohl es noch früh ist, stehen bereits die ersten Wolken am Himmel. Ich hoffe, das ist nicht das gleiche Spielchen wie in den vergangenen Tagen. Auf halber Strecke nach oben mache ich eine Pause. Die Verspannung in der Schulter und die damit einhergehenden Kopfschmerzen in der rechten Schläfe sind nun deutlich stärker geworden. Kombiniert mit der Anstrengung in der Hitze ist das eine echt fiese Mischung. Ich trinke einen halben Liter Wasser und warte, bis der Puls wieder unten ist. Dann gehe ich weiter. Vom Warten werden die Kopfschmerzen auch nicht besser. Oft löst sich diese Verspannung, die ich immer in der rechten Schulter habe, wenn ich mich bewege. Heute ist der Trend eher umgekehrt. Dennoch habe ich insgesamt sehr gute Laune. Als ich oben bin, sehe ich an der Bergstation eine Art Panorama-Café. Hier darf ich meine Wasserreserven noch einmal füllen. Einen Liter trinke ich direkt.

      Von nun an geht es nicht mehr so steil weiter. Es sind noch ein paar Höhenmeter zu überwinden, aber eine halbe Stunde später bin ich in der Hardangervidda angekommen. Eine unbegreifliche Weite tut sich vor mir auf. Hier Entfernungen zu schätzen ist richtig schwierig. Die Pfade sind fest und steinig. Das hier ist genau mein Gelände. Ich gehe eine Weile und mache dann spontan eine Pause. Die Kopfschmerzen werden immer schlimmer. Ich werfe gleich zwei Ibuprofen ein und esse die restlichen Stücke von meiner Pizza. Eigentlich hatte ich mich darauf besonders gefreut, jetzt habe ich aber gar nicht so einen großen Hunger. Das letzte Stück schaffe ich nicht. Mir wird fast ein wenig übel.

      Ich lehne mich an ein Fels und versuche etwas, die Augen zuschließen. Tatsächlich döse ich nach einiger Zeit etwas weg. Die Schulter wird besser und die Kopfschmerzen lösen sich langsam auf. Das Wetter ist übrigens wunderschön. Der Himmel ist voller Schäfchenwolken und nicht eine davon macht den Eindruck, dass sie überentwickeln könnte. Heute ist das Wetter tatsächlich wie vorhergesagt. Die nächsten drei Tage soll es erst bedeckt und dann zwei Tage richtig regnerisch werden. Dann versuche ich, das schöne Wetter heute noch einmal besonders zu genießen.

      Die Kopfschmerzen sind weg. Jetzt ist Zeit für Dire Straits. Ich habe, mit heute morgen dazu gerechnet, seitdem ich unterwegs bin erst drei mal Musik gehört. Beim Wandern selbst habe ich noch gar nichts gehört. Normalerweise mag ich es auch lieber, die Natur um mich herum zu hören. Der „Musikentzug“ sorgt dafür, dass wenn man dann mal was hört, es etwas ganz besonderes ist. Und heute ist was besonderes. Ich starte in die Hardangervidda, was vor einigen Tagen noch gar nicht denkbar gewesen wäre.

      Was jetzt passiert, kenne ich so nur vom Marathon und dem Training dafür. Beflügelt durch die Musik wandere ich zügig durch diese atemberaubende Kulisse. Jeder Schritt sitzt, auch in steinigem Gelände und hohem Tempo. Ich muss mich teilweise zügeln, nicht ins Laufen zu geraten. Den Rucksack merke ich fast nicht. Alles ist perfekt. Kein störendender Gedanke in meinem Kopf, keine Wünsche, keine Sehnsucht. Ich fühle mich, als könnte ich in diesem Tempo ewig weitergehen. Es ist ein totaler Flow und nichts kann mich aufhalten. Die Beine bewegen sich von allein und alles was ich spüre ist pures Glück, tiefe Zufriedenheit und einen Hauch Melancholie. Denn dass gerade alles so ist wie es ist, das zu erkennen, macht emotional.

      Diesen Zustand kenne ich nur vom Laufen. Das Runners High! Lange hatte ich nur davon gehört, irgendwann mit fortschreitendem Training und länger werdenden Distanzen durfte ich es dann immer wieder erleben. Meist hält es nur ein paar Kilometer. Es ist wie ein Boost, den man zünden kann. Tatsächlich bei mir oft ausgelöst durch Musik. Auch beim Marathon habe ich Musik nur ganz bewusst eingesetzt, um etwas zu haben, wenn es zäh wird. Ab Kilometer 30 oder 35, wenn du denkst es geht nichts mehr, dann drücke ich auf Play und der Körper reagiert als sei er gedopt!

      Hier erlebe ich heute mein erstes Hikers High. Über eine Stunde „fliege“ ich durch diesen wunderschönen Nationalpark. Ich gehe immer weiter und ich will nicht, dass dieses Gefühl endet. Erst als es dann deutlich steiler wird, mache ich eine Pause und freue mich über die vergangenen 80 Minuten. Das war Wahnsinn!

      Nach einer Trinkpause am Bach geht es dann „normal“ weiter. Die Kopfhörer verstaue ich wieder im Rucksack. Es geht weiter bergauf über einen Bergsattel. Auf der anderen Seite macht sich ein ganz neuer Blick über eine riesige Seenlandschaft auf. Und wieder fällt es mir unglaublich schwer, diese Weite zu erfassen. Ich mache noch eine kurze Pause und genieße die Aussicht.

      Von nun an wird es wieder deutlich sumpfiger und nasser. Eine Stunde lang versuche ich, Pfützen auszuweichen und sumpfige Abschnitte zu umlaufen. Je näher ich an den großen See komme, desto mehr Mückenschwärme scheuche ich auf. Zum Glück versuchen nur wenige, auf mir zu landen. Nach heute gelaufenen 25 km komme ich an eine schmale Schotterstraße, wo in der Umgebung einige Hütten verteilt stehen. Verkehr gibt es hier keinen. Die Straße gibt es vermutlich zum einen wegen der Hütten hier, zum anderen wegen des großen Stausees. Von hier würde mein Weg weiter gerade aus über einen Pfad führen. Tobi hatte mich aber vorgewarnt, dass der Weg ab hier „ein einziger Scheiß“ sei. Nur Sumpf! Da ich mittlerweile echt kein Sumpffan bin, folge ich der Schotterstraße. Der Weg ist fast zwei Kilometer länger, am Ende aber wahrscheinlich angenehmer und schneller. Und die Landschaft drumherum ist hier ja ebenso schön.

      Jetzt gibt es noch zwei Herausforderungen. Ich muss Wasser finden und Handyempfang. Um 20.00 Uhr bin ich mit meinen Bochumer Jungs zum Zoom verabredet. Eine Tradition, die wir aus Corona behalten haben. Alle paar Samstage treffen wir uns digital auf ein Bierchen. Oft sind wir nur zu dritt oder zu viert. Aber immer wieder auch mal mehr. Vor allem für Klemens, der in Boston lebt und mich in Bayern ist das eine super Gelegenheit, aktiven Kontakt in die Heimat zu halten.

      Je weiter ich der Schotterstraße folge, je öfter fehlt das Handynetz komplett. Wasser finde ich nach 2 km aus einem kleinen Bach, der rechts vom Berg kommt. Als ich mal einen Balken LTE habe, rufe ich Klemens zum Test über WhatsApp an. Erst klappt es super, nach kurzer Zeit ist die Verbindung weg. Ich gehe noch weiter. Ein oder zwei Kilometer sind noch drin. Mehr schaffe ich heute aber nicht. Nachdem das Netz die meiste Zeit zwischen „E“ und nicht vorhanden wechselt, habe ich an einer Stelle nochmal einen Balken LTE. Ich halte das Handy in die Luft und es werden zwei Balken draus. Klingt doof, aber ich habe schon oft festgestellt, dass ich liegend im Zelt wenig Empfang habe, dieser aber besser wird, wenn ich das Handy nach oben halte.

      Ich gehe seitlich der Straße den Hang hoch. Drei Balken LTE aber nicht eine Möglichkeit, mein Zelt aufzustellen. Erst als ich noch mal 50 Meter den Hang hochgehe, finde ich einen Platz, der nicht ideal ist aber für heute reichen soll. Es ist genau 20.00 Uhr, ich wähle mich ein. Es funktioniert! Trotzdem baue ich erstmal mein Zelt auf. Ich will Feierabend haben. Und dann quatschen wir wie immer. Schmiddi in Essen, Klemens in Boston und ich in der Hardangervidda. Später kommen noch Sören und Willi dazu, dass auch Bochum vertreten ist. So sehr ich das Alleinsein hier genieße, so schön ist es zwischendurch dann mal, Kontakt in die Heimat zu haben. Zu Freundschaften, die seit Jahrzehnten bestand haben und hoffentlich noch Jahrzehnte Bestand haben werden. Aber darüber mache ich mir gar keine Sorgen!

      Diesmal bleibe ich aber nicht bis zum Ende im Zoomcall. Ich muss dringend noch eine Waschstelle finden. Die Haut klebt und ich will mich noch einmal richtig waschen. 50 m vom Zelt finde ich eine Schmelzwasserpfütze. Dann ist es Zeit fürs Bett, das heute wieder etwas schräg ist. Aber heute ging Internet vor! Danke Jungs! :-)
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