Da schwappt mir der Kaffee aus der Tasse
January 11, 2020 in Puerto Rico ⋅ ☀️ 28 °C
Ich habe einige Zeit überlegt ob es richtig ist über Trauer und Leid zu schreiben wenn es mich im großen gar nicht selbst betroffen hat. Wie oft sehen wir die Nachrichten und hören über Katastrophen die andere Teile der Welt heimgesucht haben. Eine Flut hier, ein Hurrikan da. Ein Erdbeben das Nächte lang Menschen auf der Straße schlafen lässt weil sich keiner mehr in das eigene Haus traut. Tagelang Stromausfall. Mein Schutzengel hat bislang immer dafür gesorgt dass es irgendwie problemlos weiter ging. Ich erinnere mich nur zu gut wie vor Jahren einmal in China im ganzen Stadtteil das Wasser fehlte und wir bis hin zu leeren sauberen Mülleimern und Schüsseln mit allem was wir hatten am Tankwagen standen weil nicht absehbar war wie lang das andauert. Es ist hilfreich diese Ungewissheit einmal zu erleben wenn man weiß auf was man sich einlässt.
Anders sieht das aus wenn einem mit dieser Ungewissheit einher die Lebensgrundlage verschwindet. Zwei Ereignisse sind mir dazu all zu gut in Erinnerung. 2017 reiste ich in den Oman. Da wollte ich ursprünglich bereits schon einmal in die BVI. Hurrikan Irma zerstörte kurzerhand die Flughäfen und alles andere drum herum in den Islands. Kein Dach war mehr auf seinem Haus. Kein Blatt war mehr an seinem Baum. Und meine Schwester war damals mitten drin....Heute erinnern nur wenige Häuser an das katastrophale Ausmaß. Ein paar Boote sind stumme Zeitzeugen und liegen im Hafen. Sie liegen wohl für immer so wie sie der Sturm zurück gelassen hat. Korallen und Mangroven sind genauso schwer beschädigt oder gar unwiederbringlich zerstört. Eine Versicherung ist für die Menschen vor Ort damals wie heute oft unbezahlbar. Jährlich kommen wieder neue Stürme. Mit ihnen die Ungewissheit. Die Menschen haben zusammen gehalten und sehr viel nach ihren Möglichkeiten wieder aufgebaut. Sie meinen - es ist passiert, was willst du jetzt darüber reden was damals an Fehlern gemacht oder bis heute versäumt wurde. Der Medienzirkus kam und ging. Beim Aufbau mit angepackt hat keiner. Die eigene Zeit, Mittel und Ressourcen sind auf einer Insel jedoch begrenzt. All das kann bereits morgen wieder vernichtet sein.
Hinzu kommt der Fakt das Leben gleicht hier einem Tanz auf dem Vulkan. Die Region um Puerto Rico ist weniger für spektakuläre Ausbrüche als vielmehr kleine fieße Erdbeben bekannt. Das öffentliche Leben leidet darunter genauso. Zwei Tage vor unserem Rückflug gab es in Guanica an der Südküste Beben mit 6,8 und mehr. Ich war zuversichtlich und änderte nicht meine Reisepläne allein von dem was ich aus den Nachrichten wusste. Stromausfall auf der ganzen Insel, das öffentliche Leben ist weitgehend zum erliegen gekommen, das Militär ist im Einsatz um vor Ort zu helfen...und der erste Tag im Regenwald Verlief ja entsprechend gut. Nach nur zwei Tagen war größtenteils der Strom wieder her gestellt. Unsere Kajak tour im Mondschein war davon ebenso unabhängig. Die Hausdame bei der Zimmervermietung meinte - hier hast du Taschenlampen wenn der Strom wieder weg ist. Ihr Haus würde immer mal wackeln. Da es aber auf Holzpfählen gebaut ist gleicht es das gut aus und fällt nicht ein... wie beruhigend. In der Nacht wackelt das Bett. Am Morgen beim Frühstück kommt eine andere Stoßwelle und schwankt dass der Kaffee aus der Tasse schwappt. Kleine Nachbeben. Wie die Frau bereits meinte... Doch sogar meine Schwester spürte es diesmal auf ihrer hunderte Kilometer entfernten Insel und wollte wissen dass es uns gut geht. Und nun führte uns unser Ausflug direkt an den Rand des Geschehens nach Ponce. Ich will keinen Katastrophentourismus unterstützen. Oft läuft man.von ganz allein in das Unheil. Von den Erzählungen der Einheimischen gingen wir davon aus die Stadt sei genau so wenig betroffen wie die Osthälfte der Insel am Tag zuvor... wie Schaufensterdekoration wirken am Anfang fein säuberlich umgefallene Kartons. Irgendwann kommt die Einsicht dass es so nicht hingehört. Absperrband für Autos. Kein fährt rein oder raus. Ohnehin besteht die Bevölkerung hier an diesem Samstag nur aus einer Hand voll Polizisten und einen Kamerateam. Ein Konvoi von 6 weißen Jeeps brettert die Straße hinunter. Dann ist wieder unheimliche Stille. Auf der Straße liegen Trümmer. Teilweise haben die Häuser über mehrere Etagen Risse erhalten. Balkone sind abgebrochen. Vor allem Stuck und Verzierungen an den Häusern liegen jetzt auf der Straße. Die Atmosphäre ähnelt einer Geisterstadt. Ich fühle mich bestürzt.
Jetzt im Nachhinein verdienen diese Leute meinen Respekt. Niemand hat allzu Lang Mitleid gesucht oder auf Hilfe von außen gehofft. Sie haben selbst Hand angefasst wo das zuerst am dringendsten notwendig war. Sie haben mit Ruhe und Besonnenheit aufgeräumt und sind bald schon wieder am Aufbau. Draußen vor der Stadt gibt es ein paar Zeltlager. Die Menschen sitzen in geselliger Runde und reden. Sie verstecken sich nicht. Schließlich kann es bald schon wieder so weit sein.Read more