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  • Day 133

    Culture Clash 2.0

    August 16, 2021 in Mexico ⋅ 🌧 18 °C

    Wir sind also wieder in San Cristobal. Tatsächlich wird diese Stadt im Hochland von Mexiko immer mehr zu meiner zweiten Heimat. Man weiß mittlerweile sehr gut was, wo, zu finden ist, grüßt die immer gleichen Leute, wenn man ihnen auf der Straße begegnet und fühlt sich auch langsam heimelig. Da wir nun noch X-Tage mit Warten verbringen müssen, versuche ich die Tage sinnvoll zu füllen und nicht nur so in den Tag hineinzuleben, denn irgendwie strengt mich die damit gefühlte Nutzlosigkeit an. Ich melde mich sogar lieber wieder an einer Sprachschule an um mich weiter mit der spanischen Sprache rumzuschlagen. Kai bevorzugt lieber keine festen Termine zu haben und schlägt sich tagsüber lieber mit Welpe Nola rum- was bestimmt nicht weniger anstrengend ist. Als Ausgleich zum Spanisch lernen, quasi um mir auch was Interessantes zu gönnen, melde ich mich bei einem Kulturkurs an, welcher sich ausschließlich mit der indigenen Kultur von Chiapas befasst. Nach dem Besuch bei den Lacandonen-Indianern und den Zapatisten bin ich noch mehr Feuer und Flamme mehr darüber zu erfahren. Da es aktuell nicht so viele Touristen hier gibt, entsteht es so, dass sowohl der Spanischunterricht am Vormittag und der Kulturkurs am Nachmittag ganz exklusiv für mich abgehalten werden und ich davon sehr profitieren kann, da ich sozusagen die gesamte Gruppe darstelle und es somit harmonisch abläuft ;-) Zum anderen muss ich zugeben, dass mir die zwei Wochen mit einem gut gefüllten und geregelten Tagesplan sehr gut gefallen haben. Eine tägliche Routine hat mir scheinbar doch etwas gefehlt; ich bin selber über diese Erkenntnis erstaunt. Vielleicht bin ich doch eben nur ein Wochenend-Hippie?! Es ist sogar so, dass mir spanisch lernen anfängt ein bisschen Spaß zu machen, da die (Privat-)Lehrer wirklich gut sind und ich erstmalig, seit Lernbeginn, das Gefühl habe, Erfolge zu erzielen. Aber noch viel besser, als die neue Sprachschule, ist der Kulturkurs über die indigenen Menschen in Chiapas. Das ist direkt in mehrfacher Beziehung total spannend für mich: zum einen wie die Gesellschaftsstruktur bei diesen Gruppen aufgebaut sind und wie tief verwurzelt der Schamanismus dort ist und wie er gelebt wird. Ein bisschen ungläubig hab ich aber schon geguckt, als der Workshop-Leiter, der auch gleichzeitig der Inhaber von der Spanischschule ist und selbst keiner indigenen Gruppe angehört, mich über die Rollen der Hexen und ihren Machenschaften in den indigenen Gemeinschaften gewarnt hat und das sie hauptsächlich Kinder mit guten Energien angehen. Dies habe er und und seine Familie viele Jahre miterleben müssen und nur die Medizin vom Schamanen konnte gegen die bösen Zauber der Hexen helfen. Ich starrte ihn an: Er meinte es ernst! Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und bedankte mich für die nützlichen Hinweise, wie ich eine(n) Hexe(r) ausfindig machen kann und wie ich mich bei so einer Begegnung am besten Verhalten sollte. Aber, so schloss er, die Gemeinschaften der indigenen Menschen, wissen meistens auch sowieso, wer die Hexen unter ihnen sind, und so leben diese am Rande der Gemeinschaft. Ich antwortete darauf, dass dies sehr traurig wäre für die Ausgestoßenen, und ob es keinen Weg für diese Menschen zurück in die Gemeinschaft gäbe. Daraufhin starrte mich der Workshop-Leiter fassungslos an, mit den Ausdruck in den Augen, dass ich wohl nichts verstanden habe. Ich hatte trotzdem das Gefühl ganz viel gelernt zu haben, und das es, zumindest für mich, ein gelungener Kulturaustausch war.
    Eine weitere mehr als seltsam anmutende Tradition, hier in Chiapas, ist das regelmäßige abfeuern von Raketen. Die ersten Tage dachte ich, dass es sich um einen Guerillakrieg in den Bergen handeln muss. Aber Nein! Nachdem das gesamte Hostel nachts mit über dem Kopf gezogener Bettdecke dem Wahnsinn da draußen ausgesetzt war, ist ein mutiger spanisch sprechender Tourist zum Ort des Geschehens gefahren. Die Kirche höchstpersönlich feuert tatsächlich Raketen in den Tag - und Nachthimmel um katholische Heilige zu ehren. Die gesamten zwei Wochen hindurch, Tag und Nacht, teilweise alle 20 Minuten und mit ohrenbetäubenden Knallen. Sie müssen richtig Schichten haben, die die Dinger los feuern. Da San Cristobal in den Bergen liegt, hallt es auch im gesamten Tal, so dass ich bisher noch keine einzige Nacht durchschlafen konnte, während ich eine akustische Darbietung von einem Luftangriff bekommen habe. Bis auf die ahnungslos erschrockenen, schlaflosen Touristen, scheint sich daran, aber niemand anderes zu stören. Ganz schön schräg, aber: andere Länder andere Sitten.
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