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  • Day 485

    Brief an Greta

    May 16, 2019 in Switzerland ⋅ ⛅ 13 °C

    Liebe Greta

    Du hast ja in letzter Zeit ganz schön viel um die Ohren. Ziemlich viel Wind gemacht für ein sechzehnjähriges Mädel. Aber es geht ja auch um alles!

    Wir sind dankbar und froh, nimmst du das alles auf dich. Menschen brauchen diese Art von Führungsfiguren. Ein Gesicht, das für eine Vision und eine Message steht. Für die unverhandelbare Aufforderung zum Handeln. Dass du in diesem Fall die Kinder dieser Welt vertrittst, macht dein unkonformes Auftreten umso mächtiger und kraftvoller. Bitte mach weiter, bis wir diese Krise zusammen überstanden und die Welt gerettet haben. Natürlich wird es unzählige Menschen geben, die Dich denunzieren und lieber in der Schule anstatt auf politischen Podien sehen wollen. Das sind entweder Klimaleugner - eine Frage des Verstandes - oder „Erwachsene“, die sich grundsätzlich nichts von „Kindern“ sagen lassen - eine Frage des Egos. Beide sind zu ignorieren und gesellschaftlich mit Ächtung abzustrafen. Die Pappnasen. Du hast nicht nur unsere seelische Unterstützung, sondern auch unser Wort, dass wir unseren Teil zur Rettung der Erde beitragen.

    Dies von zwei vom Geburtsglück geprägten Schweizern zu hören, die in den letzten 480 Tagen zusammen mal eben 38 Länder besucht und 150’000 Kilometer - viele davon im Flugzeug - zurückgelegt haben, klingt jetzt sicher wie Hohn in deinen kleinen Ohren. Aber gib uns bisher ignoranten Sündern eine Chance. Wir haben in der Zeit vieles von und über die Welt gelernt, Wunderschönes aber auch Übles gesehen und wir sind noch nicht verloren. Versprochen. Hier ist unser zweistufiger Plan: In einem ersten Schritt beziffern wir den negativen Effekt, den unsere Weltreise verursacht hat und finden einen Weg, diesen sinnvoll und effektiv zu kompensieren. Zugegeben, das ist weit weniger sinnvoll als Vermeiden, aber immer noch sinnvoll. Insbesondere wenn man sich dies wie fast jeder in der westlichen Welt locker leisten kann. Im zweiten Schritt widmen wir uns der künftigen Vermeidung von Treibhausgasen und sonstiger Naturverschmutzung im täglichen Leben sowie den politisch/gesellschaftlichen Veränderungen, die unabdingbar und dringend nötig sind.

    Also, Schritt 1: Wie du wohl selber weisst, ist es verdammt schwierig, CO2-Zahlen und wirklich vergleichbares Material über mehrere Länder hinweg zu erhalten. Das Internet bietet einen wilden Mix aus diversen Verbraucher- und Verursacher-Statistiken. Oft reduziert auf lediglich fossile Brennstoffe, den Verkehr oder dergleichen. Wir haben es trotzdem versucht. Glaubt man den offiziellen Quellen, verschulden wir zwei in der Schweiz auf grossem Fuss und verbrauchstechnisch leicht überdurchschnittlich lebend je etwa 15t CO2 pro Jahr. Das ist viel zu viel wirst du jetzt sofort sagen. Zurecht. Aber eins nach dem andern. Dank aufwändiger Recherche haben wir für die meisten der knapp vierzig relevanten Länder vergleichbare Verbraucherstatistiken gefunden und die übrigen Länder total ausgeklügelt mit vergleichbaren Nachbarländern extrapoliert. Ausserdem haben wir für die relevanten 16 Monate jede Schiff-, Bus-, Zug- und Autofahrt, sowie jeden Flug im Detail dokumentiert und CO2-technisch bewertet. Scheiss viel Arbeit und nur dank der einen oder anderen Flasche Rotwein machbar.

    Du hast natürlich recht, fliegen ist im Vergleich immer katastrophal. Dafür produziert das Übernachten in einem abgelegen Dorf in Myanmar mit zehn anderen Spinnern in einem ungeheizten Raum und nur mit Wolldecken gewärmt weit weniger CO2, als in der Schweiz zu zweit eine Flasche Schampus im auf 37 Grad geheizten Whirlpool zu schlürfen. Ist also nicht nur negativ, dieses Reisen. Und wir sind ja nicht so bescheuert, für lediglich 10 Tage mal kurz nach Australien und wieder zurück zu fliegen. Das machen andere. Im Resultat haben wir in den letzten 16 Monaten je sagenhafte 29t CO2 verursacht. Das sind rund 9t CO2 mehr, als wir in unserem alten Leben in der gleichen Zeit verursacht hätten. Hmm, nicht gut. Die Kompensation für diese 9t CO2 liegt gemäss South Pole (https://shop.southpolecarbon.com/de/) bei etwa CHF 180. Aber du hast natürlich schon wieder recht, wir sollten unser altes Leben gar nicht erst als Standard nehmen. Schliesslich sind unsere 15t CO2 pro Person und Jahr nicht kompatibel mit unserer Erde. Die verträgt nämlich nur etwa 2,3t CO2 pro Person und Jahr. Demnach haben wir für die letzten 16 Monate ganze 26t pro Person zu kompensieren, was gemäss South Pole für CHF 500 zu machen ist. Das sind nur gerade 1,25% der entstandenen und mit beiden Händen ausgegebenen Reisekosten. Also nichts im Vergleich. Das unterstützte Projekt beschäftigt sich mit der Wiederaufforstung illegal gerodeter Wälder in Kolumbien. Pablos Koksfelder haben offensichtlich ziemlich Platz gebraucht.

    Wie schon erwähnt, ist die Kompensation mit Geld natürlich nicht die beste Lösung. Vermeidung ist der Schlüssel. Aber es ist ein veritabler Ansatz zur Wiedergutmachung entstandener Schäden. Und wir reichen Säcke sollten genau da anfangen. Natürlich ist dies nur ein Teil - oder eben Schritt - und es braucht noch viel politische und gesellschaftliche Bewegung, um in der Schweiz auch nur ansatzweise auf 2,3t CO2 pro Person zu kommen. Heute ist dies praktisch nicht möglich. Der bisherige Ansatz des Bundesrats - man setzt auf freiwillige Umsetzung der Klimaziele - wird uns nicht schnell genug weit genug bringen. Und damit sind wir auch schon bei Schritt 2: Freiwillig ist gut. Wir sollten alle freiwillig weniger Fleisch essen - ACHTUNG, ich hab gesagt “weniger”, nicht “kein”, verdammte Karnivoren wollten mich schon mit einem Shitstorm eindecken -, regionale Produkte wählen, weniger Dinge wegschmeissen, ausschliesslich erneuerbare Energie konsumieren, den Zug anstelle vom Flieger nehmen, Elektroautos kaufen, und und und. Und den verbleibenden “Fehlbetrag” sollten wir alle freiwillig kompensieren. Sofort und jedes Jahr. Und genau diese Dinge werden wir zwei tun. Konstant und nachhaltig. Und wenn es um die Politik geht, ist unser Kredo klar: Man muss nicht “radikal links” stehen oder ein "Gutmensch" sein, um zu kapieren, dass wir Gesetze und Vorgaben brauchen, um unser Leben und Wirken mit der Kapazität unserer Erde in Einklang zu bringen. Jetzt. Nicht in 50 Jahren. Auch wenn dies “kostet”. Denn niemand kann sich den Preis für ein Versäumnis leisten. Nicht einmal Mr Bezos.

    Also, liebe Greta. Wir arbeiten ab sofort jeden Tag daran, dass die Mischung aus “grün” und “liberal” auch bei uns funktioniert. Andere Länder und Du machen es ja schon vor. Und Veränderung ist immer auch eine Chance mit viel Potential in alle Richtungen. Du weisst das natürlich schon alles. Wir jetzt auch.

    Keep going!

    Sue & Pasci
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