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  • Day 52

    Taltal

    December 23, 2016 in Chile ⋅ 🌙 14 °C

    Die Küste von Chile entlang zu Fahren ist, zumindest im Norden, nur wenig spannend. Denn obwohl wir ein Stück der legendären Panamericana hinunterfuhren, die hier auch „Ruta Cinco“, genannt wird, waren wir die meiste Zeit unserer Fahrt noch in den Ausläufern der Atacamawüste. Unbewachsene Berge wechelten sich mit unbewachsenem Flachland ab.

    Taltal erreichten wir am frühen Abend. Wir hatten beschlossen hier ein paar Tage zu verbringen und einmal nichts zu tun zu haben. Taltal ist ein kleiner Küstenort in der Region „Antofagasta“, die sich im Nordteil Chiles erstreckt. Die Stadt wurde ursprünglich wegen einer nahegelegenen Kupfermine. Bedeutung erlangte es als Ort zur Verschiffung von Kaliumnitrat, das eine entscheidende Rolle bei der Herstellung von Schwarzpulver und Düngemitteln spielt. Es ist auch unter dem Namen „Salpeter“ bekannt und war der Anlass für den Krieg gegen Bolivien im 19. Jahrhundert.

    Heute ist Taltal ein verschlafenes Nest, das einen entfernt an Ortschaften im Süden der Vereinigten Staaten erinnert. Dazu muss ich sagen, dass ich dort noch nicht war und mein Wissen nur von Bildern beziehe. Silke, die ja mehrfach in den Vereinigten Staaten war, empfindet das weniger als ich. Mir geht es dabei aber auch weniger um den Baustil der Gebäude. Vielmehr ist es eine Art Gefühl des Wohlstands, trotz der Tatsache, dass es sich bei Taltal mit Sicherheit nicht um den reichsten Ort Chiles handelt. Im Vergleich zu Peru und Bolvien aber, scheinen wir in einer anderen Welt angekommen zu sein. Auf den Straßen fahren glänzende Autos, oftmals Pickups herum. Die Weihnachtsdekoration ist bunt und leuchtend und die öffentlichen Plätze sind mit üppigen Grünanlagen versehen.

    Man möchte fast glauben, dass der, im südamerikanischen Vergleich, hohe Wohlstand in Chile einfach schon immer so da gewesen ist. Chile hat aber eine ungemein bewegte Geschichte. Wie alle Länder der „Neuen Welt“ wurde es vor Jahrhunderten durch eine europäische Großmacht kolonisiert. Die Spanier hatten es hier aber verhältnismäßig schwer. Neben unzähligen und andauernden Angriffen durch die indigene Bevölkerung waren Naturkatastrophen, wie Vulkanausbrüche, Erdbeben oder Tsunamis eher die Regel als die Ausnahme. Während Napoleon halb Europa regierte, wagte Chile den ersten Schritt in Richtung Unabhängigkeit und sagte sich von Spanien, dass zeitweise von Joseph Bonaparte regiert wurde, los, nur um kurz darauf wieder durch die Spanier übernommen zu werden. Ein Unabhängigkeitskrieg folgte, den Chile und Argentinien in Form der sogenannten „Andenarmee“, für sich entscheiden konnten.

    Eine Zeit politischer Instabilität folgte, die unter anderem von regelmäßigen, teils auch kriegerischen, Streitigenkeiten um die Grenzverläufe zu den Nachbarländern, begleitet wurde. Trotz dieser Lage wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ein Sozialversicherungssystem in Chile eingeführt und eine lange Zeit waren die führenden politischen Kräfte des Landes sozialdemokratisch orientiert.

    In den 30er Jahren wurden dieser Instabilität durch zahlreiche erfolgreiche Putsche und Putschversuche unterstrichen. Die Weltwirtschaftskrise traf Chile, das auf die Exporte seiner Minenerzeugnisse angewiesen war, ungemein hart und auch hier versuchte eine nationalsozialistische Bewegung Fuß zu fassen. Diese Bewegung hatte ihre ideologischen Wurzeln im deutschen Faschismus, was auf der engen Verflechtung von Deutschland und Chile durch die vielen deutschen Auswanderer im 19. Jahrhundert und andere politische Verflechtungen zurückzuführen war. Spannend ist hierbei, dass die deutschstämmigen Chilenen zu einem großen Teil ganz wunderbar gleichgeschaltet werden konnten, da sie bis dahin ihr deutsches Leben einfach in Chile fortgeführt hatten und somit sozusagen „integrationsunwillig“ gewesen sind. Auch standen sie der Weimarer Republik eher feindlich als positiv gegenüber. Dennoch konnten sich die Faschisten zu diesem Zeitpunkt nicht durchsetzen.

    Stattdessen kam 1970 das linke Bündnis unter Führung Salvador Allendes an die Macht. Unter Allende wurden große Industriezweige, wie etwa das Bankenwesen, die Minen oder die Landwirtschaft verstaatlicht, was unweigerlich den Zorn der Landbesitzer und der USA auf die linke Regierung Chiles zog. Henry Kissinger ließ dazu verlauten: „Ich sehe nicht ein, weshalb wir zulassen sollen, dass ein Land marxistisch wird, nur weil die Bevölkerung unzurechnungsfähig ist.“
    Trotz massiver Proteste wurde Allende, sogar mit einem noch größeren Stimmenanteil, bei einer erneuten Wahl im Amt bestätigt.

    Die linke Regierung Chiles fand ihr Ende durch einen Militärputsch, angeführt von dem General Augusto Pinochet. Kurz vor dem Putsch hatten die USA ihre Militärhilfen für das Land stark erhöht. Auch wusste die CIA im Vorfeld von dem Putsch. Offenbar hatten sie den Bundesnachrichtendienst informiert. Hier wurde es aber unterlassen die Information an den Bundeskanzler Willy Brandt weiterzuleiten. Allende beging während der Präsidentenpalast gestürmt wurde Selbstmord mit einer AK-47.

    Es folgte eine der wohl blutigsten Diktaturen, die Südamerika je gesehen hatte. Pinochet regierte das Land für die nächsten 17 Jahre mit „eiserner Hand“ und schreckte dabei nicht vor Mord, Folter und dem Veschwindenlassen politischer Gegener zurück. Dieses Verschwindenlassen hat in Südamerika sogar einen eigenen Begriff erlangt: „desaparición forzada“. Zur Aufarbeitung und Aufklärung dieser Vorfälle wurde im Jahr 2001 eine „Wahrheitskommission“ ins Leben gerufen, die im Jahr 2004 ihren Abschlussbericht vorstellte, der für jedermann frei einsehbar ist. In der deutschsprachigen Wikipedia finden sich hierzu auch Auszüge aus den Berichten der Opfer:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Valech-Kommission…

    Nachdem der Putsch gegen Allende erfolgreich gewesen war, setzten die Wirtschaftshilfen der westlichen Länder wieder ein und stiegen sogar sprunghaft an. Nachdem aber internationale Proteste die Situation in Chile anprangerten wurde der Druck auf Pinochet so groß, dass er eine Verfassung verfasste, die im Jahr 1988 ein Referendum darüber enthielt, ob Pinochet bei der Wahl 1989 als einziger Kandidat antreten dürfe. Dies wurde von der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt, was dazu führte, dass bei der Präsidentenwahl ein Christdemokrat gewählt wurde, der zwar die neoliberale Wirtschaftspolitik Pinochets fortführte, nicht aber seine Methoden anwandte. Er versuchte die beiden Lager in Chile, bestehend aus Pinochetanhängern und der politischen Linken zu versöhnen. Sein Motto bei der „behutsamen Aufarbeitung“ der Gewalttaten im Land war „Gerechtigkeit soweit es geht“. Pinochet selbst blieb noch bis Ende der 90er Jahre Heereschef und danach „Senator auf Lebenszeit“, was in erster Linie seiner politischen Immunität diente. Er wurde zwar mehrfach unter Anklage und unter Hausarrest gestellt, wurde aber nie in einem rechtstaatlichen Verfahren verurteilt. Stattdessen wurde ihm 2005 nach langem Tauziehen eine „Prozessunfähigkeit“ attestiert. 2006 verstarb er.

    Insbesondere der Umgang mit der deutschen Siedlung „Colonia Dignidad“ seitens der Bundesrepublik hat mich nachhaltig schockiert. Neben der, insbesondere wirtschaftlichen, Unterstützung für Pinochet, schien es auch eine Blindheit gegenüber den eigenen Landsleuten zu geben, die fast schon wie eine Verschwörung anmutet.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Colonia_Dignidad#…

    Etwas erinnert mich das ganze an die Situation, die wir derzeit in Europa erleben. Während wir (als NATO oder als „Westen“) im „Nahen Osten“ in den letzten Jahren fleißig Autokraten gestürzt haben, sind wir -in Bezug auf die von uns hochgehaltenen Werte- sehr unkritisch gegenüber diveresen, eindeutig sehr undemokratischen, Regierungen. Und das nur, weil wir in der Zusammenarbeit eine politische Notwendigkeit sehen. Ähnliches geschah auch hier. Zugegebenermaßen ist das ungemein verkürzt dargestellt, aber das neue Südamerika scheint der Orient zu sein.

    Ich habe allerdings pro Beitrag nur 10.000 Zeichen und wollte ja noch ein oder zwei Sätze über Taltal erzhählen :-)

    Es ist gemütlich, fast ein wenig langweilig. Die erste Nacht verbrachten wir in einem heruntergekommenden Hostelzimmer ohne Fenster mit einer sehr netten und bemühten Besitzerin. Nichtsdestotrotz zogen wir am zweiten Tag in ein anderes Hostel mit hohen Decken und Holzdielen am Boden. Die Besitzerin war sogar noch netter. Ihre Mutter versorgte uns Abends mit Tee und Gebäck und als wir erfuhren, dass unser Bus nach „La Serena“ erst um 2 Uhr nachts gehen würde, ließ sie uns noch den gesamten Tag im Zimmer verbringen ohne einen Aufpreis zu verlangen.

    Die Tage verbrachten wir meistens lesend oder schreibend oder indem wir etwas im Ort herumbummelten. Neben den unzähligen Möwen fliegen hier auch Truthahngeier, die wir schon in Paracas kennengelernt haben durch die Lüfte. Die vielen Hunde im Ort machen sich einen Spaß daraus, zu versuchen die Laternenmaste hinaufzuklettern, auf denen die großen Vögel, mit den halbweißen Schwingen, sitzen. Sie sehen dabei ein wenig lächerlich aus, zumal ihre Versuche die Geier ziemlich unbeeindruckt ließen.
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