• Puerto Varas

    11 gennaio 2017, Cile ⋅ ⛅ 16 °C

    In Puerto Varas kamen wir in einem kleinen Hostel unter, das maßgeblich, wie wir es auch schon aus Pucón kannten, von „Volonteers“ am Laufen gehalten wurde. Für die Hostelbetreiber ist das ein gutes Geschäft: Sie bieten Betten gegen Arbeit und sparen so Betriebskosten.

    Ich hatte in Pucón eine Weile überlegt, ob ich das Ganze nicht etwas missbräuchlich finde. Dort waren die meisten Volunteers junge Mädchen, die grade mit der Schule fertig waren. Sie arbeiteten 6 Tage in der Woche täglich je eine Schicht (Früh- oder Spätschicht) und erhielten dafür ein Bett in einem Schlafsaal und Kostgeld. Ich hatte überlegt, ob ich das nicht als zu wenig empfand. Im Grunde aber liegt das Problem nicht in einer Ungerechtigkeit gegenüber den Volunteers, sondern gegenüber dem chilenischen Arbeitsmarkt, denn lokale Kräfte wären teurer gewesen. Für die meisten Volunteer schien auch ihr geringes Auskommen kein größeres Problem darzustellen. Sie waren froh, das erste Mal weg von den Eltern und ihrem „Leben in der Heimat“ zu sein. Sie lernten etwas Spanisch und genossen das Leben, wenn sie mit den Gästen Karten spielten. Die meisten von ihnen hatten ihr Abi im Rahmen der G8-Reform gemacht und waren froh, dass sie jetzt ohne jeden Druck von Außen vor sich hin leben konnten. Ich habe mich mit fast allen von ihnen unterhalten und wiedermal festgestellt, dass ich nichts von dieser verküzten Gymnasiallaufbahn halte. Sie wirkten so unheimlich jung. Fast etwas als ob sie nach ihrem Schulabschluss noch eine Weile im Weg rumstehen würden, bis sie in der „realen Welt“ ankommen würden.

    In Puerto Varas war ich froh, dass die meisten Voluntäre älter waren und nach Südamerika gekommen waren, um mal etwas anderes zu machen, als bisher. Eine von ihnen kam aus Deutschland und hatte bisher als Eventmanagerin große Ärztekongresse organisiert, wollte aber nicht für den Rest ihres Lebens ihre Freizeit mit Überstunden verbringen müssen. Durch sie lernten wir ein schönes landestypisches Rezept kennen:
    Man nehme eine Melone (keine Wassermelone!), höhle sie aus, belasse aber etwas Flüssigkeit und Fruchtfleisch in ihr. Sie sollte nun etwa zur Hälfte gefüllt sein. Den Rest gießt man mit Weißwein auf und fügt etwas Zucker hinzu.
    Für den Sommer ist das ein wirklich schönes Getränk. In Puerto Varas war es fast schon ein wenig zu kalt dafür. An den Abenden musste auch hier der Kamin angeworfen werden.

    Die Stadt selbst war leider weniger schön, als wir es erwartet haben. Die meisten Teile von Puerto Varas wirken nur wenig einladend. Es liegt allerdings an einem großen See, dessen Namen ich weder aus dem Kopf aufschreiben, noch aussprechen kann, dem Llanquihue-See. Hier hat man einen schönen Blick auf den Vulcan Osorno und kann an der Promenade entlangspazieren, die etwas nach denjenigen aussieht, die man so häufig in Ostseebädern vorfindet, inklusive eines kleinen Pavillions und eines kleinen Stegs, auf dem man den See überblicken kann.

    In den zahlreichen Cafés an der Promenade kann man Kuchen essen, der hier „Kuchen“ und in der Mehrzahl „Kuchenes“ genannt wird. Auch begenet man hier Feuerwehrautos auf denen „Feuerwehr“ und nicht „Bomberos“ steht.

    Vor allem das Scheitern der deutschen Revolution von 1848/1849 führte zu einer großen Einwanderungswelle in den Süden Chiles, die vom Staate gefördert wurde. Aufgrundessen existieren auch heute noch etwa 35.000 deutschsprachige Menschen in Chile. In der Region um Puerto Varas und den See, dessen Namen ich nicht aussprechen kann, hat sich sogar ein eigener Dialekt, das Launa-Deutsch, entwickelt:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Launa-Deutsch

    Die Förderung der Einwanderung war eine rein politische. Chile proklamierte den Teil des Kontinents bis hinunter zum Kap Horn als sein offizielles Territorium. Unterhalb des Río Bío Bío (ja, der heißt wirklich so), haben sich die Spanier, die bis 1818 über das Land geherrscht hatten, aber nie gegen die eingeborenen Mapuche behaupten können. So dass das Land unterhalb des Flusses nahezu unbesiedelt war. Die Chilenen haten infolgedessen Angst, dass die großen Kolonialmächte, wie etwa Frankreich oder Großbritannien, Anspruch auf das Land erheben könnten und förderten so die gezielte Einwanderung, um seine Besitzansprüche zu wahren. 1883 wurden die Mapuche gewaltsam unterworfen.

    Während des Naziregimes in Deutschland flohen zudem weitere Menschen nach Chile, unter ihnen etwa 15.000 Juden. Paradoxerweise bot Chile vielen geflüchteten Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls Asyl. Neben diesen reiste Anfang der 1960er Jahre auch ein gewisser Paul Schäfer in das Land ein und gründete, nachdem er in Deutschland wegen eines Vergewaltigungsdeliktes vor Gericht gestellt werden sollte und geflohen war, die berüchtigte Colonia Dignidad: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Schäfer_(Col…
    Unglaublicherweise entzog er auf diese Weise auch fast die gesamten Zeugen der Anklage, immerhin 150 Heimkinder, dem Zugriff der deutschen Behörden. Sie wurden in einer Nacht- und Nebelaktion aus Deutschland ausgeflogen.
    In den folgenden Jahren schaffte Schäfer es, sich zahlreiche politische Kontakte, unter anderem zu dem chilenischen Diktator Pinochet und dem damaligen bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß zu sichern.

    Um etwas über die Auswanderer aus dem 19. Jahrhundert zu lernen, besuchten wir den kleinen Ort Frutilla, der ebenfalls an dem großen See liegt. Dort gab es ein Museum mit mehreren „Siedlerhäsuern“, die mit den typischen Einrichtungen der damaligen Zeit ausgestattet waren. Besonders spannend waren hier die alten landwirtschaftlichen Maschinen und Haushaltsgeräte. Auf ihnen waren die Orte ihrer Herstellung eingeprägt und nicht selten fanden wir den Namen „Hamburg“ vor. Wir aßen auch etwas „Kuchen“ in einem kleinen Café mit deutschem Namen, an dessen Wand große Stammbäume der Familie hingen.

    An den Abenden spielten wir im Hostal im Jenga und unterhielten uns mit den Gästen. Hier trafen wir auch die ersten Türken auf unserer Reise. Sie planten, gesponsort von irgendjemandem, mit Motorrädern über den gesamten Kontinent zu fahren und wollten etwa ein Jahr unterwegs sein. Ein anderes Pärchen arbeitete im Hostal und baute sich in ihrer Freizeit einen Bus aus, mit dem sie das Land erkunden wollten. Wir hatten dort wirklich eine gute Zeit mit netten Gesprächen.

    Am letzten Tag in Puerto Varas mieteten wir uns ein Doppelkajak, um den See etwas zu erkunden. Zwar kamen wir nicht so weit, wie eigentlich gehofft. Es war aber ganz schön an der Küstenlinie entlang zu fahren und ein paar der dort eingelassenen Höhlen zu sehen.

    Unser nächstes Ziel wird gleichzeitig unseren südlichsten Punkt auf unserer Reise darstellen. Auf der Insel Chiloé hoffen wir Wale sehen zu können. Dort soll es zu bestimmten Jahreszeiten sogar Blauwale geben.
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