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  • Gute Tage. Schlechte Tage.

    August 9, 2019 in Canada ⋅ ⛅ 22 °C

    Man lernt die guten Tage eigentlich immer erst durch die schlechten so richtig zu schätzen.
    Was auf so einer Reise ein schlechter Tag ist? Ich weiß ich bin schon sehr viel verwöhnt worden und sollte meine Ansprüche nicht zu hoch schrauben. Mein kaputter Schlauch vom Morgen brachte mich noch recht weit. Immer wieder aufpumpen weiter fahren, wieder pumpen... so alle 10 km. Ich hatte einfach keine Lust den Schlauch mitten auf der Straße zu wechseln.

    In Onanole gab es einen kleinen Bücherladen (mit Cafe!) :] Dort hatte ich ein tolles Gespräch mit dem Inhaber und siehe da, vor nicht mal zwei Wochen hatte hier Little Miss Higgins aufgespielt. Die Welt ist wieder mal ein Stückchen kleiner geworden. =)

    Es scheint ein sonniger Tag zu werden und das Spiel mit dem Platten geht gut weiter. Irgendwann werden die Abstände aber immer geringer und die letzten 100m bis auf einen Rastplatz schiebe ich dann doch lieber bevor etwas kaputt geht. Für alle Fälle habe ich schließlich einen Ersatzschlauch dabei. Gut dass ich in Regina gleich zwei davon gekauft hatte. Ärgerlich nur dass ich sie jetzt schon brauche. Nach sagen wir mal gut 400km. Also doch alles abladen, Schlauch wechseln. Nach 40min.inkl. Essenspause geht es weiter.

    In Minnedosa noch kurz angehalten und die Kleinstadt genossen, sofern es die Main street hergab. Mir wurde dazu empfohlen sich das anzuschauen, aber äh, naja. Vielleicht war um fünf schon zu spät um Menschen anzutreffen. Zumindest hatte der Bäcker noch eine leckere warme Zimtschnecke für mich. Weiter auf dem Highway, der Reifen hält und ich mache gut Meter. Immer wieder schaue ich nach unten und habe irgend so ein Bauchgefühl - wenn das mal bis Winnipeg hält. Wenns hundert Kilometer hält, hält es auch länger. Aber ich war erst bei dreißig mit dem neuen Schlauch.
    Bei 32km wars dass dann auch. Wieder ein Platten, schon der Zweite heute. Den ersten konnte ich noch verkraften. Zumal dabei am Ventil ein Riss entstand, sowas kann man nie vorhersehen und auch nicht reparieren. Aber jetzt schon wieder? Diesmal hilft auch kein aufpumpen... Ich muss dazu sagen, dass die Schläuche auch nicht ideal passen weil die Standardgrößen hier 29x2,1 und 29x2,4 sind ich aber von Europa aus perfekt mit 29x2,25 unterwegs wäre. Derart Konfigurationsunterschiede können durchaus dazu führen, dass ein Schlauch an der falschen Stelle Druck aufbaut oder nicht ideal im Mantel liegt was dann aufreibt und reißt.
    Mir bleibt diesmal also wirklich nur die 70kg in der Abendsonne bis in das nächste Dorf zu schieben und auf Hilfe zu hoffen.
    Ungefähr eine Stunde später bin ich an der ersten Tankstelle und spreche zwei Motorrad Biker an. Die können mir ein Stück weiter helfen, aber nicht viel. Und die Odyssee beginnt.

    Im Dorf gibt es einen Mann der früher immer was mit Fahrrädern gemacht hat, der kann mir bestimmt helfen. Nur keiner hat seine Nummer. Dann weiß einer zufällig, dass dessen Sohn an der Tankstelle 300m weiter arbeitet, aber der hat heute keinen Dienst mehr. Vielleicht kann mir auch der Chef der Tankstelle dabei aushelfen. Gemeinsam finden wir die Nummer von Alex raus, rufen an und schildern das Problem. Alex will denn sicher gehen dass er evtl nen Schlauch da hat und verschwindet in der Garage. Bis er zurück kehrt möchte ich zumindest mal nach meinem Fahrrad schauen dass ich Mutterseeelen allein bei den zwei Bikern gelassen habe. Die haben fein darauf aufgepasst. Danke, denn das ist nicht selbstverständlich. Vor zwei Tagen in Wasagamming haben sie mir meine Warnweste vom Rad geklaut während ich im Dorf spazieren war. Es gibt denn himmelweite Unterschiede zwischen den Menschen. Und die Guten, über die möchte ich hier auch mal schreiben. Der Tankwart kann mir indess nur noch bedingt weiter helfen. Er garantiert mir jedoch freien Kaffee und Kakao am nächsten Morgen. Und Zelt und Fahrrad muss ich auch nicht erst noch bis zum Zeltplatz schleppen. Ich darf mir ein dunkles Plätzchen hinter dem Verwaltungsgebäude suchen. Perfekt. danke. Mittlerweile ist es auch schon um elf.

    Nächster Morgen:
    Ich bin auf um zehn verabredet. Die Wegbeschreibung konnte schwieriger nicht sein. Ist aber auch nicht einfach wenn ein Straßenplaner meint. Ein paar ältere Grundstücke sind zweihundert yard lang, die neueren nur noch 150 - da schlängeln wir die Straße schon irgendwie durch und machen sonst überall ne Sackgasse.

    Alex ist indessen mit seiner Arbeit eher fertig als gedacht und sucht schon um halb zehn nach mir. Er bestaunt mein Rad und meint er habe bislang jedem aus der Patsche helfen können. Einmal kam einer aus Quebec mit zwei gebrochenen Speichen vorbei. Auch den hat er wieder flott bekommen. Nur mit der Sprache war das nicht so einfach...

    In seiner Garage angekommen staune ich nicht schlecht. Da gibt es mehr sinnvolles Werkzeug und Ersatzteile als im Baumarkt. Während er gerade noch einem Nachbar die Stichsäge ausleiht schraube ich schon mal mein Rad auseinander. Glücklicherweise ist es diesmal ein Loch was sich flicken lässt, denn alle Ersatzreifen die mir Alex anbieten könnte haben die falsche Ventilgröße. Dann müsste ich erst meine Felge aufbohren. Ich glaube in der Not wäre mir dass aber auch egal...

    Schlauch geflickt frage ich nach Talkum um sicher zu gehen dass der Schlauch nirgendwo anklebt. Alex schaut mich an - er hat Jahrzehnte lang Fahrräder Repariert, aber davon hat er noch nichts gewusst. Da es ihm aber plausibel erscheint ruft er seine Frau und die muss mal schauen ob im Haus noch irgendwo Babypuder mit Talkum rumsteht. Auch dass lässt sich auftreiben und nachdem alles wieder zusammengebaut wurde findet es Beachtung wie weit und unter welchen Bedingungen ich mein Material schon geschunden habe und dennoch keine Acht drin. Darüber bin ich selbst hocherfreut und hoffe dass das auch möglichst lange noch so bleibt.

    Ich bedanke mich mit freudestrahlenden Augen und einem großen Handschlag. Alex meint nur „Bis auf etwas Zeit hat es mich nichts gekostet und ich freue mich dabei auch noch etwas gelernt zu haben.“
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