• Auf Messers Schneide

    September 21, 2021 in France ⋅ ⛅ 5 °C

    Gut für die Franzosen ist dass sie bei gutem Essen und Wein auch mal einen Tag im Nebel abwettern können. Für mich steht im Kalender jedoch ein dickes fettes Kreuz. Ich muss ins Belledonne und hoffe dass das Wetter dort besser ist. Den Weg zum ‚Col du croix fer‘ schleiche ich langsam Bergan und stoppe ständig. Der guten Aussicht wegen. Kein Wunder dass auch die Tour de France auf über 2000m regelmäßig Station macht. Doch was packe ich jetzt alles in meinen Rucksack?
    Zelt, Schlafsack, Wechselsachen, doch kein Zelt, Stirnlampe, Essen, Trinken, dann los, dann wieder zurück auf Anfang, Sonnenbrille und dies und jenes noch vergessen… Nach einer Stunde bin ich startklar. Auto leer, Rucksack voll. Trotzdem ist das ‚Refuge de l’Etendart‘ und wenig später der Fuß des Gletschers am ‚Pic l’Etendart‘ schnell erreicht. Der Gletschersee ist bereits wieder fast vollständig zugefroren. Die Schwierigkeit besteht nun nicht etwa in der Kälte. Nein, auf der anderen Seite des Berges wartet als heutiges Tagesziel eine Hütte. Den Weg dorthin gibt es offiziell nicht auf der Karte. Der Berg ist Nebelverhangen und ich habe die Zeit im Nacken bevor es dunkel wird! Somit finde ich mich bald in einer matschigen Steilhanglage mit äußerst rutschigem Schiefer wieder. Ich entscheide mich lieber um den Berg herum zu gehen anstatt darüber, oder besser noch – abwettern – nachdem der Berg schon zwei Mal ins Rutschen kam. Irgendwie bin ich auch nicht mehr soo weit unterhalb vom Gipfel. Überall liegen Schneefelder. Rasiermesserscharf steht der Schiefer aus dem Fels senkrecht empor. Als es sich lichtet ist es schon nach 17 Uhr und ich muss auf der anderen Seite auch wieder herunter. Das Zelt habe ich ja ausgepackt. Wie aus dem Nichts wird aus schroffem Schiefersplit auf der anderen Seite des ‚Cime de la Valette‘ plötzlich eine weite Alm mit immergrünen Wiesen. Wenig später sehe ich auch meine Hütte und rufe ein lautes ‚Echo‘. Der Nebel verschluckt es einfach. Erst mit der Dunkelheit treffe ich in Angesicht der Hütte auf meine heutige Hüttenwirtin Paola. Sie ist eine Freundin die ich seit langem einmal besuchen möchte und in dieser Saison hütet sie hier Schafe auf 2400m. Einmal mehr ist Paola jemand der sich schon Sorgen macht als ich eintreffe. Womöglich könnte ich mich in dem schlechten Wetter total verlaufen haben oder ich bin in einer Schiefermoräne stecken geblieben. Was bei mir schließlich schon zur Gewohnheit wurde scheint alle ihre Gäste zu betreffen. Sie alle treffen erst spät abends ein. Bei Kaminfeuer und Erbseneintopf lassen wir den Tag urig ausklingen. Die Höhe und die Anstrengung sind Gift für jeden Halbstarken. So liegt jeder auch halb Zehn schon im Bett. Nach harter Arbeit kann hier oben keiner dem Sandmann wiederstehen. Morgen früh geht es durchaus wieder quirlig zu.
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