• Ruf der Freiheit

    22 September 2021, Perancis ⋅ ☀️ 4 °C

    Paola wird immer auf Trab gehalten. Hunde, Katzen, Hühner irgendwann scharrt jeder in dieser Nacht an der Tür und muss mal für kleine Mädels. Und jedes Mal bin ich natürlich auch mit wach. Die Hühner meinen indes im Mais ihre Eier legen zu müssen und federn alles schön aus was eigentlich noch gegessen werden soll. Zum Brüten soll es ja möglichst angenehm warm bleiben. Nur nicht draußen bleiben! Schließlich hat es wieder gefroren auf 2400m. Die Hunde selbst stört das vielleicht am aller wenigsten nach einer ‚erholsamen‘ Nacht am warmen Ofen. Es wird Zeit endlich raus zu kommen und Frauchen soll gefälligst auch mit! Wenn sich die Menschen mit einem ausgedehnten Frühstück nur nicht so viel Zeit nehmen würden! In der Wildnis ist das aber etwas eigen. Es gibt Crepes, es gibt Spiegelei, Schokolade… und alles was sonst noch bis zum Ende der Woche alle werden muss. Dann ist die Saison zu Ende. Leben wie Gott in Frankreich. Währenddessen schauen wir mit dem Fernglas kurz nach ob der ‚Nachbar‘ schon bei seinen Schafen ist und weil die auch noch in ihrem Nachtlager sitzen brauchen wir kein schlechtes Gewissen zu haben. Ein ausgewachsener Wachhund passt gut auf sie auf. Halb Hund, halb Wolf kennt er im Zweifel kein Pardon. Appropos… dass sich hier in den Alpen Mönchsgeier, Bartgeier und Gänsegeier mittlerweile wieder lebhaft gute Nacht sagen ist mir ja noch geläufig. Doch dass hier in den Alpen bis in diese hohen Lagen auch der Wolf heimisch ist habe ich am wenigsten erwartet! Die Schafe machen sich in ihrem Nachtlager denkbar wenig Gedanken.
    Sobald wir zur Herde stoßen ist es zunächst an uns ein krankes Tier zu finden und zu verarzten. Man nehme dazu 1500 Schafe und suche das eine was drei Blaue Striche als Markierung hat. Schäfchen zählen ist einfacher! Doch dann geht es für alle endlich raus in die Freiheit. Gestern ist außerdem wieder mal ein Schaf verrückt geworden. Durch Würmer kommt das immer wieder vor. Als wir das Schaf am alten Nachtplatz suchen zieht die Herde munter ins etwas wärmere Tal. Jetzt ist Eile geboten. Die Schafe dürfen auf keinen Fall in das Revier der Kühe. Wenn sie so weit unten sind wird es schier unmöglich sie bis zum Abend wieder hinauf zu treiben. Aber die Schafe spüren auch dass es dort ein zwei Grad wärmer ist und die Sonnenstrahlen haben den Fels hier bereits schön angewärmt. Bis zum Mittag bleibt uns nichts übrig als tatenlos zuzuschauen und möglichst nicht noch tiefer abzusteigen.
    Für mich heißt das nachher mit vollem Rucksack alles wieder rauf! Paola hat gemeint meine Essensvorräte im Rucksack reichen locker noch eine Woche und ich könnte ruhig einmal ums Gebirgsmassiv herum wandern. Oh, wie schwer mir das jetzt fällt nachdem sie mich mit so vielen extra Leckereien versorgt hat. Der Weg zum Nachbarn ins ‚Valle du Ferrand‘ ist nicht weit. Die Hirten untereinander laufen auch mal eben in zwei Stunden quer über das halbe Vorgebirge wo unsereiner einen halben Tag braucht ums sich mit irgendetwas gegenseitig zu helfen. Jetzt ist gerade Verladezeit. Die ersten Schafe verlassen das Hochland wieder in Richtung Marseille für den Winter. So ist auch die Nachbaralm schon leer.
    Ein letzter Abschiedsgruß ins Tal der ‚Chalets de la Valette‘ verhallt in der Weite, dann geht es bergab. Nur um von 2400m über 1700m ab, auf 2000m wieder hoch, auf 1800m wieder ab und dann auf 2400m hoch zu wandern. Man könnte meinen ich hätte gleich oben bleiben sollen. Aber das war dann doch ein wenig komplizierter. Unterdessen gelange ich nach Alpe d’Huez, dem sagenhaften Ort für Tour-de-France-Zielankünfte. So von oben sieht er recht unspektakulär aus und hat für meinen Geschmack viel zu viele Hotelhochburgen. Wintersport wird hier noch größer geschrieben als Radfahren. (PS wandern kann schon lang nicht mehr mithalten.) Die Zahl der Lifte und Pisten übersteigt buchstäblich die der Einwohner. Bleiben will ich hier jedenfalls nicht! Ich will gern noch zu einer Schutzhütte dort irgendwo über mir im Berg.
    Da, plötzlich! Die Dunkelheit holt mich vollkommen unvorhergesehen schneller ein als mir lieb ist. Der einzig richtige Entschluss ist jetzt noch eine der Gaststätten entlang der Skipiste aufzusuchen. Dort kann ich auf der Freiterasse sicher meinen Schlafsack ausbreiten. Jedenfalls weitaus sicherer als im Geröllfeld bergauf Nachts einen Weg zu finden. Ich kann mich kaum erinnern wann ich zuletzt unter freiem Himmel geschlafen hätte. So ganz ohne alles, noch dazu auf über 2000m wo es letzte Nacht Frost gab. Egal, in den Berg zu steigen wäre allemal gefährlicher. Und wie es mir wirklich ergeht kann ich morgen ja davon berichten.
    Baca lagi