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  • Der Riese Haunold

    October 19, 2022 in Italy ⋅ ☀️ 8 °C

    Im Abstieg zur Drei-Zinnen-Hütte geht es genauso waghalsig am Abgrund weiter wie beim Aufstieg. Wo immer möglich haben die Soldaten Gänge in den Felsgetrieben und Versorgungswege versteckt angelegt. Es bleibt für mich eine Meisterleistung welches Netz aus Wegen und Tunneln hier in kürzester Zeit angelegt wurde. Wenn auch aus prekärem Grund. Heute lacht die Sonne und spätestens jeder zweite Wanderer denkt gar nicht mehr darüber nach. Der Ausblick auf die Zinnen und den Paternkofel ist von unten ebenso grandios und lenkt von all der Vergangenheit ab.

    Zurück an der Hütte gibt es noch ein ausführliches Mittagessen bevor für mich der späte Abstieg beginnt. Die Zeit drängt. In ein paar Stunden geht die Sonne unter und eigentlich sind es von hier noch zwei Ganze Tagesetappen zu wandern bis morgen Mittag mein Zug zur Heimreise ansteht. Doch was wäre so ein grandioser Tag ohne die zwei Ausflüge gewesen. Ich hätte das Schönste links liegen gelassen. Das geht ja überhaupt nicht! Keine fünf Minuten später bin ich gefühlt schon kilometerweit weg von all dem Tagestrubel. Mir kommen noch vier Wanderer entgegen. Das sind dann aber alle denen ich auf den nächsten drei Stunden Abstieg begegne. Zuerst ein verzweifelter Tageswanderer mit seiner Frau. "Wie weit ist es denn noch bis zur Hütte? Da am Schild steht 15 Minuten und ich kann sie weit und breit noch nicht sehen. Er sei leicht panisch denn er war schon öfter hier und habe sie immer gesehen, nur noch nicht von dieser Seite..." Ich beruhige ihn, denn ich war ja vor fünf Minuten noch dort. Der Weg wird immer wieder von Stacheldraht gesäumt. Einige Kreative haben daraus ein Kreuz gebaut und als Mahnmal auf einen Steinhaufen gesetzt. Dann kommt ein schier endlos langer Abstieg ins Tal. Nachher begegnen mir die letzten zwei Wanderer an diesem Tag. Ein durchorganisierter Vater mit seinem großen Sohn. Beide 70L und mehr Expeditionsgepäck auf dem Rücken. Dagegen fühlt sich mein viel zu schweres Gepäck federleicht an. Ja, sie wollten oben auf der Hütte übernachten und schön Kochen und weil man auf Nummer sicher gehen wollte, bevor man das Wasser aus dem See nimmt haben sie alleine schon mal 6 Liter Wasser zum Kochen mitgeschleppt und, und, und. Innerlich schüttle ich den Kopf. Zugegeben braucht es etwas Enthusiasmus fließende Quellen zu finden, doch es gibt sie in den Alpen überall. Wasser für den Tag ja, mehr als genug, aber Wasser zum Kochen - auf die Idee käme ich mein Leben nicht. Und wenn ich oben nach Schneefeldern geklettert wäre.

    Im Tal angekommen ist es längst Dunkel. Der Hüttenwirt der Hütte im Tal enttäuscht mich jäh als er meint dass es hier keinen Winterraum gäbe und so bleibt nur der weitere Abstieg hinaus aus dem Naturpark um dort einen Platz für das Zelt zu finden. Ein wenig kommt mir das entgegen. Dann muss ich morgen nicht so endlos weit zum Zug laufen. Stattdessen sinniere ich am Morgen wie ich den Tag noch bestmöglich ausnutzen könne. Anstatt Schnur geradeaus zu wandern entschließe ich mich nochmal für einen Abstecher in den Wald. Unweit des Weges stehen da nämlich im Wald ein riesiger Thron und eine überdimensionale Milchkanne. Die Geschichte war einst dass hier der Riese Haunold lebte. Er war gutmütig. Mit den Menschen aus dem Tal ging er einen Handel ein. Er wolle den Menschen helfen die kleine Basilika zu Innichen zu errichten wenn sie ihm im Gegenzug täglich seinen Lohn zahlten. Ein gebratenes Lamm, eine Kanne voll Wein und ein ausgiebiges Bad. Allein die Kanne ist so groß dass sie heute gerade so auf einen großen Pferdewagen passt. Und der Riese Haunold hat es sich hier sichtlich gut gehen lassen. In seinem Wohnzimmer hier hoch oben kann man heute noch seine Feuerstelle, seinen Besteckkasten und seinen Lieblingsplatz samt Lesebrille besuchen. Ich finde jeder sollte einen Lieblingsplatz haben. Findet ihr nicht auch? für heute habe ich ihn hier gefunden und bin überglücklich diesen Abstecher noch gemacht zu haben. Doch jetzt drängt die Zeit. Der Zug wartet bekanntlich nicht. Im Laufschritt geht es den Ski Hang bergab.

    Ein letzter halt liegt an der Drau Quelle. Hier scheidet sich das Wasser was aus den Drei Zinnen fließt und es entscheidet sich entweder über die Etsch ins Mittelmeer zu fließen oder über die Drau ins Schwarze Meer. Der Goldene Herbst ist einfach malerisch und verabschiedet mich aus dem Pustertal in seinen schönsten Farben. Hier darf ich sein um diese Jahreszeit, hier komme ich gerne wieder her.
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