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  • Day 2

    Ground Zero

    February 9, 2023 in Chile ⋅ ☀️ 28 °C

    Zum üblichen Jetlag kommt dieses mal wieder der Wechsel zwischen Nord- und Südhemisphäre. Weg von -9 Grad hin zu +36 in gerade mal 27 Stunden. Ich merke das spätestens als ich den Jetlag nicht einmal ordentlich ausschlafen kann. Um sieben wieder wach und um neun aus dem Haus. Dennoch herrscht auf der Straße nicht einmal der Ansatz von Rush Hour. Gerade so finde ich den ersten Bäcker der bereits offen hat.

    Auf der groben Tagesplanung steht zuerst ein Berg. Sorry ich kann nicht anders. :) Ich will mir zunächst einen Überblick verschaffen wo ich denn hier eigentlich bin. Der Cerro Santa Lucia scheint mir dafür wie geeignet. Hier stand einst schon Darwin und meinte „es ist unmöglich einen schöneren Blick über dieses Kleinod zu bekommen bekommen als hier.“ Heutzutage wird hier jeder Eintritt mit Ausweis kontrolliert und fälschlicherweise mache ich mir nicht einmal Gedanken. Als Besucher tut man mit Respekt was einem gesagt wird, nicht wahr? Später schlendere ich die Gassen durch die Stadt. Langsam erwacht um halb elf denn auch das Leben. Für unsere Verhältnisse eben hinter dem Ende der Welt.

    Natürlich gibt der Reiseführer hier einiges her und ich kann bei weitem nicht alles an einem Tag erfassen. Der Plaza de Armas ist so etwas wie der Kilometer 0 in Chile. Hier ist Tag und Nacht Leben. Gruselig wird es erst da wo ich erfahre dass die Priester in der großen Kathedrale nebenan stets auf den Gebeinen ihrer Vorgänger lehren. Oder genauer auf ihren Herzen. Denn während die Herzen eines jeden Priesters hier in der Krypta liegen kann es sein dass die Gebeine irgendwo sonst in Santiago verscharrt sind. Deutlich mehr Leben gibt es da noch am großen Fischmarkt bei dem der Fisch auch bei 36 Grad im Schatten noch eine glänzende Figur macht… und in der Fußgängerzone. Nachdem Corona so langsam seinen Schrecken verliert. - Chile ist noch das einzige Land in Lateinamerika in dem es überhaupt noch Corona Regeln gibt - stehen die ersten Gruppen an Studenten in den Straßen und bieten ihre Musik als Straßenkünstler dar.

    Am Abend treffe ich mich mit einem Local dessen Kontakt ich erst vor einigen Wochen herstellen konnte zum Rundgang und Abendessen. Er ist Historiker und will mich gern in die Geschichte Chiles einführen. Gleich zu Beginn jedoch nimmt er auch kein Blatt vor den Mund. Chile ist nicht mehr dass was es einmal war. Vor drei oder vier Jahren gab es Bürgerkriegsähnliche Aufstände. Massenhaft wurden Statuen vom Sockel gezogen und zerstört. Die Venezuelanische Mafia hielt im Zentrum von Santiago Einzug und die Menschen werden mehr und mehr ihrer kulturellen Wurzeln beraubt. Immer offensichtlicher steht an jeder Straßenecke Polizei, suggeriert Sicherheit und verbietet doch zugleich was im Artikel eins der Verfassung noch als unantastbar gilt.

    Da wundert es nicht dass heute teils ganze Straßenzüge noch nicht wieder zurück ins Leben gefunden haben. Nur zögerlich öffnen nach vier Jahren wieder Hotels. Außerdem gleichen sie vielmehr einem Bunker. Andere Geschäfte bleiben irgendwo im Hintergrund. In den Hinterhöfen. Die eigentliche Hauptstraße hingegen erhielt den gespenstigen Beinamen ‘ground zero’ wo die Straßenkämpfe am meisten zerstört haben.
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