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  • Day 135

    Mit Schnaps und Dynamit zum Cerro Rico

    June 22, 2023 in Bolivia ⋅ ☀️ 10 °C

    Erster Tag nach der Salar de Uyuni. Abschalten. Gestern Abend hat der Bus uns alle nach Potosí gebracht. Die höchstgelegene Stadt der Welt. So einen Tag jedoch gänzlich nichts zu tun empfinde ich jetzt auch übertrieben. Potosí ist berühmt, jedoch auch berüchtigt. Die Lebenserwartung der Leute hier ist besonders niedrig. Und das liegt nicht etwa an der Höhensonne sondern am Bergbau. Seit über 100 Jahren fördern die Bergleute hier Silber im cerro rico. Verglichen mit dem Erzgebirge ist das noch eine recht junge Geschichte jedoch jetzt schon legendär.
    Der Berg enthält nur zu minimalen Anteilen totes Gestein. Der Rest sind vor allem Silber, Antimon, Eisen, Kupfer…. Das lohnte sich gefühlt immer hier zu schürfen. 1986 brachen im Zuge der Wirtschaftskrise auch die Preise für Silber und alle anderen Metalle ein. Die Regierung verhängte das Aus der hiesigen Minen. 50.000 Arbeiter ohne Job. Schneller noch als nach dem Kohleausstieg Deutschlands. Im nächsten Jahr war die Krise vorbei doch die Mine blieb offiziell geschlossen. Nun fragten die Bergleute jedoch bei der Regierung an wie es denn weiter geht. Und diese erlaubte denn Bergleuten auf eigene Faust weiter zu fördern wenn der Staat dem der Berg bis heute gehört als einziger entscheiden darf wohin verkauft wird. Seitdem ziehen Generation um Generation wieder in den Schweizer Käse und durchlöchern ihn weiter auf eigene Faust. Die einen Sagen das sei Menschenunwürdig, die anderen behaupten es sei selbstgewähltes Leid über Generationen hinweg. Ehrlich gesagt kann ich mir jedoch nur eine Meinung bilden wenn ich bereit bin mit den Betroffenen in Austausch zu treten. Deshalb scheint es mir auch nicht verwerflich die Mine zu besichtigen und die Bergleute bei ihrer Arbeit zu besuchen.

    Ein Guide holt uns am frühen Nachmittag ab. Er war selbst Bergmann und kennt den Berg bzw. wann wo gesprengt wird oder wenn es für Besucher zu unsicher ist. Dennoch muss jeder von uns eine Erklärung unterschreiben dass dies kein Museum ist und natürlich jederzeit auch ernsthafte Unfälle passieren können.

    Auf dem Weg zum Cerro Rico wandelt sich das Stadtbild dramatisch. Aus den schönen kolonialen Häuserfassaden werden einfache Häuser ohne Putz und oft, wie auch immer das hält, an den Berg geklebt wo gerade Platz war. Mit der Arbeit in der Mine geht natürlich das nötige Outfit einher. Ohne Helm, Lampe und Overall geht es nirgendwo hin und in diesem Fall ist eine Maske noch sehr angebracht.
    Am Eingang zur Mine begrüßen uns die Frauen der Arbeiter. Sie waschen gerade die Wäsche. Später frage ich mich tatsächlich warum eigentlich. Aber das liegt wohl in den Genen.
    Auf den Schienen geht es bis zum Stollen. Wir schaffen es jedoch noch nicht einmal bis zum Eingang als jemand schreit wir sollen alle nach links springen. Mit Karacho kommt ein Tonnen schwer beladener Hunt aus den Stollen gerast. Der Sprung landet indes in der Kapelle in der die Bergleute und auch wir mit Coca um Beistand bitten heil aus der Mine zurück zu kehren. Dann geht es im Zwergenmarsch hinein. Die Schiene und dreißig Zentimeter links und rechts. Breiter ist der Weg nicht als es plötzlich wieder heißt nach links zu springen. Aber diesmal ist da eine Wand! Hilft ja nix. Füße weg, Bauch einziehen und um Haaresbreite kommt der Hunt vorbei gerast. Ich frage mich was die gefrühstückt haben. Die fahren und schieben den Hunt durch die Kante als wäre es ein Plastikspielzeug.
    Während wir Europäer im Entengang schon nach 15Minuten die ersten Kopf- und Rückenschmerzen bekommen rennt an mir doch tatsächlich so ein kleiner Mann ähnlich einem Zwerg an mir vorbei als wäre der Stollen wie für seine Größe gemacht. Unterdessen schlägt alle zehn Meter der Helm an die Decke. Dann wird es noch ein Stück enger. Wir verlassen die Schienen und klettern eine Ebene tiefer in den Berg. Mit den Füßen voran ist der Weg kaum breiter als einfach nur hinunter zu rutschen und zu hoffen dass man keinen Stein lostritt oder hinterher alle Kleider aufgerissen sind. Bergab mag das noch gehen. Doch der Weg hinaus führt auch wieder hoch und es ist nicht zu vergessen dass ich hier sowohl auf 4000m bin als auch dass in der Mine keine Frischluftventilation funktioniert. Die einzige frische Luft ergibt sich aus den undichten Anschlüssen für die Pressluftleitung der Maschinen. Es ist staubig und heiß. Von wegen 8 Grad in einer Höhle. 30grad und mehr lassen den Schweiß fließen.
    Nun sind wir in einer Ebene in der alles per Hand abgebaut wird. erneut wird Puchamama mit Coca und 96% Alkohol besänftigt. Der Alkohol hat aber auch für die Arbeiter eine tragisch wichtige Bedeutung. Seit dem keine Carbidlampen mehr eingesetzt werden ist die Gefahr an Kohlenmonoxid zu vergiften die größte Todesursache in den Minen. Deshalb der Alkohol. Eine Pfütze auf den Boden. Wenn die Probe brennt ist alles gut. Sonst nix wie raus. Und gegen den Staub der hier mit Antimon und Asbest angereichert sein kann hilft es regelmäßig den Mund mit Alkohol auszuspülen. Dann im Anschluss jedoch wach und zuverlässig zu bleiben ist die Herausforderung.
    Unser Guide möchte uns gerne eine Kostprobe vom Dynamit geben der hier verwendet wird. Im Normalfall dritteln die Bergleute eine Stange um sie effizienter zu nutzen. Uns gibt er das labbrige TNT zunächst zum anfassen in die Hand. Es fühlt sich an wie eine schaumartige Knetmasse. Ganz weich. Und ohne Zünder auch harmlos. Mit sollte man sich dann lieber die Ohren zuhalten. Die Druckwelle in den engen Gängen ist enorm.
    Fast zum Abschluss erreichen wir drei Bergleute die hier Steine klopfen und 20 Kilo Säcke füllen. Es gibt drei Qualitäten von Erz. Nur die 1 und 2 wird aus dem Berg geschafft die Dritte dient als Füllmaterial. Tatsächlich sind die Adern hier jedoch so reichhaltig dass sich selbst der Handabbau lohnt um am Ende des Tages die Familie zu versorgen. Im Gespräch mit einigen Bergleuten erfahre ich dass die Schürfplätze von Generation zu Generation weiter gegeben werden. Offiziell muss man 18 sein um mitzumachen. Zumindest in diesem Bereich der Mine ist mir auch kein Jüngerer zu Gesicht gekommen. Und sie sind trotz aller Widrigkeiten zufrieden mit dem was sie erreichen. Sie kennen kein anderes Leben und können sich eine Arbeit ohne den Berg auch nicht vorstellen. Inwieweit die Bergbau Company die Leute unter Druck setzt kann ich nicht beurteilen. Aber der Abbau erfolgt ja freiwillig.

    Dann beginnt der Ausfahrt. Schon zwanzig Minuten vor der Rückkehr ans Tageslicht spüre ich wie die Atemnot spürbar leichter wird. Einige Bergleute fahren mit uns ebenfalls aus. Die Schichten dauern je nach Arbeitsbereich 6,8 oder 12 Stunden. Außer einer Flasche Wasser haben sie nichts dabei. Als ich wieder Tageslicht erreiche wird es mächtig kalt. Das T-Shirt und der Overall reichen plötzlich nicht mehr. Ich bin dankbar dass ich diese Erfahrung machen durfte. Es ist tatsächlich kein Schaubergwerk und die Bergleute verdienen meinen höchsten Respekt. Es ist keine leichte Arbeit und ein jeder von uns sollte sich überlegen wo denn die Mineralien herkommen die wir überall in unserem täglichen Leben verwenden während der Bergbau in Deutschland weitestgehend stillgelegt wurde! Diesen Respekt hier vor Ort auch zu zeigen denke ich lohnt sich.
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