• TiniWini

Endless Summer

...immer der Sonne entgegen Read more
  • Surfgott Felix

    July 5, 2019 in Indonesia ⋅ ⛅ 31 °C

    Nach nur schlappen 20 Jahren Urlaubssurfen ist es soweit. Ich paddel ins Lineup auf Nias und ich kann den Respekt der Lokals spüren und riechen. Es macht mir kaum mehr Mühe, die Setwellen abzustauben und von den staunenden Beobachtern Hangloose Grüße, Whoop-Whoops und natürlich Jubel abzuholen. Wie man stürzt hab ich einfach verlernt. Es klappt wirklich alles. Gut, dass meine Zeit auf Nias bald vorbei ist, damit die anderen Surfer auch mal wieder zum Zuge kommen.

    Peace out ihr Splasher, wir sehen uns in der Barrel!
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  • Life’s better at the beach 1

    July 6, 2019 in Indonesia ⋅ ⛅ 27 °C

    Normalerweise ist in der Villa Warna Warni der „Sunday Funday“ - Beachtag.
    Da die Kids jedoch gerade Ferien haben, gehen wir fast jeden zweiten Tag an den Lagundri-Strand. Viel ist vom Strand nicht mehr übrig, da die Einheimischen ihn lastwagenweise für den Häuserbau abtransportieren.
    Nach der täglichen Mittagsruhe schwirren die Kids wie fleißige Arbeiterbienen in und um unseren (nach deutschem Verständnis schrottreifen) Jeep herum, stopfen ihn mit Schwimmflügeln, Schwimmreifen, Fußball, Bodyboards, Badmintonschlägern, Kokosnusskeksen und Taucherbrillen voll, schnallen die Surfbretter aufs Dach und quetschen sich dann noch selbst in die verbleibenden Lücken im Auto.
    Dreizehn Menschen im Auto und drei bis vier auf dem Roller.
    In dieser Besatzung fahren wir die fünf Minuten zum Strand, wo die Arbeiterbienen sogleich wieder ausschwirren und das Auto entladen.

    Die Großen schnallen sich die Leash um die Fesseln und rennen mit dem Brett unterm Arm in die Wellen. Die Kleinen pressen sich die Schwimmflügel über die Ärmchen und rennen hinterher. Es wird gekickt, Badminton gespielt, im Sand gezeichnet und geplanscht, was das Zeug hält.

    Life’s better at the beach!

    In ihrem Leben vor der Villa Warna Warni haben viele der Kinder noch nie im Meer gebadet. Obwohl sie auf einer Insel wohnen.
    Es ist wunderschön mitanzusehen, wie sehr ihnen das Wasser gefällt und wie sehr sie sich darin austoben können.

    Zum Abschluss eines jeden Beach-Days sammeln wir alle zusammen Plastikmüll vom Strand auf.
    Vom kleinen Aldin bis zum Chef Joli - alle helfen mit. Wir hoffen, auf diese Weise nicht nur unseren Villa-Kids, sondern auch den Locals am Strand ein Bewusstsein für Plastik und Müll zu vermitteln.

    Und der Gedankensamen fruchtet tatsächlich. Mittlerweile fangen vereinzelte Kids schon von selbst mit dem Beach-Clean-Up an.
    Als zusätzliche Motivation und Vorbildfunktion haben wir einen Banner drucken lassen mit der Aufschrift „Villa Warna Warni cleaned our beach!”, natürlich auch in Bahasa Indonesia und Bahasa Nias, so dass es wirklich jeder verstehen kann.

    Life’s even better at a clean beach :)
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  • Nias - Vertraut und doch so fremd 1

    July 7, 2019 in Indonesia ⋅ ⛅ 27 °C

    Unsere Villa Warna Warni.
    Mittlerweile sind es drei Häuser - dank Michi und Nono alle kunterbunt.
    Obwohl ich eigentlich schon weiß, wie es sich hier lebt, bin ich auch dieses Mal wieder von einigen Dingen irritiert:

    Waschbecken. Wieso zur Hölle gibt es nirgends Waschbecken? Es bedarf einiger Angewöhnung, mit derselben Kelle zu duschen, Zähne zu putzen, die Toilette und den Mund zu spülen, Hände und Dinge wie Pinsel oder Kaffeetassen zu waschen.

    Linksverkehr. Wie oft haben wir in den letzten neun Monaten eigentlich die Straßenseite gewechselt?

    Beten. Vor und nach dem Essen. Ein sehr schönes gemeinsames Ritual. Wenn man es mal vergisst und direkt losfuttert, erntet man direkt warnende Blicke.

    Schmatzen. Während des Essens. Anfangs lustig, nach ein paar Wochen nervtötend.

    Schwitzen. Die hohe Luftfeuchtigkeit gepaart mit der Äquatorsonne und dem scharfen Essen treibt einem ununterbrochen den Schweiß ins Gesicht. Ein Zustand, an den man sich als Mitteleuropäer wohl nie gewöhnt. Die Niasser hingegen merken es gar nicht richtig, für sie ist Schwitzen Normalzustand.

    Reis. In Massen. Morgens. Mittags. Abends. Eine Unterscheidung in Frühstück, Mittag- und Abendessen gibt es in der indonesischen Sprache nicht. Es heißt ganz einfach „makan“.

    Chili. In Massen. Morgens. Mittags. Abends. Siehe Punkt „Schwitzen“.

    Mit den Händen essen. Wie zur Hölle kann man denn bitte mit den Händen Reis essen? Nein, ohne Fladenbrot als Löffelersatz. Einfach nur mit den Fingern.

    Das dröhnende Geräusch der Kokosnussreibemaschine. Zwischen Faszination über das geraspelte weiße Gold, das da herausgearbeitet wird und der Angst, dass im nächsten Augenblick ein Kinderfinger geraspelt wird.

    Das markerschütternde Quieken der Schweine. Wenn sie gefüttert werden (bzw. wenn sie - wie fast jede Nacht - beim Nachbarn geschlachtet werden).

    Das Wett-Krähen der Hähne, die den Tag oft schon um drei Uhr nachts einläuten.

    DJ Aisha. Die Kinder gehen krass dazu ab.

    „Tidak apa apa“ - kein Problem. Eigentlich toll, wenn alles kein Problem ist und man immer alles machen darf. Manchmal aber auch echt irritierend. Zum Beispiel wenn man auf die Frage: „Soll ich dir helfen?“ die Antwort: „ Kein Problem“ bekommt. Heißt das jetzt Ja oder Nein? Oder „Soll ich dir etwas aus der Stadt mitbringen?“ - „Tidak apa apa.“

    Spülen. In der Hocke auf dem Boden neben dem Brunnen.

    Das glirrende Geräusch des Nachbar-Schmiedes in aller Herrgottsfrüh.

    Handeln. Um alles. Sogar wenn der eigene Bruder der Verkäufer ist.

    Tante Tini. Lustigerweise sagt man hier zu Frauen, denen man Respekt zeigen will, Tante.

    Spontan. Die normale Vorlaufzeit für Einladungen zu einer Hochzeit beispielsweise beträgt 1-3 Tage. Genau so spontan muss man auch mit Planungen, die die Arbeit im Kinderheim angehen, sein.

    Meine Zeit hier in der Villa Warna Warni ist zwar anstrengend, aber tut dem Herzchen sehr gut. Hier kennt man mich, hier habe ich eine Aufgabe, mache etwas Sinnvolles. Hier werde ich in Liebe bezahlt und bin ein Teil eines extrem gut funktionierenden Systems. Eines sauber geölten Großfamiliengetriebes, in dem jeder genau weiß, was er wann zu tun hat. Am allermeisten begeistert mich, wie gut die Kinder erzogen sind. Sie sind überaus höflich, respektvoll, sagen immer zu allem Danke und Entschuldigung (sogar, wenn ich wo dagegenlaufe. Sie entschuldigen sich sozusagen für meine Blödheit ;).
    In der Freizeit der Kinder knüpfen wir Freundschaftsbändchen, falten Origami, spielen Tischtennis und UNO, singen oder sitzen einfach vor dem Haus auf dem Boden und quatschen. Oder glotzen auf die Straße. Oder tun nix.

    Besonders schön finde ich auch den „jalan jalan“ (Spaziergang) durch unseren villaeigenen Garten.
    Grün. Bananenstauden, Tapiocapflanzen, Chilibäumchen, Kokosnusspalmen. Alles grün. Bis runter zum Reisfeld. Und auch hier: Grün soweit das Auge reicht.
    Die pure Schönheit der Reisfelder hat mich schon oft in ihren Bann gezogen und auch dieses Mal breitet sich in mir unmittelbar eine innere Ruhe aus. Die dünnen, langen Pflänzchen, die in verwunderlich beruhigender Art in ordentlichen Reihen stehen und bei jedem Windzug sachte rascheln.
    Gekonnt huschen Deli und Aris auf den sumpfigen Wegen zwischen den bewässerten Feldern hin und her, pfeifen auf Grashalmen und zeigen uns die leeren Reis-Ähren.
    „Normally you can hear the people screaming to chase away the birds. But now we don’t hear anyone.”
    Joli erklärt, dass die diesjährigen Reispflanzen kaputt sind. In ganz Südnias wird die Reisernte äußerst schlecht ausfallen, da in den Ähren schlichtweg nichts drin ist. Niemand weiß genau, woher das kommt. Es könnte an der Temperatur liegen oder an der Luftfeuchtigkeit. Keiner weiß es genau, aber es ist für viele Niasser Bauern ein Genickbruch. Sie leben vom Reis und müssen nun schauen, wo sie ihr „täglich Brot“ herbekommen. Auch in unserer Villa muss mehr Reis zugekauft werden. Pro Jahr gibt es drei Reisernten, wobei auf unseren Feldern insgesamt 17 - 25 Säcke Reis produziert werden. In mühevoller und schweißtreibender Arbeit. Wieder einmal mehr wird mir bewusst, wieviel Zeit, Schweiß und sich zwischen die Zehen festsaugende Blutegel in dem Reis stecken, den wir einfach so ganz bequem zuhause vom Regal kaufen. Und wieder einmal mehr nehme ich mir vor, zuhause ausschließlich fair gehandelten Reis zu kaufen, damit die Arbeiter vor Ort wenigstens annähernd für das belohnt werden, was sie leisten.

    Auf dem Weg durch den Garten zurück zur Villa erhasche ich ein Näschen des mittlerweile so vertrauten Geruches nach Chili, Knoblauch und Ingwer. Juli kocht. Hmmmm mir läuft das Wasser im Munde zusammen. Vor allem weil ich weiß, dass ein Großteil unseres Abendessens genau aus diesem Garten stammt.

    Ach wie schön ist es, hier auf Nias zu sein. Es sind so viele Kleinigkeiten, die diesen Ort und seine Menschen zu meiner zweiten Heimat machen.
    Dschungelgeräusche zum Einschlafen. Sonnenaufgang über Kokosnusspalmen. Mit der Sonne leben. Das ausgiebige, sinnliche Bet- und Singritual vor dem Schlafen.

    Apropos Schlafen: Michi und Nono haben unglaublich viel Zeit und Liebe in die Renovierung der Villa gesteckt, so auch in die oberen beiden Zimmer des zweiten Hauses. Dort schlafen Volunteers, Gäste und auch wir, wenn wir vor Ort sind. Felix und ich gestalten die Räume weiter, statten sie mit Betten, Moskitonetzen und einem prall gefüllten Materialschrank für die Volunteers aus. Außerdem stellen wir einen Volunteerguide zusammen, der zukünftigen Freiwilligen helfen soll, sich auf Nias und in der Villa Warna Warni zurecht zu finden. Besonders betonen wir dabei die Kulturellen Unterschiede, die sogar uns nach acht Jahren Nias-Erfahrung immer wieder an unsere Grenzen bringen.

    Zum Beispiel, dass der älteste Sohn eine übermächtige Stellung hat (beim Todesfall des Vaters geht alles Hab und Gut an den ältesten Sohn und nichts an die Frau) und Johan aufgrund dessen nie bei den normalen Haushalts-Tätigkeiten in der Villa helfen wird. Auch wenn das mit unserem deutschen Gerechtigkeitsempfinden nicht vereinbar ist: man muss akzeptieren, dass die anderen Kinder Johans Teller spülen und seine Hosen waschen.
    Anderes Beispiel: Es ist unglaublich schwierig, neue Mädchen in das Kinderheim zu bekommen. Das liegt nicht daran, dass etwa alle Niasser Mädchen eh schon zur Schule gehen können. Nein, davon sind wir weit entfernt. Es liegt daran, dass die Familien ihre Mädchen nur ungern gehen lassen, da sie diese für gutes Geld an zukünftige Ehemänner „verkaufen“ können. Harinatal berichtete uns, wie er seiner Schwiegermama in spe jeden Tag Hühner brachte und ihr alle möglichen Dienste erwies, um den Preis für seine Nattie etwas zu drücken.

    Ein sehr krasser Unterschied ist auch, wie extrem gläubig die Niasser sind. Die Mehrheit sind Katholiken. Jedoch von der Sorte „Händchen halten in der Öffentlichkeit ist obszön, Sex vor der Ehe geht gar nicht und Verhüten ist auch nicht drin.“ Nach dem verheerenden Tsunami 2005 arbeitete Joli für „Surf-Aid“ und sollte in diesem Rahmen Aufklärungsarbeit in den Dörfern Nias‘ leisten. Als er dies jedoch tat, bekam er vom ersten Dorfchef direkt eine Strafe auferlegt und musste zwei Säcke Reis und ein Schwein bezahlen.

    Nias ist wirklich eine andere Welt. Ich habe selten so einen Ort erlebt, der noch kaum von der westlichen Konsum- und Kapitalismuswelt beeinflusst ist, an dem die wenigsten Menschen ein Bankkonto haben, an dem Traditionen fast schon über den Gesetzen stehen, an dem die Dorfgemeinschaft einen extrem hohen Stellenwert hat, an dem in Kokosnüssen und Schweinen bezahlt wird, an dem Hähne gehegt und gepflegt werden, an dem das Ansehen im Dorf so wichtig ist, dass man sich tief verschuldet, weil man lieber hunderte Menschen, die man nicht einmal kennt, zu seiner Hochzeit einlädt, als dass man nur wenige Gäste hat, was nicht gerade für einen guten Ruf spricht.

    Und mitten in diese stark traditionsbehaftete Kultur platzten vor acht Jahren ein paar deutsche Studenten und haben es geschafft, über tausende Kilometer hinweg eine Kooperation aufzubauen und das Kinderheim Villa Warna Warni zu erbauen. Unfassbar. Immer wieder, wenn ich das selbst von außen betrachte, wundere ich mich, wie wir das eigentlich geschafft haben. Wie wir da jetzt mitten in der bunten Villa sitzen können und sogar ich als Frau ein Meeting mit vier Männern anleiten darf.

    Ein Elefantenanteil am Gelingen dieses Projektes liegt ganz klar bei Joli. Mit seiner weltoffenen Art, seiner Kooperationsbereitschaft, seiner tief verwurzelten sozialen Ader und seinen unendlichen Ideen leistet er Tag für Tag grandiose Dinge und hält den Laden am Laufen.

    Welch Privileg, einen solchen Menschen seinen Freund und Partner nennen zu dürfen!
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  • Abschied von der Villa Warna Warni 1

    July 8, 2019 in Indonesia ⋅ 🌧 26 °C

    Eigentlich wollen wir an unserem letzten Tag nur mal schnell zu einem Strand, an dem wir noch nie waren. Einfach kurz Tschüss sagen zum indischen Ozean, in welchen Nias so wunderschön eingebettet ist. Der Sogabi Mboho Beach. Keine acht Kilometer weg von unserer Villa Warna Warni. Ein Kinderspiel. Wie immer auf Nias wird man eines besseren belehrt. Die Straße wird bald zum Holperweg, der Holperweg wird bald zum Schlagloch-Trail, der Schlagloch-Trail wird bald zu Baumstämmen, die über Flüsse führen und diese wiederum enden in einem Reisfeld, wo der Weg einfach aufhört. Wir kommen nicht weiter. Aber da wir professionelle Glückspilze sind, kommt uns ein Reisbauer entgegen, der direkt seine Ladung Bambusholz auf den Boden wirft und in erschreckend schnellem Lauftempo vor unserem Roller hermarschiert, um uns den Weg zu zeigen. Wir können uns nicht wirklich verständigen, da nichtmal unser Basic-Indonesisch hilft. Tja Hausaufgaben bis zum nächsten Nias Aufenthalt: Bahasa Nias lernen.
    Jedenfalls führt er uns zu einer Kirche, an der wir den Roller stehen lassen müssen und dann zu einem Fluss, wo er auf das gegenüberliegende Ufer deutet. Weit und breit kein Meer zu sehen. Naja was soll’s. Vertrauen hat schon immer geholfen. Also steigen wir in seinen wackeligen Einbaum. Meine Hüften passen kaum in das Boot. Als Felix auch noch einsteigt, schwappt der Fluss fast ins Boot, das Wasser reicht exakt bis zur Bootskante. Wir dürften kein Gramm schwerer sein.
    Am anderen Ufer angekommen, begleiten unser neuer Freund und dessen Freund uns über Tapiocafelder (sie waren nicht schlecht begeistert, dass zwei buleh wissen, dass dies Schweinefutter ist) und durch Palmenhaine zum Meer.
    Dort angekommen schauen sie uns an und wir uns um. Kein Mensch weit und breit. „Foto! Foto!“ meinen sie. Sie können gar nicht verstehen, dass wir nicht zum Fotografieren gekommen sind. Als wir uns bis auf unsere Badesachen entkleiden und uns auf unsere Strandtücher legen, fallen ihnen fast die Augen aus. Was für eine absurde Situation. Wir liegen auf unseren Tüchern, bräunen uns und nebenan sitzen die zwei Jungs, warten darauf, dass wir damit fertig sind und können es offensichtlich nicht fassen. Diese verrückten Weißen. Legen sich in dieser brütenden Hitze unter die pralle Sonne und das auch noch halbnackt. Nach einer Stunde - die Jungs haben sich mittlerweile unter einen Busch verzogen - ist unsere Zeit dann auch schon abgelaufen und wir machen uns zu viert auf den abenteuerlichen Weg zurück zum Roller, wo wir den zweien ein ordentliches Trinkgeld in die Hand drücken. Sie freuen sich wie kleine Kinder über dieses unerwartete Einkommen und bedanken sich mit einem dicken Grinsen.
    „Friedlich und Freundlich“. Damit bringt Felix die Niasser Art ziemlich genau auf den Punkt.

    Zurück in der Villa Warna Warni besticken wir die letzten Mützen (als Abschiedsgeschenk bekommt jeder von uns eine Cap mit seinem Namen), packen unsere Rucksäcke und versuchen, Massen an Muscheln darin zu verstauen.
    Und wieder beschleicht mich dieses verwirrende Gefühl aus Freude, Dankbarkeit und Abschiedsschmerz, als wir da so Stück für Stück aus „unserem“ Zimmer ausziehen.

    „Iiiiiit iiiiis time to iiiiiiiiiit!“ ruft es mitten in meine melancholische Gedankenreise hinein.
    Ein letztes Mal kommt der süße Deli zu unserem Zimmer herauf und ruft uns fürs Abendessen. Ein Abendessen der besonderen Art.

    Für unser Abschiedsessen hat Joli elf Kilogramm frischen Fisch besorgt und Johan zwei Hühner geschlachtet. Alle sind sie da. Joli, Juli, alle Villa-Kinder, Harinatal und seine gesamte Familie, Anton (Jolis Bruder), seine Frau mit zwei Kindern, Marina (Jolis Schwester) mit ihren Mädels und last but not least Jolis Mama. Alle helfen mit, es wird Fisch in Bananenblätter gewickelt und auf Kokosnussfeuer gegrillt, es wird aus frisch gepflückten Chilis Sambal hergestellt, es wird eine riesige Tafel aufgebaut, es werden massenweise rote und grüne Plastikstühle drumrum gestellt, es wird geschnitten, gerieben, gebraten, es werden Avocados zu Smoothie verarbeitet, es wird Wasser im Kessel über dem Holz-Feuer abgekocht und es werden natürlich Berge an Reis zum Tisch getragen.

    Und so schmausen wir wie die Könige, bis uns fast die Bäuche platzen. Ein unfassbar leckeres Festmahl!

    Nach dem Essen zieht mich Susi, unsere Älteste, in das Mädchenzimmer, um mir ein Freundschaftsbändchen zu schenken. Ich lobe sie für ihre unglaublich höfliche Art, für das liebevolle Bemuttern der Kleineren in der Villa, für ihre Zuverlässigkeit und ihre guten Leistungen in der Schule. Sie schaut mich an, ihr steigen die Tränen in die Augen. Ich umarme sie und mir zerreißt es fast das Herz, als sie weinend erzählt, dass sie heute Nacht von ihrem verstorbenen Papa geträumt hat und dass sie ein vorbildliches Mädchen mit guten Noten sein möchte, um ihre Mutter und ihren Vater im Himmel stolz machen möchte. Ihre Mutter Nuritia haben wir vor zwei Jahren für unsere Dokumentation besucht. Susi erzählt, dass sie immer traurig ist, wenn sie sich daran erinnert, wie ihre Mama jeden Tag zuhause weint, weil sie kein Geld hat, um weder ihren Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, noch genug Reis zu kaufen. Außer Susi und Tina, die beide bei uns in der Villa Warna Warni leben, hat Nuritia noch fünf weitere Kinder. Ihre Holzhütte war so marode, dass es überall hereingeregnet hat. Deshalb hat unser Verein letztes Jahr entschieden, sie beim Bau eines stabilen Hauses finanziell zu unterstützen.
    Das Gespräch mit Susi berührt mich zutiefst. Da wird mir wieder bewusst, welch harten Schicksale diese Kinder haben. Welch verletze Herzen hinter diesen lachenden, fröhlichen Gesichtern stecken. Und genau in solchen Momenten wird einem klar, für was beziehungsweise wen wir die viele Arbeit zuhause machen. Nämlich genau für diese wunderbaren Kinder, die einen so schweren Start ins Leben hatten und jetzt ihr Bestes geben, um die ihnen eröffnete Chance so gut wie möglich zu nützen. Um einen guten Schul-Abschluss zu machen. Um einen ordentlichen Job zu lernen. Oder um zu studieren. Um ihre Familie stolz zu machen. Um dann wiederum Anderen zu helfen. Um ihre Familie und ihr Dorf zu unterstützen.
    Genau das predigt Joli den Kids auch regelmäßig. Er erwartet nicht, dass sie zu ihm zurückkommen werden, um ihm irgendwas zurückzugeben. Er möchte, dass sie in ihre Dörfer gehen und dort den Menschen helfen. Den Samen der Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft säen. Um die Welt Stück für Stück zu einem besseren Ort zu machen.

    Getreu unseres Mottos: „Viele kleine Leute, an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.“

    Und als ich da so auf meinem Plastikstuhl im Hof sitze, Arak trinke, Jolis Nelkenzigarette rieche, die spielenden Kinder beobachte und Aldin seelig auf meinem Schoß schlummert, ergreift mich ein ganz tiefes Gefühl des Stolzes.
    Stolz auf Joli und Juli. Stolz auf die Kinder. Stolz auf uns.

    „Selamat jalan“ (Guten Weg) - „Selamat tinggal“ (Gutes Daheimbleiben) verabschieden wir uns am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrüh. Gottseidank ist es noch zu früh für ausufernde Emotionen. So geht unser Abschied kurz und knackig über den Tisch.

    „Hati Hati, ja?!“ - Bitte Aufpassen, ja? Ein letztes Mal hören wir diese so oft gehörte, äußert lieb gemeinte und aufmerksame Bitte.

    Tschüss Nias! Wieder ein Abschied. Wieder loslassen. Wieder Herzschmerz. Mit dem Unterschied, dass ich dieses Mal weiß:
    Es ist kein Tschüss.
    Es ist ein Auf Wieder-Sehen.
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  • Unsere Studentin Marni

    July 9, 2019 in Indonesia ⋅ ☁️ 30 °C

    „This is my university!” sagt sie voller Stolz und zeigt auf das gelbe Gebäude vor uns.

    Wir sind in Medan, der Hauptstadt Sumatras und besuchen Marni. Sie war eines der ersten Kinder, die 2013 in die Villa Warna Warni einzog. Und sie ist das erste Kind, dem wir nach erfolgreichem Schulabschluss auf Nias ein Studium in Medan ermöglichen. Seit drei Jahren wohnt sie hier und studiert mittlerweile im sechsten Semester Englisch auf Lehramt. Ihr Englisch ist unterirdisch. Wie sie auf die vielen 1er und 2er in ihrem Zeugnis kommt, ist uns ein Rätsel.
    Naja offensichtlich reichen ihre Englischkenntnisse aus, um ihr Studium erfolgreich zu absolvieren.
    Marni zeigt uns ihre Zeugnisse der letzten Semester, verschiedene Prüfungen und Lernmaterial. Wir sitzen auf dem Bett in ihrem kleinen Zimmer einer 5er WG. Neben dem Bett steht ein Reiskocher. Ohne den geht einfach gar nichts ;)
    Sie erzählt uns, dass sie ab August ein Praktikum an einer „Junior High School“ in Medan absolvieren wird.
    Wenn alles nach Plan verläuft beendet sie kommendes Jahr ihr Studium und verdient dann als Lehrerin ihr erstes eigenes Geld. Ein Moment, der uns ganz viel bedeutet. Zum ersten Mal werden wir unser langfristiges Ziel erreicht haben: Ein Villa Warna Warni Kind steht auf eigenen Beinen. Ist nicht mehr auf finanzielle Hilfe angewiesen. Hat es aus der Armut heraus geschafft. Kann seine Familie auf Nias unterstützen.

    Da Marni gestern Geburtstag hatte, laden wir sie zum Essen ein. So schlendern wir Arm in Arm durch die lauten Straßen Medans und ich finde es aufs Neue faszinierend, wie klein sie ist. Ihre aufgeweckte, fröhliche Art ist richtig ansteckend. Sie führt uns in eine Mall, wo wir in den dritten Stock fahren. Erst als sie äußerst wackelig und unsicher auf die Stufen der Rolltreppe tritt, wird mir bewusst, dass sie das hier in Medan zum ersten Mal tat. Auf Nias gibt es weit und breit keine rollenden Treppen. Was für eine gute Erfindung, denke ich mir.

    Beim Essen schauen wir uns Fotos von vor vier Jahren an. Wie ich bei Kerzenlicht mit Marni am Boden sitze und sie Vokabeln abfrage. Die kleine Marni mit Felix‘ Cap auf dem Kopf. Marni im Damensitz auf dem Roller auf dem Weg zur Schule. Und jetzt steht sie hier vor uns. Als junge Dame. Als Studentin. Als zukünftige Lehrerin.

    Ich bin so stolz auf Marni.

    „Thank you Mami Tini!“ sagt sie mit ihrem unverkennbaren Grinsen auf dem Gesicht und drückt mich ganz fest. „See you next time!“
    Ja, bis zum nächsten Mal, Marni. Dann als Kollegen :)
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  • Der Heimflug

    July 10, 2019 in Singapore ⋅ ⛅ 31 °C

    Gestern noch mit der Kelle geduscht, heute weinschlürfend die Skyline Singapurs betrachten. Vom Reis- und Kokosnussdschungel in den Großstadtdschungel. Völlige Überforderung. In Singapur dürfen wir netterweise unseren Stopover in der luxuriösen Wohnung von Adrian und Alex verbringen. Nachdem wir es wie verwilderte Affen durch die Mehrfachsicherheitsschleuse der neu gebauten „Marina One Residence“ geschafft haben, stehen wir in einer riesigen glänzenden Lobby und fühlen uns fehl am Platz. Wo gehts hier gleich nochmal zum Strand?
    Der nette Consierge mit schnurgeradem Seitenscheitel ruft im 23. Stock an und fragt Adrian, ob er Besuch erwarte. Daraufhin schleppt er meinen mit kiloweise Muscheln bepackten Rucksack zum Aufzug. Wie fancy hier alles ist. Pling! Da geht die Türe auch schon auf und wir stehen bereits mitten in der hochglanzpolierten Wohnung von Adrian und Alex. Kaffeevollautomat. Per Handy verstellbare Wohnraumbeleuchtung. Ein Kühlschrank mit Käse, Butter, Oliven, hausgemachter Marmelade und Brot. Mein Highlight: ein Waschbecken im Bad. Was für eine geniale Erfindung. Dafür suche ich vergeblich den Mülleimer, bis mir einfällt, dass man das Klopapier ja einfach ins Klo werfen darf. Balkon, dessen Glasfront den Blick auf die Marina Bay freigibt. Kühler Roséwein aus Stielglas. Heißes Wasser aus der Dusche.

    Auf Nias gibts weder Waschbecken (ja, das macht mich am meisten fertig) oder Weingläser, noch größere Einkaufsläden. Hier wandern (oder eher rennen) wir durch die imposant beleuchteten Wolkenkratzer zu einer übertrieben großen und super schicken Mall. Das ist also das Tempo, das man hier drauf hat und ich zuhause vermutlich meistens auch.
    Mir wird bewusst, dass ich in den vergangenen Monaten ein paar Gänge zurück geschalten habe.
    Muss man den Gang wieder hochschalten, um im „normalen“ Leben mithalten zu können? Ich werde es sehen...

    Mit Alex und Adrian gehen wir zu Abend essen. Hmhmhmh.
    Salat mit richtigem Dressing. Burger! Pizza! Alles Dinge, die wir vermisst haben. Aber jetzt, da wir sie essen, fällt uns das Kauen echt schwer. Der Kiefer ist gewohnt, Reis mit Gemüse zu essen, das man locker mit der Zunge am Gaumen zerdrücken kann. Kiefermuskelkater vom Pizzakauen. Wer hätte das gedacht?

    Und dann sitzen wir tatsächlich im Flugzeug, an dessen Boarding - Gate BERLIN steht.

    Die verschiedensten Gefühle sind zu Gast in meinem Kopf. Mein Herz schlägt Purzelbäume. Meine Gedanken sind so flatterhaft, dass ich geistig von einem Thema zum nächsten springe.

    Wenn ich jetzt an die Besteigung des Kilimandscharos denke, an das Tauchen im Malawisee, an das Schwimmen mit Walhaien, an das Festival im Flüchtlingslager, an die Schimpansen, an die Löwen, Giraffen, Nilpferde, Erdmännchen und Zebras, an Seeadler und Südafrikaner, dann kommt mir das vor, als sei es aus einem anderen Leben. Auch die pinken Kaktusfrüchte in der roten Wüste in Kolumbien, die Kuna Yala auf den San-Blas-Inseln, Faultiere, Reggaeton und bananenfressende Iguanas kommen mir ewig her vor.

    Vergeht die Zeit auf Reisen eigentlich gefühlt schneller oder langsamer als zuhause im normalen Alltagsleben?
    Irgendwie ging dieses Sabbatjahr jetzt total schnell rum, aber andererseits schien die Zeit auch langsamer zu vergehen.
    Die Zeit beim Reisen ist wie gedehnt. Man packt mehr rein und erlebt so unglaublich viele Dinge.

    Manchmal fühlt es sich an wie ein Traum, wenn ich an einzelne Momente der Reise zurück denke. Immer wieder katapultiert mich ein Geruch, ein Geräusch, ein Geschmack oder ein Lied zu einer bestimmten Situation der vergangenen Monate.
    Und während ich diese Gedanken aufschreibe, singt zufällig gerade Colin Hay in meinem Ohr:
    „I watch the sun as it comes up. I watch it as it sets. Yeah, this is as good as it gets.
    Ma Ma Ma it’s a beautiful world. I like swimming in the sea....“

    Sofort kommen mir Bilder der unzähligen spektakulären Sonnenauf- und -untergänge, die ich miterleben durfte. Hinterm Berg, über dem Meer, auf meinem Oberarm.

    It’s a beautiful world! Wie Recht Colin Hay doch hat. So eine schöne Welt. Eine Welt. Und doch liegen Welten dazwischen. Das Leben auf Nias beispielsweise ist so grundlegend anders als in Deutschland. Genau dieser Punkt macht das Reisen so spannend. Andererseits auch anstrengend. Vor allem für so sensible Herzchen wie meins.

    Zehn Monate Abenteuer. In 99 verschiedenen Betten geschlafen. In 13 verschiedenen Währungen gezahlt. Auf Berge geklettert. In Meere getaucht. Gelacht. Geweint. Gespürt. Und stets der Sonne gefolgt.

    Da fällt mir doch glatt ein passendes Lied ein. Da es bei unserer tollen Airline Scoop eh keine Boardanimation gibt, kann ich mich ausgiebig Spotify und meinen wirren Gedanken hingeben.

    „So follow, follow the sun,
    The direction of the bird,
    The direction of love.
    Breathe, breathe in the air,
    Cherish this moment,
    Cherish this breath.
    Tomorrow is a new day for everyone.
    Brand new moon, brand new sun.
    So which way does the wind blow, what does your heart say?“

    What does my heart say, Mr. Rudd?

    Es sagt: Waaaaaah! Gefühlsüberforderung!

    Und der Pilot sagt:

    „Ladies and Gentlemen. Welcome to Berlin. The outside temperature is 11 Degree Celsius. Blablabla. We wish you a pleasant stay.“

    11 Grad.
    A pleasant stay.
    Wielange bleiben wir hier nochmal genau, bevor es weitergeht?

    In manchen Momenten zerreißt mir die Sehnsucht nach der Ferne fast das Herz. Fernweh. Wieso gibts das eigentlich? Wieso sehnt man sich nach Ferne, wenn man doch eine so schöne Heimat hat?
    Ist es die Neugierde? Die Neugierde, wissen zu wollen, wie mongolisches Essen schmeckt, wie kalt der Titacacasee ist, welche Musik die Japaner hören, warum Indonesier selten Brot essen, wie es sich anfühlt, durch den Amazonas zu laufen? Und diese Dinge nicht nur zu wissen. Sondern zu schmecken, fühlen, riechen, erleben.
    Oder wird man mit „Hummeln im Hintern“ geboren? Meine Oma, die begeisterte Wanderin ist, sagt immer: Tini, du bist ein Wandervogel wie ich.
    In meinem allerersten Bericht dieser Reise habe ich die weisen Worte meiner Oma zitiert: „Trudle durch die Welt. Sie ist so schön!“

    Mehr denn je kann ich jetzt sagen: Oma, du hast so Recht!

    Ein letztes Mal warten wir am Gepäckband und halten Ausschau nach unseren Rucksäcken. Ein letztes Mal hieven wir sie auf unsere Rücken. Ich bin vollbepackt. Mit verwaschenen Klamotten, Muscheln und mit Eindrücken, die es nun nach und nach zu verarbeiten gilt.

    Hallo Deutschland!
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  • Feel

    July 13, 2019 in Germany ⋅ ⛅ 17 °C

    ‚Kopf aus, Party an. Eskapismus. Alltagsflucht. Ein Raum voller Möglichkeiten. Hedonismus. Die pure Freude an Lust und Genuss. Tausend Ideen, kondensiert in einen Mikrokosmos, der für einige Tage zum Leben erwacht.‘

    All das und noch viel mehr sind Festivals, schreiben die Organisatoren des Feel-Festivals, auf dem wir uns gerade befinden.
    ‚Fünf Tage wildes Tanzen, inspirierende Kunst und viel Gefühl.‘
    Dazu noch eine Handvoll wundervoller Freunde aus München, Neon-Leggins, Glitzerschminke und blinkende Blumenkränze.
    Was für ein spektakuläres Ankommen in unserem Heimatland.

    So tauchen wir im wilden Osten Deutschlands nochmal ab, bevor es in die richtige Heimat in den Süden geht.

    Schrittweises Ankommen.
    Schrittweises Heimkommen.
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  • Alles nur ein Traum?

    July 16, 2019 in Germany ⋅ ⛅ 20 °C

    Es ist soweit.
    Wir sind in Süddeutschland angekommen. Heimat. Heimat?
    Es riecht richtig deutsch. Und die Menschen sehen auch richtig deutsch aus. So viel geballte Deutschheit haben wir seit zehn Monaten nicht mehr erlebt. Irgendwie vertraut und irgendwie zum Wegrennen.
    Selten habe ich Dinge in meinem eigenen Land so bewusst wahrgenommen wie jetzt.
    Der unverkennbare Duft von Bäckereien, Blumenläden und Bioläden beim Daran-Vorbeilaufen. Mülleimer. An jeder Ecke. Mercedes-Autos als Taxis. Keine Stromleitungen hängen in der Luft. Sind die echt alle vergraben? Schicke Fahrräder an jeder Ecke. Chiquita Bananen im Regal, die ich vielleicht im April noch an der Staude in Costa Rica gesehen habe. Menschhohe Maisfelder. Bunte Blumenwiesen. Wie schön sind die eigentlich? Und das saftige Gras erst! Gibts eigentlich noch jemand, der kein E-Bike fährt? Johannisbeeren, Erdbeeren, Himbeeren. Kornfelder.
    Sonnenblumenfelder. Ampeln.
    Tupperboxen in Bananenform.
    Ich könnte die Liste endlos weiter führen.

    Wir sind in Erding bei Felix Eltern.
    Zum ersten Mal seit Monaten riechen wir, dass es aus unseren Rucksäcken stinkt. Komisch, dass uns dieser Geruch, den wir in all den Ländern nach und nach eingesammelt haben, nicht vorher auffiel. So als ob er sich erst im gestriegelt-sauberen Deutschland in voller Pracht entfalten kann. Michi nennt diesen Geruch liebevoll „Reiseparfüm“.

    Als ich da also den Reißverschluss meines geliebten Rucksackes öffne, kommt mir ein Riesenschwall dieses Reiseparfüms entgegen. Es riecht so stark nach Sabbatjahr, dass es mir die Tränen in die Augen treibt. Tränen des Fernwehs? Der schönen Erinnerungen? Der Freude? Der Verwirrung? Vermutlich ein Mix aus allem. Ein kurzer Geruch, der von unzähligen Momenten, Ländern, und Menschen erzählt.
    Mit jedem Teil, das ich auspacke, kommen mir etliche Erinnerungen. Mit jedem Teil, das ich auspacke, beende ich das Sabbatjahr ein Stückchen mehr.

    Ich stehe in Felix‘ altem Kinderzimmer und bin völlig überfordert. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Alles, was hier herumliegt, hat eine Geschichte. Das Booklet mit eigenen Fotografien von Warren aus Südafrika. Das bunte Stofftäschchen, das wir uns auf dem Festival im Flüchtlingslager in Malawi nähen lassen haben. Die Spanisch-Lernbücher, mit denen ich in Nicaragua gebüffelt habe. Die Wollmütze, die mich auf dem Kilimandscharo gewärmt hat. Der ausgeblichene gelbe Bikini, der all die wundervollen Strände Zentralamerikas gesehen hat. Das Fernrohr, mit dem wir in Botswana Löwen beim Kuscheln beobachtet haben. Den Flachmann, den ich Felix zu seinem 33er in Mosambik geschenkt habe. Das Prospekt der deutschen Schule Medellin, die uns gerne eingestellt hätte. Die Freundschaftsbändchen an meinem Arm, die mich (fast schon schmerzlich) an gewisse Personen erinnern. Einst so vertraut und jetzt fühlt es sich an, als wären diese Menschen aus einem anderen Leben. Sogar der Ring an meinem Zeh versetzt mir einen Stich im Herzen. Ich sehe ihn über die verschiedensten Untergründe laufen. Ständig war etwas Sand unter ihm eingeklemmt. Und stets hat er mich angestrahlt, denn er war so gut wie nie in Schuhe eingesperrt.

    Wenn ich an das Jahr zurück denke, kommt es mir immer mehr vor wie ein Traum. Richtig unrealistisch. Kaum greifbar. Fast schon verschwommen. Wie ein Traum, an den man sich unbedingt erinnern möchte, der einem aber immer weiter entschwindet.
    Felix ohne sein Surfbrett zu sehen, ist ganz seltsam. Aber seine blonden Haare, unsere braune Haut und unsere stinkigen Klamotten sind ganz klare Beweise, dass diese Reise nicht nur ein Traum war. Sie ist wirklich passiert und wir werden auf Ewig wundervolle Erinnerungen in unseren Herzen tragen.
    Felix fragte gestern, ob sich so eine Reise überhaupt lohnt, wenn man danach eh das Gefühl hat, es war alles nur ein Traum.
    Die Antwort ist natürlich klar.
    Vielleicht ist das nur ein Schutzmechanismus des Körpers. Damit so emotionale Menschen wie ich sich wieder möglichst schnell an das Leben zuhause gewöhnen und nicht noch wochen- oder gar monatelang Herzschmerz haben.

    So ein Luxus dieses Reisen. Und gleichzeitig eine Last. Weil man immer wieder losziehen und entdecken möchte. Weil man tausend verschiedene Arten gesehen hat, wie Menschen leben. Weil man plötzlich tausend Türen und Möglichkeiten sieht, wie man sein eigenes Leben leben könnte. Weil man auch das Elend der Welt erlebt hat und helfen möchte. Weil man vermisst. Menschen. Tiere. Gerüche. Musik. Temperaturen. Aussichten.

    Aber all das ist in unseren Herzen gespeichert. Und auch wenn es manchmal schmerzt, sich an diese Dinge zu erinnern - die Freude und Dankbarkeit, sie überhaupt erlebt, gerochen, gefühlt, empfunden, gesehen, gehört, genossen und gespürt zu haben, überwiegt eindeutig.

    Jetzt gilt es eben, sich wieder auf all die tollen Menschen, Tiere, Gerüche, Musik, Temperaturen, Aussichten unserer Heimat zu fokussieren und wertzuschätzen, was für ein überragendes Leben wir auch zu Hause haben.

    Ich bin mir sicher, dass uns das gelingen wird und doch kann mein Kopf nicht aufhören zu grübeln.
    War die ganze Reise ein Traum? Eine traumhafte Reise. Traumhaft schön.

    Der holprige Einstieg liegt wohl nicht an einem Rückwärts-Kulturschock, sondern er findet in mir selbst statt.
    Er ist weniger äußerlich bedingt, als innerlich.

    Das Zuhausesein fühlt sich vermutlich so seltsam an, weil alle um uns herum unser Jahr voller Abenteuer einfach nicht miterlebt haben.
    Für uns war es aber Realität. Es gab tatsächlich einen Zeitpunkt, so nach fünf Monaten, da hat es sich nicht mehr nach Urlaub angefühlt. Die Reise wurde einfach zu unserer Realität. Unsere Wirklichkeit. Und das war sie dann noch für weitere fünf Monate. Und jetzt, da wir wieder daheim sind, fühlt es sich an, als hätte man uns diese Wirklichkeit einfach entrissen. Uns aus diesem so gewohnten und lieb gewonnenen, vertrauten Alltag herausgenommen und hierher verpflanzt. In unsere alte Wirklichkeit. Obwohl wir ja noch nicht einmal arbeiten müssen. Also sagen wir eher, uns wurde
    plötzlich wieder unsere alte Umgebung mit Kultur, Menschen, Klima, Sprache, Essen und allem drum und dran übergestülpt, obwohl wir mit dem Herzen und dem Geist noch in unserer Realität da draußen hängen. (Was ist denn nun eigentlich unsere Realität? Wo gehören wir hin? Mein Bruder hat ganz lieb geschrieben: Willkommen im „echten“ Leben. Ja was ist das echte Leben denn überhaupt?)

    Nachts merke ich das am meisten, denn ich träume unglaublich wild und verwirrend. Stundenlang und herzzerreißend real. Und immer kommen Menschen, Situationen und Orte der Reise vor. Gemischt mit Menschen, Situationen und Orten aus der Heimat. Gewürzt mit den abartigsten, unrealistischen Vorstellungen.

    Ich bin völlig neben der Spur und gar nicht bei mir selbst. Gedanklich bin ich in diesen ersten Tagen der Heimkehr meist überall anders als daheim. Am meisten vermisse ich das Rauschen des Meeres und das Rascheln der Palmen. Diese Geräusche haben sich in den vergangenen Monaten so in mein Gehör eingenistet, dass ich sie vor Ort manchmal gar nicht mehr wahrgenommen habe. Und jetzt sitze ich im Garten meiner zukünftigen Schwiegereltern und vermisse sie.

    Ich bin so dankbar darüber, dass Felix an meiner Seite ist, denn er kann am ehesten nachempfinden, wie es mir geht.

    Ich weiß genau, dass die Gefühlsachterbahn, in der ich gerade Loopings drehe, mich bald wieder in den Alltag entlässt. Daher kann ich die Melancholie und die intensiven Gefühle gerade sogar irgendwie genießen.

    Die Zeit heilt Wunden.
    Auch die des Fernwehs.
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  • It’s about people

    August 6, 2019 in Germany ⋅ ⛅ 20 °C

    Langsam aber sicher finde ich in meine Spur zurück. Träume nicht mehr wilde, verwirrende Sabbatjahrträume. Öffnet sich mein Herzchen wieder für die geliebten Dinge der Heimat. Beruhigt sich mein Köpfchen. Gewöhnt sich mein Magen an das deutsche Essen und meine Haut an die deutsche Temperatur.
    Ich bin überm Berg.
    Fürs erste ;)
    Ich genieße die Tage in München mit unseren großartigen Freunden, die einem das Heimkommen absolut erleichtern.
    Felix und ich schlendern durch München und zum ersten Mal sehe ich diese Stadt aus den Augen eines Touristen. Was für schöne, bunte, alte Häuser da stehen. Vor diesen imposanten Kirchen hätten wir in jedem anderen Land der Welt sicherlich ein Selfie gemacht. Wir gehen in einen Buchladen am Marienplatz und ich schmökere im Lonely Planet Deutschland. Ich habe in meinem Leben schon so unglaublich viele Reiseführer durchgelesen und was mich stets am meisten interessierte: was steht da über die Kultur und die Verhaltensweisen der Einheimischen? Und jetzt sitze ich da und lese über die Deutschen.
    Fanatische Müllsortierer, die einen festen Händedruck und im Frühling eine Spargel-Obsession haben, ihre Autobahn lieben, morgens ausgiebig frühstücken und nachmittags gerne Kaffee und Kuchen zelebrieren.

    Die deutsche Kultur bekommen wir danach in ihrer vollen Pracht am eigenen Leib zu spüren: Wir sind mit „Locals“ im Biergarten. Dieses Mal sind diese Locals unsere Freunde, mit denen ich schon oft in die bayrische Kultur abtauchen durfte. Selten jedoch habe ich sie so intensiv wahrgenommen wie jetzt: der ganze Biergarten voller Dirndl und Lederhosen. Dazu eine Schlager-Cover-Band. „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben...“
    Charly erklärt mir, dass man zu
    Schlager schunkeln darf, aber nicht zu Volksmusik. Ich lerne, was ein Steckörlfisch ist und dass er mit zwei kleinen Holzgabeln gegessen wird. Bier gibts natürlich nur aus dem Maßkrug. Und meine geliebte Brezel wird hier Brezn, Brezal oder Breze genannt, rügt mich Charly.

    Jo Mei. Kultur vom Feinsten.
    Man muss eigentlich gar nicht so weit wegfliegen, um abzutauchen. Man muss nur mit offenen Augen herumlaufen, dann ist selbst die Heimat ein kulturelles Spektakel. „Oans, Zwoa, Drrrei, Gsuffa!“

    Bevor wir dann endgültig nach Ravensburg zurückkehren, machen wir noch einen Stopp bei Max und Linda, die gerade in Lindau campen.
    Flashback Nummer 1: die Deutschen lieben Campen, auch wenn eng auf eng wie die Sardinen in der Dose.
    Flashback Nummer 2: Was für eine Naturschönheit ist dieser Bodensee denn bitte?

    Mit der gewohnten Lockerheit verbringen wir den Abend mit den Miehles bei einem gscheiten Veschper und viel Bier. Es ist, wie es immer ist. Es ist, als wären wir nie weg gewesen. Eigentlich auch ganz schön, denke ich mir. Das Sabbatjahr ist einfach wie ein unheimlich wertvoller Schatz, den Felix und ich in uns tragen. Mit dieser Sichtweise im Hinterkopf (anstatt: Oh mein Gott, es fühlt sich an, als wäre die Reise nie passiert) ist es einfach nur schön, dass es einem mit guten Freunden so vorkommt, als hätte man sich gestern noch gesehen.
    Genau so herzlich werden wir auch von Frank und Frieda begrüßt, die wir in Kressbronn auf einen Kaffee besuchen.
    Ein Hoch auf diese wunderbare Freundschaften!
    Das herzliche Willkommenheißen geht dann in Ravensburg direkt weiter. Wir schlafen erst bei meiner tollen Evi und dann bereits in unserem Haus (jedoch noch nicht in unserer Wohnung) bei Jojo und Feli, wo ich dann auch endlich mal wieder Sveni in die Arme schließen darf. Auch als wir meine Mama, meine Oma, meinen Bruder und Maike treffen, fühlt es sich an wie immer. Gut. Sehr gut.
    Überall Gastfreundschaft. Überall Freude über das Wiedersehen. Überall Liebe.
    Weicher kann einem die Landung nicht gemacht werden.
    Mit dem Magen voller Wurstsalat, Bratkartoffeln, Dinnete, Hefeweizen und Most (ach was habe ich das deutsche Essen vermisst!) fahren wir dann nochmal zurück nach München, weitere Freunde treffen. Weitere warme Umarmungen spüren. Weitere vertraute Stunden verbringen. Weiter Ankommen.

    Bevor wir dann endgültig nach Ravensburg fahren, um in unsere alte Wohnung einzuziehen, besuchen wir noch unsere Freunde Simon und Eli in Tübingen, die gerade da stehen, wo wir vor einem Jahr standen. Für sie ist es der Anfang und für uns das Ende einer großen Reise. Sie starten übermorgen in ihr Sabbatjahr. Was für ein verrücktes Gefühl, ihre Weltkarte an der Wand zu sehen, die vollgepinnt ist mit Orten, die sie gerne bereisen wollen. Orte, die bei uns nun bereits mit Emotionen, Bildern, Geschichten und Gerüchen belegt sind.
    Wir verbringen einen wundervollen Abend mit den zweien. Lustig, entspannt und unglaublich vertraut. Menschen, die einen gut und lange kennen. Menschen, bei denen man sich fallen lassen kann. Menschen, wegen denen man sich auf das Heimkommen freut.

    Und dann ist es endendendgültig soweit. Wir fahren das letzte Stück. Von Tübingen nach Ravensburg. Was für eine bezaubernde Landschaft.
    Als wir kurz vor Berg sind und man einen wunderschönen Ausblick auf das Schussental hat, erinnere ich mich an einen Ausspruch meiner Oma, den sie vor einiger Zeit beim Heimfahren genau an dieser Stelle gesagt hat:
    „Hach! S‘ hoimelet!“
    Wie recht sie mal wieder hat!

    Wir fahren am Ortsschild vorbei. Ravensburg. Wir biegen in die Schützenstraße ein. Wir laufen in unsere Wohnung, wo uns ein fremder Geruch entgegenkommt.
    Wie lange es wohl dauern wird, bis diese Wohnung wieder nach uns riecht? Die Räume wirken fremd und leer.
    Als wir das Zimmer betreten, in das wir unser ganzes Gerümpel untergestellt haben, falle ich fast rückwärts wieder heraus. Warum haben wir so viel Zeug? Wer zur Hölle braucht das alles? Und wofür? Im letzten Jahr sind wir doch super mit den paar T-shirts und Hosen in unserem Rucksack ausgekommen.
    Der viele Besitz ist erstmal ein richtiger Ballast. Uns wird ganz schwer ums Herz.

    Erstmal Türe wieder zu, so tun als hätten wir nix gesehen und hoch zu Jojo, die uns wie immer mit offenen Armen, Kaffee und Kuchen empfängt. Sie beruhigt uns und schlägt vor, dass wir uns ganz viel Zeit lassen sollen. Bloß it hudla!
    Also entscheiden wir uns, am nächsten Tag an den Bodensee zu fahren, um mit unserem Freund Benny zu segeln. Ach wie schön gewohnt sich das anfühlt: Rucksack packen, raus und die frische Luft um die Nase spüren.

    So ziehen wir nach und nach wieder in unsere Wohnung ein. Ganz nach unserem neuen Motto, das wir aus dem Sabbatjahr mitnehmen wollen: Probier’s mal mit Gemütlichkeit ;)

    Verschiedene langersehnte Treffen folgen. Ein (nicht nur kulinarisches) Highlight ist der Saure-Käs-Abend bei meinem Papa und Marion. Wer den weltbesten Sauren Käse noch nicht kennt, melde sich bei mir und ich leite an meinen Dad weiter ;)

    Mit meiner Cousine Anne spaziere ich den zauberhaft romantisch verwilderten Serpentinenweg zur Veitsburg hoch, genieße die Sonne über und die Vertrautheit zwischen uns.

    Wieder einmal mehr wird mir bewusst, wie wichtig Freunde und Familie im Leben sind. Was wäre das Leben ohne diese vertrauten Seelen? Da kann einem das Leben noch so fies reingrätschen - wenn man von den richtigen Leuten umgeben ist, ist alles nur halb so schlimm und ist alles doppelt so schön. Oder wie unser lieber Freund Max sagen würde: „Wir lassen uns einfach konsequent die Laune nicht verderben.“
    Es sind die Menschen, die mein Leben lebendiger und erfüllter machen. Von ihnen bekomme ich Halt und Sicherheit. Durch sie ist das Leben so wundervoll interessant. Manchmal kennen sie mich sogar besser, als ich mich selbst. Auch wenn es manchmal schwer zu schlucken ist, ist es unglaublich wertvoll, von diesen Menschen einen Spiegel vorgehalten zu bekommen.

    Ich kann mich so glücklich schätzen, dass ich Menschen an meiner Seite habe, die allesamt unglaublich lieb sind. Jeder auf seine Art. Die Deutschen werden vom Rest der Welt oft als kühl und distanziert beschrieben. Wie oft habe ich Menschen, die ich auf der Reise getroffen habe, gesagt, dass dies vielleicht als pauschalisierendes Stereotyp stimmt, sicherlich aber nicht für die Menschen um mich herum gilt.

    Es sind die Menschen, die das Leben schön machen.
    Es sind die Menschen, die das Reisen schön machen.

    Meine Freundin Charly meinte neulich, dass ihr auffiel, dass man in meinen Reise-Berichten viel über die Geschichte, Kultur und Politik der Länder durch die Beschreibung einzelner Personen lernt. Einzelne Personen, die ich kennen gelernt habe und die mir ihre Geschichte erzählt haben. Die mir ein Tor zu ihrer Kultur waren. Die mir einen Einblick in ihr Leben gewährt haben.
    Menschen als Sprachrohr.

    Und jetzt sitze ich da, lasse mir die Sonne auf den Bauch scheinen, lese meine eigenen Worte, kann kaum fassen, dass dies mein letzter Bericht der Endless-Summer-Tour ist und freue mich gleichzeitig über die Großartigkeit der Menschheit.

    Ich will diesen Blog mit den so wahren und passenden Worten Charlys schließen:

    It’s about people.
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    Trip end
    September 1, 2019