• Der Schwarze Mann und der Tee

    October 5, 2016 in Germany ⋅ ⛅ 10 °C

    Tag 3
    18 km
    78 km gesamt

    Morgens in Ormont. Das Zelt war klatschnass, der Boden matschig, und der Himmel hing schwer wie ein nasser Poncho über der Schneifel. Ich stand da im ersten Licht, blickte auf meine kleine Behausung aus Stoff und Seil und wusste: Das ist kein Hotel. Das ist mein Zuhause. Und mein Zuhause trägt Narben aus Regen und Wind.

    Ich schüttelte das Zelt aus wie ein Cowboy den Dreck von seinen Stiefeln, verstaute alles, was irgendwie noch trocken war, und frühstückte, wie man eben frühstückt, wenn man draußen lebt: stehend, kauend, die Augen auf dem Horizont. Der Kaffee war heiß, das Brot hart — genau richtig.

    Der Himmel zeigte sich gnädig, ließ hier und da Licht durchs Grau blinzeln, als wollte er sagen: "Geh weiter, Junge. Heute prüfe ich dich." Und das tat er.

    Ich zog los, hinauf auf den Rücken der Schneifel. Ein Höhenzug, der den Namen verdient. Der Wind kam scharf von der Seite, der Regen begleitete mich wie ein alter Reitpartner, der nicht viel redet, aber immer da ist. Der Trail schlängelte sich am Kamm entlang, kein Schutz, kein Zurück.

    Der Schwarze Mann wartete auf mich. Kein Typ mit Revolver — sondern ein Blockhaus tief im Wald. Einsam. Still. Aber bewirtschaftet. Gott sei Dank. Ich trat ein wie ein müder Reiter in den Saloon. Der heiße Kaffee schmeckte nach Leben. Das Essen war einfach, aber es hätte auch Gold sein können.

    Lange blieb ich nicht. Ein Cowboy verweilt nicht zu lange am Feuer. Es ging weiter, hinab aus dem Wald, raus nach Gondenbrett. Der Regen setzte jetzt richtig an. Nicht mehr Begleiter — sondern Gegner. Ich suchte Schutz in einer Bushaltestelle. Holzbank, nasser Boden, grauer Himmel. Der Wind heulte um die Ecke wie ein hungriger Kojote.

    Und dann passierte das, was du draußen nie planen kannst — aber immer hoffst. Ein Junge, vielleicht sechzehn Sommer alt, trat aus dem Haus gegenüber. Fragte nicht viel. Sagte nur: "Sind Sie ein Pilger? Meine Mutter lädt Sie gerne auf einen Tee ein." So einfach. So ehrlich. Ich nickte. Weil man sowas nicht ausschlägt, wenn man draußen lebt.

    Der Tee war heiß, das Gespräch herzlich. Kein großes Gerede, keine Masken. Nur Menschlichkeit, wie sie draußen wächst — einfach und direkt.

    Der Regen ließ nach, und ich zog weiter. Vorbei am Krankenhaus von Prüm, den Kalvarienberg fest im Blick. Da oben war Geschichte vergraben — eine dunkle. Ein Sprengstofflager, das in die Luft ging und die halbe Stadt unter sich begrub. Das sind keine Legenden. Das sind Narben im Land. Und ich gehe drüber wie über alte Brandspuren am Lagerfeuer.

    In Prüm stand ich dann vor der Abtei. Ein gewaltiges Ding. Stein auf Stein, gebaut von Menschen, die mehr wollten als nur ein Dach über dem Kopf. Ich holte mir meinen Stempel. Nicht als Trophäe. Sondern als Zeichen: Ich war hier. Ich bin gegangen. Durch Regen, durch Geschichten, durch Zeit.

    Dann kam das Warten. Drei Stunden bis der Bus ging. Kein Problem für einen, der draußen lebt. Ich setzte mich, bestellte einen Hamburger und Fritten — und das war das beste Essen des Tages. Nicht, weil es teuer war. Sondern weil es verdient war.

    Der Bus kam wie ein alter Gaul aus der Ferne. Ich stieg ein. Fuhr nach Gerolstein, dann mit dem Zug nach Kall, und schließlich der letzte Ritt mit dem Bus zurück nach Hellenthal.

    Da stand mein Truck. Treu wie ein alter Mustang. Wartete auf mich, als hätte er gewusst, dass ich wiederkomme.

    Und weißt du was?
    Der Weg war lang. Der Tag war nass. Aber mein Herz war trocken. Glühte. Brennte.

    Denn der Trail ist kein Ort.
    Er ist ein Zustand.
    Und ich bin mittendrin.

    „Regen wäscht dir den Dreck vom Körper — aber nur der Weg wäscht dir den Staub aus der Seele.“

    TrailSoulKev — der Mann, der geht.
    Read more