• Croissants & Kriegsnarben

    April 16, 2019 in France ⋅ ☁️ 8 °C

    Tag 10
    25 km
    277 km gesamt

    Morgens in Sainte-Marguerite. Isabelle hatte schon Kaffee auf dem Tisch stehen, als ich noch dabei war, meine Knochen zu sortieren. Der Himmel war grau, die Luft roch nach feuchter Erde und altem Wald. Und ich? Ich roch nach Staub, Schweiß und ehrlicher Arbeit. So muss das sein.

    Das Frühstück war herzlich, einfach, echt. Kein überladenes Buffet, keine goldene Butter. Nur Brot, Marmelade und der Blick in freundliche Augen, die dich verstehen, auch wenn die Sprache nicht will. Das ist Trail-Gold, Partner.

    Ich zog los. Der Rucksack saß schwer auf den Schultern, die Stiefel knirschten über alten Asphalt und Matschwege. Und dann war da überall Geschichte. Alte Bunker, verlassene Stellungen, Reste der Maginot-Linie. Der Erste Weltkrieg hatte hier seine Narben ins Land gebrannt. Steine, die mehr gesehen hatten als ich je laufen werde.

    Manchmal wurde es still auf dem Weg. Still, weil du einfach Respekt hast. Still, weil du weißt: Hier haben Männer gestanden, gegraben, gefroren, gekämpft.

    Aber der Hunger ruft immer. Kedange war mein Ziel für das zweite Frühstück. Kleine Bäckerei, die Art von Laden, die schon seit hundert Jahren gleich aussieht. Croissant, Kaffee, kurzer Gruß. Weiter.

    In der Apotheke besorgte ich mir Voltaren. Keine Schande. Kein Jammern. Wenn du tagelang mit dem ganzen Leben auf dem Rücken unterwegs bist, dann schreit der Körper auch mal. Voltaren ist dann dein Cowboy-Schnaps für die Knie.

    Der Weg führte mich raus ins Tal. Neben mir eine stillgelegte Museumsbahn. Kein Zug weit und breit. Aber ich sah sie vor mir — alte Dampfloks, die sich schnaufend durch diese Kurven zogen, als wäre das hier Texas und nicht Lothringen.

    Ich stapfte weiter. Durch Dörfer, vorbei an Bauernhöfen, Hunde bellten, Hühner gackerten, und irgendwo roch’s nach frisch geschnittenem Holz. Frankreich zeigte sich ländlich, ruhig, ehrlich. Kein Touristenkitsch, keine Inszenierung.

    Dann kam der Anstieg. Von St. Hubert hoch nach Vigy. Straße, Wind von vorn, Schweiß auf der Stirn. Aber weißt du was? Ein Cowboy flucht nicht über Berge. Berge sind Prüfungen. Und Prüfungen nimmt man an.

    Oben in Vigy fand ich mein Nachtlager. Kein Ritz-Hotel. Aber sauber, ordentlich, ehrlich. Eine Art Jugendherberge. Ich war dankbar. Für das Dach. Für das Essen. Für das Bier danach mit anderen Trail-Reitern, die wie ich ihren Weg machen.

    Da saßen wir. Menschen aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Geschichten. Und doch verband uns etwas, das größer war als Sprache oder Herkunft: Der Staub an unseren Stiefeln. Der Wind in unseren Gesichtern. Der Weg unter unseren Füßen.

    Wir tauschten Geschichten. Wir lachten. Und doch wusste jeder: Am nächsten Morgen ziehen wir wieder allein weiter. Weil der Trail dich begleitet — aber er trägt dich nicht. Den Weg gehst du selbst.

    Und genau deshalb bin ich hier.

    Weil draußen zu leben bedeutet, das Einfache zu lieben. Das Ehrliche. Das Harte.

    „Der Trail nimmt dir den Komfort. Aber er schenkt dir Freiheit.“

    Und das, Partner, das ist der beste Deal, den du draußen kriegen kannst.
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