• Saint Jacques des arrêts

    October 14 in France ⋅ ☁️ 14 °C

    Moin Trailriders.
    Heute war so ein Tag, an dem man sich fragt, warum man das eigentlich alles macht – und dann fällt’s einem mitten im Nebel wieder ein: weil keiner sonst deinen Weg geht. Weil Freiheit kein Spaziergang ist. Weil du sie dir Schritt für Schritt verdienen musst – nass, kalt und ehrlich.

    Ich verlasse Cluny im Morgengrauen. Die Stadt liegt still wie ein schlafender Riese, selbst die Glocken halten den Atem an. Nebel liegt über den Feldern, feucht und schwer, als hätte die Nacht selbst geschwitzt. Es riecht nach Erde, nassem Stein und Rauch. Ich schultere den Rucksack, ziehe den Kragen hoch und gehe los – hinein in dieses graue Meer aus Kälte und Stille.
    Der Weg heißt jetzt Via Cluniacensis, der alte Pilgerpfad Richtung Le Puy-en-Velay. Ein ehrwürdiger Name, aber der Boden ist derselbe: rutschig, lehmig, echt. Kein Pilger-Romantik-Kitsch, keine Hochglanzpanoramen. Nur du, der Boden und das rhythmische Klacken der Stöcke im Nebel.

    Die ersten sieben Kilometer bis Sainte-Cécile sind flach, ein ruhiger Trab durch feuchte Wiesen und schlafende Dörfer. Rauch steigt aus Schornsteinen, irgendwo bellt ein Hund, sonst nichts. Ich halte kurz an, trinke kalten Kaffee, kaue auf einem Stück Käse herum. Kein Wort, kein Plan. Nur weiter. Ein Cowboy zählt keine Kilometer, er zählt Tage, an denen er nicht aufgibt.

    Hinter Sainte-Cécile zieht der Weg an, hoch Richtung Haut-Beaujolais. Der Wald wird dichter, der Boden schwerer, der Wind kälter. Tropfendes Moos, matschiger Untergrund, das Knacken nasser Äste. Kein Mensch weit und breit. Nur das Rascheln eines Rehs, das Schlagen des eigenen Herzens und der Atem, der wie Dampf aus der Nase steigt.
    Hier oben hat der Weg seine eigene Sprache. Er spricht in Regentropfen, in Nebelschwaden und in dem gleichmäßigen Takt deiner Schritte. Kein Publikum, keine Likes. Nur das ehrliche Gespräch zwischen dir und der Erde.

    Gegen Mittag erreiche ich Tramayes – ein stilles Dorf, eingehüllt in graue Schwaden. Ich gehe durch die Straßen, mehr Instinkt als Absicht, und plötzlich steht da jemand am Straßenrand: mein Gastgeber für heute Abend. Zufall? Vielleicht. Oder einfach der Weg, der dich zur richtigen Zeit an den richtigen Ort bringt. Er winkt, lächelt, erkennt mich. „Komm mit“, sagt er. „Im Institut de Tramayes ist heute offener Mittagstisch. Schüler kochen. Wir essen dort.“

    Ich folge ihm. Ein einfaches Gebäude, hell, lebendig. Es riecht nach Brot, Suppe, Herbstgemüse. Junge Menschen laufen hin und her, decken Tische, servieren, lachen leise. Kein Restaurant, keine Show – nur ehrliches, gemeinsames Tun. Wir setzen uns an einen langen Tisch. Auf den Tellern: Porreesalat, gefüllter Kürbis, Birnentarte. Alles aus dem Garten, alles selbstgemacht. Kein Überfluss, keine Pose – nur gutes Essen und ein Stück gelebte Erde.
    Ich verstehe nicht jedes Wort, aber ich verstehe alles, was zählt. Wärme. Gemeinschaft. Bodenhaftung.

    Nach dem Essen fahren wir den Rest der Strecke. Der Wagen zieht sich über nasse Serpentinen hoch in die Hügel, Nebel so dicht, dass selbst die Scheinwerfer darin verschwinden. Irgendwann taucht sie auf – eine kleine Holzhütte, allein am Hang. „C’est ta maison pour la nuit“, sagt er. Meine Hütte. Mein Nachtlager. Einfach, trocken, echt. Neues Département: Rhône. Neues Kapitel: Auvergne.

    Später sitze ich draußen, auf der Bank vor der Tür. Die Jacke offen, die Stiefel voller Dreck, der Atem dampft in der kühlen Luft. Kein Geräusch außer dem Tropfen von Wasser auf Holz. Ich spüre die Müdigkeit in den Knochen – und das gute Gefühl, da zu sein, wo man hingehört. Keine Bühne, kein Publikum, kein Applaus. Nur Stille.

    Der sechste Tag war kein Tag für Heldenfotos. Er war ein Tag fürs Durchhalten, fürs Zuhören, fürs Atmen. Ein Tag, der nichts schenkt – aber alles gibt, wenn man genau hinschaut.

    Resümee:
    Der Weg hat heute nicht geschrien, er hat geflüstert. Und wer hinhört, hört mehr als Worte. Nebel, Regen, Erde – das sind keine Gegner. Das sind Prüfungen. Und jede davon bringt dich näher zu dir selbst.

    „Wenn der Himmel dicht macht, reitet der Cowboy weiter. Denn wer auf Sonne wartet, verpasst den Weg.“ 🤠
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