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  • Day 5

    Der alte Mann mit dem Stock

    October 25, 2023 in Germany ⋅ ☁️ 12 °C

    Heute ist der Tag der Überraschungen. Die schöne Überraschung ist der Besuch von Sandra Soundso! In der Jugendherberge Burg Stahleck hatte ich ein Familienzimmer gebucht, und da sich Sandra schon immer mal den historischen Ort Bacharach näher ansehen wollte, kam sie mich kurzerhand besuchen.

    Morgen gibt's daher einen Zeroday, denn wenn's darum geht, sich alte Orte anzusehen, dann bin ich dabei! Dazu bin ich am Nachmittag zurück nach Bacharach gefahren - nach einem heftigen Regen- und Nebeltag.

    Dazu die zweite Überraschung, denn der GPX-Trek von der offiziellen RBW-Website stimmt nicht, wenn man der Beschilderung folgt. Dadurch kam meine gesamte Tagesplanung durcheinander, was bei dem Wetter doch unangenehm gewesen war.

    Am Morgen stand mein Zelt im Nebel, und ich dazu. Kalter Wind blies in die Hütte, weshalb ich bei Zeiten aufbrach. Die Landschaft lag in Nebel gehüllt. Feiner Nieselregen fiel. Ich trug meine Regensachen, was sich bald lohnen sollte, als heftiger Regen einsetzte.

    Kurz davor traf ich auf einen alten Mann, der an einem Haselnussstrauch herumhandtierte. Als ich näher kam, sah ich ihn einen Ast abschneiden. Ich ging zunächst grüßend an ihm vorbei, blieb stehen und sprach ihn an, ob er sich einen Wanderstock schnitzen würde.

    Sofort begann er mir davon zu erzählen, wie gut diese Stöcke sind, wenn sie erst einmal getrocknet wären. Unterdessen sägte er mit seiner Klappsäge die kleinen Ästchen ab, und ich wusste nicht, ob es Geschick war oder pures Glück, dass er sich dabei keinen Finger abgesägt hat.

    "85 Jahre", antwortete er mir auf meine Frage nach dem Alter, und als ich sagte, wie fit er noch sei, winkte er ab. Das täuscht, denn er habe bereits sechs Stents im Herzen und eine Krebszeit hinter sich. Damals, als er mit sechzig jede Woche beim Krebsarzt war, da erzählte er mir von den schönen Damen mit den kurzen Röcken in der Praxis. Alle ausgesucht, meinte er.

    Eines Tages sagte ihm der Arzt, es täte ihm leid, aber er würde den Krebs wohl nicht überleben. Er antwortete nur, wissen sie Herr Doktor, sie verstehen ganz gewiss etwas von hübschen Damen, aber nichts von Patienten, drehte sich um und ging. Das war vor über 20 Jahren. Inzwischen geht er regelmäßig zur Routineuntersuchung und sei krebsfrei.

    Was für eine Geschichte!

    Als wir uns verabschiedeten, legte er den Stock mit den Worten ins Gebüsch, wenn er wieder hier vorbei kommt, hat er jetzt einen Stock, wenn er einen braucht.

    Nachdenklich setzte ich meinen Weg fort, hoch über den Berg ohne Namen bis nach Trechtingshausen, wo mich die Bahn zurück nach Bacharach zu einem wunderbaren Abend mit tollen Gesprächen brachte. Na ja - und zu einer Dusche.
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