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  • Day 65

    Blue City

    January 4 in India ⋅ ☀️ 18 °C

    Ab geht's nach Jodhpur! Tejas hat Zeit und Reiselaune und begleitet mich für die nächste Etappe. Die Zugfahrt ist entspannt, aber am Bahnhof wird es schlagartig chaotisch: Fahrer die uns belagern, ungeduldiges Hupen, gehetzte Menschen. Ein Tuktuk soll uns zur Unterkunft bringen, aber der Fahrer setzt uns schon nach Zweidrittel der Strecke aus. Den vollen Preis will er trotzdem kassieren. Na na na Freundchen, so nicht. Eine hitzige Diskussion beginnt zwischen uns Dreien auf Englisch, die schnell in einen ausgiebigen Streit in Hindi zwischen dem Fahrer und Tejas ausartet. Die beiden stehen sich auf der dunklen Gasse gegenüber, wildes gestikulieren, es fehlt nicht mehr viel zur Schlägerei. Der gutmütige, höfliche Tejas ist plötzlich in blinder Wut. Zum Glück verstehe ich kein Wort. Mittlerweile hat sich eine Schar Anwohner um uns geschart, die Action will keiner verpassen. Aus dem Kontext verstehe ich, dass mittlerweile Drohungen ausgetauscht werden und gehe dazwischen. Schluss jetzt. Geschützt durch meinen Status als "White foreigner girl", wagt es keiner der beiden mich zur Seite zu schieben. Ziemlich lahme Superpower, aber whatever works...
    Ich kann Tejas Wut gut nachvollziehen, es geht ums Prinzip: das ständige Scammen von Touristen nervt. Ich finde wenig Schlaf in dieser Nacht... der Typ weiß in welcher Unterkunft wir sind, ich fürchte einen Überfall. Aber nichts passiert, seine Drohungen bleiben unerfüllt. "Don't stress about it, this is normal in India" sagt Tejas, der wieder die Ruhe selbst ist. Ich bin trotzdem aufgekratzt, selten gerate ich in so lautstarke und bedrohliche Auseinandersetzungen.

    Am nächsten Morgen steuern wir eine gut besuchte Fressbude am Strassenrand an. Gerade tauschen wir uns darüber aus, dass die Stadt irgendwie einen unterschwelligen, ungemütlichen Vibe ausstrahlt, da wird Tejas von einem Mann um seinen Ausweis gebeten. Kurze Verwirrung darüber, was das soll.. Ist das ein Polizist? Vorsichtshalber kommt er der Bitte nach und schwupps ist der Ausweis einkassiert. Handgemenge, hitzige Diskussion, ein weiterer Polizist kommt zur Unterstützung. Ich verstehe überhaupt nicht was passiert, was wollen die beiden denn von Tejas? Ich setze wieder meine Superpower ein, stelle mich provokativ mitten ins Geschehen und fordere sofortige Erklärung. "You come to station now!", ist alles was ich erhalte. Ein Polizist platziert sich links, der andere rechts von Tejas. Kein Davonkommen für ihn. Ich wende mich hilfesuchend an die umstehenden Männer: ist das wirklich Polizei, und was wollen die? Sie sagen, es ginge um meine Sicherheit, ich soll mit auf die Wache kommen. Hä was? Wir haben keine Wahl. Ein fünfminütiger Fußmarsch und auf der Station wird Tejas ins Kreuzverhör genommen. Ich werde derweil unbeherrscht und finde endlich Beachtung vom Ober-Häuptling, der mir erklärt, dass er fürchtet, Tejas sei ein Scammer und sie sicher gehen wollen, dass ich gut aufgehoben bin. Ich flippe fast aus! Wieso fragt man mich nicht direkt?! was soll diese respektlose Umgang!? Nun muss/ darf auch ich Rede und Antwort stehen. Schlussendlich zwingen sie uns beide zu einer schriftlichen Aussage: "Tejas is my friend" schreibe ich, "Julia is my friend" schreibt Tejas in das scheiß Polizistenbuch. Damit ist die Sache erledigt. "Satisfied?" fragt mich der Polizist zum Schluss. Als hätte er mir irgendeinen Gefallen getan. Ich starre bitterböse, der Stinkefinger zuckt schon ungeduldig, und gehe ohne Antwort davon. Was für Arschlöcher. Bestimmt hat die Maßnahme einen Hintergrund und Berechtigung und grundsätzlich bin ich froh, dass auf mich, als Tourist, aufgepasst wird, aber heeeey... Jemanden auf blinden Verdacht abzuführen, ohne das vermeintliche Opfer zu befragen?
    Nordindien ist ein hartes Pflaster!
    Auf dem Rückweg klärt mich Tejas über den Teil des Gesprächs auf, der auf Hindi geführt wurde: Für die Zeit die ich in Indien bin, ist er von nun an offiziell für meine Sicherheit verantwortlich. Mein persönlicher Schutzbefohlener. Seine Daten sind erfasst, sollte mein Name, aus welchem Grund auch immer im System auftauchen, wird er zur Rechenschaft gezogen.
    What. the. fuck.

    Beide Konflikte sind auf die Tatsache zurückzuführen, dass ich als Whitey mit einem Inder reise. Wir bringen uns gegenseitig in Schwierigkeiten. Im Süden Indiens war die Synthese vorteilhaft für beide Seiten: Er wurde dafür bewundert mit einer Ausländerin unterwegs zu sein, und ich war sicher vor Scams. Im Norden werden ihm hingegen prompt böse Absichten unterstellt und seine Begleitung hat für mich den Nachteil, dass sie Neugierigen Tür und Tor öffnet: meine Haut- und Haarfarbe erweckt Aufmerksamkeit, Menschen (besonders halbstarke Männer) die es sonst nicht wagen würden mich anzusprechen, finden den Zugang zu mir über Tejas. Ständig wird er angehalten.. und sobald einer sich vor traut, kommen gleich 5 weitere Neugierige angelaufen die nichts verpassen wollen. Das artet oft in unangenehme und sogar beängstigende Situationen aus, manchmal gehe ich einfach schnell weg und lasse Tejas mit den Leuten stehen. Als wir uns am Tag danach in Jodhpur am step well unterhalten, platziert sich ein Paar vor uns auf den Stufen und ich bemerke, dass sie versuchen mich heimlich auf ihr Selfie zu bekommen. Ich stehe prompt auf und setze mich woanders hin. Kein Grund für große Diskussionen, aber genervt bin ich trotzdem. Wir werden von den restlichen Besuchern die sich am Well aufhalten beobachtet. Eine Gruppe junger Inder nähert sich zögerlich und setzt sich einige Meter neben uns. Die Augen sind minutenlang auf mich fixiert. Ich kann mich nicht mehr aufs Gespräch konzentrieren und schnappe genervt: "what are you staring at?" Der adressierte Junge, überhaupt nicht verunsichern von meiner Unhöflichkeit, steht flink auf, setzt sich nah an Tejas und bombardiert ihn mit Fragen. Die übrigen Jungen kommen wie Flummis angehüpft und hängen gebannt an Tejas Lippen. Auch das blöde Selfie-Paar horcht interessiert. Ich distanziere mich, das ist zu viel für mich. Nach einigen Minuten kommt Tejas zu mir rüber "they want to say hi to you. Are you okay with that?" ... Nee!?.. Hm. Nagut. Die Traube wandert zu mir rüber, die Kerlchen sitzen sich beinahe gegenseitig auf dem Schoß um näher am Geschehen zu sein. Nach einigen persönlichen Fragen verabschieden wir uns. Ich lasse Tejas wissen, wie unwohl ich mich mit solchen Situationen fühle. Er hat viel Mitgefühl für die Wissbegierigen, die so wenige Chancen im Leben haben. Ich weiche ein bisschen auf, Recht hat er ja... Sie sind nur neugierig und es ist eine große Chance für sie etwas neues, andersartiges zu lernen.

    Wir sind uns beide einig, die Stadt schnellstmöglich wieder zu verlassen, hier herrscht eine miese Briese für uns.

    🥇 Ärger mit der Polizei
    🎵 Tattad Tattad - Aditya Narayan
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