• Etappe 2 - der Loipenschreck

    September 8 in Italy ⋅ ☁️ 20 °C

    Es folgt eine Anekdote mit viel Text und wenig Fotos.
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    Mittags entscheiden wir uns, auf der sonnigen Terrasse des Linthofs einzukehren. Die Liegesessel sehen sehr einladend aus, ein guter Spot für ein Päuschen - denken wir uns.

    Während wir da entspannt auf die Bedienung warten, dringt von nebenan ein Gespräch an unsere Ohren. Ein anderer Hüttentourler berichtet den Tischnachbarn gerade angeregt von seinen Abenteuern auf dem Meraner Höhenweg:

    "(...) Joar, und morgen, da lauf ich gleich zwei Etappen zusammen! ZWEI! Gleich rüber über's Eisjöchl, bis nach Pfelders. Ist ja schließlich auch die KÖNIGSETAPPE, gell? Na, zum Glück bin ich ja flott unterwegs, haha (...)"

    Interessiert hören wir ein wenig zu - weghören ist bei der Lautstärke eh schwierig. Der Mensch scheint von der besonders extravertierten Sorte zu sein. Ungefragt wird der bisherige Lebenslauf unter die Leute gebracht, dabei noch garniert mit dem ein oder anderen Hinweis auf vergangene und noch zu erwartende sportliche Höchstleistungen. Ich bin leicht amüsiert.
    Aber wo bleibt eigentlich die Bedienung...?
    Hm...🤔

    Derweil kommen neue Gäste an einem anderen Nebentisch an. Die Neuankömmlinge werden direkt in den Vortrag hineingezogen:

    "Ja, Servus, woher kommt's ihr denn?

    *Antwort wird kaum abgewartet*

    "Ach, na ICH bin ja gerade auf dem Meraner Höhenweg unterwegs, haha...Und morgen, da laufe ich die KÖNIGSETAPPE! Gleich bis rüber nach Pfelders... (...) "

    Danach wird der Lebenslauf nochmal ebenso lautstark wie beifallheischend der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Dieser Mann ist eindeutig in Partylaune - denn er feiert jeden. eigenen. Satz.

    Mein Amüsement ist nun der Irritation gewichen. Erst jetzt fällt mir auch auf, dass der Herr alleine an einem großen Tisch sitzt, obwohl die Terrasse inzwischen sehr gut gefüllt ist...
    Und überhaupt:
    Wo bleibt eigentlich (immer noch) die Bedienung...?🤔🤔

    Kurz darauf lässt sich endlich eine Kellnerin blicken und nimmt unsere Bestellung entgegen. Aber auch sie wird direkt von unserem Nachbarn vereinnahmt. Geschickt verwebt er seine Bierbestellung mit seiner eigenen, großen Geschichte.
    Kein Wunder, dass sie sich nur selten zu unseren Tischen traut! Und wer weiß, wie lange der Kerl da schon sitzt und in Endlosschleife vor sich her plappert...?
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    20 Minuten später.

    Wir haben inzwischen gefühlt 6x die Etappenplanung gehört, 5x seinen Herkunftsort (Franken, aber vor 4 Jahren nach Südtirol ausgewandert), ebenso oft den beruflichen Werdegang (macht aktuell in einer Käserei richtig fett Kohle) und 3x von seinen sonstigen Hobbys ("Ich bin so schnell im Skilanglauf, auf der Seiser Alm heiß ich nur noch *der Loipenschreck*, höhöhö...").

    Gäbe es ein Bullshit-Bingo, ich hätte haushoch gewonnen.🙈😮‍💨

    Was wir dafür 0x haben:
    Unsere Spinatknödel.

    Die Tischnachbarn gucken derweil zur Hälfte unangenehm berührt (die, die länger als 10 Minuten da sind) und zur Hälfte amüsiert-belustigt (die, die gerade erst angekommen sind) aus der Wäsche.

    Natürlich befeuern letztere das Geplapper dann unwissentlich mit ihren neugierigen, aber ewig gleichen Fragen immer wieder aufs Neue.
    Zugleich traut sich dadurch leider niemand, dem Typen einfach mal zu sagen, dass er sein Organ 'ne Schippe leiser drehen soll - schließlich hat man ja eben noch mitunter selbst den Monolog angeschoben.
    Die meisten harren also (so wie wir) aus Höflichkeit der Dinge aus und beten insgeheim, dass sich die Bedienung endlich mal wieder hertrauen möge.

    Die ganze Situation hat ja schon was von Slapstick. Eigentlich genau mein Humor, jetzt gerade bin ich aber einfach nur erleichtert, als endlich unser Essen kommt.
    Dieses schlingen wir im "Loipenschreck"-Geschwindigkeit hinunter - eine 7. Beschreibung der KÖNIGSETAPPE brauchen wir nun wirklich nicht...🫣

    Schließlich verlassen wir den Linthof noch VOR diesem kommunikativen Gesellen und hoffen einfach, dass er uns in seinem blitzartigen Tempo schnell "über alle Berge" davon spurtet.
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    Nachtrag:
    Es wird für uns tatsächlich die erste und letzte Begegnung bleiben.
    Andere hatten da nicht soviel Glück: Während wir im Obervernatschhof einen tollen Abend verbringen, hat Mr. Loipenschreck nur ein paar Höhenmeter tiefer im UNTERvernatschhof eingecheckt. Puh...😮‍💨 Einen ganzen Abend mit ihm hätte ich wohl nicht ausgehalten, ohne eine Schreiattacke zu bekommen - Höflichkeit hin oder her.

    Sein Auftreten hat ihm übrigens einen gewissen Ruf beschert... selbst Tage später begegnen wir immer noch Leuten, die uns halb fassungslos von "so nem Typen" berichten, der einfach nicht aufhörte zu reden. Fast jeder wusste, woher er kam und was er so arbeitet...😅🙈

    Fazit: Scheinbar ist der Loipenschreck zugleich auch ein "Hüttenschreck".

    Und wenn er nicht irgendwo in einer Einkehr hängen geblieben ist, dann durchquert er die Alpen in atemberaubenden Königsetappen wohl noch heute. 😁✌🏼🍻⛰️🏃🏼🌪️🥾
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