Satellite
  • Day 26

    Mai Chao

    April 4, 2017 in Vietnam ⋅ ☀️ 28 °C

    Wir waren wieder nur einen Tag in Hanoi und sind dann direkt weiter nach Mai Chao. Ursprünglich hatten wir vor nach Sapa zu fahren. Dort ist es derzeit, es liegt in den Bergen, allerdings relativ kalt und bis auf den Wintermantel, den ich in Hoi An gekauft habe und seither mit mir herumschleppe, haben wir keine wirklich warme Kleidung eingepackt. Mai Chao ist im Grunde aber recht ähnlich. Beide Gebiete leben vom Reisanbau und werden großflächig von ethnischen Minderheiten bewohnt.

    In Sapa leben hauptsächlich Hmong (aber auch andere Gruppen) in Mai Chao sehr viele Tay. Begleitet wurden wir von einer Führerin, die der Mehrheitsbevölkerung angehörte und einem lokalen Führer. Die Führerin kannten wir schon von einer anderen Tour, sie war mit einer anderen Gruppe im selben Homestay, wie wir. Sie war etwas verrückt, machte daraus aber auch keinen hehl. Ihr Englisch war ausnehmend gut, klang aber bei Erklärungen sehr mechanisch. Etwa wie eine Bahnhofsdurchsage: „Ok, guys, we go to the homestay. After going to the homestay we will have dinner in the homestay. Be ready to start walking.“ Allerdings hatte sie noch eine andere etwas ausgeflipptere Seite. Sie machte komische witze, lachte die ganze Zeit, meistens über sich selbst und verteilte Spitznamen an die Gruppe. Ich war „german guy“, Silke war „german girl“, später dann, als sie erfahren hatte, dass ich Vegetarier bin und Tobi heiße, war mein zweiter Spitzname „Tofu“. Silke war dann „Mrs. Tofu“…
    ...so eine Hyperaktivitätssache, denken wir. Sie erzählte uns später, dass sie zum Englisch Üben immer Hannah Montana schaut, was einiges erklärte.
    Mit uns auf der Tour waren noch Florian, der Österreicher vom letzten Mal und eine Familie französischsprachiger Schweizer. Beim Mittagessen saßen wir mit einer sehr lauten australischen Familie zusammen, deren Mutter ein recht strenges Regiment führte. Sie war zwar die lauteste von allen, hatte aber so eine leise, eindringliche Tyrannenmutterstimme, wenn sie mit ihren Kindern sprach. „I‘d like you to chose if you want a softdrink for lunch or for dinner. You can‘t have it both times!“, zischte sie zum Beispiel ihrem etwa 16-jährigen Sohn, kurz vor Beginn des Essens, zu. Auch ist sie immer wieder zum Kindertisch rüber, um für Ruhe zu sorgen und dann wieder laut polternd zu unserem Tisch zurückgekommen. Silke sagt ja immer, dass ruhige Eltern, ruhige Kinder haben. Das gilt dann wohl auch andersrum.
    Unsere erste Aktivität war eine Wanderung über einen Hügel, zum Dorf, in dem wir schlafen sollten. Sie führte uns durch einen Bambuswald. Da die Stämme manchmal sehr eng zusammenstehen, machen sie gelegentlich ein knarrendes Geräusch, wenn der Wind sich in den Blättern verfängt. Am Boden waren manchmal tunnelörmige Netze, an deren Trichterende große Spinnen hockten und auf Beute warteten. Ich habe sie später als Teil der Familie Agelenidae bestimmten können, bin mir da aber nicht so sicher. Trichternetzspinnen kenne ich eigentlich nur aus Australien. Diese hier scheinen auch nicht wirklich giftig zu sein. Ein weiterer schöner Aspekt eines Bambuswaldes ist der Lichteinfall von oben, der alles gleichzeitig dunkel und hell erscheinen lässt.
    Nach etwa einer Stunde kamen wir an eine Lichtung, auf der, mitten im Nirgendwo, plötzlich ein kleiner Bauernhof auftauchte. Bewirtschaftet wurde er von einem alten Ehepaar. In Vietnam ist es so, dass jeder Dorfbewohner ein Anrecht auf ein Stück Land hat, das er bepflanzen kann. Dafür gibt er einen Teil der Ernte ab. Klingt fast ein wenig feudalistisch, ist aber im Detail etwas gerechter, als noch zu Zeiten des Kaisers. Trotzdem reicht es nicht, um die Menschen aus der Armut zu holen. Manchmal kommt es auch zu Problemen, wenn das Dorf größer wird, die Anbaufläche aber limitiert ist. Das ältere Ehepaar hat daher ihrem verheirateten Sohn das Land beim Dorf überlassen und ist auf die Lichtung gezogen. Unsere verrückte Führerin erzählte uns, dass sie dort recht einsam sind, weil sie die meiste Zeit arbeiten und daher keine Zeit hätten, ins Dorf zu gehen, um dort bei ihrer Gemeinschaft zu sein. Das war wirklich interessant, denn auf den ersten Blick machte die Lichtung einen tollen Eindruck. So als habe sich jemand den Traum eines Häuschens im Wilden erfüllen können.

    Unser Homestay war geräumiger als beim letzten Mal und wir hatten nach unserer Ankunft etwas Zeit zum erholen. Silke wurde allerdings von der verrückten Führerin zum Kochen eingeladen... Frühlingsrollen wickeln…
    Ich hatte das Glück, dass ich erst zum Essen wieder aus dem Zimmer gekommen bin, und daher weder zu irgendeiner Tätigkeit, noch zu einem Gespräch „eingeladen“ werden konnte.
    Ich hatte vor einigen Tagen mit der Biografie von Ho Chi Minh von Martin Großheim angefangen, die ich in kürzester Zeit verschlang. Absolut lohnende Lektüre und wirklich kurzweilig. Wichtig wäre vielleicht zu sagen, dass es sich nicht um eine von der vietnamesichen Regierung zugelassene Biografie handelt. Dementsprechend wenig glorifizierend ist sie geschrieben. Sie ist, auf den ersten Eindruck und ohne eine andere Biografie gelesen zu haben, recht fair geschrieben.
    Nach dem Abendessen wurden wir, d.h. Florian, der Familienvater und ich von der Dame des Hauses darum gebeten, die Teller in die Küche zu bringen. Dort warteten schon unser lokaler Guide und einer der Fahrer mit einer Flasche selbstgebrannten Reiswein und recht roten Wangen auf uns. Wir mussten uns nach dem dritten Glas gegen weitere Einschenkversuche wehren. Die Stimmung war aber trotzdem sehr gut. Unser Guide erzählte uns, dass er sehr dankbar sei, nicht mehr nur auf die Feldarbeit angewiesen zu sein und dass sie sich das große Haus nur wegen dieser Arbeit zulegen konnten. Nach einer letzten Runde, die mit einem vietnamesischen Trinkspruch begangen wurde, setzten wir uns zum „Damentisch“ und unterhielten uns noch eine Weile.
    Am nächsten Morgen dann sollten wir eigentlich einen kurzen Spaziergang und im Anschluss eine Radtour machen. Allerdings schien das Unternehmen mit weniger Gästen geplant zu haben, so dass sich unsere Radtour verzögerte und der Spaziergang verlängerte.
    Das war aber gar nicht so schlecht, denn wir erlebten ein paar kleine Highlights. Etwa als wir an einer Grundschule vorbeikamen, die grade Hofpause hatte. Alle Kinder stürmten, nach anfänglicher Skepsis raus, um uns anzuschauen. Von mir und Florian wollten die Jungs immer, dass wir ihnen unsere Muskeln zeigen, dann zeigten sie uns ihren Bizeps. Nachdem einer der Jungs angefangen hatte, so zu tun, als würde er gegen Florian kämpfen wollen und der so getan hatte, als nehme er die Herausforderung an, wurde er auf einmal von etwa 12 Gegnern umzingelt. Sie waren aber, trotz aller Wildheit, wirklich vorsichtig und nett mit ihm.
    Es gab nur ein oder zwei Situationen, die etwas unangenehm waren. So etwa als die Kinder uns an die Taschen gehen wollen. Wohl in der Hoffnung, dass wir etwas für sie hätten. Offenbar, so unser Eindruck, hatten Touristen ihnen Mal Geld zugesteckt und sie hofften natürlich wieder darauf beschenkt zu werden.
    Als die Schweizer, die etwas hinter uns gelaufen waren, eintrafen, kamen die Kinder sogar noch etwas auf ihre Kosten, denn die hatten extra ein paar Schulhefte und Stifte eingekauft, falls sie in eine solche Situation kommen würden. Es hat leider nicht für alle gereicht, aber selbst dann hatte man den Eindruck, als wären die Kinder untereinander nicht missgünstig. Das hat mich wirklich gefreut.

    Kurz darauf sind wir noch über ein paar Reisterassen gelaufen. Mai Chao liegt nämlich auch in den Bergen, auch wenn nicht so hoch wie Sapa. Die Terassen sahen denen der Inka, die wir in Peru gesehen hatten, zum verwechseln ähnlich. Anders allerdings war das komplese Bewässerungssystem, denn Reisanbau verschlingt Unmengen an Wasser.

    Zum Mittagessen haben wir die Stuttgarter nochmal zufällig getroffen und mit ihnen UNO gespielt. Ein wirklich gelungener Abschluss des kleinen Ausflugs.
    Read more