Auf der Suche nach dem Sommer

August 2021 - May 2024
An open-ended adventure by Guntrun Read more
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  • Day 1

    Bloß endlich los!

    August 25, 2021 in Italy ⋅ ☀️ 24 °C

    Toskana, wir kommen! In Deutschland gab es zuletzt und gibt es schon zu lange nur Wetter, leider kein Gutes. Keinen Sommer. Am Ende eines Wieder-Kein-Sommer-Tages starten wir durch Richtung Süden. Pünktlich zu Sonnenaufgang gibt's den ersten italienischen Cappuccino an der Autobahnraststätte 150 km vor Bologna. Mitten in den Lärm vorbeirasender Autos hinein läuten Kirchenglocken. Auch heute in der Frühe auf einem anderen Autobahn-Rastplatz ist es mir schon aufgefallen. Es sind alte Glocken, sie schlagen sehr langsam mit langen Pausen, dafür aber viele Male hintereinander wie Demente, die sich wiederholen und vergessen, dass sie es schon getan haben. Es ist 27, 28, 29, 30, 31 Uhr.
    Am Nachmittag liegen wir am Pool auf dem toskanischen Landgut bei Certaldo, das für 5 Tage unseres ist, zu einem 25stel wenigstens. Irgendwann beginnt eine Landmaschine in einem andauernden hohen Ton zu arbeiten, und mir fällt auf, wie still es zuvor war.
    Wir suchen Ruhe - vor den Maschinen, den Mücken - und suchen dafür verschiedene Plätze auf. Die Mücken tauschen wir gegen den Wind, eine steife Brise, die zur Bergkante heraufbläst. Dort sitzen wir und betrachten die gemusterte toskanische Landschaft, vergoldet von der Abendsonne.
    Wir haben Ikea-Decken um uns geschlungen, R hat den PC vor sich, ich lese abwechselnd Maxim Billers "Der gebrauchte Jude", das ich nicht verstehe und trotzdem nicht weglege und die Wetter App, die ich auch nicht weglege, weil ich immer noch nicht glauben kann, dass in Stuttgart das Thermometer in Zukunft nie wieder auf über 22 Grad steigt.
    Wir trinken Likör und ich sage, wir müssen jetzt dann mal auf Wein umsteigen.
    Kein Regen. Nur Wolken und dieser nervöse Wind.
    Spätes Abendessen (Tortellini, Tomatensauce und Käse), dazu Zikadenkonzert - und nichts fehlt zum Glück.
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  • Day 8

    Toskana Tag 2, 26.08.2021

    September 1, 2021 in Italy ⋅ 🌙 19 °C

    Am nächsten Morgen sitzen wir zum Frühstück vor toskanischer Kulisse an einer alten Nähmaschine und R meint, wenn wir jetzt nicht auch noch nähen müssen, ist es ja gut.
    Anders als man sollte und anders als die anderen verbringe ich den Tag nicht liegend auf der Liege sondern sitzend am Pool, sitzend auf einem der unbequemen verschnörkelten Metallstühle mit und ohne Polster, sitzend und schreibend, sitzend und lesend. Ich muss Romanfahnen korrigieren.
    Kleine Wanderung nach Fornacette. Nur abwärts. Wieder dieser sich ereifernde Wind. Alle Autofahrer, die auf der Straße entgegen kommen, sind Autofahrerinnen, fahren schnell und haben Handys am Ohr. Sie reden, aber nicht mit dem Wind. In einem winzigen Kramladen frage ich nach Spaghetti und Sugo di Pomodoro und kriege beides, dazu geriebenen Pecorino und Kekse mit Aprikosenmarmelade.
    Abends finden wir zum Essen eine Dorfkneipe in San Pancratio, auf deren Terrasse es sehr voll, sehr laut und sehr gemütlich ist. Ein Hauptgewinn - samt dem gewählten Carpaccio, den man an der Theke bestellen muss.
    Den Zikadenchor gibt's anschließend zum Eis gratis obendrauf. 24 Stunden Sommer.
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  • Day 9

    Toskana Tag 4, 28.08.21

    September 2, 2021 in Italy ⋅ 🌙 19 °C

    Regen. Beim Aufwachen regnet es Hunde und Katzen, und weil es sich bei Regen so gut schläft, schlafen wir bei offenem Fenster weiter bis 10.
    Beim Frühstück unten unter dem überhängenden Dach lässt der Regen nach. Ich sehe Romanfahnen durch. Schon bald hört der Regen wieder auf mit Nachlassen.
    Mittags weht der Wind die Sonne unter den Wolken hervor und fegt auch noch weiter, als es nichts mehr zu herbei - oder auch wegzufegen gibt. Am Pool suche ich im Internet nach unserer nächsten Unterkunft: Meer oder Zikaden? Es gibt noch ein paar andere Kriterien: Bitte ebenerdig ohne Galerie, auf die wir zum Schlafen klettern müssen, bitte mit Terrasse und die Terrasse bitte mit Licht, so dass wir abends draußen lesen können. Und: bitte die Landschaft nicht ganz so hügelig, so dass wir unsere E-Bikes benutzen können, ohne dass die Akkus nach 10 Kilometer leergefahren sind. Als wir uns endlich entschieden haben, ist der Akku vom PC leer und ich bin fix und fertig. Ich zieh mir was Schönes an, nehm den Samos mit an den Pool und verschwinde für den Rest des Nachmittags in Maxim Billers gebrauchtem Juden. Ich hab schließlich Urlaub.
    Nachdem die Sonne hinter dem Hügel untergegangen ist, obwohl sie noch da ist, fahren wir ihr hinterher. R zeigt mir eine Anhöhe, die er neulich entdeckt hat, auf der eine Geschwisterreihe von neun Zypressen im Halbkreis steht, noch von der Sonne beschienen. Leider leistet ihnen - und uns - auch der Wind Gesellschaft. Am viertletzten Augusttag stehen wir, in Daunenjacken eingemummelt, bei gefühlten 12 Grad auf dem Olymp der Toskana und blicken ringsum auf das liebliche gewellte Land unter einem gelben, später roten Himmel.
    Zum zweiten Mal in der Dorfkneipe in San Pancratio, die wir vorgestern entdeckt haben. Wie vor zwei Tagen ist sie voll besetzt; viele Gäste kommen erst nach 22 Uhr. Auf den Tischen stehen riesige Hackbretter, üppig mit Salami- und Schinken-Aufschnitt, verschiedenen Käsesorten, Oliven und getrockneten Tomaten beladen. Nennt sich Tagliere, finde ich heraus und man isst zu mehreren daran. Für uns gibt es wieder den tollen Carpaccio, dazu Wein, später Eis und dabei so wenig Wind, dass wir uns lange ungestört unterhalten können. Über die Mafia und ob sie hier wohl auch zu Gange ist. Über die toskanische Vegetation, Ölbäume, Pinien und Zypressen. Lange habe ich Pinien und Zypressen miteinander verwechselt. Ich dachte immer, ein Baum, in dessen Namen zwei Iiis stecken, könne nicht anders als lang und spitz sein.
    Auf der Heimfahrt keine Zikaden - haben bei der Kälte heute dienstfrei.
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  • Day 9

    Toskana Tag 5, 29.08.2021

    September 2, 2021 in Italy ⋅ 🌙 19 °C

    Sonntag. Sonntagswetter. Das Tief hat sich verzogen. Trotzdem sitzen oder liegen alle interesselos um den blauen Pool rum wie um einen Tisch, auf dem Essen steht, aber nichts Verlockendes. Baden tut keiner, auf Tischen badet man nicht. Mir gegenüber liegt ein älteres Paar, ein Mann mit blauer Schildkappe und einem Buch und eine Frau ohne Buch aber mit unwahrscheinlich dickem weißem Bauch zwischen den Bikiniteilen. Ich bin um 7 aufgestanden und habe auf Nebel gehofft, der aus den Toskanatälern emporkriecht. Statt aufsteigendem Nebel gab es aufsteigende Heißluftballons zum Fotografieren und später Bäckerdüfte, die einem Lust machten, in den Tag reinzubeißen wie in ein knuspriges Brötchen. Ich korrigiere 100 Seiten Romanfahnen, später lese ich. In Deutschland regnet es Schnüre.
    Nachmittag: Der Himmel, morgens eine blanke blau grundierte Leinwand, ist jetzt mit dicker weißer und grauer Farbe bekleckst - ob der Maler das so wollte und wusste, was er tat? Ich lese jetzt Erich Kästner, im Wasser war ich immer noch nicht.
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  • Day 9

    Auf der Straße nach Süden .... 30.08.21

    September 2, 2021 in Italy ⋅ 🌙 19 °C

    On the road again. In Volterra blicken wir von vielen Aussichtspunkten aus ins Tal und in die Vergangenheit, großes Theater, das übers Mittelalter bis hin zu den Römern und den Etruskern reicht. Wir essen Pizzaschnitten, eiern mit unseren E-Bikes über altes Pflaster in den überlaufenen Gässchen, trinken Cappuccino, filosofieren über die narbigen Hauswände, über die viele Jahrhunderte hinweg gegangen sind, essen Eis, kaufen toskanischen Gin (R), trinken Vino Santo.
    Spätnachmittags fahren wir gen Süden in die Maremma, Ziel Follonica, der nächstgrößere Ort zu unserer Unterkunft am Meer. Schon beim Reinfahren ahne ich Schreckliches. Mietskasernen, hässliche Kästen, sogar ein Hochhaus in unmittelbarer Strandnähe. Das ist kein ehrwürdiger Ort mit alten Steinen, die sucht man hier vergebens. Je näher wir der Strandpromenade kommen, desto klarer wird mir: Hier warst du schon mal. Mit Julian. Es ist noch nicht lange her, erst drei, nein vier Jahre: Nach einem Familienfest in Florenz sind wir für drei Tage gen Süden gereist, hatten Quartier in Massa Maritima und landeten auf der Suche nach dem Meer in Follonica. Wir hielten es einen Spätnachmittag lang dort aus, ehe wir uns, entsetzt von der Hässlichkeit des Orts, schüttelten und rasch wieder das Weite suchten.
    Die mächtigen Pinienhaine am Ortsrand haben wir damals nicht zu Gesicht bekommen.
    Die Ferienanlage im Mini-Örtchen Puntone, fünf Kilometer hinter Follonica, liegt unmittelbar an der vielbefahren Straße nach Scarlino. Unser Appartement hat einen berückenden Blick auf die Parkplätze. Es ist ebenerdig ohne Galerie, auf die wir abends klettern müssen, um zu schlafen. Es hat eine Terrasse und auf der Terrasse gibt es Licht, um abends zu lesen. Wir können die E-Bikes direkt über die Terrasse ins Zimmer schieben. Doch es fehlen Sträucher, Blumen, Olivenbäume, warmes Licht. Um Zikaden flöten zu hören, muss man um die Ecke und dann einen langen kleinen Weg bis zum Rand der Anlage gehen. Es ist hier ein wenig wie im Formule 1 Hotel bei Lyon, in dem wir früher immer für eine Nacht Station machten, um Tags darauf nach St. Cyprièn, unsere geliebte Ferienanlage in Südfrankreich, zu fahren - und den Zwischenstopp zu vergessen.
    Nun ja, wir werden uns hier einrichten. Man kann nicht alles haben - und hofft es doch immer wieder!
    "Follonica, der Lenz ist da", singe ich a Capella, während wir in das hässliche Städtchen zurückfahren, um ein Restaurant zu finden, "Follonica, der Lenz ist da, und alle Mädchen singen Trallala …" Ich muss mal wieder singen, denke ich, das hebt die Laune. Möchte mal wieder singen.
    Wir finden eine Pizzeria am Stadtrand von Follonica, in der man an der Theke bestellt und das Bestellte abholt. Ich wähle appetitlich aussehende Sardinchen mit Zwiebeln, gedünstete Verdura, Robert Pizza Diavolo ohne Salami, die sich ohne Wurst als Pizza Margherita ohne alles entpuppt. Überraschung bei der In-Empfang-Nahme der Speisen: Alles, wirklich alles - außer dem Essen und dem Wein in winzigen Glasflaschen - ist Einweg. Während des Essens mit Plastikbesteck auf Pappkarton-Tellern kommt der beleibte Chef mit Glatze vorbei und fragt, ob es schmeckt. Wir nicken, lächeln und schämen uns. Ja wirklich, es schmeckt und man schämt sich, dass es so gut schmeckt. Und schämt sich noch mehr, als man am Ende Teller, Becher und Besteck im Mülleimer versenkt, fein säuberlich nach Plastik, Karton und Glas sortiert. Da sage noch einer, die Italiener wären, was Mülltrennung angeht, nicht lernfähig.
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  • Day 9

    Beginn einer wunderbaren Freundschaft

    September 2, 2021 in Italy ⋅ ⛅ 28 °C

    Tag 6 ff unserer Suche nach dem Sommer. In der Maremma ist Strand angesagt, und wir finden Strand. Zuvor finden wir einen Weg dorthin, der es in sich hat. Motto: Zurück zur Natur! Oberhalb der Küste und an dieser entlang schlängelt er sich als Waldweg Richtung Punta Ala. Schön: Der Duft nach warmem Holz und Harz der Pinien. Wunderbar: Die überwältigenden Ausblicke auf blaugrünes Meer und grünes Land, die Bergrücken von Elba, die Landzunge samt Kap von Punta Ala, ja, und auch auf die Wohnsilos von Follonica in ihrer ganzen hässlichen Pracht. Das Allerbeste: Dieser Zurück-zur-Natur-Weg ist für Autos gesperrt. Mitnichten für Schlangen - ein opulentes Exemplar, sicher einen Meter lang, dick wie mein Handgelenk, kreuzt unseren Weg. Gelobt seien unsere Klapp-E-Bikes, die uns zu einer kleinen, nur wenig frequentierten Bucht bringen, auf deren steinigem Strand wir unsere Decke und Handtücher ausbreiten und den Sonnenschirm zwischen große Wackersteine klemmen. Vor uns das Meer mit seiner silbernen Haut und seinem mächtigen Atem. Mal wieder aufwärts Richtung Himmel schwimmen. Das Wasser und sogar der Wind ist warm. Und warm ist auch das Buch, das ich lese. Keine Romanfahnen mehr, obwohl die auch warm waren. Ab sofort ist es Urlaub. Die Zeit wird immer langsamer. Ein großer Schmetterling segelt zwischen mir und meinem Buch durch, das tut er mehrmals. Möwen kreisen auf dem Blau über uns, ein Tiefflieger stört. Irgendwo hier in der Nähe muss ein Militärstützpunkt sein, ich erinnere mich: Bei einem Familienurlaub 1999 - Julian war vier - hörten wir auf dem Campingplatz bei Marina di Maremma jeden Abend pünktlich um 20 Uhr die Militärmaschinen starten und ebenso pünktlich eine Stunde später, nachdem sie ihre Bombenfracht über dem Kosovo abgeworfen hatten, wieder landen. Für Momente übertönte der unheilvolle Gesang der Flugzeuge den Zikadenchor in den Pinien und erinnerte daran, dass Krieg war, etwas ganz Unglaubliches unglaublich nah. Krieg, ein Wort, bis dahin sorglos im Archiv der Geschichte gelagert, reif für die Urne, prallte mit der Wirklichkeit zusammen. Mit der Sommerhitze 1999, dem Abend, dem Urlaub.
    Unser Küstenpfad ist auf dem Rückweg im Abendsonnenlicht noch schöner als am Vormittag. Sogar das schreckliche Follonica, der Lenz ist da, in das wir am Abend wieder zum Essen fahren, ist zu ertragen und gar nicht mehr so schrecklich. Wir essen in einer Pizzeria unter Schirmpinien. Das Restaurant ist voll, aber nicht von Touristen, jedenfalls keinen Deutschen (außer uns). NUR Italiener speisen hier und scheinen sich alle zu kennen. Auch die Speisekarte ist NUR Italienisch, ebenso wie vielleicht der Brauch, dass auf allen Tischen, nachdem in einem extra Raum bezahlt worden ist, eine Flasche Limoncino landet, aus der man sich ausschenken darf, unentgeltlich, versteht sich. Das finden wir sympathisch. Überhaupt finden wir vieles in Follonica ab diesem Abend zusehends sympathischer. Verhungern kann man hier nicht. In unserer Pizzeria nehmen auch nach 23 Uhr noch Nachtschwärmer an neu aufgedeckten Tischen Platz. In einem kleinen Vergnügungspark skaten kleine Mädchen auf einer Inline-Fläche; Jugendliche spielen Billard und Tischfußball. Das Nachtleben scheint endlos. Eine kleine Theaterbühne, die wir abends darauf beim Essen in einem Wohngebiet entdecken, lädt erst um 22 Uhr zur Kasperle-Vorstellung. Und dann gibt es noch den Trenino di Levante, ein Spielzeugbähnchen, das bis nach Mitternacht seine Runden durch die Stadt dreht. Auch Erwachsene dürfen sich reinquetschen, der Parkplatzsuche ledig im Zentrum aussteigen, dort ein Eis essen, und sich anschließend wieder retour kutschieren lassen.
    Follonica, der Lenz ist da, beginnt uns allmählich zu gefallen.
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  • Day 9

    Follonica bei Tag

    September 2, 2021 in Italy ⋅ ⛅ 25 °C

    "Follonica - der Ort, nachdem wir uns auf ihn eingelassen haben, verrät er uns seine Wunder." Das oder Ähnliches hätte ich nach unserem Nachmittagsausflug gerne geschrieben. Aber ungeschminkt und ohne Abendkleid ist Follonica leider nach wie vor genau so potthässlich, wie ich es von meinem Besuch mit Julian vor 3 Jahren in Erinnerung habe. Nur die Pinienhaine, der Blick auf Elba und der Abendhimmel sind toll - und das Eis ist eine Wucht!Read more

  • Day 13

    Wir sind immer noch da ...

    September 6, 2021 in Italy ⋅ ⛅ 28 °C

    … bei Follonica. In der Maremma hängen geblieben. Länger als wir wollten, viel länger. Mehr Sommer als hier kriegen wir nirgendwo. Follonica selbst sind wir allerdings untreu geworden, stattdessen erkunden wir den angrenzenden Süden. In Punta Ala liegen wir in einer tief in die Landzunge geschnittenen Bucht, schwimmen in einem gebändigten Meer und in unseren Büchern bis weit nach Sonnenuntergang.
    Tags darauf, südlich von Castiglione della Pescaia steht alles im Zeichen der Pinie. Die Straße, aus einer Zeit stammend, als die Autos noch VW-Käfer und DKWs und die Camper Tagträume waren, zieht sich unter einem endlosen grünen Dach von mächtigen Pinienschirmen dahin. Links Camping Le Marze, in dem wir vor 22 Jahren die Geschwader in den Kosovo starten hörten.
    Warmer Duft von Erde, Nadeln und Zapfen bei der Fahrt mit den E-Bikes zum Meer. Und dann: Weißer Sand, aquamarinblaues Wasser, aquamarinblauer Himmel und jede Menge Wind! Hoch über uns kreisen sehr viele Lenkdrachen von sehr vielen Kitesurfern und unser Sonnenschirm will am liebsten mitmachen. Nach zehn Mal Losreiß(s)en geben wir es auf, klappen den Schirm zusammen und lassen die Sonne auf Beine, Gesichter und in unsere Bücher scheinen, auch im Herz ist noch Platz. Ich lese jetzt „Aprilwetter“ von Thommie Bayer (Buchtipp!), ein Sommerroman. Am zwölften Ferientag bin ich im dritten Buch auf Seite 163, ein Rekord - seit Jahren war ich nicht mehr in so vielen anderen Leben unterwegs. Und jedes Buch ein Treffer - was wahrscheinlich daran liegt, dass ich am Stück lesen kann und nicht dauernd rausfliege. Neben mir donnert das Meer und manchmal stürzt einer der Riesendrachen wie ein Stein hinein. In der Ferne die Konturen von Elba, der Isola di Monte Christo, der Monte Argentario mit Orbetello und die Halbinsel mit den Häfen Porto Santo Stefano und Porto Ercole. In Porto Santo Stefano bin ich als Zwanzigjährige auf meiner ersten Italienreise an einem sehr warmen Abend beim naiven Versuch, allein am Strand zu nächtigen, mutmaßlich nur knapp einer Vergewaltigung entgangen, indem ich mich in einen privaten Garten rettete. Anschließend „leistete“ ich mir in Orbetello leicht panisch das erste eigene Hotelzimmer meines Lebens - für sage und schreibe 7000 Lire (= 7 Deutsche Mark) mit einem Bett, einem winzigen Waschbecken und ohne Fenster - für mich damals der Gipfel des Luxus.
    Am Meer bei Castiglione ist es an diesem Abend auch warm, nach 20 Uhr noch 26 Grad. Die Sonne verabschiedet sich jetzt schon so früh! An der Strandpromenade finden wir ein lautes, überfülltes Fischlokal und dort einen Platz mit Blick aufs nächtliche Wasser und entsprechende Speisen. Ich bin so voll mit Glück wie das aufgeblasene Gummi-Schwimm-Einhorn vor mir im Sand mit Luft. Mehr Sommer kann nicht werden! Der Meinung sind wohl auch die Zikadenchöre, die auf unserer Heimfahrt in den angrenzenden Feldern aus Leibeskräften flöten.
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  • Day 15

    On the road again....

    September 8, 2021 in Italy ⋅ ☀️ 29 °C

    Es ward Abend und Morgen, ein vierzehnter Ferientag - und wieder wird die Welt für uns neu erschaffen. Sie riecht nach Rosmarin, frischer Wäsche, frischen Panini und frischem Kaffee. Wir haben auf dem Weg nach Florenz in Scarlino Station gemacht, einem Borgo auf einem Hügel, nur ein paar Kilometer von unserem Feriendomizil entfernt im Hinterland. Von dem alten Kastell hoch über dem Meer soll man an klaren Tagen, von denen heute keiner ist, bis nach Korsika sehen. Uns reicht der Blick über alte Olivenbäume mit fast reifen grünen Früchten bis nach Follonica, der Lenz ist da, und nach Elba. Zum ersten Mal in diesem Urlaub "leisten" wir uns in einer kleinen Bar zum Mittagessen eine Panettone für 6 Euro, dazu gibt's Cappuccino und Aussicht - letztere gratis.
    Am Abend zuvor haben wir uns von unserem Strand verabschiedet. Das Meer macht seine schönsten Wellen für uns, lässt sie gemächlich und im Takt heranrollen und auf den Strand schlagen, wo schon zermahlener Tang und Steine liegen. Die Sonne eine geschälte Grapefruit, deren Saft auf den ganzen Himmel abfärbt. Elba hat sich schon in Dunst Schleier gehüllt, will uns den Abschied nicht so schwer machen - oder sich.
    Später, am Pool hinter dem Appartement, lese ich das bisschen Buch fertig, das vom Tag noch übrig ist, ein kleiner Leckerbissen, zusammen mit Vino rosso vor der Klangkulisse der Zikaden genossen. Nachts um drei Uhr erfüllt nur noch das Gebell der Hofhunde die Umgebung.
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  • Day 15

    Ein bisschen Stadt muss sein

    September 8, 2021 in Italy ⋅ ☀️ 27 °C

    An Florenz kommt man nicht vorbei. Das ist eine 40 Jahre alte Erfahrung, seit ich mit 20 Italien erkundete, dabei in Florenz hängen blieb und an zwei Tagen über 20 Kirchen besichtigte, dazu die Uffizien, das Kloster San Marco mit den Fresken von Fra Angelico, und, und. Wie besoffen ließ ich mich durch die Stadt der Medici treiben, stand vor Michelangelos Tondo "Heilige Familie", und vor "Primavera", dem Frühling, der auf Botticellis Gemälde ein Mädchengesicht hatte, dem ich gerne ähnlich gesehen hätte. Ich vergaß zu essen, zu schlafen, und erfuhr erst später, dass ich dem sogenannten Stendhal-Syndrom erlegen war, einem Phänomen, das Menschen nur in Florenz ergreift und nach dem gleichnamigen Autor Stendhal, seinem bekanntesten Opfer, benannt ist. Immerhin erinnere ich mich, dass ich ab und zu eine Pizzaschnitte mit Schinken und Champignons oder ein Hörnchen mit 2, 3 Kugeln Eis zu mir nahm, und an den allgegenwärtigen Duft von geröstetem Brot in den Gassen, der noch heute der Gleiche ist.
    Die Besoffenheit, mit der wir uns diesmal Florenz nähern, ähnelt der des Stendhal-Syndroms von damals, geht aber auf höchst irdische Ursachen zurück. Wir haben eine Weinprobe auf einer toskanischen Farm hinter uns, an die wir am Ende nicht mehr geglaubt hatten. Keine Cantina hatte Interesse - weder an unserem Interesse noch an unserem Geld, Degustationi waren prenotati, aber nicht von uns, Weingutbesitzer waren verhindert oder gerade verstorben, ehe wir auf einem Stück Land neben Reben und einem Gutshaus einen einsamen Laub rechenden Farmer fanden, der uns groß ansah und dann versprach: Chiamo mia moglie. (Ich rufe meine Frau). Die kam dann auch - mit resolutem raschem Schritt, der sofort klar machte, bei uns gibt es was, und wer in diesem 2-Mann-Betrieb die Hosen anhatte und dafür sorgte, dass es was gab. Der Weinkeller wurde aufgeschlossen - und es gab alles: Chianti, Vino Toscano, Vino Santo zum Trinken, rote Trauben zum Essen und Olivenöl zum Kochen. Alles konnte degustiert werden und wurde es, mit Ausnahme des Öls. Nach 7 Minuten waren wir Freunde, und weitere 14 Minuten später zogen wir ab, angeheitert, glücklich und vollbepackt, nicht ohne das geradebrechte Versprechen, nächstes Jahr wieder zu kommen, sicuramente.
    In Florenz wohnt meine Schwester mit Mann und Kindern. Nach einer Führung durch ihr Haus, das sie und ihr Mann mit unglaublicher Kreativität gestaltet hat, könnte mich wieder das Stendhal-Syndrom befallen. An meiner Schwester ist eine Innenarchitektin verloren gegangen. Zum Essen gibt es toskanische Brotsupoe, Frikadellen und Kartoffelsalat, Eis mit Himbeerkompott, dazu Wein (Amarone) Gelächter, gute Gespräche, Wein und noch mehr Wein. Bis tief in die Nacht sitzen wir draußen, ohne zu frösteln.
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