Camino Francés von Saint-Jean-Pied-de-Port bis Burgos Baca lagi
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    Viana - Navarrete (~21.5km)

    24 Mac 2022, Sepanyol ⋅ ☀️ 10 °C

    Um 20 nach 6 klingelt der Wecker. Nicht meiner, der hat wie immer nur Vibrationsalarm und hätte noch ne halbe Stunde Zeit. Er klingelt sehr lange, bis irgendwer ihn ausmacht. Ich stelle mich noch ein wenig schlafend, gebe bei dem Gerraschel um mich herum aber bald auf und als ich aus dem Bad komme, hat anscheinend auch der Italiener (den ich gestern fälschlicherweise für einen Spanier hielt) aufgeben, der als Letzter noch lag. Vielleicht wurde er auch zum Aufstehen überredet, auf jeden Fall ist das Licht an. Ich packe also in Ruhe meine Sachen und höre noch ein bisschen zu, wie sich die anderen über die sehr kalte Nacht austauschen.
    Ich habe eigentlich ganz gut geschlafen, habe aber auch genug warme Sachen dabei und mit beiden Leggings, Wander- und Wollsocken sowie T-Shirt und langärmligen Shirt im Schlafsack gelegen. Den Fleecepulli habe ich zum Glück nicht auch noch gebraucht.
    Die beiden Franzosen frühstücken in Ruhe, während der Rest seine Sachen packt. Blöderweise sind die beiden Deutschen zeitgleich mit mir fertig und laufen auch gemeinsam mit mir los.

    Es ist gerade mal Viertel nach Sieben als wir uns auf den Weg machen. Zum Glück sind die beiden ohne Gepäck schneller als ich, wobei ich sie bei ihrer ersten Pause nochmal einhole. Ich mache daraufhin auch bald eine Pause und wir verabschieden uns endgültig, da sie heute nur bis Logroño wollen. Das Stück bis dorthin sind zwar schon 10km, die laufen bei mir aber ziemlich gut und ich komme zügig voran. Kurz vor Logroño verlasse ich übrigens die Region Navarra und befinde mich ab jetzt in La Roja. Schon beeindruckend, wie weit ich inzwischen gekommen bin.

    Da ich so früh gestartet bin, lasse ich die Altstadt von Logroño bereits um halb 11 wieder hinter mir. Ich laufe an einer Schulklasse vorbei, die wohl gerade eine Stadtführung machen und bei der mir jeder einzelne ein Buen Camino wünscht.

    Leider zieht sich das Stück durch die restliche Stadt an der Straße entlang und ich treffe noch auf eine sehr lange, sehr laute Trucker-Demo. Bestimmt mehr als 100 Stück fahren an mir vorbei und als ich von der Hauptstraße abbiege, ist immernoch kein Ende in Sicht. Noch anderthalb Stunden später, außerhalb von Logroño auf einer Anhöhe, kann ich das Gehupe hören als der Wind günstig steht.

    Die nächsten Kilometer nach Logroño gehen durch eine hübsche Allee, sind aber asphaltiert und das scheint meinen Füßen nicht gut zu tun. Die Ferse beginnt wieder zu schmerzen und auch die Knöchel merke ich. Das Naherholungsgebiet von Logroño zieht sich jedoch bis zu einem Stausee und auch dort ist für einen Wochentag wirklich viel Betrieb, wobei die meisten Spanier freundlich grüßen. Danach geht es noch eine Weile durch die Weinberge und das Wetter, das bisher in Ordnung, kühl und schattig war, wird wieder schlechter. Für ein wenig Niesel ist es mir aber zu aufwändig, den Poncho herauszuholen, aber wirklich Spaß macht das Laufen so nicht. Zum Glück erreiche ich bald Navarrete, das jedoch leider auf einem Berg liegt und nochmal eine ziemliche Anstrengung verlangt, die meiner Ferse gar nicht gefällt. Langsam mache ich mir wirklich Sorgen, wie die wohl aussieht, denn schmerzen tut es ziemlich.

    Die Herberge ist sehr hübsch, aber man muss durch ein Treppenhaus hinauf. Autsch. Dafür hat der Schlafsaal sehr hübsche Holz-Stockbetten und einen kleinen Schrank für jeden. Der Schlüssel dafür hat auch einen für die Eingangstür, sodass man unabhängig die Stadt anschauen kann. Zuerst werde ich mir aber meine Füße anschauen. Die Ferse sieht nach einem ziemlichen Loch aus, kein Wunder, dass es weh tut. Bei der Blase zwischen den Zehen am anderen Fuß will ich eigentlich nur das Tape wechseln, das Druckstellen am Rand vermeiden soll, dabei löst sich jedoch auch ein Ende des Blasenpflasters und ich muss es komplett wechseln. Beim Abziehen geht die Blase auf. Autsch, tut das weh!! Und es sieht jetzt auch ziemlich kaputt aus. Ich beschließe, beides erst mal offen zu lassen und liege ein bisschen auf dem Bett herum.

    Inzwischen sind noch 3 weitere Pilger aufgetaucht, Jean-Luc und Catherine, das französische Paar das ich bereits kenne und ein weiterer Franzose, der aber extrem lange Etappen läuft. Er spricht fließend Deutsch, da er eine Weile in Deutschland gearbeitet und gelebt hat und wenn ich dem französischen Gespräch richtig gefolgt bin, läuft er den Jakobsweg schon seit ein paar Jahren in Etappen von Köln aus.

    Nachdem ich mich genügend erholt habe, humpele ich wenigstens noch zum Supermarkt, um mir was zum Essen zu organisieren. Auf dem Weg werfe ich noch einen Blick in die Kirche. Am Eingang steht ein kleines Gerät, das für einen Euro die Beleuchtung des Altarraumes verspricht. Ich probiere es aus und werde von so viel Gold und Glitzer fast geblendet. Für einen Ort mit nur 3000 Einwohnern ist die Altarretabel wirklich beeindruckend!

    Am Abend fragt der eine Franzose, ob es in Ordnung ist, das Licht bereits um halb 9 auszumachen. Außerdem will er gerne ein bisschen länger schlafen, so lange Etappen sind wohl sehr anstrengend. Mir ist es recht, ich hätte im Zweifelsfall Handy und Stirnlampe und eine lange, ruhige Nacht tut mir sicherlich auch gut. Jean-Luc und Catherine haben ebenfalls nichts dagegen und so gehen wir alle früh schlafen.
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  • Hari 11

    Navarrete - Nájera (~16.5km)

    25 Mac 2022, Sepanyol ⋅ 🌫 12 °C

    Gestern habe ich schon beschlossen, heute nur eine kurze Etappe zu gehen, um zu sehen, wie es meinen Füßen geht und da ich dann (mit 3 eher "kürzeren" statt 2 sehr langen Etappen) wieder eher in der vorgeschlagenen Unterteilung bin. Außerdem unterscheiden sich die Angaben ob die Unterkunft im darauffolgenden Ort 5 km weiter geöffnet ist oder nicht und da meine App bisher häufiger recht hatte als der Ausdruck, den ich in SJPDP bekommen habe, gehe ich lieber kein Risiko ein. Danach nochmal 10 km mehr laufen zu müssen, weil zu war, will ich definitiv vermeiden. Es wird heute also ein eher kurzer Tag und so drehe ich mich entspannt nochmal um, als ich Catherine um halb 7 aufstehen höre.

    Um halb 8 stehe ich aber auf und gehe ins Bad. Auch Jean-Luc ist inzwischen wach und frühstückt erst mal in Ruhe mit seiner Frau. Als der andere Franzose auch um kurz vor 8 noch schläft, werde ich ein bisschen nervös, denn um halb 9 müssen wir die Herberge spätestens verlassen und nach den Erfahrungen der letzten Tage habe ich ausnahmsweise nicht am Abend vorher so gerichtet, dass ich leise packen oder alles in den Aufenthaltsraum räumen könnte. Zum Glück wird er um 8 doch wach und Jean-Luc macht die Rollläden hoch. Zwanzig Minuten später bin ich bereit zum Abmarsch und verabschiede mich. Wir treffen uns unterwegs zwar nochmal, aber sie wollen heute alle weiter als ich.

    Ich bin froh, mir heute wenig vorgenommen zu haben, denn ich komme schlecht voran. Die Ferse geht zwar, wenn ich nicht daran denke, aber nach jeder Pause brauche ich eine Weile, um wieder in den Tritt zu finden. Das kalte Wetter trägt auch dazu bei, denn ich brauche jedes mal einige Minuten, bis die Muskeln wieder warm sind. Trotzdem brauche ich heute einfach viele Pausen, denn auch wenn es die meiste Zeit hauptsächlich flach ist, strengt mich das Laufen heute ziemlich an. Landschaftlich hat die Strecke an der Autobahn entlang auch wenig zu bieten, trotzdem lasse ich den Umweg von einem Kilometer über ein kleines Dorf sein, der eine schönere Aussicht verspricht. Es ist heute nämlich extrem neblig, da wird auch dort die Aussicht nicht besser sein. Der Nebel hält sich extrem lange und er ist nicht von der schönen Sorte, der die Welt ruhig und geheimnisvoll erscheinen lässt, wie ihn die Dichter in der Romantik beschreiben, sondern von der nass-kalten, ekligen Sorte, eher so depressiv wie in Hermann Hesses Gedicht "Im Nebel", das ich mal für die Schule auswendig lernen musste.

    Nach der Autobahnstrecke führt der Weg durch Weinberge. Das mag bei schönem Wetter bestimmt toll sein, aber durch den Regen der letzten Nacht wate ich stellenweise einfach nur durch roten Lehm-Matsch, es ist kalt und nass und meine Füße schmerzen. Außerdem bin ich extrem langsam unterwegs. Wenn das die nächsten Tage nicht besser wird, überlege ich wirklich, ob es nicht besser wäre, zum Beispiel in Burgos abzubrechen und nach Hause zu fahren. Burgos ist der nächste große Ort, den ich in ca 4 Lauftagen erreiche und von dem eine Abreise (und vielleicht irgendwann eine erneute Anreise) am einfachsten möglich wäre.

    Das einzige Highlight heute erlebe ich an einem kleinen runden Unterstand, an dem angeblich Roland aus dem Rolandslied gegen einen Riesen gekämpft haben soll. Ich mache hinter der Hütte eine kurze Pause, als ich plötzlich Musik höre. Ich sehe erst mal nichts und bin sehr verwirrt, dann taucht jedoch hinter der Hütte ein Radfahrer auf, der anscheinend als einziges Gepäckstück einen Lautsprecher im Rucksack hat.

    Nach einer Weile erreiche ich den Ort. Durch Nájera zieht sich der Weg aber auch zuerst durch einige nicht gerade hübsche Wohngebiete, bevor man die Altstadt erreicht. Wenigstens das Wetter ist inzwischen ein wenig besser und ganz selten blitzt sogar die Sonne raus. Die private Herberge am Ortseingang hat noch nicht geöffnet und ist eher von der teureren Sorte, sodass ich mich entscheide, zur großen öffentlichen Herberge mit riesigem Schlafsaal zu laufen. Der Reiseführer spricht von 90 Betten in einem großen Saal, aber ich glaube weder dass so viele Pilger heute ankommen, noch dass unter Coronabedingungen der ganze Saal belegt wird. Außerdem habe ich die letzte Nacht ja mehr als ausreichend geschlafen.

    Um kurz vor 2 erreiche ich die Herberge, die offiziell erst um 2 eröffnet. Die beiden Freiwilligen begrüßen mich als erste Pelegrina des Tages aber schon sehr gerne. Außerdem sind sie die ersten, die sich meinen Perso anscheinend genauer anschauen und feststellen, dass ich in 5 Tagen Geburtstag habe. Ich sage nicht, dass ich da eventuell bereits abreisen muss und freue mich über die Kommentare, dass ich noch gar nicht wie Ende 20 aussehe. Auch wenn sie sich offensichtlich gerne weiter mit mir unterhalten würden, lege ich mich für ein paar Stunden in Ruhe aufs Bett. Der Schlafsaal wurde in den letzten Jahren wohl umgebaut, denn er enthält nur etwa halb so viele Betten wie der Reiseführer angedroht hat und nach jeweils zwei Doppelbetten befindet sich eine kleine Trennwand.

    Meine Ferse sieht ein wenig besser als gestern aus, trotzdem überprüfe ich mal die Abreisemöglichkeiten und schaue, wie viele Etappen es bis Burgos wären und ob dort im Notfall auch Busse fahren würden. Morgen laufe ich auf jeden Fall noch eine normale Etappe, die auch wieder ein paar mehr Steigungen als heute hat und entscheide dann, ob ich es meinen Füßen weiter zumuten kann oder nicht.

    Außer mir sind noch zwei weitere Pilger angekommen, ein Niederländer namens Chris und Simon aus Belgien, der tatsächlich den ganzen Weg aus Belgien gelaufen ist und im Winter mit seinem Zelt unterwegs war. Der eine Hospitaliero schlägt vor, gemeinsam zu essen, sie besorgen ein wenig Brot und jeder stellt auf den Tisch, was er noch so hat. Das klingt nett und wir sagen alle zu, ohne zu ahnen, was für ein Abendmahl uns erwarten wird.

    Der andere Hospitaliero, Davide aus Spanien, der kaum Englisch spricht, hat nämlich eine Leidenschaft fürs Kochen und läuft für uns zur Höchstform auf. Es gibt eine dicke Suppe zur Vorspeise, die alleine schon satt macht, gefolgt von einer Art Kroketten nach spanischer Art mit Blutwurstfüllung, sowie Empanadas mit Thunfisch-Ei-Füllung und es schmeckt alles köstlich! Dazu ein Glas Rioja-Wein und die Gespräche tragen ihr übriges zu einem angenehmen Abend bei. Zum Nachtisch gibt es noch für jeden ein Stück spanischen Käsekuchen mit Streuseln, ebenfalls selbstgemacht von Davide.
    Vorstellen muss man sich Davide übrigens als großen Typ mit Vollbart, langen Haaren, komplett tätowierten Armen und auch am Kopf einen Streifen kahl rasiert und tätowiert. Michele, der andere Hospitaliero, stammt aus Italien und betreibt dort in Siena ein Bed&Breakfast, und ich habe bisher keine Albergue erlebt, wo die beiden Hospitalieros so bemüht und fürsorglich waren wie hier. Davide fragt, ob noch jemand warme Milch oder irgendetwas anderes zum Einschlafen braucht und verspricht uns, uns morgen auch mit Frühstück zu versorgen, da er sowieso immer um halb 5 aufwachen würde. So früh will keiner von uns aufstehen und wir einigen uns auf Frühstück um halb 8.
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  • Hari 12

    Nájera - Santo Domingo d. l. C. (~21km)

    26 Mac 2022, Sepanyol ⋅ ☀️ 13 °C

    Obwohl wir nur zu dritt im riesigen Schlafsaal sind und alles ruhig ist, schlafe ich nicht so gut. Simon scheint es ähnlich zu gehen, denn als ich um sieben aufstehe, ist sein Bett leer und es klang, als wäre er vor Stunden bereits nach draußen verschwunden. Vielleicht wollte er aber auch einfach nur den Sonnenaufgang schauen.

    Davide hat sich beim Frühstück selbst übertroffen, es gibt angeröstetes Baguette, dazu einen selbstgemachten Tomaten-Ölaufstrich, eingelegten Käse (den ich aber leider nicht mehr geschafft habe zu probieren), eine Art arme Ritter und vor allem jede Menge Churros, in viel Fett frittiert und mit ordentlich Zucker, die extrem gut schmecken. Zumindest Simon scheint noch weniger ein Morgenmensch zu sein als ich und beginnt erst nach einer ordentlichen Tasse Kaffee sich am Gespräch zu beteiligen. Wir lassen es uns alle ordentlich schmecken und ich werfe anschließend nochmal extra was in die Spendenkasse, den sowohl Frühstück als auch Abendessen waren rein spendenbasiert, wie die ganze Unterkunft, die nur einen kleinen verpflichtenden Beitrag für die Übernachtung verlangt. So gut wäre es mir in der deutlich teureren privaten Herberge im gleichen Ort sicher nicht ergangen.

    Beim Frühstück entdecke ich an einer Wand ein Plakat mit genau dem irischen Segenswunsch, auf dem das Lied "Möge die Straße" basiert, das ich vor einigen Tagen schon als Ohrwurm hatte. Anscheinend scheint das diesmal das Motto meines Jakobsweges zu sein, das gefällt mir gut. Um zwanzig nach Acht mache ich mich auf den Weg und bin gespannt, ob ich mich so satt überhaupt bewegen kann.

    Anscheinend gibt der viele Zucker und das Fett aber ordentlich Energie und so bin ich auf dem ersten Stück deutlich schneller unterwegs als die letzten Tage. Dazu trägt sicher auch das tolle Wetter bei, das gar nicht dem vorhergesagten Regen entspricht. Es ist das erste Mal, dass die Vorhersage in meiner App nicht stimmt und ich laufe den ganzen Tag bei strahlendem Sonnenschein und es wird sogar so warm, dass ich die Jacke ausziehen kann. Die Ferse fühlt sich ok an und ich komme sehr gut voran. Außerdem treffe ich heute unterwegs wieder viel mehr andere Pilger, wobei die sich untereinander zu kennen scheinen. Ich bin nun wohl in dem Schwung, der einen Tag nach meiner ursprünglichen "Gruppe" gestartet ist. Wirklich motiviert dazu, schon wieder neue Leute kennenzulernen, bin ich heute aber nicht und belasse es so meistens nur bei einem freundlichen "Buen Camino" als Gruß.

    Das Laufen macht dafür aber wieder mehr Spaß, ist aber trotzdem anstrengend, da es über mehrere Hügel geht. Um zwei erreiche ich den Stadtrand von Santo Domingo de la Calzada und überlege tatsächlich kurz, ob ich noch weitergehe. Ich möchte mir aber hier die Kathedrale anschauen und außerdem meinen Füßen definitiv nicht zu viel zumuten und steige um halb 3 deshalb in der Albergue ab.

    Die Unterkunft ist sehr groß und kann im Sommer wohl über 200 Pilgern Platz bieten, hat zur Zeit aber nur zwei Schlafsäle mit je 15 Betten geöffnet. Der Vorteil ist, dass es alles niedrige Betten und keine Stockbetten sind, der Nachteil, dass sie unter dem Dach liegen und man mit müden Beinen eine Menge Stufen bewältigen muss. Dafür gibt es aber endlich mal wieder WLAN, sodass ich den Blog updaten kann. Viele, die so früh den Ort erreichen, gehen wohl weiter und so bin ich unter den Ersten und nutze das gleich aus, da es nur zwei Duschen für Frauen gibt, die im Laufe des Tages sicher nicht schöner werden. Bis abends füllt sich mindestens mein Schlafsaal komplett.

    Ich schaue mir zuerst mal meine Ferse an und bin ernüchtert. Obwohl es heute Morgen so aussah, als ob sich endlich eine Schicht Wundschorf bilden würde, sieht es inzwischen wieder wie ein offenes Loch aus, tut aber zum Glück weiterhin nicht wirklich weh. Dafür ist nun zusätzlich auch noch der Knöchel geschwollen, vermutlich bin ich vor lauter schönem Wetter und guter Laune zu schnell und mit zu wenigen Pausen gelaufen. Ich beschließe, mir erst mal die Kathedrale anzuschauen, bevor ich weitere Pläne mache.

    Der ganze Ort ist sehr touristisch und die Kathedrale samt angeschlossener Ausstellung kostet Eintritt, ist für Pilger aber ermäßigt. Dafür muss ich mich nicht mal mit meinem Credential ausweisen, das Outfit aus Leggins, Fleecepullover und Socken in Sandalen ist wohl aussagekräftig genug. Die Kirche ist beeindruckend und auch die Ausstellung von verschiedenen Figuren ganz interessant, wobei ich für einen Audioguide heute keine Energie mehr habe. Einige Marienfiguren finde ich extrem hässlich, aber vielleicht war das auch das Thema der Ausstellung. Dafür gefällt mir die Krypta mit modernen Mosaiken auf den zweiten Blick unerwartet gut.

    Das Highlight sind aber natürlich die Hühner. Die dazugehörige Legende habe ich bei den Fotos aus dem Reiseführer abfotografiert angehängt. Es heißt, wenn die Hühner krähen oder gackern, wenn man als Pilger in der Kathedrale ist, soll es Glück für den weiteren Weg bringen. Leider sind die Tiere die komplette Zeit, in der ich die Kathedrale besichtige, still und ich überlege, ob ich es als Zeichen für den Abbruch meines Weges sehen soll. Im Hof meiner Unterkunft entdecke ich dann jedoch den Käfig mit den weiteren "Ersatz"-Hühnern, die sich anscheinend in Schichten von je zwei Wochen den Job teilen, und diese gackern extra für mich.

    Trotzdem buche ich später am Abend zur Sicherheit ein Ticket für den Flixbus am Dienstag Abend nach Aachen, mit dem ich am Mittwoch Abend dann ankäme. Am Dienstag bin ich in Burgos und von dort komme ich nicht nur gut heim, sondern könnte auch irgendwann erneut wieder einsteigen, wenn ich diesmal abbrechen muss. Man kann das Flixbus-Ticket bis 15 Minuten vor Abfahrt umbuchen/gegen einen Gutschein tauschen, falls ich mich entschließe, noch weiterzugehen und von woanders heimzufahren. So bin ich aber auf der sichereren Seite, bevor der Bus ausgebucht wäre und ich am Dienstag heim will/muss und kann schauen, wie sich der Fuß die nächsten zwei Tage entwickelt. Es wäre zwar schade, abbrechen zu müssen, aber allein für die zwei Wochen hat es sich auf jeden Fall gelohnt und der Camino läuft mir ja nicht weg, vor allem wenn ich ihn in Zukunft einfach weiter in zwei Wochen Etappen laufen würde. Damit käme ich beim nächsten Mal auf jeden Fall von Burgos bis Leon, wo ich 2018 schon mal gestartet bin. Aber mal sehen, vielleicht wird auch alles besser und ich kann dieses Mal noch weitergehen.
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  • Hari 13

    Santo Domingo - Belorado (~23km)

    27 Mac 2022, Sepanyol ⋅ ⛅ 10 °C

    Die Nacht war unruhig. Mit 15 Leuten im Schlafsaal und Betten in Reihen, bei denen ich eines in der Raummitte hatte, schlafe ich sehr unruhig. Außerdem schnarcht die Französin neben mir so laut, dass selbst meine Ohrstöpsel nicht helfen und die fehlende Stunde durch die Zeitumstellung tut ihr übriges. Trotzdem scheinen es einige Leute geschafft zu haben, so leise einzupacken, dass ich nicht wach wurde, denn als ich um kurz vor 7 aufstehe, sind bereits einige Betten leer.
    Ich bemühe mich, möglichst leise zu sein und nehme alle Sachen mit in den Aufenthaltsraum, um sie dort einzupacken. Das tut außer mir auch ein Mädchen aus England und eine französische Frau und wir rollen gemeinsam mit den Augen, als wir sehen und hören, wie ein spanisches Paar laut im Schlafsaal eingepackt und dabei mit dem Handy durch den ganzen Raum leuchtet. Es stellt sich heraus, dass die beiden zwei riesige Reisetaschen packen und ihr Gepäck vorausschicken lassen. Das finde ich zwar grundsätzlich einen tollen Service und ich habe genug Leute getroffen, die es wenigstens für ein paar Etappen auch wirklich nötig hatten, aber für solche rücksichtslosen Leute, die sich mit dem Packen dann ja nicht mal beeilen müssten, habe ich einfach überhaupt kein Verständnis.

    Gegen halb Acht mache ich mich müde auf den Weg, dank der Zeitumstellung noch im Dunkeln. Leider ist es zu bewölkt, um Sterne zu sehen. Die Wolken halten sich bis zum Nachmittag und es bleibt frisch. Heute geht es durch sehr hügeliges Gebiet und viele kleine Orte. Nach jedem Anstieg kann man mindestens den Kirchturm des nächsten Ortes bereits sehen, nur damit er nach dem nächsten Abstieg wieder verschwindet. Das nächste Zwischenziel dauernd vor Augen führt dazu, dass ich schneller laufe, als für meine Füße gut wäre und ich spüre sie recht schnell wieder.

    Ich treffe nur Leute, die ich noch nicht kenne und als mir in meiner Mittagspause ein älterer Engländer auch noch erklären will, dass ich meine Stöcke falsch benutze, bin ich endgültig genervt. Weder will ich dauernd als "young lady" angesprochen werden, noch mag ich seinen belehrenden Tonfall und außerdem sehe ich heute sicher nicht aus, als ob ich an Gesprächen jeglicher Art interessiert wäre. Ich höre mir an, was er zu sagen hat und lasse ihn wissen, dass mir bewusst ist, wie man die Teile richtig nutzt, dass ich sie zur Zeit aber hauptsächlich brauche, um meine Ferse zu stabilisieren. Er sollte mich mal nachmittags sehen, wenn ich einfach nur noch beide Stöcke vor mich platziere, um mich Schritt für Schritt an ihnen vorwärts zu ziehen.

    Schlecht gelaunt bleibe ich ein wenig länger Sitzen, um ihn weit genug vor mir zu haben. Eine kleine Katze kommt laut maunzend angelaufen und schleicht bettelnd um mich herum, verschwindet jedoch schnell wieder, als auch ein spanischer Pilger auf der benachbarten Bank Pause macht. Nicht so der Kater, der einige Minuten später auftaucht. Mit großer Selbstverständlichkeit schnuppert er an unser beider Rucksäcken und springt auf den Tisch zwischen uns, als er sieht, dass wir beide etwas zu essen ausgepackt haben. Die Gummibärchen des Spaniers sind nicht nach seinem Geschmack, aber schneller als ich gucken kann, steckt er seine Nase in meine Schokolade. Die ist zum Glück noch eingepackt und ich stecke sie wieder in den Rucksack, biete dem Kater jedoch ein paar meiner Erdnüsse an, die er direkt frisst. Ich versuche ihn vom Tisch zu verscheuchen, wer weiß, was er an Flöhen hat und ich bin mir sicher, dass er in den umliegenden Feldern genug Mäuse fangen kann. Einen Ort vorher habe ich sogar ein paar Fische in einem flachen Becken gesehen.
    Kaum ist der Spanier jedoch weitergegangen, kehrt der Kater zurück und macht es sich auf meinem Schoß bequem, ohne auf meinen Protest zu achten. Von Nahen sieht er zumindest gepflegt und sicherlich nicht abgemagert aus, er stammt also wohl von einem der Bauernhöfe hier im Ort oder er ist sehr gut darin, Pilger anzubetteln. Ich streichele ihn zumindest eine Weile, dann muss ich aber wirklich weiter, trotz lautem Protest seinerseits.

    Um drei erreiche ich Belorado und da mir die öffentliche Herberge von außen nicht gefällt, entscheide ich mich für eine am Ortsende, die auf dem Weg mehrere Plakate aufgehängt hatte, um Werbung zu machen, dass sie bereits offen sind. Das Restaurant im gleichen Gebäude ist leider noch geschlossen und auch der Pool im Garten ist bei dem Wetter noch nicht offen, im Sommer aber sicher ein toller Platz. Ich bin die erste Pilgerin dort, aber zwei vorgesendete Rucksäcke machen klar, dass mindestens noch zwei Leute kommen werden. Der Raum ist ziemlich kalt, obwohl die Heizung läuft und so laufe ich noch ein wenig durch die Stadt.

    Als ich zurückkomme, ist außer mir noch ein Spanier mit noch schlimmeren Blasen als ich angekommen, sowie die Besitzer der beiden Rucksäcke. Es sind Diego und Kathrina, die ich aus der Herberge in Viana kenne. Diego hat Probleme mit der Achillessehne, definitiv ein legitimer Grund, das Gepäck vorauszuschicken. Er berichtet, dass auch das deutsche Paar hier im Ort sei. Ich hoffe, er vertut sich und meint die Franzosen, denn die Deutschen wähnte ich eigentlich weit hinter mir, da sie kürzere Etappen machen wollten.
    Ich schaue nochmal, welche Möglichkeiten ich morgen habe, gehe dann aber früh ins Bett, die letzte Nacht war einfach zu kurz.
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  • Hari 14

    Belorado - Agés (~27.5km)

    28 Mac 2022, Sepanyol ⋅ ☀️ 11 °C

    Zuerst noch ein Nachtrag zu gestern: Ich habe die Region La Rioja nun hinter mir gelassen und befinde mich in Castilla y León. Hier verlaufen nun mehrere hundert Kilometer Jakobsweg bis weit hinter die Stadt León.

    Die Nacht war schlecht. Es war so kalt, dass ich kaum geschlafen habe, obwohl es mit nur 4 Leuten im Raum eigentlich recht ruhig war. Es muss noch kälter gewesen sein als in der Herberge in Viana, denn ich werde wach, sobald ich mich bewege und auf eine kalte Stelle rolle. Als um kurz nach sechs Kathrinas Wecker klingelt, gebe ich auch auf und stehe auf. Keiner will länger als nötig in der Kälte bleiben, denn obwohl es draußen noch Dunkel ist, ist es zumindest gefühlt wärmer und so mache ich mich bereits um kurz nach sieben auf den Weg. Für Sterne und Sonnenaufgang ist es auch heute leider zu bewölkt, aber die Sonne schafft es relativ schnell durch die Wolken und macht es direkt fühlbar wärmer.

    Das Wetter verspricht heute gut zu werden und ich komme sehr gut voran. Leider hat in keinem der ersten Orte eine Bar offen, dabei wäre ein heißer Kaffee nach der kalten Nacht perfekt. Diego uns Kathrina holen mich bei jeder Pause ein und nach einigen Kilometern treffen wir tatsächlich auch Jean-Luc und Catherine wieder, die einen Ort weiter übernachtet haben. Hm, dann meinte Diego wohl tatsächlich das deutsche Paar, das im selben Ort wie wir war. Wie gut, dass ich mich für die andere Albergue entschieden hatte, ich habe sie nicht gesehen.

    Ich scheine ein ähnliches Tempo wie die beiden Franzosen zu haben, denn wir holen uns bei den Pausen gegenseitig ein. Bereits um halb 11 erreiche ich den letzten Ort, der eine Bushaltestelle nach Burgos bietet, bevor es heute nochmal einen ordentlichen Anstieg und 12km ohne Ortschaften gibt. Kurz überlege ich, aber als ich irgendwie die letzte Bar im Ort verpasse, beschließe ich, einfach weiterzugehen, es ist ja früh genug und ich kann viele Pausen machen.

    Die brauche ich auch, denn der Anstieg ist ziemlich hart. Dafür ist die Strecke durch den Wald sehr schön, auch wenn ziemlich viele Prozessionsspinner auf dem Weg sind. Unterwegs lerne ich noch Barry aus Irland kennen (das scheint dort ein häufiger Name zu sein), der aber nur bis Burgos gehen wird, aber auch schon mal die letzten 100km bis Santiago gemacht hat.

    Trotz einiger Pausen komme ich gut voran und erreiche um 20 vor 3 den nächsten Ort. Dieser besteht hauptsächlich aus einer Bar, die jeder anzusteuern scheint. Ich treffe Chris aus den Niederlanden wieder, das französische Paar kommt kurz nach mir und auch Barry ist dort. Es stellt sich heraus, dass die Albergue dort entgegen der Angaben leider geschlossen ist, aber ich gönne mir erstmal den Kaffee, auf den ich heute Vormittag schon spekuliert habe und esse ein großes Bocadillo. Eine Gruppe mit zwei Spaniern und einem Italiener, die mir auch schon häufiger begegnet sind, kommen ebenfalls dazu. In 4 km sollte es im nächsten Ort auf jeden Fall eine Unterkunft geben, das schaffe ich heute auch noch.

    Gemeinsam mit der Gruppe und Chris breche ich auf und unterhalte mich mit dem Italiener Fabio aus Rom, der wegen Problemen mit den Schienbeinen ein ähnliches Tempo läuft wie ich. Er will aber keine Pausentage machen, weil er unbedingt bis Ostern in Santiago sein möchte und auch Gepäck voraussenden kommt für ihn nicht in Frage. Ich hoffe, er überlegt sich das nochmal, denn seinem Blick nach tut es ziemlich weh. In gefühlt sehr kurzer Zeit und bei bestem Wetter erreichen wir den nächsten Ort und während die Gruppe noch diskutiert, ob sie ebenfalls hier bleiben oder noch weiterziehen sollen, checke ich schon mal ein.

    Es gibt Vierbettzimmer die jeweils eine eigene Dusche haben und in meinem Raum ist bisher nur Neil aus England, der ebenfalls nur bis Burgos läuft. Also wieder ein unteres Bett für mich. Neil ist ungewöhnlich interessiert an meinen Blasen und ob sonst alles ok ist, aber ich wiegle ab, da ich inzwischen sicher bin, morgen heim zufahren. Die Dusche ist heiß und mit genug Druck um auch ordentlich die Haare zu waschen und während ich mich anschließend noch entspanne, beziehen Diego und Kathrina die oberen beiden Betten. Ich dachte vorhin schon, dass ich ihre Rucksäcke am Eingang erkannt habe.

    Ich schaue mir das Dorf ein wenig an, während die Gruppe, die sich auch zum Bleiben entschieden hat, mit anderen bekannten Gesichtern auf der Terrasse ein Bier trinkt. Ich muss zuerst noch meine Füße verpflegen, entscheide mich dann aber doch noch, im Restaurant was zu Abend zu essen und kann (etwas verspätet) mich noch einer Gruppe mit einigen bekannten und unbekannten Gesichtern anschließen.
    Chris aus den Niederlanden ist dabei, außerdem Sergio und Silvio aus Spanien und Fabio aus Rom, mit denen ich das letzte Stück heute gelaufen bin, Neil aus Großbritannien und Marie aus Frankreich. Es ist spannend, von allen zu hören, vor allem da die beiden Spanier kein Englisch können, die Französin und der Italiener dafür schon. Zum Tagesmenü gibt es in Spanien meistens Wein dazu, den der Wirt für alle in einem großen Krug auf dem Tisch platziert und es dauert ein bisschen, bis ich merke, dass Fabio allen immer nachschenkt und Silvio bereits zwei mal Nachschub beim Wirt geordert hat. Ich weigere mich dementsprechend, auch noch eine Runde Schnaps nach dem Essen zu ordern, lasse mich aber von einem Bier vor dem Schlafengehen überzeugen, ich sei schließlich Deutsche.

    Die Runde ist sehr angenehm und es stellt sich heraus, dass Neil Physiotherapeut ist. Er kann Fabio ein paar Tipps geben und auch Diego, der seit ein paar Tagen die gleichen Probleme hat, profitiert davon. Ich freue mich, wieder zu erleben, wie die Magie des Caminos wirkt, denn eigentlich hatte keiner der beiden geplant, in dieser Unterkunft schlafen, aber jetzt ermöglicht es ihnen, ihren Weg hoffentlich schmerzfrei fortzusetzen.

    Dem Wirt merkt man ab 9 Uhr an, dass er gerne Feierabend machen würde, aber es wird Viertel vor 10, bis ich mich als Erste ins Bett verabschiede. Diego und Kathrina, die an einem anderen Tisch saßen, sind noch wach, haben aber ihre Sachen bereits für Morgen gerichtet. Diego meint, ich sei immer so viel schneller als sie, ich solle doch morgen ruhig später aufstehen und sie würden extra leise sein. Ich bin gespannt, stelle den Wecker aber erst auf sieben, denn die Etappe morgen sollte kürzer sein.
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  • Hari 15

    Agés - Burgos - Vitoria-G. (~18+2.5km)

    29 Mac 2022, Sepanyol ⋅ ☁️ 11 °C

    Um 6 klingelt Kathrinas Wecker, aber ich bekomme tatsächlich nicht mit, wie sie zusammenpacken und gehen. Als ich kurz vor 7 wieder aufwache, ist sogar Diegos Fitnesstracker aus der Steckdose direkt am Kopfende meines Bettes verschwunden und ich habe nichts gemerkt. Ich bleibe noch ein wenig liegen, da sich bei Neil aber nichts rührt, gehe ich zumindest mal ins Bad. Er wird nicht wach und ich bemühe mich um halb 8 meine Sachen möglichst leise zu packen, beziehungsweise alle in den Flur zu tragen und dort einzupacken. Nach den Erfahrungen der letzten Tage ging ich nicht davon aus, dass tatsächlich Leute länger schlafen wollen als ich und habe dementsprechend nicht wie sonst am Abend vorher gerichtet. Es tut mir leid, dass ich nun diejenige bin, die raschelt und Neil grummelt vor sich hin, als ich das Bett abziehe. Es ist aber inzwischen auch Viertel vor 8 und als ich 5 Minuten später meine Schuhe anziehe, geht der Wirt gerade durch die Zimmer um alle Langschläfer aufzuscheuchen.

    Das Wetter sieht heute nicht so gut aus, es ist sehr bewölkt. Als es anfängt zu nieseln, krame ich im ersten Ort doch nochmal meinen Poncho und Regenhose aus den Tiefen des Rucksacks, fange damit beim nächsten (und letzten) Anstieg extrem an zu schwitzen und ziehe sie wieder aus. Zumindest setzt sich dann heute Abend im Bus niemand neben mich wenn ich rieche, denn zum Duschen werde ich heute keine Gelegenheit mehr haben.

    Nach dem Anstieg treffe ich Silvio, Sergio und Fabio wieder, die oben gerade Gruppenfotos schießen und mich gleich mit ablichten. Sergio kann sich meinen Namen nicht merken und begrüßt mich heute bei jedem Treffen mit "belli occhi". Ich weiß zwar nicht, warum er ins Italienische wechselt, obwohl er meines Wissens nach Spanier ist, aber er hat gestern Abend schon festgestellt, dass ich eine ganz besondere Augenfarbe hätte. Es gibt schlimmere Beschreibungen und ich habe nichts dagegen, wenn ich bei den anderen als "die deutsche Pilgerin mit den schönen Augen" bekannt wäre. Es ist allgemein faszinierend, welche Merkmale man nutzt, um sich gegenseitig andere Pilger zu beschreiben, die man vielleicht auch schon getroffen hat.

    Beim Abstieg läuft mir tatsächlich noch das deutsche Paar über den Weg, die ich mindestens eine halbe Etappe hinter mir vermutete, Diego hatte recht. Sie grüßen aber nur kurz angebunden und ich habe auch keinen größeren Bedarf an längerem Austausch. Das Wetter wird wieder besser, aber die Strecke hat heute nicht viel zu bieten und zieht sich auf dem Weg nach Burgos mehrere Kilometer auf der Straße entlang. Es gibt eine schönere Wegalternative am Fluss entlang, aber die wird bei schlechtem Wetter nicht empfohlen und ich will ja sowieso nicht nach Burgos rein.

    Im Hinblick auf das Wetter wird meine Entscheidung, es für dieses Mal in Burgos gut sein zu lassen, nochmal bestätigt, denn mehrere Pilger berichten, dass Einheimische für die nächsten Etappen Schnee bis mindestens Ende der Woche vorhergesagt haben und auch der Blick in verschiedene Wetterapps stimmt die anderen Pilger nicht gerade zuversichtlich. Ich habe zwar genug warme Klamotten eingepackt, aber es klingt nicht gerade nach Spaß, wenn sich das schlechte Wetter über Tage hinziehen soll.

    Bei meiner letzten Pause unterhalte ich mich nochmal mit Barry aus Irland, dann grüße ich ein letztes Mal ein paar Pilger im Vorbeigehen und versuche, an der großen Hauptstraße durchs Industriegebiet unauffällig abzubiegen, um mich nicht noch umfangreich erklären und verabschieden zu müssen. Ich verlasse damit den ausgeschilderten Jakobsweg, muss aber noch 3km bis zum Bahnhof zurücklegen, der wirklich nicht für Fußgänger angelegt wurde. Gegen 2 Uhr habe ich die 18 km für heute geschafft und kaufe mir eine Fahrkarte nach Vitoria-Gasteiz. Dort muss ich noch weitere 2.5 km vom Bahnhof zum Busbahnhof laufen, schaue mir auf dem Weg aber noch ein bisschen die Stadt an und kaufe ein paar Vorräte für die Fahrt ein. Dann sitze ich an der Busstation, packe meine Sachen ein wenig um und verfasse die letzten Blogbeiträge.

    Die Heimfahrt selbst ist dann ein ziemlicher Kulturschock für mich, als ich in den fast ausgebuchten Bus einsteige. Niemand trägt eine Maske, die Leute breiten sich über die einzelnen freie Sitze mit ihrem Gepäck aus oder belegen gleich zu zweit eine ganze Reihe mit vier Sitzen. Die Stimmung ist auch allgemein eher grummelig und ich vermisse jetzt schon die netten, aufgeschlossenen, immer hilfsbereiten Menschen, die auf und um den Jakobsweg unterwegs sind. Die Fahrt zieht sich dann ganz schön, zumal der Bus viele unnötig lange Pinkelpausen einlegt und ordentlich Verspätung einfährt.

    Ich verbringe die meiste Zeit vor mich hin dösend und freue mich über die vielen Geburtstagswünsche, die im Laufe des nächsten Tages eintrudeln. Mit Blick aus dem Fenster auf das schlechte Wetter bin ich ganz froh, heute nicht laufen zu müssen, vermisse es aber trotz schmerzender Füße schon jetzt ein bisschen. Aber auch wenn es kürzer war als geplant, hat es sich auf jeden Fall gelohnt. Außerdem ist Vorfreude doch die schönste Freude und ich weiß, dass ich noch mindestens das Stück von Burgos bis Leon irgendwann noch in Angriff nehmen werde. Der Camino existiert schon so lange und auch trotz Corona gibt es noch genug offene Herbergen und Bars, sodass ich sicher bin, dass der Weg nur darauf wartet, dass ich irgendwann für das nächste Stück zurückkehre.
    Baca lagi