Camino Francés von Saint-Jean-Pied-de-Port bis Burgos Read more
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  • Day 1

    Ungeplanter Zwischenstopp Teil 1 - Paris

    March 15, 2022 in France ⋅ ☀️ 19 °C

    Leider zeigte sich die Deutsche Bahn auch heute wieder von ihrer besten Seite. Da steht man extra schon kurz vor 6 Uhr auf und fährt mit genug Puffer nach Mannheim, nur um dort dann über eine Stunde auf den Zug nach Paris zu warten. Wegen einer Signalstörung verspätete er sich, erst angeblich nur 10 Minuten, dann weitere 10, und nochmal 10, und immer wieder 10 weitere Minuten. Den anderen Menschen auf dem Gleis sieht man ebenfalls die schwindende Hoffnung an, während unzählige weitere ICEs mit Verspätung, falscher Wagenreihung oder gleich ganz ohne Halt angesagt werden. Ab und zu fährt ein ICE ein, doch der nach Paris wandert auf der Anzeige jedes Mal erneut nach hinten. Nach einer Stunde endlich die Ansage, er fährt in 2 Minuten auf einem 4 Gleise entfernten Bahnsteig. Alle Leute joggen mit unterschiedlichen Gepäckmengen die Treppe runter und wieder rauf. Am neuen Gleis weitere 5 Minuten Verspätung, dann fährt er tatsächlich gegenüber ein und alle drängeln sich durch nur zwei Türen, weil keiner weiter von der Treppe weggehen wollte.

    Die Fahrt an sich ist entspannt, der französische Zugbegleiter entschuldigt sich an jedem Halt, hat aber weder Informationen was in Mannheim passiert ist, noch wann genau wir in Paris ankommen. Eine kurze Onlinerecherche macht Hoffnung, wenn ich mich beim Ausstieg günstig platziere, die richtige Metro direkt finde und der Zug am Gare Montparnasse an einem günstig gelegenen Gleis fährt, habe ich noch eine Chance. Dann halten wir kurz vor Paris Est einfach an. Mist. Mit 1h und 15 Min Verspätung in Paris Est angekommen, das wird wohl nichts mit dem Anschluss. Trotzdem beeile ich mich, finde die Metro auch direkt, muss aber am Ticketautomat warten. In der Metro gleich mal nach einer Alternative geschaut, aber heute noch bis Saint Jean Pied de Port kommen wird wohl nichts.

    Am Gare Montparnasse ist mein Zug natürlich weg, die Information hat auch geschlossen. Ich treffe ein Mädchen wieder, die ich schon in Mannheim gesehen habe und die auch mit Rucksack und Wanderausrüstung unterwegs ist. Leider ist sie nicht auf dem Weg zum Camino, sondern nach Bordeaux, aber gemeinsam finden wir in der Nähe der Automaten ein paar Mitarbeiter der französischen Bahn und wünschen uns gegenseitig noch viel Glück. Der Bahnmitarbeiter lässt sich mein Ticket in der App zeigen und versteht nach einigem Hin und Her auch mein Problem. Nach SJPDP schlägt auch sein Gerät keine Verbindung mehr vor, aber in 4 Std kann ich zumindest nach Bayonne fahren. Ich erkläre mich einverstanden und er druckt mir ein kostenloses Ersatzticket aus. Telefonisch storniere ich die gebuchte Unterkunft für heute Abend, was zum Glück kein Problem ist. Der Besitzer der Albergue bemitleidet mich und wünscht mir noch alles Gute. Online noch schnell ein Bett in einem Hostel in Bahnhofsnähe in Bayonne gebucht, dann fahre ich eben morgen früh weiter nach SJPDP und laufe dann direkt los. Ein kurzer Abstecher zur Rue Daguerre in Erinnerung an den Französischunterricht und um die Zeit totzuschlagen und sich ein bisschen zu bewegen. Mal sehen, wie es heute noch weitergeht...
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  • Day 2

    Zwischenstopp Teil 2 - Bayonne

    March 16, 2022 in France ⋅ ☁️ 18 °C

    Der Zug nach Bayonne fuhr pünktlich in Paris ab und auch wenn er die ersten zwei Stunden sehr voll war und ich leider keinen Platz am Fenster bekommen hatte, war ich entspannt. 4 Stunden entspannt im Zug sitzen, dann nicht mal 5 Minuten Fußweg zur Unterkunft und sonst nichts mehr tun war der Plan. Kurz vor dem letzten Zwischenhalt stoppte der Zug jedoch plötzlich auf freier Strecke und die französische Durchsage war so schnell, dass ich nur die Hälfte verstanden habe. Irgendwas von Defekt, Verspätung und Weiterfahrt bis Dax. Verspätung würde mir ja nichts ausmachen, das gebuchte Hostel hat eine 24h Rezeption. Aber was wenn der Zug einfach in Dax endet und ich abends im Dunkeln in irgendeinem französischen Ort strande? Zum Glück fuhr er nur sehr langsam in Dax ein, aber da nicht alle Leute ausstiegen, konnte ich davon ausgehen, dass er nach kurzem Aufenthalt wohl noch weiterfährt.

    Tatsächlich kam ich mit nur 15 Minuten Verspätung in Bayonne an, das Hostel war nur 3 Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt und das ist wohl auch alles, was ich von Bayonne sehen werde. Der junge Mitarbeiter an der Rezeption vermutete anhand meines Rucksacks direkt, dass ich den Camino laufen werde und wollte nur wissen, ob ich auf dem Hin-oder Rückweg bin, bevor er mich in den Schlafsaal im 3. Stock brachte. Die anderen beiden Stockwerke werden zur Zeit umgebaut, sodass alles etwas staubig ist, aber ansonsten ist das Hostel in Ordnung. Die Duschen sind etwas klein und alt, aber angeblich werden die im 3. Stock auch bald erneuert. Da mir nach dem abenteuerlichen Tag einfach nur ein Bett gereicht hätte, waren die Stockbetten mit Vorhang und richtiger Bettwäsche sogar mehr Luxus als erwartet. Ich bekam sogar das untere Bett, der Schlafsaal war nur zu 2/3 belegt und ein frisches Handtuch gehört auch noch zur Ausstattung. Kurz nachdem ich mich in meiner Bettkabine eingerichtet habe, kam der Rezeptionist mit dem nächsten Gast und stellte mich gleich mit "She's also walking to Santiago" vor. So lernte ich Christian aus Schweden kennen, der das Bett über mir bekam und auch den Camino läuft, allerdings höchstens 2,5 Wochen. Da er den ganzen Weg von Schweden mit dem Zug gekommen ist und auch entsprechend müde war, haben wir uns nur kurz unterhalten, wir laufen uns sicher noch häufiger über den Weg.

    Auch wenn die Betten bei jeder Bewegung Geräusche machen und die Matratze definitiv auch eine bevorzugte Liegeposition hat, die leider nicht mit meiner übereinstimmte, habe ich sehr gut geschlafen und bin sogar vor dem Wecker entspannt aufgewacht. Nach dem Frühstück, das üppiger war als erwartet (2 Stück Baguette, Butter, zwei kleine Gläschen Marmelade, ein Croissant, ein Stück trockener Kuchen und Tee und Kaffee so viel man möchte), habe ich meine Sachen gepackt und mich auf den Weg zum Bahnhof gemacht. Christian hat beim Frühstück versucht, sich mit mir zu unterhalten, aber es war etwas einseitig. Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, muss ich ihm sagen, dass ich einfach kein Morgenmensch bin und wir uns gerne mittags ausführlicher unterhalten können.
    Jetzt sitze ich im Zug Richtung SJPDP, wobei man wegen einer Baustelle für das letzte Stück in den Schienenersatzverkehr-Bus wechseln muss. Aber ich habe ja jetzt Zeit und lasse alles auf mich zukommen. Zumindest sitzen noch mehr Menschen mit Rucksäcken im Zug, es scheint also der richtige zu sein. Camino, ich komme.
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  • Day 2

    SJPDP - Valcarlos (~13km)

    March 16, 2022 in Spain ⋅ ☁️ 16 °C

    Für das letzte Stück nach SJPDP mussten wir in einen Reisebus umsteigen, anscheinend ist ein Teil der Gleise kaputt. Schienenersatzverkehr kenne ich aber aus Deutschland zur Genüge und da die anderen Menschen mit Rucksack ebenfalls in diesen Bus einsteigen, wird es schon seine Richtigkeit haben. 45 Minuten Fahrt durch die Pyrenäen, gigantische Aussichten. Bis man sich überlegt, dass man das ab jetzt nicht mehr aus dem Bus sehen wird, sondern über diese Berge irgendwie drüber muss😅

    Angekommen in SJPDP verschwindet der eine Herr mit Rucksack direkt ohne weiteren Gruß. Wir anderen 3 stehen etwas orientierungslos herum und versuchen die ausgehängte Karte zu verstehen. SJPDP ist größer als erwartet und es gibt hier anscheinend auch viele Touristen, die sich nur diesen Ort anschauen. Ein Arbeiter sieht uns und erbarmt sich, uns den Weg zum Pilgerbüro zu beschreiben, leider bin ich die einzige von uns dreien, die wenigstens ein bisschen Französisch versteht und sich a gauche und a droite und nochmal a droite und über die Treppe (?) versucht zu merken. Zum Glück finden sich auf dem Weg schon die ersten Markierungen und Pfeile, sodass wir recht schnell beim Pilgerbüro ankommen.

    Dort sitzen zwei ältere französische Herren, von denen ich an den mit weniger Englischkenntnissen gerate. Irgendwie schaffen wir aber die Verständigung, er schreibt meine Daten inkl Handynummer auf (wobei ich nicht verstanden habe, wozu er sie braucht) und ich bekomme für 2 Euro meinen Pilgerausweis. Auf die Muschel verzichte ich dankend, mein Rucksack ist schwer genug und sollte als Erkennungsmerkmal genug sein. Er empfiehlt mir noch, höchstens bis Valcarlos zu laufen, da das etwa 4 Stunden dauern soll und der weitere Weg nach Roncesvalles zu weit und zu steil sei um ihn am späten Nachmittag noch in Angriff zu nehmen. Zusätzlich bekomme ich ein Verzeichnis von offenen Herbergen und eine Karte für die erste Etappe, auf der er mir mehrfach deutlich macht, dass die Route Napoleon so früh im Jahr wegen Schnee noch geschlossen ist und ich unbedingt auf jeden Fall an der ersten Abzweigung rechts abbiegen muss!

    Ich schaue mir noch kurz die Zitadelle des Ortes zumindest aus der Ferne von unten an, unnötige Umwege erspare ich mir lieber von Anfang an. Rob aus England, der mit uns im Bus saß, wird noch eine Nacht in SJPDP bleiben und dafür morgen direkt bis Roncesvalles laufen, sodass wir uns dort vielleicht nochmal treffen und Christian ist bereits losgelaufen. Ich werfe noch einen kurzen Blick in die Kirche und starte gegen 11 Uhr dann tatsächlich auf meinen Camino.
    Das Wetter ist perfekt zum Wandern, wärmer als erwartet, sodass ich recht schnell nur im T-Shirt laufe, aber bewölkt, sodass es nicht zu heiß wird. Es riecht nach Frühling und Natur - oder nach Heuschnupfen und Kuhdung, was im Endeffekt dasselbe ist.

    Nach einer kurzen Strecke über Felder stehe ich am Rand einer Schnellstraße. Bin ich hier wirklich richtig? Ein kurzer Kontrollblick ins Handy bestätigt die Befürchtung. Die Aussage im Pilgerbüro "You walk on the street for a bit" lag nicht am schlechten Englisch und er meinte nicht neben der Straße... zum Glück ist um diese Uhrzeit wenig Verkehr und ich laufe vorsichtig am Seitenstreifen entlang. Recht bald biegt der Weg jedoch wieder in die Felder ab und führt abwechselnd bergauf und bergab.
    Nach etwa einer Stunde laufen holt mich Christian ein. Ich dachte eigentlich, er wäre vor mir, aber irgendwie hat er die falsche Abzweigung genutzt, musste dann wieder zurück und hat nochmal in SJPDP angefangen. Die Auszeichnung des Weges lässt stellenweise wirklich zu wünschen übrig und ich vermute, dass er deshalb froh war, mit mir laufen zu können. Zumindest wartete er regelmäßig oder musste nach steilen Aufstiegen "unbedingt" ein paar Fotos machen, bis ich genug geschnauft habe. Meine Kondition lässt zu wünschen übrig und ich werde bei steilen Strecken sowieso immer rot wie ein Ampelmännchen. So verzichte ich auch erst mal dankend darauf, dass er auch ein Foto von mir machen könnte und bleibe lieber bei Naturfotos. Bereits um halb 1 erreichen wir den angekündigten Supermarkt, der größer ist als gedacht und von vielen Kleidungsgeschäften umgeben ist. Anscheinend ein Outlet direkt auf der französisch-spanischen Grenze. Schilder zur Markierung der Grenze gibt es keine, Klamotten haben wir beide genug dabei, also beschränken wir uns auf Proviant, da wir nicht sicher sind, ob es am Ziel einen weiteren Supermarkt oder ein Restaurant gibt.

    Der Weg sieht an vielen Stellen frisch ausgebessert aus, anscheinend gab es hier Schlammlawinen. So müssen wir an einer Gabelung auch erneut auf die Straße ausweichen, da ein paar Polizisten uns gestenreich erklären, dass der eigentliche Weg gesperrt ist. Später erfahren wir von anderen Pilgern, dass dort wohl ein Tunnel eingestürzt ist. Der Weg an der Straße existiert nicht, wir müssen tatsächlich auf der Straße laufen. Zum Glück sind wir zu zweit, dieses Stück ist wirklich gruselig, wenn die Autos aus engen Kurven entgegenkommen. Ein Kreuz mit Foto an einer besonders engen Stelle lässt es nicht wirklich vertrauenerweckender erscheinen und wir entschließen uns zu einer kurzen Pause an der nächsten sicheren Stelle. Ein Blick ins Handy ergibt, dass wir nur noch einen Kilometer bis Valcarlos laufen müssen und die Straße nach der nächsten Kurve in den Ort führt. Auch wenn es erst kurz nach 2 ist, entscheiden wir uns zu bleiben.

    Es ist schon ein englisches Pärchen in der Albergue, die uns erklären, dass wir den Hospitaliero anrufen sollen. Nach einigem hin und her am Telefon hat Christian ihn dazu gebracht, zur Unterkunft zu kommen, wo er den CheckIn mit uns macht. Leider spricht er wirklich nur spanisch, aber zum Glück kann Patrick aus England für uns Dolmetschen und ich kann anschließend gemütlich duschen. Es sieht aus, als ob es später regnen wird, es war wohl eine gute Entscheidung, heute nur die rund 13 Kilometer bis Valcarlos zu gehen. Da es morgen wohl zuerst auch auf der Straße weitergeht, ist es sicher besser, das Stück ausgeruht in Angriff zu nehmen.
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  • Day 3

    Valcarlos - Roncesvalles (~12km+x)

    March 17, 2022 in Spain ⋅ 🌧 4 °C

    Gestern Abend hat Patrick, der Engländer vom Essen gehen noch 2 Flaschen Cider mitgebracht, die er mit uns teilen wollte. Zu viert haben wir also noch beide Flaschen vernichtet, schließlich will er ja kein unnötiges Gepäck mitschleppen. Auch wenn die Gesprächsthemen deutlich machen, dass ich die Jüngste in der Runde bin, wird es noch ein lustiger Abend und wir genießen, dass wir die Herberge für uns haben. Trotzdem ist um halb 11 das Licht aus und alle schlafen mehr oder weniger ruhig.
    Patrick und Margret packen um kurz vor 7 bereits leise ihre Sachen, ich bleibe lieber noch eine halbe Stunde liegen. Da die Sonne eh erst kurz nach 7 aufgeht und ich nicht im Dunkeln an der Straße laufen will, lohnt es sich nicht, so früh aufzustehen. Trotzdem packe ich bald meine Sachen, bzw. trage alles leise in den Aufenthaltsraum, um Christian nicht zu wecken, der später erzählt, er sei erst um halb 9 aufgestanden.

    Kurz nach 8 verlasse ich die Unterkunft in voller Regenmontur, also Regenjacke und -hose, sowie Rucksackschutz, denn es ist nass. An der Straße laufen ist genauso nervig wie gestern und ich verstehe langsam, warum Leute im Sommer die andere, anstrengendere Route bevorzugen, die zumindest landschaftlich schöner ist. Der Regen nimmt zu, aber da es wärmer ist als gedacht, fange ich an zu schwitzen und nutze einen Felsvorsprung, um halbwegs trocken den Pullover unter der Jacke auszuziehen. Fühlt sich alles feucht an, habe ich schon so viel geschwitzt?

    Bald führt der Weg nicht mehr an der Straße, sondern an einem kleinen Fluss entlang (der im Laufe des Tages immer mehr zunehmen wird, ob er das regulär tut oder es dem Wetter geschuldet ist, bleibt unklar). Landschaftlich zwar schöner, aber da der Weg nur gerade so breit genug ist für meine Füße und der Untergrund bei dem Wetter eher rutschig, macht das Laufen heute nicht so Spaß. Fotografieren fällt auch größtenteils flach, mit nassen Fingern bedient sich das Handy schlecht. Obwohl es im Wald etwas kühler ist, werden meine Arme immer feuchter. Ist wohl nicht Schweiß, sondern der ungeeigneten "Regen"jacke zu verdanken, die wohl bei kleineren Schauern, aber nicht bei Dauerregen ausreicht. Die Stelle am Fuß von gestern entwickelt sich weiter zu einer richtigen Blase, vermutlich weil meine Einlagen beim Bergablaufen verrutschen, oder weil das nächste Stück an der Straße leicht seitlich abschüssig verläuft. Über den Grund nachzudenken hilft aber auch nicht, da muss ich erst mal durch. Pause machen fällt bei dem Wetter flach und im Nassen die Schuhe ausziehen würde das Problem nur verschlimmern.

    Erneut an der Straße entlang bekomme ich Rolf Zuckowski als Ohrwurm, der mich in Dauerschleife daran erinnert, dass ich bei Verkehr besser helle Sachen anziehen soll. Leider kann ich nur den Refrain auswendig und bei "Gelb leuchtet hell, Rot sieht man schnell, Grau oder Braun, Das sieht man kaum" kommt blau wie meine Jacke gar nicht vor. So nass wie die inzwischen ist, ist sie bestimmt eh nicht zu sehen und so warte ich vorsichtig vor jeder Kurve, ob ich ein Auto kommen höre. Zum Glück ist nicht so viel los und ich sehe nur alle paar Km mal ein Auto, bei dem ich mich jedes Mal ganz nah an die Leitplanke presse. Langsam bin ich wirklich durchweicht, die Schuhe halten zwar noch dicht, aber obenrum ist alles nass und je höher ich komme, desto kühler wird es. Auch auf dem nächsten Waldstück bietet sich keine Möglichkeit zum Unterstellen, sodass ich einfach unter einem Baum schnell den Pullover wieder unter die Jacke ziehe, um nicht ganz auszukühlen. Einfach weiterlaufen ist das Einzige, was mir übrig bleibt. Nach 3 Stunden überholt mich Christian, obwohl er viel später als ich gestartet ist. Nach 4 Stunden sind sogar meine Haare trotz Kapuze nass und der Ibañeta-Pass immer noch nicht in Sicht. Dafür sehe ich von weitem Patrick und Margret die langsam die Straße entlang laufen. Warum biegen sie nicht in den Waldweg ab, der ausgeschildert ist? Naja, nicht mein Problem, ich laufe sicher nicht freiwillig länger als nötig auf dieser Straße, zumal das ein Umweg von mindestens einem Kilometer ist. Dachte ich. Nachdem ich auf dem Waldweg bereits über 2 umgefallene Bäume geklettert bin, muss ich am dritten leider aufgeben, da komme ich mit Rucksack sicher nicht vorbei, und inzwischen ist auch mein Fuß feucht, weil ich in eine Pfütze getreten bin. Also zurück zur Straße und weiter in Serpentinen den Berg rauf, vorher nochmal schnell den durchweichten Pullover gegen den extra warmen Fleecepullover tauschen und die nasse Jacke wieder drüber, die kann ich inzwischen auswringen. Pausen an der Straße sind nicht möglich, einfach nur noch vorwärts.
    Es wird neblig, ich kann vielleicht noch 50m weit schauen, ich wäre besser gleich den anderen beiden gefolgt. Ich beschließe, die Stirnlampe aufzusetzen und auf höchster Stufe nach vorne zu leuchten, vielleicht sehen mich die Autos so früher. Gedanken an Ronja Räubertochter kommen auf, so habe ich mir den Wald mit den Wilddruden vorgestellt. Nur ohne Schnellstraße. Zum Glück bin ich nach 15 Minuten aus dem Nebelfeld wieder raus und bin nur einem Auto begegnet.

    Endlich erreiche ich den Ibañetapass und treffe dort Patrick und Margret. Die beiden beschließen, weiter der Straße zu folgen, ich mache erst mal Pause. Von der angekündigten Aussicht ist nichts zu sehen, der Weg über die Pyrenäen bleibt eine anstrengende Enttäuschung. Die Kapelle ist leider auch geschlossen und auch wenn der Regen inzwischen etwas nachlässt, bin ich durchweicht und durchgefroren und laufe möglichst schnell weiter. Es geht jetzt bergab und ich folge wieder dem offiziellen Weg, auch wenn er matschig, nass und rutschig ist. Zum Glück habe ich meine Stöcke, für die ich heute schon mehrfach wirklich dankbar war. Auf dem Weg nach unten überholt mich Rob, der gestern mit uns im Bus war und heute in SJPDP gestartet ist. Entweder bin ich sehr langsam oder er sehr schnell. Ich traue mich nicht zu fragen, wie früh er gestartet ist und er läuft vor mir her.

    Endlich erreichen wir Roncesvalles und sind um Viertel vor 2 anscheinend die ersten an der Unterkunft. Wir dürfen schon bezahlen, müssen aber noch warten, bis sie um 2 Uhr offiziell öffnen. Wenigstens stehen wir im Trockenen und können den andere Pilgern beim Ankommen zuschauen. Es kommen ganz schön viele und im Laufe des Nachmittags füllt es sich, ich habe nicht erwartet, dass um diese Jahreszeit bereits so ein Betrieb ist. Um zwei zeigt uns schließlich einer der niederländischen Hospitalieros, die hier ehrenamtlich arbeiten, den Weg zu den Betten und noch besser: zu den heißen Duschen. Aus allen Kabinen ertönt wohliges Stöhnen und jeder duscht ausgiebig. Nachdem ich für meine Wäsche Platz zum Trocknen gefunden habe, kaufe ich am Empfang direkt noch einen neuen, großen Regenponcho. Bestimmt bleibt es ab jetzt trocken.
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  • Day 4

    Roncesvalles - Zubiri (~21km)

    March 18, 2022 in Spain ⋅ ☁️ 7 °C

    Gestern Abend war noch sehr schön, das Pilgermenü war lecker und die Gruppe an meinem Tisch gut drauf. Zur Vorspeise gab es wahlweise Suppe oder Nudeln, danach Fisch oder Hühnchen jeweils mit Kartoffeln und abschließend noch einen kleinen Joghurt. Wir mussten uns beim Essen aber ein wenig beeilen, da fast alle von meinem Tisch um 20 Uhr in die Pilgermesse wollten. Die war sehr schön, auch wenn ich bis auf wenige Worte nichts verstanden habe. Im Anschluss bat der Abt alle interessierten Pilger kurz zu warten und erklärte irgendwas auf Spanisch. Es stellte sich heraus, dass er uns eine kleine Kirchenführung angebieten wollte, aber kein Wort Englisch konnte. Er hatte dafür zwar einen vorbereiteten Zettel mit englischen Texten zur Kirche, aber zu unserem Glück war ein mexikanischer Pilger anwesend, der fließend Spanisch, Französisch und Englisch kann und so für alle den Dolmetscher gab. Der Abt war darüber so begeistert, dass er einerseits den armen Mexikaner am liebsten direkt im Kloster behalten hätte und andererseits die Chance, einer so interessierten Gruppe "seine" Kirche zeigen zu dürfen, nutzte und uns sogar noch einen Blick in die sonst geschlossene Krypta mit Malereien aus dem 14. Jhd gestattete. Nach der Führung war es dann bereits halb 10, sodass nicht mehr viel Zeit blieb, bis das Licht im Schlafbereich ausging.

    Morgens wurde um halb 7 mit Musik geweckt... Ich hasse gute Laune Musik zum Wecken und war froh, dass es wenigstens nicht Nana Mouskouri mit "Guten Morgen Sonnenschein" war, wie ich es auf einigen Freizeiten erlebt habe. Leider war das Wetter nicht viel besser als gestern und so beschloss ich, den neuen Poncho direkt zu testen. Bis ich den jedoch anhatte, dauerte eine Weile, sodass ich doch erst gegen 8 Uhr los kam. Auch wenn die Tendenz heute eher Bergab war, ging es doch auch einige Steigungen hoch und irgendwie fand ich überhaupt nicht in einen gleichmäßigen Tritt, sondern stolperte eher vor mich hin. Auch wenn der Regen aufhörte, war es trüb und stellenweise neblig, sodass sich auch die Aussicht nicht lohnte und man musste teilweise tief durch den Matsch waten. Auch wenn es abschnittsweise nett war, hatte ich überhaupt keinen Spaß, der Fuß tat weh, die Schulter auch und wieso tue ich mir das überhaupt an statt gemütlich daheim auf der Couch zu liegen? Dauernd überholten mich andere Pilger und ein Ende war einfach nicht in Sicht. Als das letzte Stück dann auch noch steil bergab ging, hatte ich einfach nur genug und hätte am liebsten direkt die Heimfahrt geplant. Aber direkt am 3. Tag abbrechen geht natürlich auch nicht und so schleppe ich mich in die erstbeste Herberge im Ort.

    Nach einer heißen Dusche geht es mir schon besser und mir fällt ein, dass auch bei Freizeiten der dritte Tag grundsätzlich ein schlechter Tag ist, an dem die Kinder Heimweh kriegen, die Müdigkeit zuschlägt und keiner Lust hat. Bestimmt gibt es zu dem Phänomen sogar Studien und mit dem Gedanken, dass mein Körper einfach nur verzweifelt realisiert, dass das nichts einmaliges ist, sondern mein voller Ernst für die nächsten Tage, lässt sich der Muskelkater etwas leichter ertragen. Ein paar nette Gespräche und ein gutes Abendessen heben meine Stimmung dann wenigstens noch etwas, sodass ich am Ende doch ganz zufrieden ins Bett gehe.
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  • Day 5

    Zubiri - Pamplona (~20+4km)

    March 19, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 12 °C

    Manche Leute sind echt verrückt. Um halb 4 (!) packt heute der Erste seine Sachen ein und auch wenn er sich bemüht, leise zu sein, ist das Rascheln nicht zu überhören. Um 5 folgen die nächsten Beiden und als um 10 nach 6 ein Wecker klingelt, gebe ich auf und setze mich auch im Bett auf, was dazu führt, dass jemand das Licht einschaltet, da wohl eh alle wach sind. Früh aufbrechen ist ja in Ordnung, mein Wecker hätte ne halbe Stunde später geklingelt, aber ich nutze nur den Vibrationsalarm um nicht alle anderen zu stören. Ich packe in Ruhe ein und als ich um kurz nach 7 die Herberge verlasse, stehen außer meinen nur noch ein anderes paar Schuhe im Regal. Zumindest können mich dann heute nicht so viele Leute überholen und ich fühle mich weniger gehetzt.

    Heute läuft es sich viel besser, da es einerseits flacher (wenn auch nicht komplett ohne Auf- und Abstiege) geht und andererseits das Wetter deutlich besser ist. Welchen Einfluss das doch direkt auf die Laune hat. Es ist zwar morgens noch sehr neblig, aber trotzdem nicht so trüb wie gestern. Gegen halb 9 erreiche ich einen kleinen Ort und sehe kurz davor im Wald mehrere Hinweisschilder auf eine kleine Bar, die Kaffee und einen kleinen Supermarkt anpreist. Während ich noch darüber nachdenke, ob es den Umweg wert ist, wenn ich nicht mal sicher sein kann, dass wirklich geöffnet ist, sehe ich Rob und die zwei deutschen Männer, mit denen er gestern schon unterwegs war, die mir von der Brücke zum Ort fröhlich entgegenwirken. Als ich zu ihnen komme, stellen sie mir Olivier vor, dem besagte Kaffee-Bar gehört und so fällt die Entscheidung nicht schwer. Der Camino gibt dir, was du brauchst und ich brauche heute nach der kurzen Nacht anscheinend erstmal einen Kaffee, weshalb ich Olivier zu seinem Laden begleite.

    Der kleine Shop bietet tatsächlich alles, was ein Pilger brauchen könnte: vom Regenponcho (den ich nun schon habe) über frische Zahnbürsten und Sonnencreme bis hin zu einigen Lebensmitteln ist alles in dem kleinen Raum verfügbar. Ich weiß nicht, ob es viele Leute gibt, die bereits nach 3 Tagen eine neue Zahnbürste brauchen oder ob es genug gibt, die schon länger durch Frankreich gelaufen sind und sich über einen frischen Rasierer freuen, aber Olivier ist mit dem Laden voll in seinem Element, zeigt mir alles und gibt mir jede Menge Tipps für die nächsten Tage, während ich einen heißen Kaffee genieße. Er ist ursprünglich aus Frankreich, hat sein Leben aber komplett umgestellt, nachdem er den Camino vor ein paar Jahren gelaufen ist und ist vor anderthalb Jahren mit seiner Frau in den kleinen Ort gezogen, um Pilgern alles zu bieten, was sie brauchen könnten. Es gibt sogar vegetarische Mikrowellengerichte, was in Spanien tatsächlich eine Besonderheit ist.
    Nach 20 Minuten, in denen ich alles wichtige erfahre, z.b. wo ich die nächsten Tage deutsches Bier finden kann, dass ein paar Kilometer weiter ein berühmter spanischer Radfahrer wohnt, der mehrmals die Tour de France gewonnen hat und das Olivier sich bemüht, wenigstens eine Sätze in allen Sprachen der Pilger zu lernen, kaufe ich noch eine Tafel Schokolade für den Weg und Olivier bringt mich zurück zur Brücke. Er gibt mir noch die Ermahnung mit, in Pamplona auf jeden Fall genug Proviant für morgen zu kaufen, da sonntags selbst die Bars in Spanien geschlossen wären, bevor er den nächsten sich nähernden Pilger in Empfang nimmt und mich mit einem Buen Camino verabschiedet.

    Das Wetter ist heute perfekt zum Wandern und gegen Mittag sogar so warm, dass ich nur im T-Shirt laufe, nachdem ich bei einer kurzen Pause die Sonnencreme aus dem Rucksack gesucht habe. Da heute Samstag ist, nutzen wohl auch viele Spanier*innen das schöne Wetter und mir kommen einige zu Fuß oder mit dem Rad entgegen, wovon die meisten sogar freundlich grüßen.
    Das letzte Stück führt heute durch einen Vorort von Pamplona und bereits hier sind mir zu viele Menschen unterwegs. Ich beschließe deshalb, lieber in der von deutschen Freiwilligen betreuten Herberge etwas außerhalb von Pamplona zu übernachten, die schön an einem Fluss gelegen ist. Hier muss ich tatsächlich das erste mal meinen Impfausweis vorzeigen. In der Herberge selbst ist sehr wenig los und ich teile mir den Schlafsaal, der eigentlich für bis zu 8 Personen ist, heute nur mit einem Herrn. Anscheinend sind alle anderen doch lieber direkt in der Stadt abgestiegen.

    Die Blase an meiner Ferse sieht schlimmer aus und hat den Socken vollgenässt, tut aber zum Glück nicht weiter weh. Ich gönne mir aber für 3.5€ den Luxus, einen Teil meiner Sachen waschen zu lassen, da es keine Möglichkeit zur Handwäsche gibt und die Sachen ordentlich geschleudert über Nacht auch sicher schnell genug trocknen. Währenddessen mache ich noch einen kleinen Stadtrundgang und erledige meine Einkäufe.
    Pamplona ist wie erwartet eine ziemlich normale Touristenstadt und ich mache mir einen Spaß daraus, bei den Fotos, die viele Möchtegern-Influencerinnen super gestylt in seltsamen Posen aufnehmen, auffällig im Hintergrund zu stehen. Mit meinem tollen Outfit (Blümchenleggins, T-Shirt und pinke Socken in Wandersandalen) können die eh nicht mithalten. Da ich keine der anderen Pilger treffe, esse ich ein Bocadillo aus der Hand, die Bars sind mir eh zu voll und Corona kann ich nun wirklich nicht brauchen. Der Stadtrundgang ist ohne Rucksack zwar relativ entspannt, dehnt sich aber doch auf weitere 4-5km aus, sodass ich anschließend den Abend einfach entspannt auf dem Bett verbringe und die Füße hochlege. Morgen gibt es um 7 Frühstück und vorher weckt mich hier sicher keiner.
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  • Day 6

    Pamplona - Puente de Reina (~25km)

    March 20, 2022 in Spain ⋅ ☁️ 12 °C

    Mit nur 2 Personen im Schlafsaal wird die Nacht sehr ruhig, wobei Marc aus Frankreich ein bisschen schnarcht. Insgesamt sind wohl 6 Personen in der Unterkunft, aber sie haben jeweils nur 2 Personen in einen Schlafsaal, damit wir Platz und Ruhe haben, was ich sehr genieße.
    Um halb 7 stehen wir auf, um unsere Sachen vor dem Frühstück zu packen. Beim Frühstück sind wir zu 4 und Marc versucht sich mit mir zu unterhalten. Für einen Franzosen spricht er unerwartet gut Englisch und sogar ein paar Sätze Deutsch. Trotzdem hoffe ich, dass sich bald rumspricht, dass ich morgens nicht sehr gesprächig bin. Das Frühstück ist gut und Christine und Simone bieten jederzeit Nachschlag an. Für dem Service und die Ausstattung könnten sie definitiv mehr verlangen, zum Abschied gibt es sogar noch ein kleines Geschenktütchen mit einem Anhänger und einem Täfelchen Lindt. Ob eine der beiden Gemeinde-oder Pastoralreferentin ist? Sowas kenne ich auf jeden Fall aus deutschen Gemeinden und freue mich sehr.

    Kurz vor 8 mache ich mich auf den Weg aus Pamplona und laufe eine kleine Abkürzung zurück zum Hauptweg, gehe aber kein Risiko ein und biege lieber ein Stück zu früh wieder auf den ausgeschilderten Weg ein. Marc wird mir später erzählen, dass er mir erst gefolgt ist, aber dann dachte, ich sei falsch und er könne noch mehr abkürzen und am Ende wohl einen Umweg von mehreren Kilometern hatte. Alle mit denen ich laufe sind begeistert, wie gut und schnell ich immer Wegweiser und Hinweisschilder entdecke, ich finde sie eigentlich meistens ziemlich eindeutig.

    Noch in Pamplona laufe ich an einer Gruppe Pilger vorbei, die gerade frühstücken und mich fröhlich grüßen, man kennt sich inzwischen zumindest vom Sehen. Ich bin noch nicht ganz aus Pamplona raus, da spricht mich jemand von hinten an "Du bist doch die Deutsche!" Guten Morgen erst mal, aber ja, anscheinend bin ich die. Max kommt auch aus Deutschland und hat seinen Bachelor in Wirtschaftsinformatik abgeschlossen, endlich mal jemand in meinem Alter (bzw. jünger...) Wir hatten uns bereits in Roncesvalles kurz gesehen und als Deutsche identifiziert, gestern war er sich unterwegs aber unsicher, weil ich beim Laufen eine Mütze trage. Gemeinsam laufen wir die erste Stunde und auch wenn sein Tempo ein klein wenig schnell für mich ist, geht es beim Erzählen viel besser voran. Wir treffen uns ansonsten regelmäßig beim Pause machen, wenn ich ihn einhole und seinen Pausenplatz übernehme.

    Der Aufstieg klappt besser als gedacht und ich komme zügig voran, mache aber trotzdem mehr Pausen als die Meisten. Bei einer Pause holen mich die beiden deutschsprachigen Männer ein, die ich die letzten beiden Tage mit Rob gesehen habe. Der eine möchte seinen Lauf nicht unterbrechen, der andere spricht mich an, während ich gerade ein Foto mache um meine Pause zu rechtfertigen. Was für ein tolles Motiv ich da gefunden hätte und was für ein tolles Symbol dieser alte Baum sei. Ok, ich fand ihn einfach nur hübsch anzusehen. Was ich eigentlich in Heidelberg studieren würde, möchte er wissen. Ich spule meine Einleitung zu Computerlinguistik ab, die ich die letzten Tage unzählige Male auf deutsch und englisch vorgetragen habe. Der Mann entgegnet, dass er mich so gar nicht eingeschätzt hätte. Eher was soziales oder sogar Theologie. Etwas verwundert gebe ich zu, dass ich vorher tatsächlich Theologie studiert habe und es stellt sich heraus, dass er auch Theologe ist, aber dann Sozialarbeit dran gehängt hat und jetzt in diesem Bereich arbeitet. Kurz darauf verabschiedet er sich, um seinen Freund wieder einzuholen.
    Ich bleibe irritiert zurück, wir haben gestern vielleicht drei Sätze gewechselt, die sicher nicht mehr Informationen als meinen Namen und den Studienort beinhalteten. Sehe ich mehr wie eine Theologin aus als wie eine Computerlinguistin? Oder hat vielleicht Rob geplaudert, denn ihm und dem koreanischen Jungen habe ich bisher als Einzigen von meinem vorherigen Studium erzählt. Das Rätsel löst sich, als ich die beiden Herren kurz darauf bei der Mittagspause im letzten Ort vor dem Gipfel treffe. Sie stellen sich endlich ordentlich vor, Gottfried und Michael. Sie laufen seit 30 Jahren zusammen auf unterschiedlichen Strecken und anscheinend stand Michael bei der Messe in Roncesvalles beim Pilgersegen neben mir und hat seinem Freund danach berichtet, dass die junge Frau neben ihm das Salve Regina auf Latein komplett mitsingen konnte. Das stimmt zwar nicht, da ich hauptsächlich gesummt habe, aber passt anscheinend nicht zu dem Bild einer Computerlinguistin. Wir unterhalten uns, während wir eine längere Pause machen und starten zusammen auf das nächste Stück den Gipfel hinauf. Zwischendurch laufe ich schneller als sie und komme so kurz vor ihnen oben an.

    Der Ausblick ist gigantisch. Zu sehen, wie weit wir schon gekommen sind, ist beeindruckend und als mich die beiden kurz danach einholen, machen sie netterweise ein Foto von mir. Auch Patrick und Margret kommen kurz danach auf dem Gipfel an, ich hatte mir schon Sorgen gemacht, weil ich sie heute noch nicht überholt habe. Sie sind ziemlich langsam unterwegs, sind aber heute extrem früh gestartet. Sie werden aber nur noch bis zum nächsten Ort laufen, was ich auch überlege, da ich meine Füße an einigen Stellen spüre. Patrick übersetzt mir netterweise noch die spanischen Infoschilder zu den Denkmälern für einige Franco-Opfer und wir können noch ein paar Adler unter uns beobachten, dann mache ich mich mit Gottfried und Michael an den Abstieg.

    Die beiden werde ich heute gar nicht mehr los und sie erzählen mir beide aus ihrem Leben. Der Abstieg führt steil über Geröll und ist sehr anstrengend und unangenehm. Kurz vor dem nächsten Ort, der eine offene Unterkunft hat, holt uns noch Christian ein. Man kennt sich bereits, Gottfried, Christian und Max haben anscheinend gestern bis 1 Uhr gemeinsam in Pamplona getrunken. Wie die alle trotzdem heute so fit sein können?
    Ich mache eine kurze Pause um zu entscheiden, ob ich auch noch die 8 km bis Puente la Reina laufe oder in der nächsten Herberge absteige. Auch wenn ich mehrere Blasen spüre, ist es erst Viertel nach 1 und aufhören hört sich zu früh an. Ich beschließe weiterzugehen, treffe vor der Herberge aber auf eine große Runde mit Max, Gottfried, Michael, Christian und zwei mir noch unbekannten Spaniern. Ein großes Hallo und ich werde zur nächsten Pause überredet. Keiner will hier bleiben, aber ein Bier oder einen Wein zur Mittagspause sei doch nicht verkehrt. Außerdem wollen sie auf Carmen warten, oder zumindest jemand, der sie nach dem Gipfel gesehen hat. Ich kenne Carmen noch nicht, aber anscheinend hatte sie gestern Knieprobleme und sie wollen wissen, ob sie den Abstieg heil schafft. Ich finde es toll, wie hier eine solche Gemeinschaft entsteht und jeder nach dem anderen Ausschau hält. Trotzdem breche ich kurz nach Max und den anderen beiden Deutschen auf, wenn ich noch 7 km vor mir habe, muss ich das bald in Angriff nehmen.

    Schnell hole ich Gottfried und Michael wieder ein und sie erzählen mir viele Dinge. Sie haben für heute allerdings vorhin Betten in einer kleinen Albergue reserviert, da sie gestern in der größten am Ort waren und das wohl sehr laut. Ich peile heute jedoch genau die Größte am Ort an, da sie nah am Ortseingang liegt, sicher noch Betten frei hat und wenn ich mich schon so weit gequält habe, will ich die anderen Pilger heute auch wieder treffen.

    Vor Ort kriege ich ein unteres Bett, anscheinend belegen sie sowieso nur jedes zweite Bett und der Raum beinhaltet 4 Hochbetten, von denen jeweils das untere belegt und jeweils zwei mit einer kleinen Trennwand abgetrennt sind. Das Bett neben mir belegt Max, der gleich fragt, ob ich mich später zum Essen gehen anschließen will. Zuerst will ich jedoch duschen und stelle dabei fest, dass meine Füße schlimmer aussehen als gedacht. Die Blase an der Ferse ist keine Blase, sondern eine offene Stelle, am gleichen Fuß habe ich eine Blase an der Fußsohle und eine kleine vorne am Zeh, vermutlich vom Bergabgehen. Am anderen Fuß hat sich eine Blase zwischen dem großen und dem benachbarten Zeh gebildet, ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte. Ich klebe alles ab und tape die Füße ordentlich ab. Aber ich werde mich heute keinen Schritt mehr bewegen und esse das Brot, was ich gestern ja eh gekauft habe. Für heute reicht es, die Stadt schaue ich mir auch einfach morgen beim Durchlaufen an.
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  • Day 7

    Puente la Reina - Estella (~23km)

    March 21, 2022 in Spain ⋅ ☁️ 11 °C

    Gestern Abend habe ich die Herberge nur noch bis direkt vor die Tür verlassen, um die Störche auf dem Kirchturm zu sehen und habe wie geplant in der Herberge gegessen. Als ich um halb 10 gerade aus dem Bad komme, kommen Max und Christian gerade zurück und bieten mir noch ein Feierabendbier an, da sie mehrere Dosen mitgebracht haben. Ich freue mich sehr und wir sitzen noch eine ganze Stunde zusammen, sodass ich viel später ins Bett komme als geplant.

    Schlafen tue ich leider nicht so gut, denn obwohl nur 4 Leute in dem Schlafsaal sind, schnarcht einer extrem laut und man kann die Heizung nicht ausmachen, sodass wir mit offenem Fenster schlafen müssen. Außerdem träume ich komisch und morgens sieht es stark nach Regen aus. Ich komme spät los und es ist schon nach 8 bis ich die Albergue verlasse.

    Schon nach kurzer Zeit ist klar, dass meine Blasen heute viel schlimmer weh tun. Ich kann die Ferse bei jedem Schritt spüren und vor allem Bergauf tut es weh. Nach und nach überholen mich heute alle, ich bin sehr langsam unterwegs und muss dauernd Pausen machen. Selbst die Frau im gelben Regenmantel, ich glaube, sie heißt Eva, zieht mir heute davon, obwohl sie sonst auch langsam und mit vielen Pausen unterwegs ist. Ich quäle mich langsam weiter, gegen Mittag überholt mich Christian und ich lasse ihn wissen, dass ich vielleicht einen Ort früher aufhöre. Nur damit jemand Bescheid weiß und ich nicht als vermisst gelte.

    Es regnet vor sich hin und meine Stimmung ist mies, es gibt auch keine offene Bar. Zwischendurch mache ich trotz schlechtem Wetter eine Pause in einem Olivenhain, einerseits um meine Füße zu entlasten, andererseits um Gottfried und Michael ziehen zu lassen. Ich habe heute keinen Nerv für eine Diskussion über die theologischen, psychologischen oder sonstigen möglichen Auslegungen von Leid, ich will einfach still vor mich hinleiden!

    Die angepeilte Albergue öffnet leider erst um 3, ich bin aber schon um kurz vor 2 dort. Bei dem Wetter kann ich aber auch nicht draußen sitzen und warten, also beschließe ich, die gut 4 km bis Estella doch noch zu laufen. Da es gerade aufhört zu regnen, als ich am Ort ankomme, beschließe ich, in die Jugendherberge am Ortsende zu gehen, dort ist vermutlich keiner den ich kenne und ich kann heute wirklich keine Gesellschaft gebrauchen. Außerdem soll es dort auch Abendessen geben, sodass ich das Haus nicht mehr verlassen muss. Leider stellt sich raus, dass sie für eine Gruppe reserviert und nicht offen ist. Ich laufe sicher nicht mehr einen ganzen KM durch den Ort zurück, es gibt noch ein ehemaliges Kloster ein paar Meter weiter, in dem man übernachten kann. Am Empfang zeigt mir der Hospitaliero mit Hilfe von Google Translate, welche Optionen ich habe. Ein Einzelzimmer ist mir viel zu teuer, ich nehme das Bett im 4-Personen-Raum und er führt mich die Treppe hoch. Bisher bin ich allein im Raum und gehe erstmal duschen.

    Die nächsten Stunden verbringe ich mit hochgelegten Füßen auf dem Bett. Zum Glück habe ich mir angewöhnt, immer wenigstens genug Essen für einen Tag im Rucksack zu haben, falls mal nichts geöffnet ist und so esse ich im Zimmer, die Treppe gehe ich heute nicht mehr runter. Tatsächlich kommt niemand mehr und ich habe das Zimmer für mich allein. Ich gehe früh schlafen und versuche mich zu erholen, aber falls die Füße morgen nicht besser werden, denke ich schon darüber nach, ob ich abbrechen muss. Vielleicht kann ich mit dem Bus nach Logroño und von dort nach Hause? Aber erstmal abwarten...
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  • Day 8

    Estella - Los Arcos (~21km)

    March 22, 2022 in Spain ⋅ 🌬 7 °C

    Das lange Schlafen alleine in einem Raum hat gut getan. Ich nutze den Platz, um meinen Rucksack wieder ordentlich zu packen und dehne mich auch noch ein bisschen, denn den Rücken merke ich langsam auch. Meine Ferse fühlt sich ein wenig besser als gestern an, aber anscheinend bin ich irgendwie in Schonhaltung gelaufen, denn es zieht nun ein bisschen im Unterschenkel. Vorsichtig optimistisch starte ich um 20 vor 8. Falls es nicht geht, gibt es nach etwa 9 km eine Unterkunft und einen Ort, der auch groß genug für eine Bushaltestelle sein sollte. Ich werde es langsam angehen und schauen, wie es sich entwickelt.
    Kurz nach 8 erreiche ich auf jeden Fall den berühmten Weinbrunnen von Irache, an dem es einen Hahn für Wein und einen für Wasser gibt. Ich probiere ein bisschen von dem Wein, der aber wie erwartet nicht besonders gut schmeckt. Da aber jeden Tag bis zu 100 Litern von Pilgern gezapft werden können, habe ich auch nichts herausragendes erwartet und fülle meine Flasche lieber mit Wasser.

    An der nächsten Abzweigung holt mich Marc ein. Hier gibt es zwei Alternativen nach Los Arcos, eine ist einen km kürzer, aber mit mehr Höhenmetern und ohne Orte für eine Pause. Ich entscheide mich für die andere, da ich ja noch nicht weiß, wie weit ich heute komme und extra Höhenmeter sowieso nicht in Frage kommen und auch Marc nimmt diesen Weg, zieht mir aber schnell davon. Bald überholt mich Max und sagt, er habe gehört, dass ich gestern einen Ort früher aufgehört habe. Ich erzähle ihm, dass ich doch weitergelaufen bin, freue mich aber, dass die anderen wohl an mich gedacht haben. Max plant, bis nach Los Arcos zu gehen, ich treffe ihn aber nicht mehr und auch sonst überholt mich heute niemand, den ich kenne. Ob die alle den anderen Weg genommen haben?

    Es geht zwar einige Anstiege hoch, aber wenn ich mal im Laufen bin, geht es eigentlich ganz gut. Nur die ersten Meter nach einer Pause merke ich meine Beine und Füße stark. Leider fängt es bald wieder an zu regnen und ich ziehe meinen Poncho drüber. Da es heute auch extrem windig ist, ist das kein leichtes Unterfangen und er fliegt mir mehrmals von hinten wieder über den Kopf. Zum Glück regnet es immer nur ein bisschen mit vielen Unterbrechungen, bleibt aber den ganzen Tag grau und stürmisch.

    Bereits um halb 11 erreiche ich die Spitze des heutigen Berges und den Ort, den ich mir als alternatives Ziel überlegt hatte. Halb 11 ist definitiv zu früh, um den Tag zu beenden, die Albergue macht auch erst in ein paar Stunden auf und es geht besser, als ich erwartet habe. Ich mache trotzdem eine Pause in der offenen Bar am Ort und gönne mir ein Bocadillo und einen Café con leche. Um 11 mache ich mich wieder auf den Weg. Leider sind es bis zur nächsten Stopmöglichkeit noch gut 12 km, aber es geht nur bergab und ich sollte es auch in meinem langsamen Tempo in gut 4 Stunden schaffen. Das Wetter ist zwar schlecht, aber die Landschaft trotzdem schön und ich bin ganz für mich allein. Wirklich seltsam, dass ich niemanden treffe, ob sie alle vorbeigezogen sind als ich in der Bar war oder extrem früh und schnell gelaufen sind?

    Nach 1.5 Stunden nimmt meine Laune merklich ab. Es stürmt so stark, dass ich mich richtig gegen den Wind lehnen muss, der dauernd von der Seite kommt, außerdem gibt es wirklich keine Gelegenheit, mal eine Pause zu machen und mit der Kapuze des Ponchos sehe ich auch immer nur das Stück direkt vor mir. Ich möchte einen windgeschützten Sitzplatz, um mal wenigstens ein paar Minuten die Füße zu entlasten. Und wenn wir schon dabei sind, was warmes zu trinken!

    Irgendwie scheint der Draht nach oben auf dem Camino wirklich kürzer zu sein, denn nach der nächsten Kurve stolpere ich beinah über ein Schild, das eine "Pilgrims Oasis" und warme Getränke in 150m verspricht. Ich bin irritiert, aber "the Camino provides" wie es so schön heißt und tatsächlich steht da ein Food Truck mit ein paar Paletten und Campingstühlen zum Sitzen, der Tee, Kaffee, heiße Suppe, kalte Getränke und Süßigkeiten im Angebot hat. Außer mir sind bereits 3 andere Pilger dort und ich gönne mir einen heißen Tee. Der Besitzer des Wagens erzählt, dass er von einer christlichen Organisation aus den Staaten ist, ebenso wie das Mädchen, das gerade einen Freiwilligendienst dort absolviert. Er hat ein paar Jahre immer mal wieder in Alberguen und dem Foodtruck ausgeholfen und als die ehemaligen Besitzer sich vor 4 Jahren zur Ruhe gesetzt haben, haben er und seine Frau den Wagen übernommen. Er meint, dass es wichtig sei, den Pilgern sowohl für Körper und Seele etwas anzubieten und dass das für ihn gelebte Nächstenliebe sei. Ich bin auf jeden Fall froh, dass sie hier Mitten im Nirgendwo stehen. Als wir alle wieder aufbrechen, gibt uns der Mann noch seinen Segen.

    Nach der Pause laufe ich mit richtig guter Laune weiter. Obwohl das Wetter mies ist und ich den Fuß spüre, macht es einfach Spaß. Ich habe nun für ein Stück Rückenwind und irgendwie kommt mir das Lied "Möge die Straße" in den Sinn, das einfach so gut passt (obwohl ich den warmen Sonnenschein in meinem Gesicht dem nicht so sanften Regen auf den Feldern vorziehen würde. Da ich mich gerade wirklich gut fühle und vor und hinter mir niemand zu sehen ist, singe ich laut vor mich hin und komme schneller voran als gedacht. 3km vor dem Ziel gibt es sogar nochmal eine Bank und ich kann mich etwas ausruhen, bevor ich das letzte Stück leider wieder mit Gegenwind in Angriff nehme.

    Bereits um Viertel nach 2 erreiche ich Los Arcos und entscheide mich für die Herberge, die mir Olivier vor ein paar Tagen empfohlen hat, weil es dort deutsches Bier gäbe. Das brauche ich zwar gerade nicht, aber die Herberge entpuppt sich trotzdem als Glückstreffer. Heiße Duschen mit genug Wasserdruck zum Haare waschen und einen Aufenthaltsraum mit Kamin. Außerdem werden Massagen auf Spendenbasis angeboten, aber ob ich das möchte, weiß ich noch nicht. Ich bekomme sogar noch ein unteres Bett, das eine der wenigen Steckdosen direkt neben dran hat. Was für ein Glückstag! Außer mir sind nicht viele Pilger hier und bis auf den älteren Spanier, dessen Namen ich vergessen habe, kenne ich keinen.

    Kurz nach mir kommt ein deutsches Paar an. Gerade als ich aus der Dusche komme, kommt die Frau rein und motzt auf Deutsch vor sich hin. Ich sage ihr, dass zumindest die Dusche super ist, um sie aufzumuntern und deutlich zu machen, dass ich sie verstehe, falls sie nur für sich alleine sich mal Luft machen wollte. Anscheinend nicht, denn sie motzt weiter, warum man sich das überhaupt antut und dass sie jetzt auch noch ein oberes Bett hat. Zurück im Schlafsaal mosert sie weiter vor sich hin und schielt mehrfach zu mir rüber. Sie spricht mich aber nicht direkt an und so biete ich sicher nicht an, die Betten zu tauschen, zumal ihr Mann anscheinend unten schläft. Mit dem habe ich ein bisschen Mitleid, denn er gibt sich Mühe, sie aufzumuntern und plant die nächsten Etappen, sie will aber ganz eindeutig einfach schlechte Laune haben. Mir tun beide leid, denn auf diese Weise werden sie an der Reise beide keinen Spaß haben. Sie machen aber den Eindruck, als ob sie noch nicht solange unterwegs sind und ich hoffe für sie, dass es die nächsten Tage schöner wird.

    Ich genieße erst mal noch ein bisschen das Kaminfeuer und wenn es später nicht mehr regnet, werde ich einkaufen und auch neue Blasenpflaster besorgen und mal schauen, wie es meinen Füßen geht.
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  • Day 9

    Los Arcos - Viana (~18.5km)

    March 23, 2022 in Spain ⋅ ☁️ 9 °C

    Der Tag heute verläuft eigentlich recht ereignislos. Nachdem ich mich gestern Abend noch ein bisschen mit dem deutschen Paar unterhalten habe, verstehe ich die Frau ein wenig besser und habe Mitleid mit ihr, da sie es schon schwer hat. Gestern Abend schien sie auch etwas bessere Laune zu haben, die ist heute aber schon wieder verflogen und immer wenn wir uns sehen, hat sie irgendetwas, was sie stört und worüber sie meckert. Sie ist trotzdem nett, wenn man direkt mit ihr redet, aber ihre grundsätzlich negative Grundstimmung finde ich anstrengend. Heute werden wir die selbe Etappe laufen, aber morgen lasse ich sie dann vermutlich hinter mir, da die beiden aus gesundheitlichen Gründen nur kurze Etappen gehen und das ist mir auch nicht Unrecht.

    Bereits um halb 7 fängt im Schlafsaal wieder das laute Tütenrascheln an. Warum Leute die am meisten knisternden Plastiktüten in ihren Rucksäcken haben und morgens anscheinend nichts besseres zu tun haben, als jede einzelne davon lautstark zu knittern werde ich nie verstehen. Genervt gebe ich auf und stehe ebenfalls auf, brauche jedoch eine Weile um den Rucksack wieder ordentlich zu packen, da laut Wettervorhersage die Regensachen wieder eingepackt werden können. Um Viertel vor 8 starte ich zur heutigen Etappe und komme recht gut voran.

    Das Wetter ist wie versprochen zwar bewölkt, aber trocken. Heute stehen wieder einige An- und Abstiege an und ich merke, dass das meiner Ferse nicht gut tut. Die Blase ist übrigens ein Loch im Fuß, aber ordentlich gepflastert und mit Tape abgeklebt merke ich auf geraden Strecken gar nichts. Dafür merke ich bereits nach einer Stunde eine andere Stelle am Zeh. Es hilft nichts, an der nächsten Sitzmöglichkeit packe ich den halben Rucksack aus, um ans Tape zu kommen und die Stelle vorsorglich abzukleben. Das kommt jetzt auch in eine andere Tasche am Rucksack, um schneller griffbereit zu sein.

    Ich bin zwar eher langsam unterwegs, werde aber nur von Leuten überholt, die ich nicht näher kenne. Alle anderen sind vermutlich sehr früh gestartet, um heute die 28km bis nach Logroño zu laufen. Das ist mir zu weit und ich bin froh, mich frühzeitig dagegen entschieden zu haben, da ich durch die steilen Anstiege und vor allem Gefälle meine Knöchel stark spüre.

    Heute gibt es wieder einen langen Abschnitt zwischen zwei Orten, aber bereits wie gestern gibt es wundersamerweise eine kleine Station dazwischen. Dieses mal ein kleiner Verschlag, in dem ein Spanier Kaffee, Tortilla und ähnliches anbietet, für die er die Gerätschaften mit einem kleinen Transformator in seinem Auto betreibt. Er spricht nur spanisch und ich habe eigentlich auch keine Ahnung, was ich bestellt habe, aber es sah bei der anderen Pilgerin gut aus und ich zeige einfach drauf. Ich lasse mir etwas Tortilla zwischen zwei Toastscheiben zubereiten, die er in einem Waffeleisen erwärmt, dazu ein Kaffee (con leche).

    Auf ein paar improvisierten Sitzgelegenheiten komme ich mit einem mir bisher unbekannten Deutschen ins Gespräch, der bereits auf seinem vierten Camino ist, sich dieses Mal aber noch nicht so richtig wohl fühlt. Vielleicht ist es einfach nicht die richtige Zeit für ihn, denn er ist hauptsächlich da, weil er vor zwei Jahren wegen Corona abbrechen musste. Ich stelle im Gespräch fest, dass ich gar nicht das Bedürfnis habe, unbedingt bis nach Santiago zu kommen. Ich werde es zeitlich vermutlich eh nicht schaffen, es fühlt sich aber auch gar nicht schlimm an. Ich laufe einfach, soweit ich Lust habe und komme vielleicht irgendwann für das nächste Stück wieder.

    Das nächste Stück zieht sich, es geht auf und ab und der Wind nimmt auch wieder zu. Jede Bank nutze ich zur Pause und brauche für die knapp 18km heute 6 Stunden. Egal, ich habe ja Zeit. In Viana treffe ich noch kurz Christian, der aber auch noch weiter möchte. Weitere 10 km sind mir zu viel, zumal schon 14 Uhr ist und ich bin froh, als ich die Herberge erreiche. Insgesamt bin ich sogar noch früh genug für ein unteres Bett, denn vor mir sind nur die beiden Deutschen und ein Spanier gekommen.
    Im Laufe des Mittags füllt sich der Schlafsaal aber und bald sind alle 8 Betten belegt, leider mit niemandem sonst den ich kenne. Die Herberge ist extrem kalt und so beschließe ich, nur die nötigsten Dinge zu waschen, falls nicht alles trocken wird und meine Leggins muss ich definitiv anlassen. Ich schaue mir noch ein wenig die Stadt an und entspanne mich ansonsten einfach, bevor es morgen weitergeht.

    Als ich vom Spazieren gehen wiederkomme, hat das französische Paar eine Portion Gemüseeintopf für alle gekocht, weil es so kalt ist; und auch wenn die anderen fast fertig sind mit Essen, beschließen sie, dass ich einfach den ganzen Rest aus dem Topf essen soll, weil es nicht genug Teller gibt. Keiner spricht eine gemeinsame Sprache, aber das brasilianische, das deutsche, das französische Paar und ich schaffen es irgendwie, uns gemeinsam zu verständigen und die warme Suppe tut allen gut. Ich lege mich früh ins Bett, weil ich ziemlich fertig bin, und das deutsche Paar macht einfach um halb 9 schon das Licht aus, ohne das alle überhaupt die Chance hatten, sich einzurichten. Ganz schön dreist, aber nicht mehr mein Problem heute Abend.
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