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  • Day 83

    Medellín und Communa 13

    December 23, 2021 in Colombia ⋅ ⛅ 23 °C

    Wer Medellín hört, denkt unweigerlich an Pablo Escobar, den wohl mächtigsten und reichsten Drogenbaron der achtziger und frühen neunziger Jahre 💰👨🏻. Die jüngste Geschichte der Stadt ist unmittelbar mit dem Schicksal bzw. dem Aufstieg und Fall von Pablo Escobar verknüpft. Jahrzehntelang galt Medellín als einer der gefährlichsten Orte der Welt, wo Gewalt, Todschlag und Bandenterror an der Tagesordnung waren 😥. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet und Medellín gehört in einigen Bereichen zu den fortschrittlichsten und innovativsten südamerikanischen Metropolen.

    Zusammen mit Andrea, der Schwester von Martina, bereisten wir Medellín über die Weihnachtstage 🎄🎁. Unsere Unterkunft befand sich im Altstadtviertel Prado, in Fussdistanz zum bekannten Botero-Platz. Den nach dem berühmten Maler und Bildhauer benannten Platz besuchten wir noch am Anreisetag. Zwei Tage vor Weihnachten schien hier viel los zu sein. Touristen, Strassenverkäufer, Dirnen und Randständige bevölkerten den Platz. Die Fussgängerzone war gerappelt voll und überall wurden irgendwelche Schnäppchen feilgeboten. Wir mussten uns förmlich durch die Menschenmassen "kämpfen". Offenbar gibt es auch unter den Kolumbianern viele "Last-Minute-Geschenkekäufer" 😉🎅.

    Die folgenden Tage in Medellín waren facettenreich. Wir genossen das milde Wetter, schlenderten durch die unterschiedlichen Barrios und entdeckten schöne Cafés sowie hippe Restaurants ☕🍪🍹. Ein schmuckes Lokal für ein leckeres Weihnachtsessen zu finden, war leider unmöglich. Die vielen Restaurants waren am Weihnachtsabend ausnahmslos geschlossen und viele Paísas (so werden die Bewohnerinnen und Bewohner Medellíns genannt) zogen es vor, im privaten Rahmen zu feiern 🎄. Glücklicherweise gehörte zu unserem Hotel ein kleines Restaurant, welches schmackhafte Gerichte auf der Karte hatte 😋🍽🍷.

    Aufgrund der Feiertage war es nicht nur schwieriger ein schönes Restaurant zu finden, auch andere Einrichtungen waren nur eingeschänkt zugänglich oder wie im Falle des botanischen Gartens ganz geschlossen 🌳🌴🪴. Dafür war auf den Strassen und in den grossen Busterminals umso mehr los. Spätestens ab dem Mittag waren die Hauptverkehrsachsen komplett verstopft 🚗🚃🚚.

    Medellín ist eine durch und durch moderne Stadt mit attraktiven Vierteln, grossen Parkanlagen und einem sehr guten öffentlichen Verkehrssystem 🚎🚝🚠. Mit der Metro gelangt man einfach und unkompliziert in die verschiedenen Stadtteile. Die ärmeren Quartiere an den steilen Berghängen sind durch Seilbahnen erreichbar, welche zum Metro- Verkehrsverbund gehören. Daneben gibt es zahlreiche grosse und kleine Busse, deren genauen Fahrpläne und Strecken sich uns jedoch nicht ganz erschlossen😆.

    Medellín ist auch eine Stadt der Gegensätze. In einigen Quartieren wie Poblado reihen sich Wolkenkratzer an Wolkenkratzer 🏙, während an den Hängen der Anden einfachste Behausungen das Stadtbild prägen. Auf unseren Fahrten durch die Stadt beobachteten wir immer, wieder wie junge und alte Menschen in den Müll-Containern nach Lebensmitteln suchten oder unter Brücken und entlang der Strassen auf Kartons schliefen. Trotz der Bemühungen der Stadtverwaltung und dem Einsatz von NGOs lebt ein grosser Teil der Bevölkerung nach wie vor in bitterer Armut😥. In den letzten Jahren wurden zwar verschiedene Projekte, wie Rolltreppen zwischen einzelnen Quartieren, Schulen, Bibliotheken oder medizinische Einrichtungen realisiert 🏫📚🏥. Dennoch geht es für die arme Bevölkerung täglich von Neuem ums Überleben. Verschiedene Organisationen und Bürgerinitiativen versuchen deshalb seit Jahren, den Anliegen dieser Menschen eine Stimme zu verleihen. Als Vorzeigebeispiel für das Zusammenwirken der Quartierbewohner mit der Behörde gilt die Communa 13. Diese haben wir während unserem Medellín-Aufenthalt im Rahmen einer geführten Tour besucht.

    Die Communa 13 gehört mittlerweile zum fixen Bestandteil der Reiseagenda vieler Touristen und wartet mit einer lebendigen Streetart-Szene und einer traurigen Vergangenheit auf. Wir nutzten den Ausflug, um viel über die Entwicklung Medellíns zu erfahren. Zusammen mit Sebastian, unserem Guide, fuhren wir zuerst mit der Metro ins Barrio San Javier und begaben uns von dort in luftige Höhen. Mit der Seilbahn lassen sich die Quartiere an den steilen Hängen der Cordillera Central nämlich am besten entdecken 🚠.

    Sebastian nutzte die Zeit in der Gondel, um uns die schwierige und traurige Geschichte der Stadt und ihrer Bewohnerinnen während der letzten 80 Jahre zu schildern. Bereits in den Jahren vor Pablo Escobar zogen zahlreiche Familien in der Hoffnung in die Stadt, sich dort eine bessere Zukunft aufbauen zu können. Diese Familien lebten vorher in völlig unterentwickelten Landregionen und flohen während der "La Violencia", des bewaffneten Bürgerkriegs, nach Medellín. Dort besiedelten sie nach und nach die Berghänge rund um die Stadt und gründeten Quartiere wie die Communa 13.

    Gegen Ende der 1960er Jahre wurde der Drogenhandel immer dominanter und lokale Drogenhändler und Schmuggler lieferten sich erste Scharmützel mit der Polizei. Richtig schlimm wurde es dann allerdings erst, als Pablo Escobar begann, in grossem Stil mit Kokain zu handeln und das Medellín-Kartell gründete. Über Jahre hinweg wurde alles von Escobars Bande kontrolliert. Wer nicht in seinem Sinn handelte, wurde kurzerhand umgebracht. Trotzdem genoss Escobar in breiten Bevölkerungskreisen grosses Ansehen, galt als moderner Robin Hood und sass zeitweise sogar als offizieller Abgeordneter im kolumbianischen Parlament.

    Mit den Jahren eskalierte die Gewalt in Medellín und ganz Kolumbien immer mehr und gipfelte nach der Ermordung des kolumbianischen Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galán durch das Medellín-Kartell in einem offenen Drogenkrieg. Galán stand mit seinem geplanten Regierungsprogramm dem Kartell im Weg und gefährdete bei einer allfälligen Wahl die Drogengeschäfte. Nach der Ermordung Galánd wurde Pablo Escobar sowohl von der kolumbianischen Regierung gesucht, als auch von US-Sondereinheiten verfolgt. 1993 starb Pablo Escobar schliesslich bei einer Razzia in Medellín. Ein ziemlich authentisches Bild dieser Zeit vermittelt die Netflix-Serie "Narcos". Auch das Buch "Kings of Cocaine" ist lesenswert.

    Aber nun zurück zur Communa 13 und deren Verbindung zu Pablo Escobar. Über viele Jahre hinweg rekrutierte das Medellín Kartell seinen Nachwuchs in den armen Barrios und kontrollierte über ein Netzwerk an Kriminellen das Leben in diesen Quartieren, zu welchen auch die Communa 13 zählte. Auch nach dem Tod Escobars verbesserte sich die Situation für die Bewohnerinnen und Bewohner nicht merklich. Denn anstelle des Kartells traten nun Strassengangs, Paramilitärs und Links-Guerillas, welche versuchten, ihren Einfluss in den Armenvierteln der Stadt auszudehnen. Das harte, intransparente und unüberlegte Vorgehen der Polizei und des kolumbianischen Militärs war ebenfalls nicht friedensfördernd, sondern hinterliess gerade in den ärmeren und von der Gewalt stärker betroffenen Quartieren tiefe Wunden.

    Die jahrelange Gewalt, die schlechte Infrastruktur und der aufgestaute Frust gegenüber der Politik führten irgendwann dazu, dass die Einwohnerinnen und Einwohner der Communa 13 selber die Initative übernahmen. Dies erforderte eine Zukunftsvision und die Verarbeitung der Vergangenheit. Während bei ersterem die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung gesucht wurde, spielte bei der Vergangenheitsbewältigung die Hip-hop-Kultur eine zentrale Rolle. Wut, Trauer aber auch Hoffnung und Freude fanden eine kreative Ausdrucksweise in Graffiti, Musik und Breakdance.

    Auf unserer Tour führte uns Sebastian durch das Quartier und erklärte uns die Entstehungsgeschichte und Bedeutung ausgewählter Graffiti. Die Graffiti erzählen von den tragischen Ereignissen, welche den Bewohnerinnen und Bewohner in den letzten Jahren widerfahren sind. Viele, der in den prächtigen Graffitis verwendeten Symbole, hätten wir ohne Sebastians Ausführungen nicht selber deuten können. Während dem Rundgang besuchten wir mit Sebastian auch eine Bar, welche durch ehemalige Häftlinge betrieben wird und ein kleines Restaurant, welches gemäss Guide die besten Kaffee-Cocktails der Stadt zubereitet (ja, das gibt es tatsächlich). Akrobatische Einlagen einer Breakdance-Formation rundeten unsere Tour durch dieses bunte und lebendige Quartier ab.

    Wir verliessen die Communa 13 an diesem Nachmittag mit gemischten Gefühlen. Die Koexistenz von Armut und einer gewissen Perspektivlosigkeit auf der einen und den hippen Bars, teuren Galerien sowie Heerscharen an Touristen auf der anderen Seite sorgte bei uns für einen etwas bitteren Nebengeschmack.

    Wir waren froh, dank Sebastian mehr über die tragische Geschichte und die aktuelle Situation der Communa 13 erfahren zu haben. Dennoch hatten wir das Gefühl, dass Sebastian gewisse Umstände etwas beschönigte und wir hätten uns gewünscht, von den Bewohnerinnen und Bewohnern selber zu erfahren, wie sie die Transformation der letzten zehn Jahre erlebt haben. Die Frage, wer genau wie und wo von den vielen Touristen profitiert, blieb leider unbeantwortet.

    Hinweis zum Besuch der Communa 13:
    Zahlreiche seriöse und weniger seröse Anbieter bieten mittlerweile Touren in die Communa 13 an. Wir haben uns bei unserem Besuch für "The Communa 13 Tour" entschieden, da ein Teil des Erlöses in Projekte im Quartier zurückfliesst. Unser Guide wusste sehr gut über die Geschichte der Communa 13 und die Hintergründe einzelner Graffiti Bescheid. Allerdings wuchs er nicht im Quartier auf und lebte auch nie dort. Uns fehlten deshalb manchmal gewisse Insights. Bei anderen Agenturen arbeiten teilweise auch Guides aus dem Quartier, welche sicherlich auch aus eigener Erfahrung über die Entwicklung der Communa 13 berichten können. Zudem lassen sich vor Ort freischaffende Guides engagieren. Auf jeden Fall empfehlen wir die Communa 13 mit einer geführten Tour zu besuchen😀.
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