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  • Day 7–9

    Catania (Festa di Sant‘Agata)

    February 4 in Italy ⋅ ☀️ 17 °C

    Eins vorweg: Catania - ums vornehm britisch auszudrücken - ist nicht meine Tasse Tee. Die Tatsache, dass dort vom 3. - 5. Februar das größte und wichtigste sizilianische Fest statt findet, hat wohl noch zusätzlich dazu beigetragen. Agatha von Catania (um 300 n. Chr.) war eine Jungfrau und Märtyrerin, der zuerst die Brüste abgeschnitten wurden und die anschließend auf glühenden Kohlen den Tod fand. Sie wird als Heilige verehrt, insbesondere seit beim Ausbruch des Ätna ein Jahr nach ihrem Tod ihr Schleier in Richtung Krater getragen wurde, wodurch der Lava Strom endete. Das dreitägige Fest hat zur Folge, dass angeblich bis zu einer Million Menschen in die Stadt kommen (drei mal so viele wie Einwohner), überall in den Straßen Berge von Müll liegen, Hubschrauber über der Stadt kreisen, mehrmals am Tag und in der Nacht Feuerwerke abgebrannt werden und sich eben einfach alles um Agata dreht, von der Dekoration der Häuser und Straßen bis hin zu den angebotenen Speisen.

    Die Vorbereitungen auf das Fest laufen schon seit einem Monat, und daher hatte meine Reisebegegnung mir schon von dem Festival erzählt, aber ich habe es nicht so richtig ernst genommen und nicht danach recherchiert. Auf der Busfahrt nach Catania bin ich noch sehr gut gelaunt, freue mich ganz vorne neben dem Fahrer zu sitzen und Premium Aussicht auf den Ätna zu haben. Bald danach (allerdings wegen Stau einer Stunde Verspätung, also doppelter Fahrzeit) komme ich im Zentrum von Catania an, sehe die ersten Menschen in weißem Gewand und weiß noch genau, wie interessant der erste Anblick ist. Da habe ich noch nicht kapiert, dass ich die nächsten zwei Tage Tausende in diesen Sackleinen wandeln sehen werde. Der Busfahrer wirft uns irgendwo abseits der eigentlichen Haltestelle raus, weil mehrere Straßen gesperrt sind. Ich gehe zum Hostel durch Rauch Schwaden: unter der Eisenbahnbrücke stehen zig Grills und über Kohlen und offener Flamme werden Berge von Fleisch und Fisch gegrillt. Auch das ist am Anfang noch faszinierend und auch ganz schön fremd, es wirkt auf mich eher so wie ich es mir im Maghreb vorgestellt habe.

    Im Hostel angekommen ist dann wieder eine ganz andere Welt und es wird mir teilweise auch ganz schön auf den Senkel gehen in den kommenden Tagen. Erst ist es spannend, andere Reisende zu treffen und sich auszutauschen. Ich hoffe so sehr, gute Bekanntschaften zu machen und habe große Sorge, nicht Teil des inner circle zu werden. Bald merke ich, dass ich das eigentlich gar nicht will und im Zweifel meine Zeit lieber alleine als in schlechter Gesellschaft verbringe. Die scheinbar so tiefgründigen Gespräche sind in Wirklichkeit nur oberflächlich, oder vielleicht ist es doch einfach eine andere Generation oder halt andere Mentalität.
    Die erhofften Reisetipps gibt’s auch nicht: eine Reisende ist vergangene Woche auf Malta gewesen und dort war alles viel bedeutsamer für sie und sie hat wirklich Menschen kennen gelernt, bei denen sie fühlt, dass die Einfluss auf ihr Leben haben werden und deswegen will sie jetzt wieder dahin zurück. Ich frage, ob sie einen Geheimtipp hat, da die Überfahrt ja doch recht teuer ist (80 € one way). Was Überfahrt? Nein sie fliegt immer.
    Fliegen ist ohnehin recht weit verbreitet unter Low Budget Reisenden (Fehler im System) und ich habe manchmal den Eindruck, dass bei mir bald die 80er anrufen: sie wollen ihr Interrail Ticket zurück. Und meinen schönen Backpack gleich mit - obwohl ich den ehrlich erst nach der Jahrtausendwende gekauft habe!

    In Catania jedenfalls sind die nächsten Tage sind eine Mischung aus fasziniert sein und abgestoßen fühlen. Übermäßiger Personenkult ist mir nix, egal ob von Lebenden oder Toten. Anderseits kann ich es auch nicht ignorieren und muss mir immer wieder ansehen, was alles dazu gehört. Wie sie diese riesigen Kerzen durch die Gegend tragen. Wie auf der Straße Sägespäne aufgebracht werden für die heilige Prozession, bei der die sterblichen Überreste von Agatha auf einem Wagen von mehreren hundert Personen durch die Stadt gezogen werden. Auch das Gebäck, welches eine von Agathas Brüsten darstellen soll, muss ich probieren. Wie fremd ich mich die meiste Zeit fühle, wird mir besonders bewusst, als ich in einer Seitenstraße an einer alternativen Bar vorbei komme und denke: Oh hier läuft ja „westliche“ Musik. Dort trinke ich ein Bier zwischen dem Italienern, die mit Agatha nichts am Hut haben (die gibt es natürlich auch). Sie sehen alle aus wie Philosophie Studenten, tragen Brillen mit dünnen Rändern und rauchen selbst gedrehte Zigaretten. Eigentlich genau so, wie ich mir die italienische Jugend vorstelle. Sie sind mir auch fremd, aber nicht so sehr.

    Ein bisschen habe ich auch Catania abseits des Festivals versucht kennen zu lernen, aber viel Schönes habe ich nicht gefunden. Teilweise herunter gekommene Häuser, viele Schrottautos mitten in der Stadt, der Müll mit den Ratten bzw. Mäusen. Ich habe versucht das Stadtzentrum zu verlassen, aber bin entweder auf enge Straßen gekommen, wo der „Gehweg“ zugeparkt ist und ich auf der Straße laufen muss, oder direkt an eine mehrspurige Straße mit massivem Verkehr. Der Strand ist sowieso gar nicht zu erreichen. Einzig den Bellini Park finde ich sehr schön, eine richtige Oase. Ich lese erst hinterher zufällig, dass hier letzte Woche leider eine 13 Jährige vergewaltigt wurde.

    Die positivsten Erlebnisse sind mit Menschen, die sich über mich als Touristin gefreut haben: der nette alte Mann, an dessen Wagen ich frisch gepressten Orangensaft gekauft habe und er mit mir angestoßen hat sowieso der Kellner in der Bar, in der ich einen Aperol & Arancini hatte, der unbedingt wollte, dass ich was auf Italienisch sage und sich dann sehr gefreut hat. Ich wünsche ihnen und allen anderen in dieser Stadt alles Gute, ich werde wahrscheinlich nochmal durch Catania fahren, wenn ich Sizilien verlasse, aber bestimmt nicht aussteigen.

    Ich verlasse die Stadt mit der Bahn und bin überrascht wie wohl ich mich am Bahnhof fühle. Da weiß man halt auch, was man hat: Bahnhofshalle, Anzeigetafeln, Dingdong Lautsprecherdurchsage, Zug gefunden, nee doch wieder aussteigen, richtiger Zug, alles top
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