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  • Day 137

    Vom Warten

    January 13 in Italy ⋅ ☀️ 12 °C

    „Wir leben nur, um Schönheit zu entdecken. Alles andere ist eine Art des Wartens.“ —  Khalil Gibran

    Ich wartete in der vergangenen Woche ...
    - auf die Fähre
    - auf wärmende Sonnenstrahlen
    - auf den unversteĺlten Aetna-Blick
    - auf bessere Karten beim Scopa-Spiel
    - auf den nächsten Spielzug der Mitspieler
    - auf das Nachlassen von Regen + Wind
    - auf das Tag-Werden
    - auf den Einlass in der Warteschlange zur "presepe vivente" von Trappitello

    ... und genau da kamen wir zufällig ins Gespräch mit Antonino und Gracia, einem sizilianischen Paar aus Zafferana Etnea. In kürzester Zeit entdeckten wir viele Gemeinsamkeiten und eine ungeahnte Vertrautheit. Während des Rundgangs verloren wir uns aus den Augen. Beim Ausgang jedoch winken die beiden nochmals, stecken uns die Visitenkarte zu und laden uns mit sizilianischer Offenheit und Kontaktfreude ein. So führt uns unsere morgige Etappe also zunächst nach Zafferana Etnea.

    Von Dienstag bis Freitag gestaltete sich die Wartezeit auf beständigeres Wetter besonders kurzweilig, weil Anke und Beat (openend's) mit Nona wieder mal zu Besuch waren. Das frisch erlernte Scopa-Spiel konnten wir mit ihnen gleich intensiv üben und den Scopa-Virus erfolgreich weitergeben.

    Warten und Innehalten hat uns inzwischen schon manch schöne Begegnung beschert. Das wartende Flanieren hier am Strand von San Marco hat mich die natürliche und kunstvolle Schönheit des Strandguts entdecken lassen (siehe vorausgehenden footprint). Warten ist eine aktive Seinsform im Hier und Jetzt mit offenem Ausgang ... und mitunter ein Königsweg zu unerwarteter Schönheit. Das zumindest müsste ich Khalil Gibran ergänzend entgegen halten.

    Das Warten hat sich gelohnt: heute verzaubern uns Sonnenaufgang und Aetna-Blick gleichzeitig.

    *****
    Unvergesslich auch unsere erste Begegnung mit Ruedi&Monika am Fährhafen von Genua im Herbst 2019, beide auf dem Weg zur ersten Sizilien-Reise. Seither markiert dieses gemeinsame Warten auf die Fähre den Beginn einer sehr herzlichen und schönen Freundschaft.

    *****
    "Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht auf irgendetwas warten. Am Bahnsteig, an der Supermarktkasse, im Wartezimmer – auf das Glück, die Liebe, ein besseres Leben. Diese Wartezeiten summieren sich im Laufe eines Lebens auf durchschnittlich fünf Jahre. Das Warten begleitet uns ein Leben lang und es genießt keinen sonderlich guten Ruf. Meist wird Wartezeit als gestohlene Lebenszeit empfunden, als Eingriff in unseren Tagesablauf. Wer warten muss, fühlt sich fremdbestimmt. Doch kann Warten auch als geschenkte Zeit empfunden werden, als Gelegenheit zur Muße. Warten als Chance innezuhalten in einer sich in zunehmendem Maße beschleunigenden Welt, als Möglichkeit zur Entschleunigung."
    (Klappentext aus dem Buch:
    Vom Warten, über Zeitlöcher und Warteschlaufen, marix-Verlag, 2018)
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