Peking-Moskau

May - June 2017
A 19-day adventure by Guido Kaufmann Read more
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  • Day 9

    Im Entschleunigungsprogramm angekommen

    May 27, 2017 in Russia ⋅ ⛅ 8 °C

    Der heutige Morgen war geprägt von unserem letzten Grenzübertritt von der Mongolei nach Russland. Das ganze Prozedere startete bereits um halb sieben in der Früh und dauerte ganze sechs Stunden, obwohl wir zwischenzeitlich schon fast familiär, mit nur noch einem einzigen Wagen mit total etwa einem Dutzend Passagieren unterwegs waren, und für die Kontrollen etwa gleich viele Polizisten und Soldaten zur Verfügung standen. War alles in Ordnung gebracht, die Formulare, die wohl kaum jemand je lesen würde, ausgefüllt und die Koffer für die Kontrolleure gehorsam aus- und wieder eingepackt, hiess es warten, an beiden Grenzorten hüben wie drüben, wo es im Bahnhof nichts, nicht einmal einen Kaffee zu kaufen gab. In einer verlassenen Strasse fanden wir dann aber trotzdem noch ein Restaurant und einen kleinen Laden, wo man uns ein einfaches Essen zubereitete und wir sogar noch ein Brot kaufen konnten, denn der schmucke mongolische Speisewagen war zwischenzeitlich auch abgekoppelt worden und wir komplett auf Selbstversorgung angewiesen... Und die in letzter Minute zuhause noch eingepackten Quicksoups erwiesen sich nun doch noch als ganz nützlich.

    Nach dem Mittag ging es dann aber doch los, auf die fast zwanzigstündige Etappe nach Irkutsk am Baikalsee. Wir waren froh, dass die Warterei ein Ende hatte und wir alle in unsere Abteile zurückkehren konnten, um wieder ganz neue, eindrückliche Landschaften an unseren Zugsfenstern vorbei sausen zu lassen. Die lange, irgendwie faszinierende Monotonie lud nun richtiggehend zum Entspannen ein, so wie ich mir dies in der Reisevorbereitung in meinen Gedanken immer wieder ausgemalt hatte: Im gemütlichen Abteil sitzend, wanderte mein Blick während der folgenden Stunden nun in regelmässigen Abständen von meinem Buch in die Weiten Russlands und wieder zurück. Ich war nun definitiv angekommen im Entschleunigungsprogramm der transsibirischen Eisenbahn...
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  • Day 10

    Wandern am Baikalsee

    May 28, 2017 in Russia ⋅ ☀️ 3 °C

    Russischer See mit 6 Buchstaben - so steht es jeweils im Kreuzworträtsel. Der Baikalsee ist ein faszinierendes Gewässer und es gibt viel spannendere Zahlen dazu als die Anzahl Buchstaben: Mit einer Fläche von über 30'000 Quadratkilometer würde er rund 3/4 der Schweiz abdecken und gehört so zu den 10 grössten Seen der Welt. Da er an gewissen Stellen über 1600 Meter tief ist, ist er volumenmässig sogar auf der Spitzenposition und enthält rund 20% aller Süsswasservorräte unserer Welt. Gespiesen vom Schmelzwasser der umliegenden sibirischen Berge ist sein Wasser kristallklar und bietet unter Wasser eine Sichtweite von fast 50 Meter. Klar war es für uns dann auch, dass wir dieses Wunder der Natur nicht nur durch die Zugsscheibe ("Das wunderschönste Teilstück der Reise" gemäss Reiseführer), sondern hautnah, im warsten Sinne des Wortes, erleben wollten und einen zweitägigen Stopp einschalteten.

    Natascha erwartete uns wie abgemacht am Sonntagmorgen um halb acht in Irkutsk und führte uns auf einer Strasse, die kurzfristig für ein amerikanisch-russisches Gipfeltreffen in Listwijanka erstellt worden war zum Baikalsee, wobei uns auf der fünfzig Kilometer langen Fahrt weniger die Strassenbautechnik beeindruckte, als die durchquerten riesigen Birkenwälder, die gerade erst aus dem sibirischen Winterschlaf erwacht waren und im morgendlichen Sonnenlicht so herrlich grün leuchteten. In Listwijanka, das direkt am Baikalsee liegt, empfingen uns dann Nikolai und Irina in ihrem kleinen Gasthaus mit einer überschwänglichen Begrüssung, von der wir zwar kein Wort verstanden, aber an gezeigter Gastfreundschaft nicht zu übertreffen war und uns auf zwei gemütliche Tage freuen liess.

    Dem Entschleunigungsprogramm folgend, machten wir uns dann auf eine rund sechstündige Wanderung, dem See entlang, über kleinere Hügel mit letzten Schneefeldern, hinauf zu einem Aussichtspunkt, der uns einen wunderbaren Blick auf die Perle Sibiriens, wie der See auch genannt wird, schenken sollte. Zurück in Listwijanka liessen wir uns dann nach einem Besuch auf dem Markt verdientermassen - wie wir fanden - kulinarisch verwöhnen, ja mit was wohl am grössten See der Welt: Wassertier mit 5 Buchstaben?
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  • Day 11

    Ein chilliger Montag in Listwijanka

    May 29, 2017 in Russia ⋅ ☀️ 5 °C

    Nachdem wir so viel Interessantes über den Baikalsee gehört und gelesen hatten, gehörte heute nun natürlich auch noch ein Ausflug *auf* den See dazu. Wir fanden in diesem von touristischen Angeboten reichlich ausgestatteten Dorf eine Bootstour, wo der Unterteil des Gefährtes aus Glas bestand und vom Rumpf so den Blick in die Tiefe des Wassers freigab. Wie die vielen Taucher, die trotz eisiger Wassertemperatur an diesem Tauchparadies bereits anzutreffen waren, oder vielleicht eher wie der Meeresforscher Jacques Cousteau, erhielten wir dank der gestern erwähnten enormen Sichtweite einen faszinierenden Einblick in die Unterwasserwelt des Baikalsees.

    Dem Fisch (=Lösung des Rätsels von gestern 😉), von dessen Sorte am Vortag je einer gegrillt auf unseren Tellern gelandet war, begegneten wir jedoch nicht, es war nämlich ein Olmu, der sich etwa 300 Meter unter der Wasseroberfläche aufhält und von den Fischern am Baikalsee grosse Fangkunst abverlangt. Er war übrigens so lecker, dass wir heute gleich noch die zweite Empfehlung von Tripadvisor für "Fischessen in Listwijanka" verifizieren mussten.

    Im weiteren gestalteten wir uns jedoch eher einen "chilligen" Montag, mit Flanieren durch das Fischerdorf, Souvenireinkauf auf dem Markt und auch ein bisschen "Käfele" am Gestade des Sees. Dies ganz im Gegensatz zur Bevölkerung von Listwijanka, welche die so kurze Sommerphase intensiv nutzt, um all die vielen Tätigkeiten am Haus und der Umgebung zu erledigen und dann eher in den sibirisch kalten Wintermonaten offenbar einen oder eher zwei oder drei Gänge zurück schaltet.
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  • Day 12

    Stadtbummel mit Ludmilla

    May 30, 2017 in Russia ⋅ ☁️ 16 °C

    Bevor am Abend kilometermässig die Königsetappe meiner Reise, die 52 Stunden dauernde Fahrt nach Jekaterinburg, am Fusse des Urals, quer durch drei Zeitzonen starten würde, stand heute nun noch der Besuch der Stadt Irkutsk an, wo wir vor zwei Tagen, von der Mongolei her kommend, eingetroffen waren.

    Ludmilla, eine 50-jährige Deutschlehrerin aus Irkutsk wollte mich dabei begleiten und holte mich dazu am Morgen vor dem Gasthaus in Listwijanka ab, wo wir die zwei Tage nächtigten. Auf dem Weg in die Stadt wollte sie mir als Kontrast zum Stadtleben erst noch aufzeigen, wie die in der Landwirtschaft tätige Mehrheit der Bevölkerung in dieser fordernden Landschaft Sibiriens (über-)lebt. Jetzt, Ende Mai, nachdem es letzte Woche nochmals einigen Schnee gageben hatte, können die Felder erst langsam bestellt werden, und rein statistisch ist der Sommer, wo die Nahrungsmittel für den harten Winter eingeholt werden müssen, in 69 Tagen bereits wieder vorbei. Es war beeindruckend zu sehen, welch raffinierte Techniken und Verhaltensweisen sich die Menschen in den abgeschiedenen Dörfern über die Jahrhunderte aneigneten hatten, um der unwirtlichen Natur in der langen, sehr kalten Jahreszeit zu trotzen.

    Irkutsk dagegen entwickelte sich nach dem Erlangen des Stadtrechts um 1600 schnell zu einer blühenden Handelsstadt und zum "Tor Russlands nach Asien", wo die Handelsbeziehungen mit der Mongolei und China intensiv gepflegt wurden. Ebenso treffend ist auch die zweite, weit verbreitete Bezeichnung "Paris von Sibirien", wie ich auf dem Stadtbummel rasch feststellen konnte, begegneten uns doch immer wieder wunderschöne Gebäude, erstellt in unerschiedlichsten, aus der ganzen Welt mitgebrachten und teilweise adaptierten Baustilen. Und Ludmilla wusste zu jedem Gebäude, allen Plätzen oder Statuen eine spannende Anekdote zu erzählen. Sie schwärmte unüberhörbar von ihrem Sibirien und träumte laut von einem Europa von Lissabon bis Vladivostok, als wir etwas über die politische Situation in Russland zu plaudern begannen.

    Ludmilla wuchs zu Zeiten des Kommunismus in Irkutsk auf, eignete sich ihr Deutsch dann in der ehemaligen DDR an, wurde Lehrerin, trat aber nie der Einheitspartei bei. Sie sei dankbar, dass sie heute ihren starken, christlich orthodoxen Glauben praktizieren dürfe, was ja zu Zeiten der Sowjetunion verboten war. Als Zeitzeugnis zeigte sie mir eine wunderschöne, mit eindrücklichen Ikonen und aufgemalten Märtyerbildern verzierte orthodoxe Kirche, die im Kommunismus fast ein Jahrhundert lang in eine Bäckerei umfunktioniert worden war. Und was denkt Ludmilla über Putin? "Wissen Sie Herr Guido, Russland mit seinen über 250 so verschiedenen Völkern braucht eine starke Hand an der Spitze, um das Land zusammen zu halten", entgegnete sie auf meine mit einem wohl leicht kritischen Unterton belegte Frage.

    Ich hätte noch stundenlang mit dieser von Wissen sprudelnden Frau reden und durch die faszinierende Stadt flanieren können, aber Züge warten ja bekanntlich nicht, und so begleitete sie mich noch zum Bahnsteig wo mein Zug schon bereit stand, um Punkt 18:22 Irkutsk zu verlassen.
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  • Day 13

    Unsere Hausmutter vom Zug

    May 31, 2017 in Russia ⋅ ☀️ 12 °C

    Seit etwas mehr als 40 Stunden sind wir auf der aktuellen Etappe nun bereits im Zug, quer durch die sibirische Tiefebene Richtung Uralgebirge, wo dann in Jekaterinburg der letzte grössere Halt vor Moskau ansteht. Dabei wird mir nochmals die Grösse Russlands bewusst, das sich ja über elf Zeitzonen erstreckt, und wir in diesen zwei Tagen von Irkutsk nach Jekaterinburg alleine deren drei durchqueren.

    Allmählich haben wir uns alle ganz gut im Zug eingelebt und die Rituale der Transsibirienreisenden durch Beobachten und zwischendurch auch Experimentieren angeeignet, um die Zugsfahrt auch voll geniessen zu können. Davon möchte ich heute etwas ausführlicher berichten.

    Sehr schnell merkt man, die wichtigste Person ist nicht der Lokführer, der sowieso alle paar Stunden wechselt, sondern die Schaffnerin (seltener ein männlicher Schaffner), die jedem Wagen zugeteilt wird und im Stile einer resoluten Hausmutter für Ordnung schaut, dies im eigentlichen wie auch im übertragenen Sinne. Bei den doch noch recht primitiven sanitären Einrichtungen ist man da froh darum, aber auch die saubere Bettwäsche und Handtücher, das Ofenfeuer für heisses Wasser für einen Kaffee oder eine Suppe, das Regulieren der Temperatur bei den so stark schwankenden Temperaturen, sowie das rechtzeitige Schliessen und Öffnen der WC-Türen gehören in ihren Verantwortungsbereich. Und wenn das alles klappt, lässt sich in den Zügen doch schon ganz gut leben.

    Die Schaffnerin schaut aber auch - wahrscheinlich ausserhalb ihres eigentlichen Auftrages -, dass keines ihrer Schäfchen auf dem Weg verloren geht oder Ärger mit der Polizei bekommt. Denn auch wenn wir fünfzig Stunden am Stück unterwegs sind, gibt es doch alle zwei oder drei Stunden irgendwo einen kleinen Halt zwischen zwei und dreissig Minuten, wo dann die meisten Passagiere die Möglichkeit nutzen, kurz auf dem Bahnsteig von den vielen bereitstehenden Händlern, welche die Ankunftszeiten der grossen transkontinentalen Züge natürlich bestens kennen, etwas Essbares oder frisches Trinkwasser zu kaufen. Wachsam hält sie uns dabei im Auge und hilft schon mal schlichten, wenn eine Preisverhandlung scheitert oder ein unbedarfter Tourist etwas fotografiert, was man besser hätte sein lassen und ein Militär die Kamera konfiszieren will, wie meinem Kollegen passiert. Oder ohne Worte beim Vorbeigehen unsere Wodkaflasche für den nächtlichen Schlummerbecher temporär (!) einzieht, um zu verhindern, dass wir mit der ganz kurz darauf patrouillierenden Polizei grösseren Ärger bekommen würden, da Alkohol in den Zugsabteilen - wahrscheinlich aus gutem Grunde - eigentlich verboten ist.

    Wie hätten wir das auch alles wissen sollen, sind doch alle Reglemente auf Russisch, die Piktogramme gewöhnungsbedürftig, und die Schaffnerin versteht uns ebenso wenig wie wir sie, so dass sie uns das zu Beginn hätte sagen könnte. Ihre über die Jahre stets weiter verfeinerten Gesten sind aber meist gut-, und wenn ihre Lautstärke des unverständlichen Gemurmels dabei noch deutlich zunimmt, sogar unmissverständlich. Man lege sich besser nicht mit ihr an, steht in jedem Reiseführer, denn sie komme in der Hierarchie "unmitttlbar unterhalb Gott", um noch etwas präziser zu sein.

    Und manchmal ist man auch einfach nur froh, wenn sie einem nach einer gestenreichen Nachfrage die Hand entgegenstreckt und die Uhrzeit mitteilt, um im ganzen Zeitwirrwar (Bahnhofsuhr und Fahrplan ist Moskauzeit, im Zug leben wir nach Lokalzeit und das Handy zeigt die Zeit eines Telekommunikationsanbieters an, die auch plus/minus eine Stunde varieren kann) die Übersicht zu bewahren und weiss, wann Zeit für einen Halt ist oder der Speisewagen endlich öffnet.

    Und wenn sich zwei Jungverliebte auf der Plattform aus einer innigen Umarmung lösen müssen, um sich vielleicht tausende von Kilometer voneinander zu entfernen, kann man das tröstende Wort auch ohne Russischkenntnisse erahnen, das sie den zwei beim letzten Aufruf im mütterlichen Ton mitgibt.
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  • Day 14

    Eine riesige Schatzkammer

    June 1, 2017 in Russia ⋅ ☀️ 14 °C

    Die letzten beiden Reisetage führten uns durch die westsibirische Tiefebene mit ihren unendlichen Weiten. Dennoch ist die Gegend, insbesondere entlang der Eisenbahnlinien, deutlich stärker bevölkert als die zuvor passierten Regionen des sibirischen Berglandes und der Mongolei.

    Sibirien ist eine riesige Schatzkammer und verfügt über den grössten Vorrat an Bodenschätze der Welt. Die im letzten Jahrhundert durch die Sowjetunion intensivierte Gewinnung führte zu einer richtiggehenden Bevölkerungsexplosion in Sibirien. Aus kleineren Städten wurden so Millionenmetropolen, wie zum Beispiel die von uns als erste passierte Stadt Krasnojarsk, wo vor hundert Jahren nur knapp dreissigtausend Einwohner wohnten und die heute 1.1 Mio. Menschen zählt. Aber auch die Hauptstadt Sibiriens, Novosibirsk, ist mit ihren 1.6 Mio. Einwohnern bereits die viertgrösste Stadt Russlands, und die hell erleuchteten Wolkenkratzer, die sich uns bei der nächtlichen Durchfahrt präsentierten, erinnerten mehr an eine amerikanische Grossstadt als an das Herz von Sibirien, wie man es sich gemeinhin vorstellt. Vor Jekaterinburg, wo wir die nächsten beiden Tage uns nochmals mit Land und Leuten ausserhalb des Zugsabteils intensiver auseinandersetzen wollen, reiht sich eine Industriestadt an die andere. Man merkt es auch auf dem Bahnsteig oder im Zug. Es herrscht ein emsiges Treiben. Die Erschliessung Sibiriens durch die transsibirische Eisenbahn hat natürlich wesentlich zu dieser wirtschaftlichen und bevölkerungsmässigen Entwicklung der Westsibirischen Tiefebene beigetragen, denn erst so wurde eine effiziente Förderung der Rohstoffe möglich.

    Was findet sich denn in dieser Schatzkammer alles? Da ist natürlich das Holz aus der russischen Taiga, dem weltweit grössten Wald, wo ein Viertel aller Waldreserven unserer Erde zu finden sind, vor allem Nadelwald (Kiefer, Fichten und Tannen) dominiert. Die mich so faszinierenden, bekannten Birkenwälder bilden nur den Abschluss und machen lediglich etwa zwanzig Prozent aus. Unter dem Boden sind es dann vor allem die Energierohstoffe Erdöl, Erdgas und Kohle sowie die Metalle Eisenerz, Gold, Zinn, usw. die abgebaut werden, aber auch Uran (90% des weltweiten Vorrates). Entsprechend befinden sich auch strategische Zentren der russischen Rüstungsindustrie in dieser Gegend, wie zum Beispiel in Omsk, das zwischenzeitlich durch Touristen besucht werden darf, bis vor kurzem jedoch eine «geschlossene Stadt» war. Fotografieren ist teilweise immer noch verboten, wie wir unmissverständlich aufgeklärt wurden.

    Russland tut sich aktuell jedoch sehr schwer mit der Nutzung dieser Bodenschätze, die notwendigen Voraussetzungen für den Abbau können aufgrund der finanziellen Situation Russlands nicht geschaffen werden oder die vorhandenen Mittel fliessen in falsche Kanäle. Die vielen zerfallenen Industriebauten die wir entlang der Eisenbahnlinie sahen, verdeutlichten uns dies immer wieder.
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  • Day 15

    Mit einem Fuss wieder in Europa

    June 2, 2017 in Russia ⋅ ⛅ 21 °C

    ... im Ural, an der Grenze von Europa und Asien.

  • Day 15

    Der letzte Zar Russlands

    June 2, 2017 in Russia ⋅ ⛅ 22 °C

    «Den Konjunktiv gibt es nicht in der Geschichte» - mit diesen Worten, in denen eine gewisse Melancholie unüberhörbar mitschwang, schloss Irina den fast fünfstündigen Rundgang durch Jekaterinburg und verschiedener Gedenkstätten vor der Stadt, wo wir heute der Geschichte des letzten Zaren Russlands, Nikolaj II, nachgingen. Wenn der erste Weltkrieg nicht gewesen wäre, hätte Russland heute vielleicht immer noch ihre Monarchie, wollte sie uns damit sagen, denn viele Russen trauern dieser Zeit nach, als der beliebte Zar das Grossreich noch führte.

    Die Geschichte des Zarentums hat in Jekaterinburg ihr tragisches Ende gefunden, als in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 1918 die gesamte Zarenfamilie, Nikolaj II, seine Frau Alexandra, sowie die fünf Kinder Aleksej, Olga, Tatjana, Marija und Anastasia im Keller ihres Hauses, wo sie im Arrest waren, von den Bolschewiken heimtückisch erschossen wurden - zusammen mit ihren ergebenen nächsten Dienern, die eigentlich hätten fliehen dürfen, aber nicht von der Seite der Familie wichen und mit ihr in den Tod gingen. Die Geschichte des letzten Zaren ist aber auch stark mit der russischen orthodoxen Kirche verbunden, Nikolaj II und seine ganze Familie gelten als Märtyrer, sind inzwischen heiliggesprochen worden und zieren die zentralen Ikonen in jeder der vielen neu erbauten Kirchen. Da wo die Zarenfamilie den Tod fand, steht heute die grösste, von weitem sichtbare, wunderschöne «Kirche des Blutes», mit dessen Erbauung die russische Bevölkerung Sühne leisten wollte für das Verbrechen, das sie am Zaren und damit indirekt an Gott begangen hatten.

    Unser Rundgang hatte jedoch am Morgen etwa 40 Kilometer ausserhalb von Jekaterinburg begonnen, wo die sterblichen Überreste der Familie damals in aller Eile wegen der heranrückenden weissen Armee in einer Grube verscharrt worden waren, erst 1978 aufgrund der Öffnung des Staatsarchives und den gefunden Aufzeichnungen zu diesem Ereignis lokalisiert werden konnte und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des damit wieder erlaubten Praktizierens des Glaubens, ein Männerkloster erbaut worden ist, das heute einen bedeutenden Wallfahrtsort darstellt.

    Als ich mit Irina eine der vielen Holzkirchen des Klosters betrete und mich dabei automatisch bekreuzige, errege ich offenbar die Aufmerksamkeit eines der Aufsicht haltenden jungen Mönche, der sofort unterbruchlos, mit einer für eine Kirche nicht angemessenen Lautstärke auf mich einzureden beginnt und erst durch Irina mit den Worten, ich sei «halt» Katholik gestoppt werden kann. Überraschend freundlich, mit einem wohl leicht schlechten Gewissen, aufgrund meiner perplexen Reaktion, zeigte er mir dann wie ich die Finger gemäss orthodoxem Ritual korrekt hätte zusammenführen sollen und ermahnte mich zu mehr Ruhe und Gelassenheit im Leben, da ich das Bekreuzigen offenbar zu schnell vollzogen habe.

    Weil gerade das bedeutende Pfingstfest bevorsteht, sind alle Kirchen mit wunderschönen grün leuchtenden Birkenzweigen als Zeichen des Heiligen Geistes ausgeschmückt. Die auf dem Gelände und in den Kirchen überall vorhandene Symbolik, wie beispielsweise die 7 (statt normalerweise 3) Kirchentürme als Erinnerung an die 7 Mitglieder der Zarenfamilie oder die 23 Treppenstufe hinauf zur Kirche des Blutes als Bezug zur 23-jähigen Herrschaft des Zaren und den 23 Stufen, die in den Keller des Hauses führten, liessen die mit der Geschichte des Regenten bis ins Detail bewanderte Irina bei diesem Rundgang natürlich aus dem Vollen schöpfen, und wir realisierten gar nicht, dass wir ja gar kein Mittagessen eingenommen hatten, was dann anschliessend mit einem üppigen, usbekischen Essen jedoch mehr als kompensiert wurde, und mit einem ausgedehnten Abendspaziergang durch diese faszinierende Stadt seinerseits wieder kompensiert werden musste.
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  • Day 16

    Über den Ural nach Moskau

    June 3, 2017 in Russia ⋅ ☀️ 22 °C

    Das rund 2500 Kilometer lange Uralgebirge ist geografisch die Grenze zwischen Europa und Asien und erstreckt sich von der kalten Tundra im Norden über die Taiga bis zur Wüstensteppe im Süden. Nachdem ich ja gestern schon mal einen Fuss über die Grenze gesetzt hatte, ging es heute vom auf der asiatischen Seite des Urals liegende Jekaterinburg aus definitiv westwärts, zum Ziel meiner Reise, der russischen Hauptstadt Moskau, über eine Distanz von exakt 1668 Eisenbahnkilometer, mit einer letzten Übernachtung im Zug. Meine Erwartungen an das Uralgebirge waren jedoch zu hoch, und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Knapp 500 Meter über Meer lagen die Hügel, über welche die das Gebirge durchquerenden Trasses der Eisenbahn führten, und dabei vom Zug aus kaum auszumachen.

    Die vor 300 Mio. Jahren entstandenen Berge waren mal rund 7000 Meter hoch, doch die Verwitterung hatte zwischenzeitlich Schicht um Schicht abgetragen und dadurch die Erze und Mineralien zu Tage gefördert, für die das Gebirge seine Bekanntschaft erlangt hat. Die wissenschaftliche Erklärung für die Entstehung dieser weltweit einzigartigen Mineralienvorkommnisse basiert auf dem Aufeinandertreffen der beiden kontinentalen Platten von Europa und Asien und den damit verbundenen zahlreichen vulkanischen Akivitäten, wo jeweils Magma als Ursprungsmaterial für die unterschiedlichen Gesteinsbildungen freigesetzt worden war.

    Zarenexpertin Irina, die mich beim Ausflug ins Ural-"Gebirge" begleitete, kannte noch eine alternative, nicht auf geologischen Theorien basierende Begründung für die enorme Edelsteinvorkommnisse: Als nämlich der liebe Gott die Erde erschuf und die Edelsteine auf der Welt gleichmässig verteilen wollte, flog er mit den Schätzen in der Hand über Sibirien. Dabei sei ihm so kalt geworden, dass er die Hände in seine Hosentaschen stecken musste und kurzerhand über dem Ural alle Steine auf einmal runterfallen liess. Eine weitere alte, schöne Geschichte aus der Bevölkerung, wie sie uns in den letzten zehn Tagen in Russland immer wieder begegnet sind.

    Als Abschiedsgeschenk überreichte mir Irina dann auf dem Bahnhof von Jekaterinburg noch einen kleinen Jaspinstein, der mir auf meiner weiteren Reise durch Russland Schutz und Glück bringen möge. Um diesen Schutz sollte ich schon eine Stunden später dankbar sein, als vier sturzbetrunkene, äusserst aufdringliche Russen in mein Abteil stürzten, mit einem "gut Freund" auf die Schulter klopftend mich in ihren Kreis zogen und dann um jeden Preis an der "Wodkaparty" teilhaben lassen wollten. Nach einer zur Hälfte im Abteil verschütteten Flasche zogen sie es aber glücklicherweise vor, ihren Rausch erstmal etwas auszuschlafen, begleitet von einem unüberhörbaren Schnarchen (siehe Video).
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