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  • Day 3

    Pekingentenhausen

    August 18, 2019 in China ⋅ ⛅ 31 °C

    Halbzehn ist es dann doch, als vier schlafende Steine wieder zum Leben erwachen. Ich gieße meine Trägheit mit etwas Nescafé und schon bald verlassen wir, für den Tag gerüstet, im Gänsemarsch unsere Zimmer.
    Ein fröhliches ‚Good Morning‘! wird uns vom Mann an der Rezeption an die überraschten Ohren geworfen. Es ist ein anderer als gestern und er spricht wunderbarstes Englisch. Somit ist schnell geklärt, dass Touristen Bargeld am unkompliziertesten bei der Bank of China abheben können. Die nächste befindet sich eine U Bahnstation südlich, in 900 Meter Laufweite.

    Aber erstmal Frühstück. Um die Ecke, gleich beim 7Eleven, ist ein Lokal mit Dim Sum, das hatten wir gestern beim Shoppen schon entdeckt. Da gehts hin. Bestellt wird an einer Art Buffet, hinter dem auch frisch zubereitet wird. Es dampft und duftet herrlich. Die Kinder holen sich große Teigbälle mit Sesam, diverse Dim Sums und frittierte Hühnerbällchen. Ich zeige auf eine Soupbowl mit Wantans und erweitere mein Frühstück um gedämpfte Hühnerfüße. Selbst der Anblick unserer Speisen ist ein schon ein Genuss.
    Wir besprechen die Highlights des heutigen Tages: Bank of China, Lama Tempel, Konfuzius Tempel und Sommerpalast. Sportliches Programm, auf geht‘s!

    Wir schlendern den knappen Kilometer bis zur Bank of China eine große Straße entlang, beobachten das geschäftige Leben, immer wieder öffnet sich eine Gasse in einen Hutong.
    Vorbei an vielen kleinen Läden, auffällig viele mit Sportklamotten. Bei einem Obstladen, der durch seinen Geruch nach Durian unüberriechbar ist, lassen wir uns von der Auslage verführen und kaufen uns abgepackte, geschnittene Melone und eine Obstmischung mit Honigmelone, Dragonfruit, Trauben, Ananas und - das gehört in China wohl zum Obstallerlei - Cocktailtomaten.

    Was uns besonders an dieser belebten Straße auffällt: es ist total ruhig. Man hört den Verkehr fast gar nicht. Es gibt zwar viele Roller, aber die fahren ausschließlich elektrisch, und auch die Autos, einige geräuschlos, viele mit sehr gedrosselten Fahrgeräuschen, unglaublich viele Leihfahrräder, Mobike & Co. Reale Elektromobilität, sehr angenehm. Aufgrund der fatalen Luftverschmutzung, Airokalypse hat der Planet das so treffend genannt, hat die Regierung offenbar entsprechende Maßnahmen ergriffen.
    Die stillen Straßenbewegungen sind noch sehr gewöhnungsbedürftig: Wir richten uns Zuhause beim Überqueren einer Straße unter anderem durchaus auch nach Geräuschen herannahender Fahrzeuge, hier in Peking klappt das nicht mehr. Der Blick nach links und rechts ist hier obligatorisch, will man nicht von einem stummen Elektrofahrzeuge überraschend überrollt werden. Ich würde das nicht erzählen, wenn da nicht schon eine Situation bei mir zu einem gewissen Learning geführt hätte. Ich lebe noch.

    Die Bank of China liegt in einer Straße mit einem überdimensioniert aufgeblasenen Nobelhotel gegenüber, viktorianischer Stil soll das wohl sein, davor viele schwarze Limousinen, auch ein Royce ist dabei.
    Der ATM spuckt ohne Umstände zweimal 3.000
    Yuan auf Kreditkarte aus. Das ist schon was, ist aber geschätzt noch nicht genug für die nächsten Tage und Wochen auf dem Land. Dadorten wird nahezu alles in bar bezahlt, wenigstens von ausländischen Touristen.
    Also rein und Geld wechseln. Eine Dame am Empfang händigt mir ein zu unterschreibendes Formular und eine Wartenummer aus. Keine Ahnung, was ich da unterschreiben muss, muss aber. Ein Polizist ganz in Schwarz, mit Knüppel, schusssicherer Weste und Helm sitzt in der Ecke freut sich über die Ablenkung durch die wartenden Kinder, die ihre Flaschen am gekühlten Wasserautomaten mehrmals auffüllen. Er putzt auch den Trinkwassersee vor dem Automaten weg.

    Ich beschließe einen beträchtlichen Betrag umzutauschen, dass erstmal Ruhe ist. Die bürokratische Prozedur zieht sich. Ich muss meinen Arbeitgeber angeben, meine heimische Telefonnummer und mein Reisepass wird erneut gescannt, gefühlt zum 20sten Mal, Unterschriften unter diverse Versklavungsverträge unbekannten Inhalts. Jetzt gehört meine Seele dem großen Bruder. Dafür gibts ein dickes Bündel Devisen. Orangefarbene Hunderterscheine sind das hauptsächlich, je ca 13 Euro wert. Freche 10% Fee werden auch hier kassiert, wie am Flughafen. Grrr.

    Das Abzockegefühl schnell erfolgreich verdrängen und ab in den Untergrund. Der Knüppelmann lächelt den Kindern milde nach und hebt zum Abschied sogar die feuchte Hand, ganz ohne leisen Vorwurf.
    Nach vier U-Bahnstationen erreichen wir den Lama Tempel. Zum Eingang laufen wir aussen die gesamte Länge des Areals ab, und es ist laaang!
    Der Eintritt ist bezahlbar, gute 10 Euro für uns Vier. Hinein ins Sightsseeing. Wir sind fast die einzigen Touristen, also westlicheTouristen, sonst nur Fähnchen folgende chinesische Reisegruppen mit Mikro- und Megafonbeschallung durch den Guide.
    Die Tempelanlage ist großartig. Am Eingang werden Bündel von Räucherstäbchen ausgegeben, etwas missmutig auch an uns. Ich kann noch nicht einschätzen, ob Missmut hierzulande auch so gemeint ist, oder ob wir das nur so deuten. Ich werde das beobachten...
    Der buddhistische Tempel besteht aus mehreren Arealen mit immer heiliger werdenden Schreinen, eingefriedet von Mauern und langgezogenen Gebäuden am Rand. In diesen Gebäuden befinden sich kleine Museen zur Geschichte des Klosters, toll gemacht!
    Immer wieder Kniepolsterbänke für die Betenden.
    Es wird viel gebetet, draussen und drinnen, dass es nur so qualmt. Angeleitet wird auf Schildern, wieviele Stäbchen idealer Weise zum Gebet entzündet werden. Es duftet, dampft und raucht auf dem ganzen Gelände. Für die benutzten, aber noch glühenden Stäbchen stehen große, schwere, rostige Kisten aus Eisen herum, die qualmen wie Schlote, das hat schon fast was von Industrieromantik.
    Die Anlage ist uralt, wie oft hat man diese typische Architektur in Martial Arts Filmen schon gesehen, jetzt stehen wir mittendrin. Die spirituelle Ruhe der Tempelanlage dazu - wir sind echt in China, man!

    Wir bestaunen die gesamte Anlage, ich vertiefe mich lieber nicht in Architekturgeschichte, sondern genieße einfach so. Fynn und Nele steigen ermattet aus und platzieren sich irgendwo, Laura und ich streifen weiter. Große Hallen mit unglaublich schönen Schnitzereien, Vertäfelungen, Statuen.
    Dazu in verschiedenen Pegeln die schrill schnarrenden Erklärungen der chinesischen Guides an ihre Reisegruppen aus schlechten Lautsprecherboxen. Was ein Bild, was ein Klang.

    Es ist schwülwarm und bedeckt, um die dreissig Grad, die Kinder auf Halbmast. Wasser und Obst bringen nur wenig Energie und Motivation zurück. Wir verlassen den Lama Tempel.

    Unweit, quasi zwei Räucherstäbchenwürfe weiter, ist der zweite, der Konfuzius Tempel. Eine Anlage, die sich über 20.000 qm erstreckt, ohje. Wenn Blicke töten könnten, aber sie geht mit hinein, die tapfere Kinderschar.
    Der Tempel war ehemals die kaiserliche Akademie, eine Kaderschmiede und Eliteuni, die nach der Lehre des Konfuzius unterrichtet hat.
    Der steht auch als hochverehrte Statue selbstbewusst auf dem Gelände. Man wandert über Höfe von einer Halle zur nächsten, die unterschiedlichen Zwecken dienten. Allesamt sehr schön anzusehen, sehr harmonisch in ihrer Architektur, mit den typischen chinesischen Dächern mit den leicht geschwungenen Giebelabschlüssen. Dazwischen steinalte Bäume, teilweise über 800 Jahre alt, was haben die nur alles gesehen... Wir flanieren zwischen den Nebengebäuden, in der Erwartung, dass jederzeit Martial Arts Kämpfer plötzlich zwischen den Dächern über unseren Köpfen flattern, die perfekte Kulisse. In einem Nebengebäude befindet sich auch ein Museum, dass über Konfuzius und die Akademie informiert, sehr interessant, vor allem das gnadenlose Aussieben der Bildungselite, das muss der totale Psychoterror für die Studenten gewesen sein.
    Die Nachmittagssonne taucht die großen Gebäude mit ihren Farben und Kontrasten in ein
    traumhaftes Licht.

    Um 17 Uhr werden die Tore geschlossen und wir sind erschöpft, wir alle. Diese Herumlauferei bei diesen Temperaturen ist echt anstrengend. Es sind diese mächtigen Dimensionen, die so schlauchen, Klein gibt es in Peking offensichtlich nicht.

    Der Tempel befindet sich in einer Hutonggasse, in der sich lauter kleine Lädchen finden, die Tempelaccessoires, Kalligrafieutensilien, Handwerkskunst, aber auch Eis und Snacks anbieten. Eis! …unser Stichwort. Wir setzen uns vor den kleinen Laden mit dem Eis und beobachten dabei das frühabendliche Straßenleben der Anwohner. Ein Altedamentrio sitz auf ihren Plastikstühlen und ratscht, Eltern mit Kindern flanieren, junge Paare beschäftigen sich lieber mit ihren Handys als mit Fummeln, Minihunde werden Gassi geführt, vereinzelte Touris stehen frustriert vor verschlossenen Tempeltüren. Immer wieder gleiten Roller des Todes fast geräuschlos vorbei. Das Szenario strahlt nachmittägliche Entspanntheit und Ruhe aus, endlich einmal, davon besteht dringender Bedarf. Überall sind so unglaublich viele Menschen, auch wenn die Stadt an sich nicht laut ist, diese omnipräsenten Menschenmassen empfinden wir als sehr sehr anstrengend.
    Die orangenen Mönche Pekings sind übrigens die Müllmänner, die überall emsig den Müll einsammeln. Peking City ist ziemlich sauber.

    Beim Ausruhen und Eis Essen beschließen wir unsere Abendveranstaltung: Pekingente.
    Ich habe mir im Vorfeld schon Restaurantempfehlungen herausgepickt, eines davon liegt in angenehmer Laufweite. Wir spazieren gemächlich in Richtung dieser Adresse, an Hutongs entlang, die gerade saniert werden, zumindest die Fassaden. Späht man durch so manche Tür, wird nicht selten der Blick auf ein ziemliches Wohn- und Gerümpelchaos freigegeben, ungepflegte und verkommene Bausubstanz. Hier scheinen sich manchmal viele Menschen wenig Wohnraum zu teilen.

    Wir sind angekommen. In der fortgeschrittenen Dämmerung tauchen die vielen Lampions und Leuchtschilder die Straße in ein rötlichbuntes Lichtermeer. Genau so stellt man sich eine chinesische Flaniermeile vor, und irgendwo dazwischen ist der Eingang zu unserem Entenschuppen. Viele Menschen sitzen davor, anscheinend wartend. Bei guten Restaurants in China sollte man immer mindestens eine halbe Stunde bis Stunde Wartezeit einkalkulieren, so steht es geschrieben.
    Wir wollen uns über die aktuelle Wartezeit am Counter informieren und ob vielleicht Nummern verteilt werden. Ein junger Kellner fragt uns, wieviele Personen wird seien und verschwindet.

    Wenige Minuten später kommt er wieder und winkt uns zu sich, er hätte einen Tisch für uns, jetzt. Innerer Jubel. Wir werden durch das Lokal in den ersten Stock geführt. Wir kommen vorbei an der sehr exotischen frischen Auslage der Speisekarte. Glasierte Enten baumeln von Gestellen, hoch gestapelte Kegel von Krustentieren, Bassins mit noch nie gesehenen Muscheln, Krustengetier, stacheligen Seegurken und Fischen, sandgefüllte Tabletts, aus denen uns Hinterteile von irgendwelchen fetten Insekten entgegen ragen, Spieße mit Skorpionen und so weiter...

    Das ganze Panoptikum findet sich sehr schön angerichtet und fotografiert in der umfangreichen Speisenkarte wieder. Allein die anzusehen ist schon ein Erlebnis. Wir sind eindeutig in einem der gehobeneren Restaurants gelandet. Die Empfehlung der Kellners ist, die längere Zubereitungszeit der Ente mit Vorspeisen zu überbrücken. Vor lauter Staunen und Schmökern im Menü müssen wir ihn ein paar Mal vertrösten, bis wir uns endlich entschieden haben. So kann man die Zeit ebenso durchaus kurzweilig überbrücken.
    Eher zurückhaltend bestellen wir dann gefüllte Lotuswurzel, exotisch lecker, und glasierten Schweinebauch, wabbel wabbel, wie viele Chinesen.

    Die Ente ist ein Gedicht. Gegessen wird sie, hübsch zerteilt und angerichtet, am Tisch eingerollt in Teigfladen mit Gemüse und Obststreifen und Hoisinsoße. Knusprige Haut wird auf Puffreiswürfeln dazu gereicht.
    Aufs Haus kredenzt man uns noch eine feine Entensuppe. Wir schwärmen und schwelgen vom ersten bis zum letzten Bissen. Zum Abschluss spendiert man uns noch eine Kugel superleckeres Maracujaeis. Eis können sie einfach, die Chinesen. Inklusive allem hat das sehr große Vergnügen mit exzellentem Service nur ganze 65 Euro gekostet, nicht wirklich viel für das Spektakel. Selbst Altbundespräsident Gauck hat schon in diesem Restaurant gespiesen. Das sagt ja wohl alles. : )

    Während wir sitzen, schmausen und schmatzen beginnt der junge und sehr aufmerksame Kellner ein Gespräch mit uns. Er spricht erfreulich gut Englisch. Das Gespräch endet damit, dass er uns den Trip zur Great Wall vermittelt, zu einem Abschnitt, der noch nicht komplett von touristischen Horden überrannt ist. So wird es zumindest im Planet beschrieben, und auch als gut erreichbar. Deshalb hatte ich mir den im Vorfeld auch ausgeguckt.
    Jackie heisst er, der herzig bemühte Kellner, James Bond nennt sich sein Bruder, der als Reiseagent fungiert, alles klar.
    Wir tauschen die nötigen Daten aus, für unseren letzten Tag in Peking haben wir dann gebucht. Will man die Tour nicht auf eigene Faust unternehmen, ist es fast egal, bei wem man bucht, die Fäden laufen eh bei wenigen Veranstaltern zusammen. So auch hier.
    Der individuelle Trip zur Mauer bedeutet eine ziemlich aufwändige Transportlogistik und ganz ehrlich, ich habe jetzt einfach keinen Bock mehr auf diese Aktion und schon gar nicht mit den Kindern, da gibt es mir definitiv zu viele Unbekannte und Variablen. Allein oder zu zweit hätte ich das sicher gemacht.

    Mit prächtig gefüllten Bäuchen plantschen wir draussen noch ein wenig im Lichtermeer der Straße, um dann müde und zufrieden in die Betten zu fallen. Nicht aber ohne den obligatorischen Besuch beim 7/11, um Wasser und Snacks zu shoppen.
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