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  • Day 7

    Strasse fertig - trotzdem Tiefpunkt

    June 6, 2023 in Norway ⋅ ☀️ 18 °C

    Heute will ich früh starten, um nicht direkt in die Mittagshitze zu laufen. Schon um halb neun bin ich auf der Straße. Als Zwischenziel habe ich mir eine Kreuzung vorgenommen, wo es für mich auf eine andere Straße geht. Nach 8 km bin ich da. Die Straße, die hier abbiegt ist zwar auch asphaltiert, aber nicht so breit wie die Hauptstraße und es ist nur wenig Verkehr. Deutlich abwechslungsreicher schlängelt sich die Straße dahin. Obwohl sämtliche Voraussetzungen besser werden, habe ich das Gefühl, nicht voranzukommen. Ich zwinge mich von Pause zu Pause, welche ebenfalls nie lange ausfallen. Wenige Kilometer vor Dølemo ist dann mein Wasser aufgebraucht. Zuletzt gab es immer mal kleine Bäche. Schon in den letzten Tagen ist wir aufgefallen, dass es leere Bachbetten gab und die aktiven Bäche nur wenig Wasser führten. Wie ist das ab Dølemo im Gelände?

    Ich schleppe mich bis Dølemo. Mittlerweile ist es richtig heiss und der Asphalt flimmert. Im Ort entdecke ich eine Art Gemeindehaus mit WC. Das WC ist leider verschlossen und ich folge dem Mann, der ein paar Sekunden zuvor in das Haus ging. Es scheint eine Gemeindehalle oder zu sein. Schon in die Jahre gekommen und nicht wirklich groß, aber mit Charme. Den Mann finde ich nicht sofort. Aber von oben kommen Geräusche. Als ich „Hallo“ rufe, schaut er von einer Art Empore herunter. Unten im Eingangsbereich ist eine Art kleine Küche. Ich darf mich hier am Wasser bedienen. 3 Flaschen, 1,5l trinke ich sofort. Die Halle hat einen offenen hölzernen Vorbau mit Bänken und Tischen und liegt weitgehend im Schatten. Hier lege ich mich auf den Holzboden und lege die Beine hoch auf eine Bank. Immer wieder nicke ich weg.

    Dann raffe ich mich wieder auf. Ich bin unschlüssig. Es gibt einen kleinen Campingplatz im Ort. Eigentlich habe ich mein Tagesziel erreicht. Aber es ist erst 14.30 Uhr? Ich packe mein Zeug und nehme diesmal trotz des zusätzlichen Gewichts einen Liter Wasser mehr mit als sonst. Zurück auf der heißen Straße habe ich ein seltsames Gefühl. Ich habe leichte Kopfschmerzen und meine Motivation ist nicht besonders groß. Gleichzeitig reizt mich der Einstieg ins Gelände, das ich erst nach 5 oder 6 Tagen wieder verlassen werde.

    Eigentlich müsste ich gut gelaunt sein. Aber ich bin’s nicht. Vielleicht, weil es ab hier so richtig losgeht? In meiner Planung war das hier der eigentliche Beginn, da ich dachte, bisher fast nur auf Straßen unterwegs zu sein. Eigentlich hätte ich noch eine Nacht auf den Campingplatz gehen sollen. Eine heisse Dusche und einen halben Tag Ruhe. Aber ich biege in den Pfad ein. Die Mischung aus körperlicher Erschöpfung und einem kleinen mentalen Tief ist nicht so ideal, um sich zusätzlich noch weiteren Herausforderungen zu stellen. Aber die Trockenheit und das dauerhaft „gute“ Wetter machen mir das Leben nicht leichter. Nicole hat mir gestern schon von der hohen Waldbrandgefahr in Südnorwegen berichtet. Spätestens hier ist sie offensichtlich. Man könnte mit einem einzigen Streichholz hier unmittelbar einen Großbrand auslösen.

    Der Bach unten am Pfadbeginn ist zwar aktiv, aber nicht sehr voll. Wie soll das erst weiter oben werden? Hier kommt ja alles an, was oben als einzelne Bäche startet? Nach 2 oder 3 Kilometern stetigem bergauf mache ich eine Pause und schaue nochmal in die Komootapp. Tatsächlich waren die eingezeichneten Bäche allesamt nur Rinnsale oder aneinandergereihte Pfützen. Seit Evje habe ich meinen Wasserfilter auch nicht mehr. War es ein Fehler, den mit der Kamera zu verschicken? Kleine Seen sind hier überall aber aus keinem würde ich ohne Filter trinken. Wenig Durchlauf und den ganzen Tag die Sonne drauf macht vermutlich nicht das beste Trinkwasser.

    Mein Kopf pocht. Noch habe ich Wasser. Wenn das so weiter geht, muss ich aber umdrehen. Obwohl die Natur um mich herum unfassbar schön ist und der Pfad voll nach meinem Geschmack, kann ich dem heute nichts abgewinnen. Meine Stimmung wird immer schlechter aber ich bleibe diszipliniert. Zur Not muss ich umdrehen. Und dann? 100km Strasse? Ich darf dem Gedanken nicht zu viel Raum geben. Laut Karte müsste wenigstens noch ein Bach bald kommen. Den will ich abwarten und dann weiterschauen.

    Bei jedem ausgetrockneten Rinnsal habe ich Angst, dass das „mein“ Bach ist. Dann kommt aber endlich die Stelle. Ich sehe Wasser und höre es sogar gluckern. Ich sehe aber auch viele Becken, in denen das Wasser steht. Aber es ist klares Wasser. Hilft nix. Ich habe zwar noch Wasser aber probiere mal eine Flasche. Es schmeckt erdig und ist relativ kühl, woraus ich schließe, dass es nicht zulange in der Sonne stand.

    Ich bin fix und alle. Hier irgendwo muss ich bleiben. So habe ich Wasser für heute und kann morgen früh die Trinkflaschen füllen. Wer weiß, wann die nächste Gelegenheit kommt. So schön das sonnige Wetter für den Start auch war, wünsche ich mir ein paar Regentage herbei. Für mich und die Natur. Ich hab etwas Sorge, dass auf diesen langen Schönwetterabschnitt das lange Gegenteil folgen wird. Gefühlt sind die Wetterphasen zuletzt immer extrem lang.

    Ohne Rucksack suche ich die Umgebung nach einem Zeltplatz ab und finde bald was geeignetes nur 25m vom kleinen Bach entfernt. Der Kopf pocht und ich will mich nur hinlegen. Träge und lustlos baue ich das Zelt auf. Jedes Bücken nach Equipment pocht noch stärker im Kopf. Ich frage mich, wozu ich das ganze hier mache. Jetzt läg ich gerne zu Hause auf der Couch. Ich hab ein richtiges mentales Tief und könnte heulen.

    Zum Glück kenne ich den Zustand von meiner Lysefjordrunde im letzten Jahr und wenigstens der analytische Teil von mir weiß, dass das gerade nur eine Momentaufnahme ist. Auch da war es Tag 6 oder 7. Als das Zelt steht und alles Equipment verstaut ist, mache ich beide Zelttüren auf, um die Luft zirkulieren zu lassen. Die Sonne knallt immer noch aber mit dem Wind und den beiden offenen Türen geht’s. Auf diesen Moment habe ich gewartet. Einfach nur liegen und ich liebe meine aufblasbare Thermarest, dass ich es jetzt ein wenig bequem habe ich döse immer wieder ein und werde nur mal von einer Fliege geweckt. Döse dann aber sofort wieder ein. Als ich mich irgendwann aufrichte, merke ich wie sehr mein Kreislauf im Keller ist. Ich gönne mir einen doppelten Kaffee, den ich draußen vorm Zelt trinke. Die Sonne wird langsam schwächer.

    Eigentlich dachte ich, ich schreibe heute nichts mehr, weil ich einfach zu platt bin. Beim Kaffee hab ich dann einfach mal eingefangen und es tut gut, den Tag nochmal Revue passieren zu lassen und auch die Situation mit meinem Tief ein wenig zu analysieren.

    Jetzt geht’s zum Bach für ein kühles Bad und dann gibt es Abendessen. Ich bin gespannt, wie es morgen weitergeht.

    Nachtrag: Das kalte Bad war hervorragend. Seit Kaffee und Bad sind auch die Kopfschmerzen weg und ich kann die Abendsonne gerade richtig genießen!
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