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  • Day 16

    Gewitterslalom

    June 15, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 16 °C

    Heute Morgen bin ich nicht so richtig motiviert. Ich versuche, mich noch einmal umzudrehen, aber es nützt nichts. Zum Frühstück gibt es heute Porridge, praktisch in einem kleinen Aufgussbeutel, den ich im Supermarkt gefunden habe. Ich gieße heißes Wasser darauf, rühre um, und es entsteht eine ultraschleimige Pampe. Ich zwinge mir sechs oder sieben Löffel davon rein und gebe dann auf. Ekelhaft!

    Ich habe eh nicht so großen Hunger und trinke stattdessen einen zweiten Kaffee. Ich spüre, dass an meinem linken Fuß immer noch nicht alles so ist, wie es sein soll. Allerdings hat sich das Problem verkleinert, und nur der Ballen des mittleren Zehs schmerzt ein wenig. Im Schuh fühlt es sich so an, als hätte ich irgendein Gegenstand unterm Fuß, auf den ich mit jedem Schritt trete.

    Ich packe mein Zeug zusammen und mache mich um kurz nach neun auf den Weg. Es ist mittlerweile ein Stück Alltag. Ich gehe den Pfad weiter, und entschließe mich mich, eine Abbiegung früher auf die Straße zu nehmen. Das spart mir in Summe einen Kilometer. Und Straße ist heute eh nicht so viel, da es später hoch ins Gelände geht.

    Ein Grund, warum ich nicht ganz so motiviert bin ist, dass die vielen positiven Signale für eine mögliche Durchquerung der Hardangervidda gestern Abend noch Gegenargumente bekommen haben. Tobi schickt mir die Garmin-Map der beiden Mädels, die mit dem Hund unterwegs sind. Sie haben gestern die Hochebene angegangen und sind heute wieder umgedreht und nun auf dem Weg zurück nach Rjukan. Ich versuche später über ihren Blog herauszufinden, warum sie umgedreht sind. Tobi hat sich aber vorgenommen, es heute zu versuchen.

    Das Problem an der ganzen Sache ist, dass jede Alternative zu den vor mir liegenden 2-3 Wochen mit sehr viel Straße gehen verbunden wäre. Entweder also, es klappt der Weg durch die wunderschönen Nationalparks Norwegens oder aber ich gehe einige hundert Kilometer, wo es laut Kartenmaterial nicht viele Wanderwege gibt. Und selbst wenn die Hardangervidda passierbar wird, ist der Weg danach äußerst fraglich. Denn dann geht es auf weit höhere Berge, wo voraussichtlich noch deutlich mehr Schnee liegen wird.

    Ich gehe die breite, aber wenig befahrene Straße weiter. Vorbei an unzähligen Hüttendörfern, die allesamt ausgestorben wirken. Ich vermute, dass hier im Winter deutlich mehr los ist. Die vielen dunklen Hütten haben wunderschöne Grasdächer. So etwas sollte es auch bei uns geben. Im Sommer halten sie kühl, im Winter isolieren sie.

    Tobi schreibt mir. Er hat auf dem Weg nach oben die Mädels mit dem Hund getroffen, die umgedreht sind. Sie sind aber umgedreht, weil eine von beiden Kreislaufprobleme hat und nicht, weil das Gelände nicht passierbar gewesen wäre. Darüber hinaus bekomme ich noch eine Info zu einem Weg, der aktuell nicht möglich ist dafür aber direkt eine Alternative dazu.

    Mittlerweile geht es meinem Fuß auch deutlich besser. Am Anfang habe ich bei jedem Schritt drauf geachtet. Zuletzt war ich aber viel abgelenkt und stelle dann fest, dass es jetzt deutlich besser ist. Fast normal.

    Bevor es von der Straße ins Gelände geht, mache ich noch eine Pause. Immerhin 9 km bin ich nun am Stück gelaufen. Der Pfad, den ich hochgehen möchte, ist mit einem riesigen Schild versperrt. „ Achtung Baustelle. Durchgang verboten“, sagt meine Übersetzungsapp. Ich gehe ein paar Meter weiter, wo die Straße nach oben führt. Auch hier ist ein solches Schild. Ich entschließe mich, den Pfad zu gehen. Etwas Platz ist da, um an dem Schild vorbei zu kommen. Der Pfad verliert sich schnell und ich klettere eine Böschung hoch. Ich finde mich auf einer Art Hof wieder. Aber es sieht richtig ungepflegt aus. Hoffentlich gibt es hier keinen Hund, denke ich. Ich bin kein Soziologe, aber ich will nicht wissen, wie jemand seinen Hund im Griff hat, dessen Hof so aussieht und noch dazu an allen Zufahrten Warnschilder angebracht sind. Schnell suche ich wieder einen Einstieg zu dem Pfad. So ganz eindeutig ist es nicht. Hier und da klettere ich über einen Zaun. Nach ein paar Zäunen weiß ich gar nicht mehr, ob ich in oder außerhalb des Zaunes bin. Immerhin bewege ich mich von dem Hof weg und von einem Hund war auch keine Spur. Mit Komoot und GPS navigiere ich querfeldein und komme tatsächlich an dem lang gesuchten Pfad heraus.

    Es dauert nicht lange bis ich oben bin und nun ist meine Stimmung von heute Morgen verflogen. Ich bin wieder mitten in einem Fjell. Nur niedrige Sträucher, Heidelbeerbüsche, Moose und Fels. Und dazu eine Rundumsicht, wie sie ihresgleichen sucht. Das kommt auf den Fotos gar nicht so rüber, wie es sich hier vor Ort anfühlt. Die Gegend ist eher karg. Dennoch löst diese unbegreifliche Weite tiefe Freiheitsgefühle aus. Hier macht das Wandern richtig Spaß. Ich vergesse fast, dass ich einen Rucksack auf dem Rücken habe. Ich folge dem Pfad für mehrere Kilometer, bleibe aber immer wieder stehen, um mich umzuschauen und denke: Boah, is datt schön hier!! Nich, wie aufm Gasometer in Oberhausen. Da is datt auch schön. Aber da musset schön finden wollen! (Frank Goosen)

    Irgendwann geht es weiter runter in ein Tal. Hier verliert sich der Pfad immer häufiger und die Gegend wird sumpfiger. Unten komme ich an einen Fluss, wo ich zum ersten Mal furten muss. Also raus aus den Schuhen und den Socken, rein in meine Wasserschuhe, die ich bislang hauptsächlich als Lagerschuhe am Zelt verwendet habe. Das kalte Wasser tut gut.

    Als ich am anderen Ufer meine Füße trockne und meine Schuhe wieder anziehe, merke ich, dass es vor mir ganz schön dunkel geworden ist. Obwohl eigentlich kein Regen vorhergesagt war, habe ich auf dem Weg hierher in der Ferne immer wieder Wolken abregnen sehen. Jetzt zum Nachmittag ist das Wettergeschehen deutlich labiler geworden. Ich schaue, ob die dunkle Wolke in meine Richtung zieht und dabei höre ich schon leichtes Donnern. Ich entschließe, mich schnell fertig zu machen und weiter zu gehen. Die Gewitterwolke scheint sich nur sehr langsam zu bewegen. Da ich hier in der Umgebung keine gute Möglichkeit sehe, mich unterzustellen, laufe ich das Tal weiter entlang. Auch aus einer anderen Richtung donnert es leise. Es scheinen sich überall zunehmend Gewitter zu bilden. Ich versuche schneller zu gehen, was eigentlich gar keinen Sinn macht. Denn in absehbarer Zeit ist keine Hütte oder ein Unterstand auf meiner Route. Den Pfad verliere ich nun immer häufiger. Entweder laufe ich durch kniehohes Gestrüpp oder es geht durch den Sumpf. Es fängt leicht an zu regnen und sofort nehme ich den Rucksack ab, verstaue das Solarpanel im Rucksack und ziehe Regenjacke und Regenhose an.

    Ich gehe weiter und der Regen hört schon bald wieder auf. Wie es aussieht, befinde ich mich ziemlich genau zwischen zwei kleineren Gewittern und habe hier sogar etwas blauen Himmel. Weil es schnell warm wird in dem Regenzeug, ziehe ich es wieder aus. Von nun an schaue ich immer wieder aufs GPS. Ich finde immer wieder einen Pfad, verliere ihn dann aber wieder schnell. Das Vorankommen, abwechselnd durch Sumpf und Gestrüpp, ist sehr mühsam. So geht es mehrere Kilometer weiter bis ich an ein paar Hütten komme. Von hier führt mein weiterer Weg über einen deutlich erkennbaren Pfad weiter.

    Immer wieder fängt es an zu regnen. Mal gehe ich einfach weiter, mal wechsel ich in die komplette Regenmontur. Heute möchte ich etwas mehr als meine 25 km laufen. Denn dann habe ich morgen nicht mehr so viel bis nach Rjukan. Wenn ich hier gegen Mittag ankomme, habe ich einen halben Tag frei. Ich kann mich ausruhen und einkaufen für die nächsten Tage.

    Die letzten Kilometer werden noch einmal besonders nass. Die Wege sind zu Bächen geworden und immer wieder gibt es sumpfige Abschnitte. Dafür bleibe ich von oben wenigstens verschont. Es geht vorbei an einigen Seen. Nach etwas mehr als 28 km fülle ich noch einmal meine Wasserreserven auf. Diesmal auch meinen Lagerbedarf. Wenige 100 m später finde ich eine geeignete Stelle für mein Zelt. Ich bin zwar ganz schön im Eimer, aber nicht mehr so sehr, wie es bei den letzten anstrengenden Etappen war. Dennoch lege ich mich zuerst einmal ins Zelt.

    Plötzlich wird es hell im Zelt. Die Sonne gibt noch einmal Vollgas. Ich schaue raus und sehe in der Ferne schon die nächste dunkle Wand. Das Sonnenfenster nutze ich, um schnell die 20 m zu dem ganz kleinen See zu gehen und mich von oben bis unten zu waschen. Trotz Sonne ist es bei leichtem Wind ziemlich kalt. Sich nach einem anstrengenden Tag noch einmal zu überwinden, sich mit kaltem Wasser zu waschen, während der Wind bläst, kostet jedes Mal richtig Überwindung. Wenn ich es dann aber geschafft habe und mich im Schlafsack aufwärme, bin ich richtig zufrieden.

    Und während ich diese Zeilen schreibe (diktiere ;-)), fängt es an zu regnen. Nach nun 16 Tagen der erste Regen, während ich im Zelt liege. Es ist unfassbar gemütlich! :-)
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