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  • Day 20

    Regen, Furten, nasse Füße

    June 19, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 13 °C

    In der Nacht hat es immer wieder leicht geregnet. Durch den bedeckten Himmel war es deutlich dunkler im Zelt als sonst. Als ich morgens erst mal auf die Uhr schaue, ist es schon 7:30 Uhr. Neuer Rekord im Langschlafen. Nach dem Frühstück mache ich mich fertig. Als ich aus dem Zelt schaue, bin ich mitten im Nebel. Immerhin regnet es jetzt nicht. Erst als ich beginne, das Zelt abzubauen, setzt ein unangenehmer Sprühregen ein. So ziehe ich mir gleich von Beginn an Regenhose und Regenjacke an. Zum ersten Mal muss ich das Zelt nass einpacken. Fühlt sich falsch, geht aber nicht anders.

    Um kurz nach neun ist alles verpackt und es geht in voller Regenmontur los. Es ist schon eine besondere Stimmung, hier oben im Nebel ganz alleine zu sein. Mein zügiges Tempo wird schnell durch die ersten Sumpfabschnitte gedrosselt. So langsam brauchen meine Schuhe mal eine längere Sumpfpause. Heute Morgen bin ich schon mit halbnassen Socken in deutlich nasse Schuhe geschlüpft. Allein deswegen freue ich mich schon auf den Tag Auszeit in Geilo.

    Ich merke auf den ersten Metern schon, dass ich heute keinen Drive habe. Es regnet und das Schmatzen der Schuhe beim Einsinken im Sumpf trägt nicht zur guten Laune bei. Aber der Sumpf gehört in Norwegen einfach dazu. Man kann nicht auf der einen Seite erwarten, dass man alle paar Meter einen Bach zum trinken findet und auf der anderen Seite dann den Sumpf verteufeln. Die Sümpfe hier sind riesengroße, natürliche Wasserspeicher, die gerade jetzt nach der Schneeschmelze besonders gut gefüllt sind. Aber ein bisschen fluchen darf man ja trotzdem.

    Nach drei Kilometern komme ich an einen breiteren Fluss. Vergebens suche ich nach einer Möglichkeit, den Fluss zu queren, ohne meine Wasserschuhe anziehen zu müssen. Ich mache mehrere Anläufe, balanciere von Stein zu Stein und komme jedes Mal an einen Punkt, wo ein Weiterkommen nicht möglich ist. Es hilft alles nichts. Ich muss furten (mein iPhone hat beim Einsprechen hier was anderes interpretiert: „Es hilft alles nichts. Ich muss furzen). Ich habe aber keine Lust, Regenhose und Hose auszuziehen. Also krempel ich die Hosenbeine hoch bis zu den Knien. Das ist bei meinen Beinen ja schon relativ hoch. Dann geht es raus aus den gerade mal etwas warm gewordenen nassen Wanderschuhen rein in die Wasserschuhe.

    Bei meinem ersten Versuch komme ich schnell an eine Stelle, wo das Wasser so tief ist, dass ich beide Hosen hätte ausziehen müssen. Ich wähle eine andere Stelle, wo das Wasser zwar wilder unterwegs, dafür aber nicht so tief ist. Mit dem schweren Rucksack ist es ein ganz schöner Balanceakt. Auch wenn das Furten an dieser Stelle sicher nicht lebensgefährlich ist, ist höchste Konzentration gefragt. Wenn man einmal in mitten dieser kleine Stromschnelle steht, will man keinen Fehler machen. Ohne meine Trekkingstöcke wäre ich hier aufgeworfen. Alles klappt super, am Ende war es aber deutlich spannender als ich es vorher gedacht hätte. Da mein Handtuch praktischerweise tief unten im Rucksack ist, wische ich mir die Füße mit den Händen ab und schlüpfe in die nassen Socken. Jetzt heißt es, die nassen Socken und Wanderschuhe von neuem aufzuwärmen. Nach 2 Stunden mache ich meine erste Pause. Sieben Kilometer habe ich gerade mal geschafft. Die Querung des Flusses hat einiges an Zeit gekostet. Natürlich bin ich hier nicht in Eile. Ich habe keine Termine, keine Verpflichtungen. Aber wenn man sich 2 Stunden richtig anstrengt und dann merkt, dass man deutlich weniger geschafft hat als sonst in der Zeit, kann das etwas frustrierend sein.

    Bei meiner Pause habe ich zum ersten Mal wieder etwas Handyempfang und ich freue mich über ein paar WhatsApp-Nachrichten aus der Heimat. Aber ich kühle schnell aus und mach mich wieder auf den Weg. Immerhin hat es aufgehört zu regnen und die Wolkenbasis hat sich sichtbar angehoben. Zwischenzeitlich wird die Wolkendecke sogar so dünn, dass es um mich herum deutlich heller wird. Ich hatte mich innerlich auf einen kompletten Regentag eingestellt. Daher kann ich mich alleine darüber jetzt freuen. Nach 10 km kommt sogar die Sonne immer wieder mal durch und in meiner Regenhose wird es mir nun zu warm. Bei einer Pause ziehe ich sie aus und nutze die Gelegenheit, die Schuhe auszuziehen, um die Socken auszuwringen. Im rechten Schuh ist gar nicht so viel Wasser. So sehr ich die Socke auch würge, es kommt kein Tropfen. Anders ist es beim linken Schuh. Wie ein Schwamm presse ich den Socken aus. Ich bin unsicher, ob der Schuh mittlerweile ein wenig undicht ist? Grundsätzlich stelle ich fest, dass die Schuhe schon mehr gelitten haben und mehr Gebrauchspuren haben, als ich es für die bisher gelaufene Strecke vermutet hätte. Ein zweites Paar Schuhe ist in einem Versorgungspaket, das mich allerdings erst bei Kilometer 1400 erreicht. Ob die Schuhe noch so lange halten? Hier muss ich mir gegebenenfalls etwas einfallen lassen.

    Nach fast 15 Kilometern erreichte ich gegen 14:00 Uhr die Solheimstulen Turisthytte. Ein paar Meter weiter mache ich eine Pause und gönne mir ein paar Hände voll vom Nussmix. Wenn ich die 15 Kilometer gegen Mittag geschafft habe, bin ich immer sehr zufrieden. Dann sind es noch zwei 5 km Etappen. Und wenn ich Lust habe noch etwas Zugabe. Aber gerade die Nachmittagsetappen ziehen sich häufig. Wenn man am Vormittag noch denkt, man könne heute ja mal fünf oder 10 km weiter laufen, meldet mir der Körper nach 20 bis 25 km eindeutig, dass es langsam genug ist.

    Von der Hütte, die in einem kleinen Teil lag, geht es nun wieder über einen Pfad bergauf und bald bin ich wieder in der Hochebene, wo jeder Maßstab fehlt, um Entfernungen abschätzen zu können. An einem kleinen Bach mache ich eine Trinkpause. Danach führt der Weg zu einem großen See, den ich teilweise umrunde. Wie hier und an vielen Seen, an denen ich bisher vorbeigekommen bin, gibt es kleine, wunderschöne Hütten am Ufer. Oft mit dazugehörigem kleinen Bootshaus. Vorbei an den Hütten, die alle unbewohnt aussehen, geht es nun wieder bergauf. Oben angekommen, sehe ich in der Ferne eine deutlich höhere Gebirgskette, wo noch deutlich Schnee zu sehen ist. Das könnte schon Teil meiner nächsten Großetappe sein.

    Ich beschließe, noch etwas mehr als die 25 km zu machen. Ich bin zwar langsam platt, aber ein wenig geht noch. Die größte Herausforderung jetzt ist, einen geeigneten Platz für das Zelt zu finden. Allmählich geht es wieder bergab. Die ganze Gegend hier ist geprägt von riesengroßen Gesteinsbrocken, die überall rumliegen. Nach 29 km finde ich einen Platz direkt am Wegrand. 100 m weiter finde ich auch einen Bach, um meine Wasserreserven zu füllen. Der Wind hat mittlerweile wieder deutlich angezogen. Nach einem kurzen Aufenthalt im Zelt spiele ich das gleiche Spiel wie gestern. Denn so lange ich mich nicht gewaschen habe, wobei man das Waschen im kalten Wasser hier nicht mit der Gründlichkeit einer heißen Dusche zu Hause vergleichen kann, habe ich noch nicht Feierabend. 10 Minuten später habe ich es geschafft. Ich liege zumindest etwas sauberer als vorher im Schlafsack und mache mir noch einen Cappuccino und veganes Thai Curry. Beides erfordert die gleiche Zutat, welche ich mit viel Sorgfalt und Liebe zubereite: heißes Wasser.

    Den Plan, einen Tag schneller in Geilo zu sein, habe ich tagsüber schon verworfen. Daher hätte ich heute noch wenigsten vier Kilometer weiter wandern müssen. Jetzt sind es noch 36 Kilometer. Das könnte man an einem Stück schaffen, aber ich bin sicher, dass ich die letzten Kilometer mit schmerzenden Füßen bewältigen müsste. So stehen morgen meine 25 km an und dafür habe ich übermorgen nur noch eine halbe Tagesetappe bis Geilo.
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