Norwegen
Buskerud fylke

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Reisende an diesem Ort
    • Tag 6

      Der Weg von Oslo nach Bergen

      1. Dezember 2022 in Norwegen ⋅ ⛅ -6 °C

      Guten Morgen Oslo
      Heute ging es früh weiter den der Weg nach Bergen ist lang.
      Es war atemberaubend über die Berge zufahren.

      Riesige weiten wo nur Bäume und Gras wachsens und dazwischen ein paar kleine Fischerhäuschen oder kleine Bauerbetriebe.

      Morgen steht die besichtigung von Bergen auf der Tagesordnung. Wir sind gespannt was auf uns zukommt.
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    • Tag 19

      Braveheart

      18. Juni 2023 in Norwegen ⋅ ☁️ 11 °C

      Am Morgen lasse ich mir noch Zeit und schreibe meinen Tagebucheintrag von gestern fertig. Gestern war ich einfach zu müde. Während des Frühstücks nutze ich noch die Sonne, um meine kleine Powerbank zu laden. Jetzt zieht zunehmend eine hohe dichte Wolkenschicht vor die Sonne. Um kurz nach Zehn mache ich mich auf den Weg. Zunächst geht es 6 km weiter über den Schotterweg. Später sehe ich, dass dieser als Radweg ausgeschildert ist. Ich folge dem Weg zur Kalhovd Turisthytte, eine bewirtschaftete Hütte des norwegischen Wanderverbandes DNT. Menschen sehe ich hier aber keine. Hinter der Hütte führt mein Pfad den Berg hinauf, keine 200 Höhenmeter. Während ich gestern 1100 Höhenmeter auf dem Programm hatte, sind es heute deutlich weniger. Ohne die Sonne und dazu mit frischem Wind ist es zum Wandern eigentlich ideal. Erst nach 10 km mache ich meine erste Pause, ziehe dafür aber gleich Pulli und Jacke an.

      Ich komme gut voran heute. Die Landschaft ist immer noch beeindruckend. Besonders, weil man das Gefühl hat, im Umkreis von vielen, vielen Kilometern der einzige Mensch hier zu sein. Die karge Landschaft wirkt ohne Sonne allerdings etwas trostlos und lebensunfreundlich. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich heute etwas getrieben bin. Meine zweite Pause mache ich erst nach 18 Kilometern. Aber es läuft sich auch einfach gut. Diese Pfade hier sind wirklich absolut mein Gelände.

      Ich überlege, ob ich heute 31 oder 32 km laufe. Wenn ich das gut schaffe, ohne mich kaputt zu machen, und das gleiche in den folgenden beiden Tagen mache, wäre ich einen Tag schneller als geplant in Geilo. Klar ist es nicht mein Ziel, so schnell wie möglich aus der Hardangervidda wieder heraus zu kommen. Aber wenn es sich gut läuft und es sich für mich gut anfühlt, warum nicht?

      Die nächste Etappe ist schon wieder etwas zäher. Es geht ein wenig bergab auf Höhe eines Stausees. Hier sind einige Sumpfgebiete zu queren. Rund einen Kilometer vor Mårbu, einer weiteren DNT-Hütte, mache ich noch eine Pause. Der linke Fuß tut mir wieder weh. Diese Metatarsalgie hab ich nicht so richtig los bekommen. Gestern Abend im Zelt schon und heute Morgen habe ich den Fuß wieder gemerkt. Manchmal läuft es sich raus, kommt dann aber zum Ende des Tages wieder. Ich versuche es mit unterschiedlichem Auftreten bewusst rauszulaufen. Bei der DNT-Hütte habe ich genau 25 km. Ich will aber auf jeden Fall weiter.

      Hinter der Hütte geht es allmählich bergauf. Auf den rund 150 Höhenmetern nimmt der Wind ständig zu. Es wird ungemütlicher je höher ich komme. Ganz oben habe ich 28 km geschafft. Mein linker Fuß möchte nun wirklich nicht mehr. Aber ich muss auf jeden Fall noch irgendwo meine Wasserreserven auffüllen. Es geht wieder bergab zu einem größeren See. Laut Karte fließen hier mindestens zwei Bäche hinein. Der Wind legt noch einmal zu und nun mischen sich auch erste Regentropfen in den Wind. Obwohl ich nur noch wenige hundert Meter vom See entfernt bin, mache ich noch eine kurze Pause und ziehe mir meine Jacke an. Eine Erkältung kann ich hier gar nicht gebrauchen.

      Am See angekommen, sehe ich, dass er einen kleinen Sandstrand hat. Das passt irgendwie so gar nicht hierher. Bei schönem Wetter würde ich hier eine Badepause einlegen. Ich folge dem schmalen Pfad direkt am See entlang und komme zu dem Bach, wo ich meine Wasserreserven voll mache. Nach ein paar Metern geht der Weg rechts ab vom See wieder leicht bergauf. Ich habe jetzt ziemlich genau 30 km auf der Uhr. Das reicht für heute. Und obwohl ich so viel gelaufen bin, ist es erst 18:15 Uhr.

      Ich finde eine größere sumpffreie Fläche und entscheide, hier mein Zelt aufzubauen. Während ich den Rucksack auspacke, wird auch der Regen mehr. Schnell baue ich das Zelt auf und verstaue alles darin. Heute bin ich richtig froh, dass ich dieses teure und schwere Zelt dabei habe. Starker Wind und Regen. Da möchte man doch eine Behausung haben, auf die man sich verlassen kann. Während der Wind am Zelt rüttelt, mache ich es mir drinnen gemütlich und koche mir erst mal einen Cappuccino. Mir ist noch recht kalt und bevor ich überhaupt daran denke, mich zu waschen, möchte ich mich erst mal aufwärmen. Mir wird schnell warm, aber die Lust rauszugehen, die 100 m zum See runter, um mich bei Regen und Wind zu waschen, hält sich in Grenzen.

      Irgendwann wird der Wind deutlich weniger, und auch der Regen lässt nach. „Verdammt“, denke ich. Jetzt oder nie. Boah, hab ich kein Bock! Aber es nützt nichts. Noch im Zelt ziehe ich mich komplett aus und ziehe meine Wasserschuhe an. Die 100 m kommen mir ganz schön lang vor. Ich pushe mich mental und renne wildentschlossen auf den See zu. Mit blau weißer Schminke im Gesicht und einem Schwert in der Hand könnte es eine Szene aus Braveheart sein. Nur, dass die Jungs, die dort in die Schlacht ziehen, mehr anhaben als ich. Und ihr Feind nicht ein kalter See ist. Und ich kein Schwert in der Hand habe, sondern einen Waschlappen. Aber in punkto Entschlossenheit ist es so ziemlich das gleiche.

      Ich renne also nackt mit Handtuch und Waschlappen in der Hand wild entschlossen zum See, entscheide mich dann, zur Bachmündung zu laufen, warum auch immer, und erinnere mich dort, dass der Bach von Schmelzwasser genährt ist. Also renne ich zurück zu dem kleinen Strand gleich durch ins Wasser. Scheint auch Schmelzwasser zu sein. Zuletzt dann doch eher unentschlossen.

      Weil das sandige Ufer nur flach abfällt, renne ich nach 5 Metern nicht weiter rein, sondern setze mich an Ort und Stelle unter lautem Schnauben in den See. Scheiße, ist es kalt. Ich schrubbe mich so schnell wie möglich mit dem Waschlappen ab. Den Oberkörper bringe ich nicht ganz ins Wasser. Auch das ist Waschlappenangelegenheit. Noch eine Spur entschlossener als zum See hin renne ich zurück zum Zelt und versuche mich unterm Laufen abzutrocknen. Im Zelt ist es gleich angenehmer, weil der Wind weg ist. Ich ziehe mich an, lege mich in den Schlafsack und bin unfassbar zufrieden. So hat vieles Unangenehme hier immer die andere Seite, dass ich total happy bin, wenn ich es hinter mich gebracht habe.

      Zum Abendessen gibt es Pulled Pork. So langsam entdecke ich immer mehr Gerichte, die man durchaus gut essen kann.
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    • Tag 20

      Regen, Furten, nasse Füße

      19. Juni 2023 in Norwegen ⋅ ☁️ 13 °C

      In der Nacht hat es immer wieder leicht geregnet. Durch den bedeckten Himmel war es deutlich dunkler im Zelt als sonst. Als ich morgens erst mal auf die Uhr schaue, ist es schon 7:30 Uhr. Neuer Rekord im Langschlafen. Nach dem Frühstück mache ich mich fertig. Als ich aus dem Zelt schaue, bin ich mitten im Nebel. Immerhin regnet es jetzt nicht. Erst als ich beginne, das Zelt abzubauen, setzt ein unangenehmer Sprühregen ein. So ziehe ich mir gleich von Beginn an Regenhose und Regenjacke an. Zum ersten Mal muss ich das Zelt nass einpacken. Fühlt sich falsch, geht aber nicht anders.

      Um kurz nach neun ist alles verpackt und es geht in voller Regenmontur los. Es ist schon eine besondere Stimmung, hier oben im Nebel ganz alleine zu sein. Mein zügiges Tempo wird schnell durch die ersten Sumpfabschnitte gedrosselt. So langsam brauchen meine Schuhe mal eine längere Sumpfpause. Heute Morgen bin ich schon mit halbnassen Socken in deutlich nasse Schuhe geschlüpft. Allein deswegen freue ich mich schon auf den Tag Auszeit in Geilo.

      Ich merke auf den ersten Metern schon, dass ich heute keinen Drive habe. Es regnet und das Schmatzen der Schuhe beim Einsinken im Sumpf trägt nicht zur guten Laune bei. Aber der Sumpf gehört in Norwegen einfach dazu. Man kann nicht auf der einen Seite erwarten, dass man alle paar Meter einen Bach zum trinken findet und auf der anderen Seite dann den Sumpf verteufeln. Die Sümpfe hier sind riesengroße, natürliche Wasserspeicher, die gerade jetzt nach der Schneeschmelze besonders gut gefüllt sind. Aber ein bisschen fluchen darf man ja trotzdem.

      Nach drei Kilometern komme ich an einen breiteren Fluss. Vergebens suche ich nach einer Möglichkeit, den Fluss zu queren, ohne meine Wasserschuhe anziehen zu müssen. Ich mache mehrere Anläufe, balanciere von Stein zu Stein und komme jedes Mal an einen Punkt, wo ein Weiterkommen nicht möglich ist. Es hilft alles nichts. Ich muss furten (mein iPhone hat beim Einsprechen hier was anderes interpretiert: „Es hilft alles nichts. Ich muss furzen). Ich habe aber keine Lust, Regenhose und Hose auszuziehen. Also krempel ich die Hosenbeine hoch bis zu den Knien. Das ist bei meinen Beinen ja schon relativ hoch. Dann geht es raus aus den gerade mal etwas warm gewordenen nassen Wanderschuhen rein in die Wasserschuhe.

      Bei meinem ersten Versuch komme ich schnell an eine Stelle, wo das Wasser so tief ist, dass ich beide Hosen hätte ausziehen müssen. Ich wähle eine andere Stelle, wo das Wasser zwar wilder unterwegs, dafür aber nicht so tief ist. Mit dem schweren Rucksack ist es ein ganz schöner Balanceakt. Auch wenn das Furten an dieser Stelle sicher nicht lebensgefährlich ist, ist höchste Konzentration gefragt. Wenn man einmal in mitten dieser kleine Stromschnelle steht, will man keinen Fehler machen. Ohne meine Trekkingstöcke wäre ich hier aufgeworfen. Alles klappt super, am Ende war es aber deutlich spannender als ich es vorher gedacht hätte. Da mein Handtuch praktischerweise tief unten im Rucksack ist, wische ich mir die Füße mit den Händen ab und schlüpfe in die nassen Socken. Jetzt heißt es, die nassen Socken und Wanderschuhe von neuem aufzuwärmen. Nach 2 Stunden mache ich meine erste Pause. Sieben Kilometer habe ich gerade mal geschafft. Die Querung des Flusses hat einiges an Zeit gekostet. Natürlich bin ich hier nicht in Eile. Ich habe keine Termine, keine Verpflichtungen. Aber wenn man sich 2 Stunden richtig anstrengt und dann merkt, dass man deutlich weniger geschafft hat als sonst in der Zeit, kann das etwas frustrierend sein.

      Bei meiner Pause habe ich zum ersten Mal wieder etwas Handyempfang und ich freue mich über ein paar WhatsApp-Nachrichten aus der Heimat. Aber ich kühle schnell aus und mach mich wieder auf den Weg. Immerhin hat es aufgehört zu regnen und die Wolkenbasis hat sich sichtbar angehoben. Zwischenzeitlich wird die Wolkendecke sogar so dünn, dass es um mich herum deutlich heller wird. Ich hatte mich innerlich auf einen kompletten Regentag eingestellt. Daher kann ich mich alleine darüber jetzt freuen. Nach 10 km kommt sogar die Sonne immer wieder mal durch und in meiner Regenhose wird es mir nun zu warm. Bei einer Pause ziehe ich sie aus und nutze die Gelegenheit, die Schuhe auszuziehen, um die Socken auszuwringen. Im rechten Schuh ist gar nicht so viel Wasser. So sehr ich die Socke auch würge, es kommt kein Tropfen. Anders ist es beim linken Schuh. Wie ein Schwamm presse ich den Socken aus. Ich bin unsicher, ob der Schuh mittlerweile ein wenig undicht ist? Grundsätzlich stelle ich fest, dass die Schuhe schon mehr gelitten haben und mehr Gebrauchspuren haben, als ich es für die bisher gelaufene Strecke vermutet hätte. Ein zweites Paar Schuhe ist in einem Versorgungspaket, das mich allerdings erst bei Kilometer 1400 erreicht. Ob die Schuhe noch so lange halten? Hier muss ich mir gegebenenfalls etwas einfallen lassen.

      Nach fast 15 Kilometern erreichte ich gegen 14:00 Uhr die Solheimstulen Turisthytte. Ein paar Meter weiter mache ich eine Pause und gönne mir ein paar Hände voll vom Nussmix. Wenn ich die 15 Kilometer gegen Mittag geschafft habe, bin ich immer sehr zufrieden. Dann sind es noch zwei 5 km Etappen. Und wenn ich Lust habe noch etwas Zugabe. Aber gerade die Nachmittagsetappen ziehen sich häufig. Wenn man am Vormittag noch denkt, man könne heute ja mal fünf oder 10 km weiter laufen, meldet mir der Körper nach 20 bis 25 km eindeutig, dass es langsam genug ist.

      Von der Hütte, die in einem kleinen Teil lag, geht es nun wieder über einen Pfad bergauf und bald bin ich wieder in der Hochebene, wo jeder Maßstab fehlt, um Entfernungen abschätzen zu können. An einem kleinen Bach mache ich eine Trinkpause. Danach führt der Weg zu einem großen See, den ich teilweise umrunde. Wie hier und an vielen Seen, an denen ich bisher vorbeigekommen bin, gibt es kleine, wunderschöne Hütten am Ufer. Oft mit dazugehörigem kleinen Bootshaus. Vorbei an den Hütten, die alle unbewohnt aussehen, geht es nun wieder bergauf. Oben angekommen, sehe ich in der Ferne eine deutlich höhere Gebirgskette, wo noch deutlich Schnee zu sehen ist. Das könnte schon Teil meiner nächsten Großetappe sein.

      Ich beschließe, noch etwas mehr als die 25 km zu machen. Ich bin zwar langsam platt, aber ein wenig geht noch. Die größte Herausforderung jetzt ist, einen geeigneten Platz für das Zelt zu finden. Allmählich geht es wieder bergab. Die ganze Gegend hier ist geprägt von riesengroßen Gesteinsbrocken, die überall rumliegen. Nach 29 km finde ich einen Platz direkt am Wegrand. 100 m weiter finde ich auch einen Bach, um meine Wasserreserven zu füllen. Der Wind hat mittlerweile wieder deutlich angezogen. Nach einem kurzen Aufenthalt im Zelt spiele ich das gleiche Spiel wie gestern. Denn so lange ich mich nicht gewaschen habe, wobei man das Waschen im kalten Wasser hier nicht mit der Gründlichkeit einer heißen Dusche zu Hause vergleichen kann, habe ich noch nicht Feierabend. 10 Minuten später habe ich es geschafft. Ich liege zumindest etwas sauberer als vorher im Schlafsack und mache mir noch einen Cappuccino und veganes Thai Curry. Beides erfordert die gleiche Zutat, welche ich mit viel Sorgfalt und Liebe zubereite: heißes Wasser.

      Den Plan, einen Tag schneller in Geilo zu sein, habe ich tagsüber schon verworfen. Daher hätte ich heute noch wenigsten vier Kilometer weiter wandern müssen. Jetzt sind es noch 36 Kilometer. Das könnte man an einem Stück schaffen, aber ich bin sicher, dass ich die letzten Kilometer mit schmerzenden Füßen bewältigen müsste. So stehen morgen meine 25 km an und dafür habe ich übermorgen nur noch eine halbe Tagesetappe bis Geilo.
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    • Tag 21

      36 km nach Geilo

      20. Juni 2023 in Norwegen ⋅ ☁️ 16 °C

      Als ich wach werde, regnet es leicht. Eine kurze Regenpause nutze ich, um „auf‘s Klo“ zu gehen. Schon bald regnet es kräftiger weiter. Ich lasse mir Zeit und hoffe auf eine weitere Regenpause. Um 09.00 Uhr fange ich an, meine Sachen im Zelt vorzubereiten und zu packen. Dann kommt das Zelt heute mal zum Schluss in den Rucksack. Der Regen lässt noch einmal nach und ich mache meinen Rucksack draußen fertig. Wieder rolle ich das nasse Zelt zusammen und verstaue es im Rucksack. Noch bevor ich ganz fertig bin setzt der Regen wieder ein. Diesmal hatte ich mir Regenjacke und Regenhose schon im Zelt angezogen. Um Punkt 10.00 Uhr mache ich mich auf den Weg.

      Die ersten Kilometer laufen sich angenehm. Der Pfad ist trotz Regen meistens fest und führt allmählich bergab in ein Tal. Hier werde ich mehrere Flüsse überqueren müssen. Einen großen Fluss habe ich von meinem Lagerplatz schon gesehen. Furten wird hier wohl nicht möglich sein, dafür sah der Fluss zu groß aus. Während es weiter runter geht, wird auch die Vegetation wieder höher. Junge Birken und jede Menge Gestrüpp. Ich höre einen Fluss, der immer lauter wird. Irgendwann so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen würde. Und dann sehe ich einen beeindruckenden Wasserfall mit wild schäumendem Wasser. Wahnsinn, was das für eine Naturgewalt ist! Allein beim Anblick wird mir leicht mulmig. Hier reinfallen wäre vermutlich das sichere Ende. Über das ganze Geschehen führt eine schmale Hängebrücke. So ganz neu sieht sie nicht mehr aus. Ich gehe die ersten Meter und stelle fest, dass sie ganz schön schaukelt und ich gehe gleich etwas zügiger auf die andere Seite. Ich bin sicher, diese Brücke hält eine ganze Wandergruppe aus. Aber ich fühle mich trotzdem nicht so sicher mit dem tosenden Wasser unter mir. Ich mache noch einige Fotos und gehe weiter. Das war echt ein kleines Highlight gleich zu Tagesbeginn. So ein Wasserfall wäre in anderen Ländern eine Hauptattraktion, hier ist er einfach so am Wegesrand.

      Bei leichtem Regen geht es weiter. Ich quere noch zwei breite Flüsse über Brücken, jedoch nicht so spektakulär wie die Brücke am Wasserfall. An einer Kreuzung mit mehreren Schildern zu unterschiedlichen Hütten geht mein Pfad rechts ab. Er sieht unscheinbar und wenig begangen aus. Es geht direkt in den Sumpf. Gewürzt wird der Spaß durch unzählige Mücken, die hier deutlich talentierter auf mir landen und versuchen, zu stechen. Es dauert nicht lange und ich bin mir sicher, der linke Schuh ist undicht. Vor ein paar Tagen noch konnte ich den Schuh in einen Bach stellen ohne nasse Füße zu bekommen. Heute dauert es nicht lange und ich merke, wie es im Schuh schmatzt, wenn ich gehe. Das ist echt ärgerlich, denn halbwegs trockene Füße sollten auf so einer Tour gewährleistet sein. In Geilo werde ich schauen, ob ich mir neue Schuhe organisieren kann. Allerdings habe ich mit Schuhgröße 48,5 oft nicht die große Auswahl. Jetzt ist es aber wie es ist.

      Der Weg führt weiter stetig bergauf. Die jungen Birken sind oft so in den Weg gewachsen, dass ich mir vorkomme wie in einer Waschanlage. Jedesmal, wenn ich mich zwischen den kleinen Bäumen hindurch zwänge, gibt es eine Portion kaltes Wasser von beiden Seiten. Von unten kühlt der stetige Sumpf oder kleine Bäche, die mir vorzugsweise auf dem Pfad selbst entgegenfließen. Es geht nur langsam und sehr beschwerlich voran. Nach zwei Stunden Gehzeit wird die Vegetation wieder spärlicher und ich bin wieder oben im Fjell. Kurze Pause! 6,5 Kilometer habe ich in etwas mehr als zwei Stunden geschafft. Das ist wenig!

      So geht es, immer noch in voller Regenmontur, weiter. Zumindest zu Beginn ist der Pfad sehr angenehm zu laufen. Mein 15km-Ziel heute ist die Tuva-Turisthytte. Ich nehme mir vor, diese bis 15.00 Uhr zu erreichen. Das sollte machbar sein. Dann habe ich noch den Nachmittag, um auf meine 25km zu kommen.

      Mein Pfad führt vorbei an Hütten, einer kleinen Gruppe Schafen mit vielen Lämmern. Der Regen nimmt deutlich zu, während der Pfad deutlich steiler wird. Es ist ein wenig wie gestern. Mir fehlt einfach der Drive. An die Landschaft um mich herum habe ich mich ebenfalls sehr gewöhnt, dass ich hauptsächlich auf mich und mein Vorankommen konzentriert bin. Oben angekommen mache ich eine kurze Pause und setze mich auf einen Stein. Das Shirt unter meiner Hardshelljacke ist durchgeschwitzt. Alles ist irgendwie nass und ungemütlich. Es ist kein Tiefpunkt. Ich nehme die Situation einfach so hin. Aber von echter Motivation bin ich weit entfernt. Ich schaue auf mein Handy und überraschenderweise habe ich richtig guten Empfang als ich den Flugzeugmodus ausstelle. Mehrere Nachrichten ploppen im Display auf. Meine Schwiegermutter schreibt mir, dass sie mein Abenteuer hier mit Spannung verfolgen und so gerne meine Berichte lesen. Ich bin gleich gerührt. Ich schreibe tatsächlich in erster Linie für mich. Wenn ich dann aber so ein schönes Feedback bekomme, freut mich das total! Die nächste Nachricht ist von Sören, der ebenfalls gerne hier mitliest und besorgt ist über meinen Instant-Cappuccino-Konsum. Ob er mir nicht was Anständiges, einen guten Kaffee irgendwo hinschicken könnte. Der alte Gourmet! Aber später melde ich mich bei ihm und versichere ihm, dass diese kaffeeersatzähnlichen Heißgetränke hier draußen ein echter Seegen sind, wenngleich man die nicht mit echtem Kaffee vergleichen kann. Die dritte Nachricht kommt von Stanley. Er schreibt, die nächste große Pizza mit Bier gehe auf ihn. Ich solle morgen auf mein Konto schauen. Ich bin echt einfach nur gerührt. Da sitzt du mutterseelenallein irgendwo in der Pampa, alles ist irgendwie nass, die Motivation ist am Boden und dann erreichen dich genau da drei so wundervolle Nachrichten. So allein bin ich dann doch nicht!

      Ich ziehe den linken Schuh aus und wringe noch einmal den Socken aus. Dann geht es weiter. In ganz anderer Haltung und mit ganz anderem Tempo. Gleich in den nächsten Sumpf. Links oder rechts vorbei wäre hier eine halbe Stunde Umweg. Also mittendurch! Das Sockenauswringen hätte ich mir sparen können. Aber jetzt ist es mir einfach egal. Ich bin motiviert und pflüge einfach durch den Sumpf. Dann eröffnet sich vor mir ein großes, weites Tal mit einem großen See. Am Ende dieses Tals liegt irgendwo die Tuva Turisthytte. Ich folge dem Pfad bergab bis ich unten in der Ebene angekommen bin. Auch hier ist jede Menge Sumpf. Nach kurzer Zeit komme ich wieder an einen Fluss. Schnell wird klar, ich muss Furten. Ich habe keine Lust darauf aber es führt kein Weg daran vorbei. Also raus aus den mittlerweile vom Wasser richtig schweren Wanderschuhen, rein in die Wasserschuhe. Das Wasser hier ist ruhig und richtig tief ist es auch nicht. Auf der anderen Seite dann wieder Schuhtausch. Der immer wieder sehr sumpfige Pfad führt durch dichtes, kniehohes Gestrüpp. Ich scheuche tausende Mücken auf, in in großem Schwarm um meinen Kopf fliegen. Ich renne ein paar Meter und versuche, sie abzuschütteln. Ein klein wenig hat es was gebracht. Ich will nur noch raus aus dieser Sumpf- und Mückenhölle. Gegen 14.40 Uhr erreiche ich endlich die Turisthytte am Ende der Ebene. 15 Kilometer sind geschafft. Bis hierhin ein ganz schöner Kampf! Ab hier sind es nach Geilo noch 21 Kilometer. Wenn ich, wie geplant meine 25 Kilometer „vollmache“, sind es morgen nur noch 11 Kilometer.

      Bei leichtem Regen geht es weiter. Wieder etwas motivierter, weil ich die scheiss Mückenschwärme hinter mir gelassen habe. Der Weg bis Kilometer 20 zieht sich. Wie immer vergehen die Kilometer am Nachmittag noch langsamer. Aber mit Kilometer 20 erreiche ich eine neue Marke. 500 Gesamtkilometer habe ich bis hierhin zurück gelegt.

      Die Kilometer bis zur 25 ziehen sich noch mehr. Allerdings finde ich hier kaum Bäche, die ich für gut befinde. Plan B wäre einfach, Wasser aus den zahlreichen kleinen Seen abzukochen. Gas habe ich genug. Einen potenziellen Übernachtungsplatz schaue ich mir genauer an. Obwohl der linke Fuß seit einigen Kilometern wieder schmerzt, zieht es mich weiter. Bis zum Campingplatz sind es noch 11 Kilometer. Ich teile mir die Route gedanklich in drei Etappen ein. 5 km durchhalten, 4 km bis zum Supermarkt, 2 Kilometer bis zum Campingplatz. Der Plan steht. Ich will das probieren. Ich habe keine Lust, hier morgen in meine tonnenschweren Sumpfschuhe zu steigen und das ganze nasse Zeug im Rucksack zu verstauen. Ich will mein Zelt aufstellen und dann eine heisse Dusche nehmen. Ich will was geiles essen und ich will ein kaltes Bier trinken. Der Gedanke an Stanleys gesponserte Pizza ist das dicke Ausrufezeichen hinter dem Plan, Geilo heute noch zu erreichen.

      Es ist anstrengend. Muskulär und von der Ausdauer her habe ich aber keine Probleme. Es ist der linke Fuss, der mal mehr weh tut, mal weniger. Aber ich ziehe es jetzt durch. Noch vor 20.00 Uhr erreiche ich den Supermarkt in Geilo und kaufe Brot, Salami, Käse, Cola, Bier und Chips. Ausgewogene Ernährung mal wieder. Die letzten 2 Kilometer humpel ich schon, weil ich links nicht normal auftreten kann. Der flache Asphalt ist ein echter Gegner für die Füße. Gegen halb neun erreiche ich den Campingplatz. 250 Kronen soll die Nacht kosten, was ok ist (21 EUR). Ich buche gleich drei Nächte. Mein Fuß soll die Chance haben, sich zu erholen und ich habe eh viel zu erledigen. Ich bekomme die drei Nächte sogar zu 600 Kronen und finde schnell einen schönen Platz für mein Zelt. Nach dem Zeltaufbau geht’s um duschen. Herrlich! Allerdings sind meine Füße über den Tag in den nassen Schuhen unschön aufgequollen. In der Schuhfrage muss ich echt eine Lösung finden!

      Dann ist Zeit für Abendessen und Bier! Dann ziehe ich mir noch die Fäden am Schienbein.
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    • Tag 22

      Abendsonne

      21. Juni 2023 in Norwegen ⋅ ☁️ 13 °C

      Die Nacht habe ich richtig schlecht und wenig geschlafen. Mein Körper fühlt sich ein wenig an wie nach den ersten Etappen. Klar, die 36 km sind eine deutliche Leistungssteigerung. Zum Frühstück gibt es wieder Brot mit Käse und Salami. Dabei mache ich mir Notizen, was ich alles erledigen will bzw. muss.

      Als aller erstes schreibe ich meinen Tagebucheintrag von gestern. Gestern Abend hatte ich dazu einfach keine Lust mehr. Obwohl ich „frei“ habe, bin ich nur so mittelmäßig gelaunt. Die weitere Route macht mir Kopfzerbrechen. Mein Fuß ebenfalls. Ich konnte zwar seit Dalen, wo das Problem erstmals aufgetreten ist, in Summe jeden Tag gut laufen. Aber das sollte keinesfalls, so wie es ist, zum Dauerzustand werden. Und das Schuhthema nervt mich.

      Zu allererst kümmere ich mich um meine Wäsche. Waschmaschine und Trockner sind vorhanden und für zusammen 7 Euro auch bezahlbar. Am Campingplatz gehe ich so oft es geht barfuß, damit der Fuß sich erholen kann. Sobald ich aber doch mal in die Schuhe schlüpfe, spüre ich den Fußballen. Ich bin irgendwie genervt. Beim Rückweg von der Waschmaschine kommt mir ein Mann, etwas jünger als ich, mit großem Rucksack und Hund entgegen. Der Campingplatzbesitzer hatte gestern schon erwähnt, dass ein weiterer norwegischer NPLer hier mit seinem Hund übernachtet. Ich spreche ihn direkt an und frage ihn nach seiner Routenwahl. Er will es durch Jotunheimen, das vor uns liegende Gebirge, was mir so viel Kopfzerbrechen macht, probieren. Er ist sicher, dass es geht. Dafür mache er das ganze auch und nicht, um Straße zu laufen. Das stimmt auch mich optimistisch.

      Ab Mittag setzt der Regen ein. Ich liege im Zelt und schreibe Tobi, warum er sich gegen den Versuch entschieden hat. Er meinte, es hätten wohl zwei versucht, die seien aber umgedreht. Ihm sei das zu riskant. Bei Instagram schaue ich, ob ich über Hashtags aktuelle Bilder von dort oben finden kann. Aber so richtig Aussagekräftiges finde ich nicht. Dafür werde ich auf Peter aufmerksam. Ihm bin ich irgendwann mal gefolgt, weil er dieses Jahr auch Norge på langs läuft. Wie es aussieht, ist er irgendwo in Jotunheimen. peter_early_retired, also „Frührentner Peter“, scheint zumindest was sein Instagramprofil betrifft, ein ziemlich schräger Vogel zu sein. Aber mit guten Vibes! Ich schreibe ihn einfach mal an und warte was kommt. Aber eigentlich habe ich mich nach dem Austausch mit Tobi schon so gut wie entschieden: Ich gehe die unspektakuläre, sichere Variante.

      Den Nachmittag liege ich im Zelt und versuche etwas zu schlafen, während der Regen auf‘s Zelt prasselt. Als ich mich wieder aufraffe, hat Peter mir geantwortet. Ich sollte unbedingt auch den Weg gehen. Er käme aus der Schweiz und sei dementsprechend bergverwöhnt. Aber das hier sei der Hammer. Wir vernetzen uns auch über WhatsApp und tauschen uns hier weiter aus. Und plötzlich bekomme ich doch wieder Lust, es zu versuchen. Aber es gibt noch ein paar Fragezeichen. Peter schreibt, dass der Schnee auch Vorteile hätte. Dass man auf Schneebrücken die Flüsse überqueren könne. Hier bin ich aber ein kleiner Schisser. Allerdings sind das Dinge, die in meinen Vorstellungen immer schlimm sind. Vor Ort kann ich eine Situation dann wieder ganz anders einschätzen. Aber es kann auch sein, dass man eher ein Risiko eingeht, weil man nicht drei Tage zurück laufen möchte.

      Ich lass das Thema erstmal ruhen. Mein Plan für heute Abend ist, erst in die Sportgeschäfte nach Schuhen schauen und danach Pizza essen. Allerdings sehe ich bei Google, dass die Sportgeschäfte hier um 17.00 Uhr schließen. Das nervt mich wieder etwas, weil ich die Schuhfrage gerne heute schon angegangen wäre. Ich prüfe meine Schuhe, die ich unter einem Vordach einer Hütte zum Trocknen hingestellt habe. Sie wiegen immer noch unfassbar viel und sind total nass. Ich stelle sie ohne zu fragen in den Raum, wo Waschmaschine und Trockner sind. Hier stehen die Heisswasserkessel und es ist hier deutlich wärmer als anderswo. Ich hoffe, dass die Trocknungsdünste gut abziehen. Niemand mag eine Sauna mit Obazda-Aufguss. Aber das ist mir gerade egal.

      Heute bin ich einfach nicht gut drauf. Viele ungeklärte Fragen und am späten Nachmittag das Gefühl, nichts geschafft zu haben. Peter schickt mir den Link zu seinem Blog, wo er auch ein paar Videos verlinkt hat. Er hat seine Tradition darin gefunden, an irgendwelchen Orten ein Tänzchen aufzuführen. Mal im Fjell, mal im Supermarkt. Dabei filmt er sich. Er ist definitiv ein lebensfroher Mensch! Etwas schräg aber absolut gut drauf. Die Videos hat er mir geschickt, weil ich ihm geschrieben habe, dass ich heute ein kleines Tief habe. Er wollte mich aufheitern, was er auch geschafft hat. Er schreibt, er sieht das Nordkap als „Nice to have“ und dass auf dem Weg dorthin soviel schief gehen könne. Wenn das sein ultimatives Ziel sei und er irgendwann aus irgendeinem Grund abbrechen müsse, sei er gescheitert. Er versucht lieber, jeden Tag zu einer Party zu machen.

      Recht hat er. Natürlich macht diese Einstellung nicht potenzielle Gefahren wett, die in den Bergen lauern. Aber es motiviert mich, zumindest weiter über den Versuch nachzudenken, Jotunheimen anzugehen. Überhaupt glaube ich, dass gerade die augenscheinlich „schrägen Vögel“, wie ich Peter direkt meinen Stempel aufgedrückt habe, diejenigen sind, die das Leben wirklich leben. Denn wenn man es wirklich schafft, so zu leben, dass es einem egal ist, was andere über einen denken, dann wirkt man wohl zwangsläufig „schräg“. „Befreit“ wäre aber vielleicht das bessere Wort.

      Jetzt, wo ich in der Abendsonne sitze und diese Zeilen schreibe bin ich richtig dankbar für diesen netten Austausch mit Peter. Wir kennen uns gar nicht. Und trotzdem verbindet uns die gemeinsame Reise.

      Vorhin war meine Laune noch schlecht. Ich habe mich bei Regen auf den Weg Richtung Geilo „City“ gemacht, der Campingplatz liegt zwei Kilometer ausserhalb, um mit Pizza und Bier wenigstens ein Highlight heute zu haben. Aber kurz bevor ich das Ziel erreicht habe, habe ich mich entschlossen, das auf morgen zu verschieben und stattdessen etwas für heute Abend im Supermarkt zu kaufen. Die Pizza soll ein Highlight sein, das ich genieße. Auf dem Rückweg telefoniere ich mit Nicole und die Stimmung wird zunehmend besser. Auch der Regen hat aufgehört. Ich setze mich auf einen Stuhl auf die Terrasse der unbewohnten Hütte nah bei meinem Zelt und esse zu Abend. Und als meine schlechte Stimmung vollends verzogen ist, kommt auch die Sonne raus und scheint mir ins Gesicht.

      Morgen soll das Wetter besser werden. Ich glaube, morgen wird ein guter Tag!
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    • Tag 25

      Wunderschöner Tag und Wasser im Schuh

      24. Juni 2023 in Norwegen ⋅ ☀️ 14 °C

      Für heute habe ich mir vorgenommen, früher loszugehen. Das hat gestern richtig gut funktioniert, dass ich am Vormittag schon so viele Kilometer geschafft habe. Der Nachmittag ist einfach immer etwas zäher und morgens habe ich scheinbar mehr Energie. Um 6:15 Uhr werde ich wach, drehe mich trotzdem noch einmal um. Um kurz vor sieben mache ich mir dann meinen „Kaffee“. Seit bestimmt neun oder zehn Tagen trage ich noch den Rest dieses Früchtemüslis mit mir herum. Heute ist es fällig.

      Nach dem Kaffee räume ich mein Zelt auf und fange an zu packen. Draußen ist es noch bedeckt, aber die hohe Schichtbewölkung zieht langsam ab, dass es nicht lange dauern wird bis die Sonne scheint. Der starke Wind ist noch gestern am späten Abend eingeschlafen.

      Heute höre ich doch mal wieder etwas Musik aus dem Handy. Niklas war vor ein paar Tagen auf einem Bruce Springsteen Konzert und hat „The River“ mitgefilmt und mir geschickt. Vor 20 Jahren sind wir mit dem Auto seiner Mutter durch Norwegen gefahren. Nicht weit vom Eidfjord, am Ende eines engen Tals namens Simadalen, hatten wir damals an einem Wanderparkplatz unser Lager aufgeschlagen. Damals gab es die App „Park4Night“ noch nicht. Wenn ich genauer drüber nachdenke, glaube ich gab es noch nicht einmal Apps. Die ganzen schönen Orte, die wir damals mithilfe unserer Papierkarte ausgekundschaftet haben, sind heute teilweise überlaufen, weil diese blöde App sie der ganzen Welt verraten hat. Es war teilweise ziemliches Scheißwetter und wir wussten nichts mit uns anzufangen. Die Stimmung war eher bedrückt und wir saßen einfach nur im Auto und wollten warten, bis der Regen aufhört. Im Auto lief eine CD von Niklas. Bruce Springsteen and The E Street - live 1975 - 1985. Wir hören „The River“. Das Lied startet mit sanften, melancholischen Gitarrenklängen. Die ersten Minuten dieses Livestücks erzählt Springsteen emotional aus seiner Zeit als junger Mann. Deine Erzählungen wird von der Gitarre begleitet. Während wir gespannt zuhörten, sahen wir dem Regen zu, wir er die Windschutzscheibe hinunter lief. Vor uns tut sich das steile, felsige Ende des Tals auf. Die dunklen Felswände ragen sicher mehrere 100 Meter empor. Die Stimmung dieses Liedes passt eins zu eins zu unserer Kulisse.

      Springsteens emotionaler Rückblick dauert 5 Minuten 30, bevor dann das Lied richtig startet. Ich bin eigentlich kein Mundharmonikafan. Aber wenn Springsteen bei 5 Minuten und 31 Sekunden die Mundharmonika ansetzt, stellen sich damals wie heute meine Armhaare auf. Gänsehaut pur. Auch heute Morgen höre ich dieses Lied und erinnere mich an damals. Dieser Roadtripp vor 20 Jahren war irgendwie der Grundstein für das, was ich heute hier mache.

      Während ich noch ein paar weitere Lieder höre, baue ich das Zelt weiter ab und packe meinen Rucksack. Als ich fast fertig bin kommt eine ältere Frau mit einem Hund. Wir kommen ins Gespräch und reden eine halbe Stunde. Sie ist eigentlich Holländerin, aber schon vor vielen Jahren ausgewandert. Auch sie liebt die Gegend hier und die Einsamkeit beim Wandern. Sie wundert sich über die vielen Camper, die von einem Stellplatz zum nächsten fahren aber nicht einmal wandern gehen, um Norwegen wirklich zu erleben. Seit Corona seien die Camperzahlen in Norwegen richtig explodiert. Und überall seien Holländer. Sie wäre doch ausgewandert, um keine Holländer mehr sehen zu müssen, sagt sie lachend.

      Sie geht irgendwann weiter Richtung Gipfel und ich mache mich weiter fertig. Zum Gipfel laufe ich eine halbe Stunde und die Frau mit dem Hund ist auch noch da. Wieder reden wir eine halbe Stunde und sind schnell bei Themen, wie was im Leben wichtig ist und was nicht. Sie sei Krankenschwester, arbeitet aber nur 70%. Das sei für viele Norweger unverständlich. Hier meinen alle, 100% arbeiten zu müssen, um ein richtiges Leben zu haben. Wir sind auf einer Wellenlänge und reden über dies und das. Um halb zehn mache ich mich dann aber doch auf den Weg. Über eine Stunde habe ich mich insgesamt verquatscht. Aber die Zeit war es wert!

      Schnell bin ich den Berg abgestiegen und muss nun noch vier Kilometer Straße laufen. Die Straße führt entlang an einem Stausee, der nur halb voll zu sein scheint. Dann endlich ist rechts ein Wanderschild und ein schmaler Pfad führt von hier den Berg hoch. Die Wegmarkierungen scheinen von diesem Jahr zu sein. Viele Markierungen wurden mit roter Farbe auf Birken gemalt. Da gerade die Rinde schnell wachsender Birken schnell aufbricht oder abblättert, bin ich mir sicher, dass die Markierungen neu sind. Das macht Hoffnung, dass die Wege auch begehbar sind. Ich habe immer noch großen Respekt vor nicht passierbaren Flüssen oder aufgrund der Schneelage gefährlichen Wegabschnitten.

      Der Weg führt relativ steil nach oben. Die Sonne knallt ganz schön und meine für oben angedachte Pause ziehe ich vor. An einem kleinen Bach trinke ich einen Liter Wasser und gehe dann weiter. Dann bin ich oben. Es ist ähnlich wie die Ankunft in der Hardangervidda, nur noch etwas beeindruckender. Eine wunderschöne Hochebene, flankiert von teils schneebedeckten Felsmassiven. Es sind doch einige grössere Schneefelder hier aber alles sieht wanderbar aus. Und wunderbar. Die grösseren Höhen kommen auch erst später und morgen. Diese Weite hier ist wieder unbegreiflich. Und ich bin weit und breit der einzige hier. Pure Glücksgefühle, die ich hier gerade erlebe. Ich hole meine Kopfhörer aus dem Rucksack und starte meine Norge på langs Playliste. Hier sind hauptsächlich melancholische Lieder drauf, mal Klavier, mal klassisch, alles irgendwie Filmmusik. Und während ich hier entlang wandere, läuft mein Film. Nur, dass ich allein ihn sehen kann und das auch nur jetzt in diesem Moment. Es ist fast surreal, mit dieser wunderschönen Musik in den Ohren durch diese Landschaft zu laufen. Und wieder mal sehr emotional.

      Nach einiger Zeit komme ich an einen ersten grösseren Fluss, den ich problemlos furten kann. Der Wanderweg quert den Fluss an einer sehr breiten Stelle, wo das Wasser nicht tief ist und nur mäßige Strömung. Das Wasser ist eiskalt, dass die Füße schmerzen. Um so schöner, wenn der Schmerz dann wieder nachlässt. Ich mache noch eine kurze Pause und gehe dann weiter.

      Es geht wieder etwas bergauf und hier und da auch durch sumpfige Stellen. Nach einiger Zeit habe ich ein seltsames Gefühl. Es fühlt sich an, als ob mein linker Socke an der Sohle klebt. Ist da Wasser reingekommen? Das kann doch nicht sein. Die Schuhe sind nagelneu. Ich bin aber unsicher. Auch letztes Jahr bei meiner Lysefjordrunde war ein neuer Schuh undicht. Ich gehe noch einige Kilometer, um nicht direkt wieder Pause zu machen. Ich ziehe den Schuh aus und sehe, dass die Sohle und der linke Socken nass sind. Nur hinten an der Hacke. Aber das darf nicht sein. Ich könnte kotzen! Im Strahl! Ich habe 220 EUR für die Schuhe hingelegt und jetzt das. Ich kann auch nicht einfach zurückgehen und die umtauschen. In der Größe hatten die eh nur ein Paar.

      Noch während der Pause formuliere ich eine Mail an den Laden, wie wir dieses Problem lösen können. Idealerweise rufe ich da eh an aber so habe ich mir schon mal ein paar Worte zurecht gelegt. Hier habe ich sogar noch Empfang. Aber ich schicke dir mal noch nicht ab. Ich hätte direkt dort anrufen sollen. Denn mit Empfang war es später komplett vorbei. Aber auch hier: Reklamationen schiebe ich wieder mal.

      Ich ärgere mich. Dabei ist das so ein schöner Tag. Bestes Wetter, unfassbare Landschaft und ich komme gut voran, ohne irgendwelche Hindernisse. Aber ich frage mich, was ist, wenn ich mal wieder richtig Regentage habe. Dann sind die Schuhe spätestens nach einen Tag durch. Und ich frage mich, ob es überhaupt eine Lösung geben kann, wenn ich nicht zurück in den Laden komme. Aber all das lässt dich jetzt nicht regeln und ich versuche so gut es geht, mich nicht aufzuregen. Gleichzeitig sage ich mir, dass ich trotzdem froh um diese Schuhe bin. Denn lieber habe ich nasse Füße als die Schmerzen im linken Fuß. Allmählich beruhige ich mich wieder und konzentriere mich auf die Landschaft. Ich glaube, so viele Fotos wie heute hab ich auf der ganzen Reise noch nicht gemacht. Und auch wenn die Fotos schön aussehen, das Gefühl wie es ist, hier zu sein, lässt sich auch mit den Bildern nicht vermitteln.

      Ich komme an einen weiteren Fluss, den ich furten muss. Hier ist schon deutlich mehr Strömung und ich muss mich konzentrieren, wo ich Füße und Stöcke im Fluss positioniere. Ich muss richtig gegen die Strömung arbeiten. Das Wasser geht mir bis zu den Knien. Ich bin froh, das ich Knie auf der Höhe habe, wo andere ihren Bauchnabel haben. Meine langen Beine kommen mit hier wirklich zugute.

      Dann geht es weiter. Schon aus der Ferne habe ich mich gefragt, wo der Weg hier weiter geht. Von hier aus soll es hoch bis auf 1.500m Meter gehen. Das ist etwas mehr als die Kampenwand hat, allerdings erinnern die Berge hier mehr ans Stubai als an den Chiemgau. Ein riesiges, steiles Schneefeld zieht sich zwischen den Felswänden in einer immer schmaler werdenden Scharte hoch. Ich muss erstmal analysieren, ob und wo unter dem Schnee Wasser verlaufen könnte, wegen der möglichen Gefahr einzubrechen. Ab einer gewissen Höhe gibt es auch schneefreie Bereiche. So suche ich mir schon von unten eine Linie, die ich für vertretbar halte. Auf halber Höhe muss doch noch eine drei Meter breite und sehr steile Schneepassage queren. Hier will ich keinen Fehler machen. Aber konzentriert und ohne Hektik überwinde ich auch diese Stelle. Ich kann mir gut vorstellen, dass hier vor einer Woche noch Leute umgedreht sind. Wenn hier mehr Schnee gelegen hätte, wäre ich hier nicht weiter gegangen. Weiter oben kommt noch ein großes Schneefeld, das aber nicht so steil ist und gut passierbar. Dann bin ich endlich oben, am höchsten Punkt des heutigen Tages. Der Ausblick von hier ist nicht zu beschreiben.

      Es ist recht windig und ich gehe weiter. Auf der anderen Seite des Sattels führt der Weg wieder runter. Teils durch schweres Geröll, teils als Pfad, teils über grössere Schneefelder. Insbesondere letztere sind bergab ein Genuss. Kontrolliert und ohne viel Aufwand rutsche ich entspannt nach unten. Nach 20 km erreiche ich einen weiteren Fluss. Hier ist zum Glück eine Brücke aufgebaut. Nicht weit von hier ist die Lungsdalshytta, die ich von oben schon sehen konnte.

      Kurz nach der Brücke mache ich eine Pause. Ich merke, dass die 20 km hier mehr Kraft gekostet haben als 20 km auf vergangenen Etappen. Aber mein Pensum werde ich heute noch schaffen. Während meiner Pause kommt eine junge Frau auch über die Brücke. Sie arbeitet auf der Hütte und hat nur eine kleine Wanderung am See entlang gemacht, in dem der Fluss mündet. Es ist ihre erste Saison auf einer DNT-Hütte. Seit drei Tagen ist die hier, seit gestern erst hat die Hütte geöffnet. Im Moment haben sie eh nur 5 Gäste. Sie wünscht mir eine gute Tour und geht weiter. 15 Minuten später mache ich mich auch wieder auf den Weg. Nach einem Kilometer komme ich auch an der Hütte vorbei. Fünf Mädels sitzen draußen am Tisch und unterhalten sich. Kurz überlege ich, ob Nicole doch eine Norwegentour in ihr Ladiestouren-Programm aufgenommen hat und mich hier überrascht.

      Ich gehe an der Hütte vorbei und quere einen weiteren Fluss. Wieder ein beeindruckender Wasserfall mit ordentlicher Gischt. Von hier an geht es in ein weiteres Tal. Wieder unfassbar schön. Nach 2 Kilometern führt der Pfad stetig rechts bergauf und ich verlasse das Tal seitlich über einen langen Sattel. Hier ist ein großer See, den ich halb umrunde. Mittlerweile bin ich echt platt. Am See selbst ist es uneben oder sumpfig. Auch unzählige Mücken schwirren hier herum. An einem Bach entlang gehe ich querfeld ein nach oben. Mittlerweile habe ich ein ganz gutes Näschen für potenzielle Stellen für ein Zelt. Und tatsächlich finde ich schnell eine geeignete Stelle. Heute gehe ich aber erst zum Bach und wasche mich. Denn noch ist mir warm vom Aufstieg. Dann baue ich mein Zelt auf und esse zu Abend.

      Morgen geht es gleich weiter hoch auf über 1.700m. Wenn die Bedingungen halbwegs so sind wie heute, mache ich mir da keine Sorgen.
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    • Tag 16

      Höchster Pass vom Norden

      26. Juni 2023 in Norwegen ⋅ ☁️ 17 °C

      Bi schönstem Wetter gstartet, übere höchst Pass vom Norden, dört hei mir Langläufer gseh. Es isch wieder heiss gsi, bis wo mir wieder überne Pass si, u da isch 1 Tunnel um der ander cho, die si hie dermasse chalt, so um 9°. Derfür hei mir dr längst Tunnel vor Wäut durchquert: 25 Kilometer läng (Anmerkung Dänu: Scheiss Navi 🤪)Weiterlesen

    • Tag 23

      Meteorite Crater

      20. Juli 2023 in Norwegen ⋅ ☁️ 15 °C

      170km 🚗

      Sometimes having no plan is the best plan: had decided on a campsite for the night and smaller road 40 to get there more slowly 🗺️

      After an hour of beautiful winding roads I came to a huge sign on the road stating MeteorittPark. YES! 🌠

      https://www.visitnesbyen.no/no/meteorittparken-…

      45 minutes til the next guided tour, given by a geology student from Oslo university or a 9min video film and take yourself round the site... No question and it was definitely worth waiting for the guide - my little brain took in a whole lot of information it was GREAT 🤓🤓🤓

      Back on the road and brief stops after about 6 hairpin bends at an almighty dam 😊

      A delicious beef burger at the campsite and I was all set for a comfy night at a Trading Post not a chairlift place as I'd wrongly guessed: Skydsstasjon ⛷️
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    • Tag 13

      Bergen - Geilo

      10. August 2023 in Norwegen ⋅ ☁️ 8 °C

      Nach dem verregneten Tag in Bergen, sind wir heute Vormittag mal wieder bei Regen und immerhin 11 Grad 😝 gestartet. Nach einer Stunde hat der Regen aufgehört und die Sicht wurde deutlich besser. Wir hatten teilweise sogar blauen Himmel und die Sonne versuchte durchzukommen. Am Eidfjorden entdecke ich einen kleinen abgelegenen Steg im Wald und wir machten eine kleine Pause. Genau richtig um endlich mal die Angel auszuwerfen. Es dauerte nicht all zu lange und Sali hatte seinen ersten Fisch 🐟 (ein Köler) an der Angel. Es war uns nicht so nach Sushi und eine Pfanne war auch nicht parat, also ließen wir den Kerl wieder frei. Weiter auf unserer Route wurde fuhren wir ca. 50km vor Geilo auf gute 1230m hoch. Die Landschaft war wieder umwerfend, fast wie der Wind der uns zeitweise zu schaffen machte. Bei 5 Grad Außentemperatur und ohne Regen, konnten wir das Steinmeer und die vielen Seen nochmals genießen, bevor er bergab Richtung Geilo ging. Dort angekommen, sind wir nun in einem klasse Apartment mit toller Aussicht und kleinem Pool. Heute Abend gibt es im Hotel etwas zu essen bevor wir Morgen, vermutlich mit Umwegen wegen den Straßensperren, Richtung Oslo weiterziehen.
      Gestern gab es kein Fazit des Tages denn:
      Macht der Himmel seine Schleusen auf, fällt auch mal das Fazit aus.
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    • Tag 9

      Regentag in Geilo

      15. August 2023 in Norwegen ⋅ 🌧 13 °C

      Unseren unliebsamen Regentag haben wir mit Autofahren und Camping in Geilo verbracht. Wirklich ein lustiger Ort, hier gibt's Geilo Sushi, Geilo Pizza, Geilo Camping. Da heute aber die Sonne mal durchblitzt können wir endlich wieder wandern gehen. ❤️Weiterlesen

    Möglicherweise kennst du auch folgende Namen für diesen Ort:

    Buskerud fylke, Buskerud

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