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  • Day 21

    36 km nach Geilo

    June 20, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 16 °C

    Als ich wach werde, regnet es leicht. Eine kurze Regenpause nutze ich, um „auf‘s Klo“ zu gehen. Schon bald regnet es kräftiger weiter. Ich lasse mir Zeit und hoffe auf eine weitere Regenpause. Um 09.00 Uhr fange ich an, meine Sachen im Zelt vorzubereiten und zu packen. Dann kommt das Zelt heute mal zum Schluss in den Rucksack. Der Regen lässt noch einmal nach und ich mache meinen Rucksack draußen fertig. Wieder rolle ich das nasse Zelt zusammen und verstaue es im Rucksack. Noch bevor ich ganz fertig bin setzt der Regen wieder ein. Diesmal hatte ich mir Regenjacke und Regenhose schon im Zelt angezogen. Um Punkt 10.00 Uhr mache ich mich auf den Weg.

    Die ersten Kilometer laufen sich angenehm. Der Pfad ist trotz Regen meistens fest und führt allmählich bergab in ein Tal. Hier werde ich mehrere Flüsse überqueren müssen. Einen großen Fluss habe ich von meinem Lagerplatz schon gesehen. Furten wird hier wohl nicht möglich sein, dafür sah der Fluss zu groß aus. Während es weiter runter geht, wird auch die Vegetation wieder höher. Junge Birken und jede Menge Gestrüpp. Ich höre einen Fluss, der immer lauter wird. Irgendwann so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen würde. Und dann sehe ich einen beeindruckenden Wasserfall mit wild schäumendem Wasser. Wahnsinn, was das für eine Naturgewalt ist! Allein beim Anblick wird mir leicht mulmig. Hier reinfallen wäre vermutlich das sichere Ende. Über das ganze Geschehen führt eine schmale Hängebrücke. So ganz neu sieht sie nicht mehr aus. Ich gehe die ersten Meter und stelle fest, dass sie ganz schön schaukelt und ich gehe gleich etwas zügiger auf die andere Seite. Ich bin sicher, diese Brücke hält eine ganze Wandergruppe aus. Aber ich fühle mich trotzdem nicht so sicher mit dem tosenden Wasser unter mir. Ich mache noch einige Fotos und gehe weiter. Das war echt ein kleines Highlight gleich zu Tagesbeginn. So ein Wasserfall wäre in anderen Ländern eine Hauptattraktion, hier ist er einfach so am Wegesrand.

    Bei leichtem Regen geht es weiter. Ich quere noch zwei breite Flüsse über Brücken, jedoch nicht so spektakulär wie die Brücke am Wasserfall. An einer Kreuzung mit mehreren Schildern zu unterschiedlichen Hütten geht mein Pfad rechts ab. Er sieht unscheinbar und wenig begangen aus. Es geht direkt in den Sumpf. Gewürzt wird der Spaß durch unzählige Mücken, die hier deutlich talentierter auf mir landen und versuchen, zu stechen. Es dauert nicht lange und ich bin mir sicher, der linke Schuh ist undicht. Vor ein paar Tagen noch konnte ich den Schuh in einen Bach stellen ohne nasse Füße zu bekommen. Heute dauert es nicht lange und ich merke, wie es im Schuh schmatzt, wenn ich gehe. Das ist echt ärgerlich, denn halbwegs trockene Füße sollten auf so einer Tour gewährleistet sein. In Geilo werde ich schauen, ob ich mir neue Schuhe organisieren kann. Allerdings habe ich mit Schuhgröße 48,5 oft nicht die große Auswahl. Jetzt ist es aber wie es ist.

    Der Weg führt weiter stetig bergauf. Die jungen Birken sind oft so in den Weg gewachsen, dass ich mir vorkomme wie in einer Waschanlage. Jedesmal, wenn ich mich zwischen den kleinen Bäumen hindurch zwänge, gibt es eine Portion kaltes Wasser von beiden Seiten. Von unten kühlt der stetige Sumpf oder kleine Bäche, die mir vorzugsweise auf dem Pfad selbst entgegenfließen. Es geht nur langsam und sehr beschwerlich voran. Nach zwei Stunden Gehzeit wird die Vegetation wieder spärlicher und ich bin wieder oben im Fjell. Kurze Pause! 6,5 Kilometer habe ich in etwas mehr als zwei Stunden geschafft. Das ist wenig!

    So geht es, immer noch in voller Regenmontur, weiter. Zumindest zu Beginn ist der Pfad sehr angenehm zu laufen. Mein 15km-Ziel heute ist die Tuva-Turisthytte. Ich nehme mir vor, diese bis 15.00 Uhr zu erreichen. Das sollte machbar sein. Dann habe ich noch den Nachmittag, um auf meine 25km zu kommen.

    Mein Pfad führt vorbei an Hütten, einer kleinen Gruppe Schafen mit vielen Lämmern. Der Regen nimmt deutlich zu, während der Pfad deutlich steiler wird. Es ist ein wenig wie gestern. Mir fehlt einfach der Drive. An die Landschaft um mich herum habe ich mich ebenfalls sehr gewöhnt, dass ich hauptsächlich auf mich und mein Vorankommen konzentriert bin. Oben angekommen mache ich eine kurze Pause und setze mich auf einen Stein. Das Shirt unter meiner Hardshelljacke ist durchgeschwitzt. Alles ist irgendwie nass und ungemütlich. Es ist kein Tiefpunkt. Ich nehme die Situation einfach so hin. Aber von echter Motivation bin ich weit entfernt. Ich schaue auf mein Handy und überraschenderweise habe ich richtig guten Empfang als ich den Flugzeugmodus ausstelle. Mehrere Nachrichten ploppen im Display auf. Meine Schwiegermutter schreibt mir, dass sie mein Abenteuer hier mit Spannung verfolgen und so gerne meine Berichte lesen. Ich bin gleich gerührt. Ich schreibe tatsächlich in erster Linie für mich. Wenn ich dann aber so ein schönes Feedback bekomme, freut mich das total! Die nächste Nachricht ist von Sören, der ebenfalls gerne hier mitliest und besorgt ist über meinen Instant-Cappuccino-Konsum. Ob er mir nicht was Anständiges, einen guten Kaffee irgendwo hinschicken könnte. Der alte Gourmet! Aber später melde ich mich bei ihm und versichere ihm, dass diese kaffeeersatzähnlichen Heißgetränke hier draußen ein echter Seegen sind, wenngleich man die nicht mit echtem Kaffee vergleichen kann. Die dritte Nachricht kommt von Stanley. Er schreibt, die nächste große Pizza mit Bier gehe auf ihn. Ich solle morgen auf mein Konto schauen. Ich bin echt einfach nur gerührt. Da sitzt du mutterseelenallein irgendwo in der Pampa, alles ist irgendwie nass, die Motivation ist am Boden und dann erreichen dich genau da drei so wundervolle Nachrichten. So allein bin ich dann doch nicht!

    Ich ziehe den linken Schuh aus und wringe noch einmal den Socken aus. Dann geht es weiter. In ganz anderer Haltung und mit ganz anderem Tempo. Gleich in den nächsten Sumpf. Links oder rechts vorbei wäre hier eine halbe Stunde Umweg. Also mittendurch! Das Sockenauswringen hätte ich mir sparen können. Aber jetzt ist es mir einfach egal. Ich bin motiviert und pflüge einfach durch den Sumpf. Dann eröffnet sich vor mir ein großes, weites Tal mit einem großen See. Am Ende dieses Tals liegt irgendwo die Tuva Turisthytte. Ich folge dem Pfad bergab bis ich unten in der Ebene angekommen bin. Auch hier ist jede Menge Sumpf. Nach kurzer Zeit komme ich wieder an einen Fluss. Schnell wird klar, ich muss Furten. Ich habe keine Lust darauf aber es führt kein Weg daran vorbei. Also raus aus den mittlerweile vom Wasser richtig schweren Wanderschuhen, rein in die Wasserschuhe. Das Wasser hier ist ruhig und richtig tief ist es auch nicht. Auf der anderen Seite dann wieder Schuhtausch. Der immer wieder sehr sumpfige Pfad führt durch dichtes, kniehohes Gestrüpp. Ich scheuche tausende Mücken auf, in in großem Schwarm um meinen Kopf fliegen. Ich renne ein paar Meter und versuche, sie abzuschütteln. Ein klein wenig hat es was gebracht. Ich will nur noch raus aus dieser Sumpf- und Mückenhölle. Gegen 14.40 Uhr erreiche ich endlich die Turisthytte am Ende der Ebene. 15 Kilometer sind geschafft. Bis hierhin ein ganz schöner Kampf! Ab hier sind es nach Geilo noch 21 Kilometer. Wenn ich, wie geplant meine 25 Kilometer „vollmache“, sind es morgen nur noch 11 Kilometer.

    Bei leichtem Regen geht es weiter. Wieder etwas motivierter, weil ich die scheiss Mückenschwärme hinter mir gelassen habe. Der Weg bis Kilometer 20 zieht sich. Wie immer vergehen die Kilometer am Nachmittag noch langsamer. Aber mit Kilometer 20 erreiche ich eine neue Marke. 500 Gesamtkilometer habe ich bis hierhin zurück gelegt.

    Die Kilometer bis zur 25 ziehen sich noch mehr. Allerdings finde ich hier kaum Bäche, die ich für gut befinde. Plan B wäre einfach, Wasser aus den zahlreichen kleinen Seen abzukochen. Gas habe ich genug. Einen potenziellen Übernachtungsplatz schaue ich mir genauer an. Obwohl der linke Fuß seit einigen Kilometern wieder schmerzt, zieht es mich weiter. Bis zum Campingplatz sind es noch 11 Kilometer. Ich teile mir die Route gedanklich in drei Etappen ein. 5 km durchhalten, 4 km bis zum Supermarkt, 2 Kilometer bis zum Campingplatz. Der Plan steht. Ich will das probieren. Ich habe keine Lust, hier morgen in meine tonnenschweren Sumpfschuhe zu steigen und das ganze nasse Zeug im Rucksack zu verstauen. Ich will mein Zelt aufstellen und dann eine heisse Dusche nehmen. Ich will was geiles essen und ich will ein kaltes Bier trinken. Der Gedanke an Stanleys gesponserte Pizza ist das dicke Ausrufezeichen hinter dem Plan, Geilo heute noch zu erreichen.

    Es ist anstrengend. Muskulär und von der Ausdauer her habe ich aber keine Probleme. Es ist der linke Fuss, der mal mehr weh tut, mal weniger. Aber ich ziehe es jetzt durch. Noch vor 20.00 Uhr erreiche ich den Supermarkt in Geilo und kaufe Brot, Salami, Käse, Cola, Bier und Chips. Ausgewogene Ernährung mal wieder. Die letzten 2 Kilometer humpel ich schon, weil ich links nicht normal auftreten kann. Der flache Asphalt ist ein echter Gegner für die Füße. Gegen halb neun erreiche ich den Campingplatz. 250 Kronen soll die Nacht kosten, was ok ist (21 EUR). Ich buche gleich drei Nächte. Mein Fuß soll die Chance haben, sich zu erholen und ich habe eh viel zu erledigen. Ich bekomme die drei Nächte sogar zu 600 Kronen und finde schnell einen schönen Platz für mein Zelt. Nach dem Zeltaufbau geht’s um duschen. Herrlich! Allerdings sind meine Füße über den Tag in den nassen Schuhen unschön aufgequollen. In der Schuhfrage muss ich echt eine Lösung finden!

    Dann ist Zeit für Abendessen und Bier! Dann ziehe ich mir noch die Fäden am Schienbein.
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