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  • Day 24

    Trockene & schmerzfreie Füße

    June 23, 2023 in Norway ⋅ ☀️ 12 °C

    Um 6:30 Uhr werde ich wach. Ich versuche es gar nicht, mich noch einmal umzudrehen, obwohl ich noch recht müde bin. Heute geht es endlich weiter. Auch, wenn ich ehrlich gesagt nur ungern meine Komfortzone hier verlasse. Insbesondere mit dem vor mir liegenden Versuch, Jotunheimen zu durchqueren. Ich gönne mir noch eine heiße Dusche und beginne dann direkt, mein Zelt auszuräumen. Auf Frühstück habe ich irgendwie keine Lust. Als das Zelt halb ausgeräumt ist, nehme ich mir doch noch die Zeit für einen Kaffee und eine Portion Porridge. Das Porridge ist mit Zimt und riecht beim Aufgießen mit dem heißen Wasser richtig gut. Schmecken tut es allerdings so lala.

    Um 8:40 Uhr bin ich abmarschbereit. Ich melde mich noch bei Simon, dass aus unserem Kaffee leider nichts wird, da ich mich nun für Jotunheimen entschieden habe und Geilo direkt vom Campingplatz nördlich ins Gelände verlasse. Die ersten Meter geht es über Straße. Aus der Straße wird irgendwann eine Schotterstraße, aus der Schotterstraße irgendwann ein Feldweg, welcher irgendwann nur noch als Pfad weiterführt. So mache ich meine ersten Höhenmeter aus Geilo heraus, vorbei an unzähligen, wunderschönen kleinen Hütten. Ich frage mich, ob das alles Ferienhütten sind oder auch Leute hier wohnen. Wie so oft sieht hier aber vieles unbewohnt aus.

    Nach einer Dreiviertelstunde bin ich oben im Fjell. Es weht ein frischer Wind, aber die Sonne scheint und es ist unfassbar schön hier. In der Ferne sehe ich den ersten höheren Berg, der noch mit vielen größeren Schneefeldern bedeckt ist. Der Pfad ist die meiste Zeit trocken und in meinen neuen Schuhen komme ich zügig voran. Zu Beginn fühlen sie sich noch ein wenig fremd an, mit jedem Meter laufe ich sie aber weiter ein. Mein linker Fuß macht aktuell keine Probleme. Ich merke, dass die angepasste Sohle mein Fuß auch über das Fußgewölbe stützt und somit Druck von der Problemstellen nimmt. Außerdem ist der Schuh merklich gedämpfter.

    Ich genieße das Wetter, die Landschaft und das zügige Gehen. Nach 2 Stunden komme ich an eine Hütte. Der Wind weht stark aber auf der Leeseite der Hütte ist eine kleine Bank in absoluter windstille. Fast 9 km hab ich schon geschafft. Hier genieße ich die Ruhe und die Wärme der Sonne. Obwohl die Schuhe nicht drücken, ziehe ich sie aus und lasse etwas Luft an die Füße. Außerdem mache ich ein paar Dehnübungen. Dann geht es weiter. Den Pfad, der von hier aus weiterführen soll, kann ich auf Anhieb nicht finden. Ich finde immer etwas „pfadähnliches“, aber immer wieder verlieren sich die Wege. Mit der App und GPS versuche ich jedes Mal, zurück auf den Pfad zu kommen. Nach einer halben Stunde bin ich leicht angenervt, weil ich hauptsächlich querfeldein gehe und überhaupt nicht das Gefühl habe, dass es hier einen durchgehenden Pfad gibt. Ich schau noch mal auf meine digitale Karte. Im Tal auf der anderen Seite des Flusses, ein paar 100 m weiter, ist ebenfalls ein Weg eingezeichnet, welcher ebenfalls von der Hütte kommt, wo ich Pause gemacht habe. Ich suche ein wenig, kann den Pfad dann aber eindeutig erkennen, obwohl er mehrere 100 m entfernt ist.

    Ich entschließe mich, querfeldein runter zum Fluss zu gehen, zu furten und meinen Weg auf diesem eindeutigen Pfad fortzuführen. Ich bin gleich deutlich schneller unterwegs. Ich finde eine Stelle, an der der Fluss zwar breit ist, dafür aber nicht tief und wenig Strömung hat. Auf der anderen Seite trockne ich die Füße und wechsel zurück in die neuen Wanderschuhe. Von hier an komme ich wieder deutlich schneller voran. Der Weg führt leicht bergauf und die Gegend wird immer schöner. Unzählige Bäche kreuzen alle paar Meter meinen Weg, ohne aber echte Hindernisse darzustellen. Trinkwasser alle paar Meter. Ich bin richtig zufrieden. Egal, was die kommenden Tage bringen mögen, diesen Tag kann mir keiner mehr nehmen. Ich entschließe mich, noch etwas weiter zu gehen, bis laut Karte ein größerer Fluss kommen soll. Ich bin gespannt, ob ich hier wieder furten muss oder ob es eine Brücke gibt.

    Irgendwann, vermutlich, als ich gerade über einige Steinplatten gelaufen bin, bin ich nicht mehr meinem Pfad gefolgt. Versehentlich bin ich etwas zu weit abgestiegen. Ich überlege, ob ich alles wieder aufsteigen soll oder ob ich querfeldein eine bessere Lösung finde. In dieser Gegend lässt sich sehr gut lesen, was sumpfig ist und wo ein gutes Vorankommen möglich ist. Sowohl Vegetation, als auch Geländeformation verraten viel über den Untergrund. So entscheide ich mich, querfeldein zu gehen und kann sogar ein paar Meter abkürzen. Schon aus der Ferne sehe ich, dass hier eine kleine Brücke über den Fluss geht. Hervorragend! Hier auf der anderen Seite des Flusses mache ich meine zweite Pause. Es ist 14:00 Uhr und ich habe schon fast 20 km geschafft.

    Es ist wieder recht windig. Aber ich lehne mich an einen Fels, ziehe die Schuhe aus und genieße das Nichtstun. Weit und breit kein anderer Mensch. Lediglich ein Transporthubschrauber, der zweimal an mir vorbei fliegt. Immer noch habe ich keine Probleme mit meinem linken Fuß. Dafür habe ich festgestellt, dass der Mann bei Intersport bei meiner rechten Sohle tatsächlich zu viel abgeschnitten hat. Das nervt mich doppelt. Zum einen, weil die Sohle dadurch nicht ganz genau sitzt und ich mit dem großen Zeh immer eine kleine Lücke spüre. Zum anderen ärgere ich mich über mich selbst. Im Laden habe ich mit den Händen schon gespürt, dass da bestimmt 1/2 cm Platz ist. Ich hätte einfach sagen sollen: Sorry, aber das geht nicht. Das müssen wir noch mal machen. Aber ich hasse es, Dinge zu reklamieren. Und außerdem stand hier auch noch im Raum, dass ich eh zwei Tage später da bin, und wir dann nachbessern können. Da ich jetzt die andere Route gewählt habe, ist das natürlich nicht möglich. Aber jetzt ist es, wie es ist. Und lieber habe ich diese Störgefühl am rechten Zeh, als die Schmerzen im linken Fuß.

    Nach der Pause gehe ich weiter und schaue nach 100 m noch einmal auf die Karte. Ich stelle fest, dass ich nicht auf meiner eigentlichen Route bin. Da wo ich Pause gemacht habe, hätte noch ein Pfad abgeben sollen. Da ich aber keinen Pfad gesehen habe und keine Lust habe erneut alle paar Meter den Weg zu verlieren, folge ich dem eindeutigen Pfad. Er bringt mich zwar um einiges früher aus dem Fjell raus, ist dafür aber auch 2 km kürzer. Aber das wichtigste, er ist eindeutig. Nach einiger Zeit komme ich an einen See mit Sandstrand. Zwei Wanderer kommen mir entgegen und weitere sehe ich hinten am Ufer. Ganz schön was los hier, dafür, dass ich bis jetzt niemanden getroffen habe. Der Pfad führt vom See weg, immer weiter herunter aus dem Fjell raus. Ich laufe durch einen Birkenwald. Ein Blick auf die Karte verrät mir, dass ich hier ganz schön Höhe vernichten werde. Außerdem führt der Pfad später durch ein Skigebiet und eine Feriensiedlung. Meine Euphorie von Beginn schwindet etwas. Ich habe bei der Planung zwar gesehen, dass ich noch hier und da ein paar Straßenkilometer habe, aber ich war davon ausgegangen, dass es trotzdem menschenleere Gegend ist.

    Richtig ins Gelände geht es erst morgen. Und den ersten höheren Berg habe ich sogar erst übermorgen auf der Route. Ich komme an eine Hauptstraße. In diesem Moment habe ich 25 km geschafft. Mit meinem linken Fuß bin ich wirklich zufrieden. Natürlich zwickt hier und da mal etwas, aber die Probleme, die ich in den vergangenen Tagen hatte, habe ich heute gar nicht. Ich folge der Straße für zwei Kilometer und biege dann links ab. Hier habe ich die Chance, alternativ zur Straße einen Wanderweg zu laufen, ohne zusätzliche Kilometer machen zu müssen.

    Einen richtigen Plan habe ich nicht. Ich will noch ein paar Kilometer machen, aber es ist schwierig, hier unten einen Schlafplatz zu finden. Mein Wanderweg führt entlang an einem wunderschönen Fluss. Allerdings sind immer wieder Hütten da und Hinweise, das es Privatgelände sei. Hier kann ich mein Zelt nirgends aufstellen. Auch Wasser brauche ich noch. Ich gehe weiter, aber die Situation wird nicht wirklich besser. Auf der Karte habe ich mir einen kleinen Berg ausgesucht, den ich eigentlich auf der Straße umgehen würde, um die Höhenmeter zu sparen. Aber hier oben könnte eine Schlafgelegenheit sein. Als ich den kleinen Pfad erreiche, der von der Straße abgeht, habe ich immer noch kein Wasser fürs Lager. Und weder auf der Karte noch beim Blick um mich herum sehe ich Möglichkeiten, meine Wasserreserve zu füllen. Ich bin etwas planlos und mittlerweile ganz schön platt.

    Wenn ich die Straße entlang gehe, komme ich irgendwann an einen Stausee. Da würde ich aber auch hinkommen, wenn ich über diesen Berg gehe. Es sind nur 250 Höhenmeter aber so richtig Lust habe ich darauf jetzt nicht. Zumal ist nicht ein Bach auf der Karte eingezeichnet. Wenn ich jetzt wirklich in Not wär, könnte ich ein Auto anhalten oder weiter die Straße entlang zu Häusern laufen und anklingeln. Ein Notfall ist es hier nicht. Aber deswegen ist die Wasserfrage trotzdem nicht geklärt.

    Ich entscheide mich, über den Berg zu gehen und hoffe, dass ich trotzdem einen kleinen Rinnsal finde, der nicht auf der Karte vermerkt ist. Zunächst geht es wieder durch Birkenwald. Mücken schwirren um mich herum und versuchen, mich zu stechen. Weiter oben liegt links und rechts vom Weg jeweils ein Schneefeld, nicht besonders groß. Ab einer gewissen Größe der Schneefelder fließt unten eigentlich immer etwas Schmelzwasser heraus. Ich inspiziere das linke Schneefeld. Unterhalb davon ist es sumpfig. Aber nichts, wo ich irgendwo Wasser abschöpfen würde. Ich könnte auch Schnee schmelzen, diesen Aufwand will ich aber nur im Notfall machen. Beim rechten Schneefeld sieht es auch nicht viel besser aus. Immerhin sind hier einige größere sehr klare Pfützen. Dann entdecke ich unterhalb dieser Pfützen einen kleinen Rinnsal. Es fließt gar nicht mal so wenig und immerhin so schnell, dass ich glaube, dass sich das Wasser nicht allzu lang in den Pfützen aufhält. Die Chance nutze ich und fülle meine Flaschen.

    Ich gehe weiter hoch und finde eine wunderschöne Aussicht. Gleichzeitig stelle ich fest, dass ich gar nicht auf dem Gipfel dieses kleinen Berges bin. Es ist eine Art Vorgipfel. Der Weg geht noch weiter den Grad entlang und es geht noch mindestens 100 Höhenmeter weiter hoch. Das hebe ich mir aber für morgen auf und finde relativ schnell eine Stelle, wo ich mein Zelt gut aufbauen kann. Der Wind bläst recht stark und ich muss alle Leinen abspannen. Ich räume das Zelt ein, und bevor ich es mir gemütlich machen, schnappe ich mir Waschlappen und Handtuch. Nicht weit vom Zelt, ein paar Meter abwärts, sehe ich weitere Schneefelder. Unter einem dieser finde ich eine große, klare Pfütze, die ich zum waschen nutze. Dann lege ich mich ins Zelt und esse zu Abend. Heute waren es 32,5 Kilometer ohne Fußprobleme! :-)

    Ich habe meine Entscheidung für Jotunheimen immer noch nicht bereut. Leise Zweifel melden sich dann doch immer wieder mal. Aber was soll’s. Ich muss alle Situationen vor Ort einschätzen. Zweifel hin oder her.
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