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  • Day 31

    Memurubu - Maurvangen (Besseggengrat)

    June 30, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 8 °C

    Die ganze Nacht hat es geregnet. Zwischendurch auch richtig stark. Zum ersten mal packe ich mir Ohropax in die Ohren und erst nach Mitternacht schlafe ich irgendwann ein. Als ich um kurz nach sieben wach werde, regnet es immer noch leicht. Würde ich nicht auf‘s Klo müssen, würde ich mich gleich wieder umdrehen. Ich habe Glück und der Regen hört nach wenigen Minuten auf. Als ich rausgehe, sieht es Richtung Westen freundlich aus. Richtung Osten hängen Nebelschwaden an den Bergen und der Himmel ist trist grau.

    Am Vorabend konnte ich mich nicht entscheiden, welche Route ich von hier aus weiter gehen werde. Über die Hütte Glitterheimen würde es etwas weiter rein in die Berge gehen und nach vier Tagen würde ich Otta erreichen. Allerdings wäre der Wanderweganteil hier deutlich geringer. Die andere Variante geht nach Vinstra. Allerdings würde ich diese Stadt erst in 5 Tagen erreichen. Es wären rund 20 Kilometer und 1.500 Höhenmeter mehr. Dafür aber wäre ich die meiste Zeit auf Wanderwegen unterwegs.

    Ich zähle Müsliriegel, Trekkingnahrung und sogar das Klopapier. Alles würde für fünf Tage genügen. Bestimmt eine Stunde gehe ich verschiedene Routenoptionen auf Komoot durch. Wenn es keine optimale Lösung gibt, hilft nur eins: eine Entscheidung! Mein Bauchgefühl tendiert zu dem höheren Wanderweganteil nach Vinstra. Außerdem gibt mir das die Gelegenheit, über den Besseggengrat zu gehen. Der soll zwar unglaublich schön sein, es ist aber auch ein Touristenhotspot. Aber bevor ich unten am See entlang gehe, komme ich mit ein paar Touristen schon klar. Die Entscheidung steht also.

    Es ist zwanzig vor zehn als ich mich auf den Weg mache. Ich folge dem Berggrat, auf den ich übernachtet habe, weiter. Am Ende dieser Ridge hat man einen hervorragenden Blick auf den See mit dem links daneben empor steigenden Besseggengrat. Noch bevor ich die sechsköpfige Wandergruppe an dem Aussichtspunkt erblicke, höre ich links neben mir eine Drohne. Das kann ja was geben heute. Die Gruppe grüßt aber freundlich und ich beginne meinen Abstieg ins Tal zur Memurubu Hütte. Hier ist auch ein Bootsanleger. Viele Touristen fahren bis hier mit dem Boot und starten von hier ihre Wanderung auf den Besseggengrat. Kurz bevor ich unten bin, kommt mir ein Wanderer entgegen. Er schaut mich nicht an und grüßt nicht. Außer uns ist weit und breit niemand. Ich komme mir schon vor wie ein Almwirt, der auf die Menschen aus der Stadt schimpft, dass diese kein Benehmen mehr hätten. Naja. Watt wilze machen?

    Neben der Hütte finde ich den Pfad, der auf der anderen Seite gleich wieder nach oben Richtung Besseggengrat führt. Ein Schild weisst darauf hin, dass Drohnen hier verboten sind. Aus den herumliegenden Steinen wurde hier eine Treppe gebaut. Vor und hinter mir sehe ich mehrere „Wanderpärchen“. Nach etwas mehr als eineinhalb Stunden mache ich an einem kleinen Bach meine erste Pause und trinke etwas. Rund 1.100 Höhenmeter gilt es heute bergauf zu bewältigen. Bergab sogar 1.350 Höhenmeter. Als ich weitergehe, kann ich zur Linken in das Tal schauen, was meine Alternativroute gewesen wäre. Auch das sieht machbar aus. Die Angst vor zu viel Schnee war unbegründet. Laut der norwegischen digitalen Schneekarte hätte ich heute noch durch 30cm hohen Schnee laufen müssen. Die Daten liegen deutlich daneben. Zum Glück!

    Ich bin froh, dass ich die 1.100 Höhenmeter nicht am Stück gehen muss. Hier oben geht es bergauf und bergab. Obwohl ich der mit dem größten und vermutlich auch schwersten Rucksack bin, hole ich einen Wanderer nach dem anderen ein. Nur bei steilen Bergaufpassagen muss ich mein Tempo stark drosseln. Immer wieder verraten Schilder, wie weit man bereits gegangen ist und dass man, wenn man bis zu diesem Schild X Stunden gebraucht hat, unbedingt umkehren soll. Ich kehre um. Ne. Spaß!

    Die Aussicht hier oben ist echt Wahnsinn. Rechts der türkisfarbene See im Tal, links die hohen Berge und teilweise Gletscher. Am Fuße des eigentlichen Grates, der Hauptattraktion hier, mache ich noch eine Pause. Im Westen ist es immernoch freundlich, im Osten nur wenige Kilometer entfernt regnet es ab. Die Bewegung der Regenschleier ist schwer auszumachen, aber tendenziell nähern sie sich. Vorsichtshalber mache ich den Rucksack schonmal regensicher.

    Von nun an geht es mir leichter Kletterei weiter. Meine Trekkingstöcke schiebe ich zusammen und befestige sie am Rucksack. Hier ist es hilfreich, Hände und Füße zu benutzen. Der Grat ist hier nur wenige Meter breit und obwohl die Kletterei einfach ist, ist es ein kleines Abenteuer hier oben. Als die Kletterpassage durch ist, ist der beste Aussichtspunkt erreicht. Die Aussicht wirkt fast unwirklich. Es ist gar nicht sooo viel los, mir persönlich aber zu viel. Sonst hätte ich die Aussicht gerne noch länger genossen.

    Ich gehe weiter und hoffe, dass der Grat auf der anderen Seite einfacher abzusteigen ist. Aus dem Grat wird bald ein breiter Berg. Hier oben gibt es nichts außer Steine. Jetzt fängt es auch leicht an zu regnen. Unter mäßiger Steigung geht es weiter bis zum höchsten Punkt. Hier ist es allerdings sehr unspektakulär. So stelle ich mir ungefähr die Mondoberfläche vor. Steine so weit das Auge reicht. Auf der Rückseite des Berges sehe ich im Tal die DNT-Hütte Gjendesheim und die Fähranlegestelle, von der aus viele zur anderen DNT-Hütte, an welcher ich heute morgen vorbeigegangen bin, mit der Fähre fahren. Und ich entdecke noch etwas im Tal. Ist das ein Campingplatz? Laut Komoot wäre das Ende meiner heutigen Etappe kurz vor Ende des Abstieges errichtet. Mir gefällt aber die Vorstellung, ein paar Kilometer weiter zu gehen und heute Abend heiß zu duschen. Und tatsächlich finde ich auf Google diesen Campingplatz.

    Ich mache noch eine kurze Pause, gehe aber schnell weiter, weil ich richtig auskühle. Es ist plötzlich richtig kalt hier oben. Immer wieder überhole ich Leute. Mir sind das hier einfach zu viele Menschen. Auf halbem Weg nach unten fängt es dann richtig zu regnen an. Gut, dass ich meine Regenhose ganz oben im Rucksack habe. Jetzt regnet es sich richtig ein. Ich bin froh, ein konkretes Ziel vor Augen zu haben und heute nicht noch Wasser suchen zu müssen und eine geeignete Stelle für das Zelt.

    Im Tal angekommen habe ich noch einige Kilometer Straße vor mir. Wie immer zieht es sich zum Ende des Tages. Der Mann am Campingplatz ist ein Deutscher. Norddeutscher mit trockenem Humor. Das gefällt mir! Auf dem Campingplatz gibt es sogar ein Restaurant und einen kleinen Shop. Nach einer heißen Dusche gönne ich mir einen viel zu teuren aber sehr guten Elchburger und Schokolade und Bier aus dem Shop. Ich habe das Gefühl, dass mein Körper allmählich nach mehr verlangt. Die Nussmischungen werden immer schneller leer und auch der Müsliriegelverbrauch steigt.

    Hardangervidda und Jotunheimen liegen nun hinter mir. Aus zwei großen Fragezeichen wurden zwei große Ausrufezeichen. Was die kommenden Tage betrifft, habe ich gar keine Ahnung, was mich erwartet. Wahrscheinlich viel „Gegend“. Ich freu mich drauf!

    Ich habe übrigens aufgehört, mir Überschriften für die Footprints auszudenken. Irgendwie haben die immer gleich was wertendes gehabt oder irgendwas hervorgehoben. Aber jeder Tag, jeder Abschnitt hier hat seine Höhen und Tiefen. Beides gehört dazu.
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