Satellite
Show on map
  • Day 32

    Maurvangen Camping - Oskampen

    July 1, 2023 in Norway ⋅ ⛅ 10 °C

    Am Morgen drehe ich mich noch mehrmals um und schlafe weiter. Wenn mir das schon mal gelingt, dann muss ich das auch ausnutzen. Als ich die Mütze vom Kopf ziehe und auf die Uhr schaue, ist es allerdings erst 06.15 Uhr. Naja. Es wird Zeit, dass die Tage kürzer werden. Würde ich zu Hause nie sagen aber die dauerhafte Helligkeit hier ist einfach zu viel.

    Für heute ist gutes Wetter vorhergesagt. Noch versteckt sich die Sonne aber hinter tief hängenden Wolken, die an den Bergen ringsherum hängen. In der Hoffnung, dass die Sonne bald rauskommt, lasse ich mir mit allem viel Zeit. Tatsächlich lässt sie sich um kurz vor acht blicken und ich kann mein Zelt fast trocken packen. Um 09.00 Uhr mache ich mich auf den Weg. Das Gute ist, dass ich gestern nicht einen Meter Umweg für den Campingplatz machen musste. Meine Route führt genau durch den Campingplatz.

    Bei allen Campern schaue ich auf die Nummernschilder. Vielleicht ist ja mal ein Rosenheimer oder ein Bochumer dabei. Und tatsächlich lese ich auf der Seite eines Vans „Tiemeyer Rent“. Tiemeyer ist ein grosses Bochumer Autohaus und vermietet mittlerweile wohl auch Camper. Gleich zwei davon stehen hier nebeneinander mit Bochumer Kennzeichen. Ich überlege kurz, ob ich die Leute anspreche, aber sie sehen gerade sehr beschäftigt aus. Egal. Bochumer Autos hier auf meiner Route. Ich freu mich über sowas. Überhaupt immer, wenn ich irgendwo ein Bochumer Kennzeichen sehe. Außer in Bochum. Da freue ich mich über ein Rosenheimer Kennzeichen.

    Nachdem ich auch bei den Dauercampern durch bin, geht mein Pfad im hintersten Eck des Campingplatzes ab. Erst durch einen kleinen Birkenwald, vorbei an zahlreichen kleinen Bächen, dann weiter hoch bis die Baumgrenze soeben erreicht ist. Von hier sehe ich vor mir in ein Tal mit einem See. Am Ende des Tals sehe ich einen Berg. Vermutlich der, auf den ich später hoch muss. So kann ich einen großen Teil meiner heutigen Route von hier schon erahnen. Über einen kleinen Steig geht es wieder durch einen dichten Birkenwald runter Richtung See. Einen Zaun muss ich öffnen und hinter mir schließen. Das Schild mit norwegischem Text verrät vermutlich, wieso. Ich höre leises Glockengebimmel. Vermutlich sind hier Schafe.

    Als ich den Birkenwald verlasse und eine große Wiese betrete, sehe ich etwas weiter, was da wirklich bimmelt. Es sind Pferde. Oh nein! Ich mag zwar Pferde, aber vor allem dann, wenn ein Zaun zwischen denen und mir ist. Ich schaue auf meine App. Ich muss genau da lang, wo die Pferdegruppe steht. Ich hole weit aus. Ein erstes Pferd kommt ein paar Schritte auf mich zu. Ich fühl mich richtig unwohl. Ich gehe über einen kleinen Bach, der durch die Wiese läuft. Da hat das Pferd wohl keine Lust zu folgen. Glück gehabt. Aber ich hab jetzt schon Puls! Jetzt muss ich noch an den übrigen vorbei. Zwei nicht mehr ganz so frische Fohlen liegen da. Nicht, dass ich die Mütter hier verärgere. Ich gehe mit 20m Abstand links an der Pferdegruppe vorbei. Zwei Pferde sehen mich erst jetzt und erschrecken. Dahinter läuft der Chef der Gruppe mit dem Totschläger zwischen den Hinterbeinen ziemlich unruhig zu den Fohlen. Eines der beiden Pferde, die ich erschreckt habe, kommt direkt auf mich zu. Meine Schwester Toni würde dem Pferd vermutlich entgegen gehen und sich über die Neugier des Pferdes freuen. Ich merke nur, wie meine Knie weich werden. Ich hab richtig Schiss! Wegrennen ist vermutlich auch keine gute Idee. Also bleibe ich stehen und rede ruhig auf das Pferd ein. Wie bei einem Hund halte ich meine Hand zum schnuppern hin. Das wird scheinbar auch so verstanden. Ich streichele das Pferd etwas an der Nase. Dann gehe ich vorsichtig weiter und hoffe, dass mir das Tier nicht folgt. Gott sei dank! Ich hab den Hengst noch im Auge, der da kurz Unruhe in die Gruppe gebracht hat. Aber keines der Pferde folgt mir. Aus sicherer Entfernung mache ich noch ein paar Fotos. Dabei merke ich, dass meine Hand richtig zittert.

    Ich bin jetzt über 700 km gelaufen. Über 18.000 Höhenmeter hab ich schon hinter mir. Meine Bochumer Jungs wunderten sich Pfingsten, dass ich keine Angst habe, hier von Bären, Wölfen, Elchen oder sogar Trollen angegriffen zu werden. Und heute geht mir der Arsch auf Grundeis, weil ein Pferd an mir schnuppern möchte. Eieiei!

    Meine erste Pause mache ich erst, wenn ich weit genug von den Pferden entfernt bin. Wieder geht es in einen Birkenwald immer entlang am See. Der Pfad hat einige sumpfige Stellen. Nach einigen Kilometern stehe ich vor einem Geröllfeld. Links von mir steigen steile Felswände weit empor. Mehrere hundert Meter muss ich durch dieses Geröllfeld, vorsichtig von einem Felsblock zum nächsten. Ich hätte nicht gedacht, dass ich auf diesem Streckenabschnitt dermaßen anspruchsvolles Gelände queren muss.

    Irgendwann ist es geschafft und ich gehe wieder auf einem gut wanderbaren Pfad. Am See sind einige Hütten mit Motorbooten davor. Ich gehe weiter und komme wieder an eine Art Gatter. Jetzt bin ich wirklich in Sicherheit, denke ich. Seltsamerweise sind auch hier Hufspuren. Und je weiter ich gehe, desto mehr sind es. Ohgottohgottohgott!! Ich höre wieder die Glöckchen. Ich selbst laufe über eine große freie Fläche. Zwischen dem See zu meiner rechten und mir ist Birkenwald. Da kommen die Geräusche her. Sogar ein Wiehern höre ich. Für die meisten wären da einfach Pferde. Ich komme mir aber gerade vor, als ob ich alleine durch den Jurassic Park laufe. Irgendwann habe ich einen weiteren Zaun erreicht. Jetzt bin ich aber wirklich in Sicherheit!

    Nach wenigen hundert Metern erreiche ich die Sikkilsdalsseter-Hütte. Scheinbar kann man von der anderen Seite auch mit dem Auto hierher fahren. Eine Gruppe von Menschen sitz draußen auf ein paar Bänken. Daneben ist eine große Weide mit weiteren Pferden. „Hoffentlich muss ich nicht über die Weide gehen“, ist mein erster Gedanke. Ich habe Glück. Mein Pfad führt außen an der Weide vorbei. Hier mache ich auch erstmal eine Pause. Noch scheint die Sonne. Aber die Wolken werden mehr und dichter.

    Von hier geht es weiter über ein paar Bäche, durch Sumpf, durch einen Birkenwald immer weiter nach oben. 600 Höhenmeter erwarten mich hier. Auf halbem Weg kommt mir ein Pärchen aus Holland entgegen. Sie sind auf dem Weg zum Sognefjord. Morgen wollen sie sich den Besseggengrat anschauen. Nach einem kurzen Plausch geht es weiter. Als ich höher komme, wachsen nur noch Moose und Gräser. Eine reine Steinlandschaft hier oben. Nach etwas mehr als einer Stunde bin ich oben. Ich war gar nicht mal so langsam und habe auch dementsprechend geschwitzt. Hier oben finde ich ein kleines Rentiergeweih. Erst freue ich mich über den seltenen Fund, dann sehe ich eine ganze Sammlung von Geweihen.

    Zuletzt habe ich viel zurück fotografiert, weil hier das spannendere Panorama war. Jetzt, oben am Berg, sehe ich auch wieder weiter nach vorn. Nun sehe ich auch den restlichen Teil der heutigen Route. Ich steige, nun auf der anderen Seite des Berges, etwas ab bis der Wind weniger wird und mache noch eine Pause. Dann steige ich weiter ab bis in ein kleines Tal. Von hier aus geht es wieder bergauf, um einen weiteren Berg zu umrunden. Auch hier finde ich wieder Birkenwälder mit vielen sumpfigen Abschnitten. Hier soll es später etwas höher gehen. Auf dem Satellitenbild als auch vom Berg vorhin sah es aus, als ob es hier ausreichend Gelegenheiten zum Zelten geben wird.

    Wenige Kilometer vor meinem Ziel mache ich eine Pause. Ich setze mich auf einen Stein und es dauert nur wenige Sekunden, bis mich ein ganzer Schwarm Mücken angreift. Teilweise habe ich gleich vier oder fünf Mücken auf einem Arm. Die ersten erschlage ich noch, muss dann aber aufgeben. Das hier ist kein guter Ort für eine Pause. Als ich weitergehe, verfolgen mich die Mücken. Ich gehe so schnell ich kann. Sobald ich bei sumpfigen Gebiet kurz langsamer werde, habe ich gleich doppelt so viele Mücken auf mir sitzen. Alle paar Sekunden streife ich mit über die Arme und erledige so teilweise drei oder vier Mücken auf einmal. Einige haben scheinbar schon „getankt“ und so verteile ich mein eigenes Blut auf meinen Armen. An weiteren Sumpfstellen jage ich so schnell wie möglich durch. Nasse Schuhe sind mit gerade egal! Zum ersten Mal auf der ganzen Tour bin ich gerade richtig genervt. Ich hoffe, dass der Weg schnell in höhere Lagen führt, dass ich da Ruhe vor den Biestern habe.

    Kurz bevor ich eine weitere DNT-Hütte, die Oskampenhütte, erreiche, habe ich es geschafft. Hier oben weht mehr Wind und ich setze mich erneut auf einen Stein. Durchatmen! Denkste!! Die scheiß Viecher sind schon wieder da. „Sterbt bitte aus“, denke ich. Ich bin richtig sauer. Außerdem merke ich gerade, dass die bekackten Mistviecher mir bei meinem ersten Pausenversuch durch mein Shirt zigfach in den Rücken gestochen haben. Ich gehe wieder weiter. Immerhin habe ich hier oben während des Gehens phasenweise meine Ruhe. An der Hütte überlege ich kurz, ob ich heute Nacht hier übernachte. Aber es würde wieder Geld kosten und ob die Hütte mückendicht ist, weiß ich auch nicht. Im Zelt kann ich jede Mücke schnell aufspüren und wenn dann alles zu ist, bin ich hier sicher.

    Eigentlich wollte ich in einem der Bäche, die ich gekreuzt habe, meine Lagervorräte füllen. Allerdings war da in der letzten halben Stunde nicht dran zu denken. Kurz bevor der Weg wieder runtergeht, finde ich eine ideale Stelle für mein Zelt. Daneben fließt ein breiter Bach. Allerdings sehe ich auf der Karte, dass der Bach oben aus einem See heraus fließt. Das Wasser hier werde ich wohl besser abkochen. Als ich das Zelt aus dem Rucksack holen möchte, sind wieder hunderte von Mücken da. Ich ziehe die Hardshelljacke an, um die Arme zu schützen und hole zum ersten Mal mein Mückennetz für den Kopf aus dem Rucksack. In der Montur baue ich das Zelt auf. Ständig habe ich mehrere Mücken auf den Händen. Eine hat es sogar unter das Mückennetz geschafft. Als ich sie zerdrücke sehe ich, dass diese Mücke mich schon erfolgreich angezapft hatte. Ich baue das Zelt auf und bringe mich so schnell wie möglich in Sicherheit. Als ich drin bin, „kümmere“ ich mich erst mal um alle Mücken, die es mit herein geschafft haben. Dann packe ich all mein Zeug aus und bereite mein Bett vor.

    Ich habe heute richtig geschwitzt. Aber unter den Bedingungen kann ich mir kaum vorstellen, mich hier in Ruhe am Bach zu waschen. Aber es hilft alles nichts. Ich lege mir Handtuch und Waschlappen bereit und gehe mit langer Hose und Jacke zum Bach. Ich ziehe mich aus und steige in den Bach. Während ich meine Beine mit dem Waschlappen abschruppe, landen die ersten Mücken auf meinen Armen, auf meinen Beinen und scheinbar auch auf meinem Rücken. Kurz entschlossen lege ich mich längst in den Bach. Er ist nicht wirklich tief. Es reicht gerade so, dass ich den kompletten Körper unter Wasser bringe. Das Wasser ist richtig kalt, aber gleichzeitig tut es gut, weil sämtliche Mückenstiche so gekühlt werden. Nach meiner Schnellwäsche steige ich aus dem Bach, trockne mich so schnell wie möglich ab und ziehe wieder lange Sachen an. Zum Glück zieht der Wind in diesem Moment ein wenig an und macht es den Mücken ein wenig schwieriger.

    Dann verschwinde ich wieder im Zelt. Eigentlich schade. Es ist so ein schöner Platz mit einer so schönen Aussicht. Es regnet immer noch nicht und heute hätte ich mich gerne etwas nach draußen gesetzt. Aber das mache ich ein anderes Mal. Im Zelt mache ich mir mein Abendessen und ein heißes Getränk. Da mittlerweile auch im Vorzelt unzählige Mücken sind, schiebe ich meine Arme durch den nur unten geöffneten Reißverschluss und hantiere so mit Kocher und Wasser. Morgen geht es von hier an erst mal bergab, runter zu einem weiteren See. Ich hoffe, dass diese Mückenplage nur hier lokal ist. Bitte, bitte, bitte!
    Read more