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  • Day 78

    Skaitielva (Fluss) - Ballvatnet

    August 16, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 13 °C

    Um viertel nach sechs ziehe ich zum ersten Mal die Schlafmaske von den Augen. Als ich sehe, wie spät es ist, schiebe ich sie gleich wieder über die Augen. Ich wundere mich, dass es noch nicht regnet. Vielleicht ist das frühe Aufwachen eine Chance? Ich kann nicht mehr schlafen und ziehe die Maske ab. Während des Frühstücks fängt es dann leicht an zu regnen. Mein Außenzelt ist aber vor allem von innen komplett nass. Es gab keinen Wind, der die Kondensation verhindern konnte. Jetzt bitte keinen Starkregen. Dann hätte ich das gleiche Problem wie vor einigen Wochen, als ich auf dem Rastplatz gezeltet habe. Dann löst der Regen von außen einen Regen von innen aus. Aber der Regen bleibt schwach und hört zwischendurch sogar ganz auf. Nach dem Frühstück fällt es mir schwer, mich aufzuraffen. Ich liege noch etwas im Zelt, ziehe mir dann sogar die Schlafmaske wieder ins Gesicht. Aber ich schaffe es nicht einzuschlafen. Dabei wäre das gerade mein größter Wunsch. Einmal wieder das Gefühl haben, ausgeschlafen zu sein. Oder wenigstens nicht übermüdet zu sein.

    Nach dem erfolglosen Schlafversuch packe ich mein Zeug. Ich überlege, das Innenzelt wieder separat zu packen. Aber dazu bin ich einfach zu faul. Mit meinem Handtuch sauge ich zumindest teilweise das kondensierte Wasser an den Zeltinnenwänden auf. Um kurz nach neun bin ich fertig und mache mich in Regensachen gehüllt auf den Weg. Ich fühle mich fast etwas benommen. Es regnet wenig bis gar nicht. Aber die komplette Vegetation, durch die ich streife, ist komplett nass vom Regen. Heute sind viele Wegabschnitte aufgeweicht und es dauert nicht lange, da steht das Wasser im linken Schuh. Nach kurzer Zeit ziehe ich wenigstens die Regenjacke aus. Als mehr Luft an meinen Oberkörper kommt, fühle ich mich etwas lebendiger und nicht mehr so benommen wie am Anfang. Nach nicht ganz einer Stunde erreiche ich die Argaladhytta, die ich gestern eigentlich noch erreichen wollte. Ich sehe niemanden. Allerdings ist ein großer Bereich vor der Hütte schlammig und aufgeweicht. Scheinbar ist der Fluss hier vor einigen Tagen ordentlich über die Ufer getreten. Schon gestern habe ich immer wieder Spuren von Hochwasser gesehen. Auch in den beiden kleinen Hütten scheint niemand zu sein. Aber ist es 10 Uhr, da sind die meisten Wanderer schon unterwegs. Ich folge dem Pfad weiter, der nun weg vom Fluss ein paar Meter höher auf eine Art Ebene neben dem Flussbett führt. Nach kurzer Zeit sehe ich eine Hängebrücke, die über einen Flusslauf geht, der vom östlichen Hang Richtung „Hauptfluss“ läuft. Als ich näher komme, sehe ich, dass die Brücke ein wenig schief hängt. Viele Büsche hier sind teilweise blattlos und komplett entrindet. Auch das Gras ist in eine Richtung „gekämmt“ und zeigt, wo hier überall Wasser lief. An der Mitte der Brücke hat sich Treibgut verfangen. Auch das Geröll rund um den kleinen Bach sieht aus, als sei es ordentlich bewegt worden, kleine wie riesige Felsbrocken. Ich gehe neben der Brücke über den schmalen Wasserlauf und als ich auf der anderen Seite über ein paar größere Steine klettere, sehe ich das ganze Ausmaß der Verwüstung. Der Fluss muss an dieser Stelle rund 50 oder 60 Meter breit gewesen sein. Das komplette Geröll, das hier herumliegt, liegt mit großer Sicherheit noch nicht lange hier. Hier muss richtig was los gewesen sein. Innerhalb dieses Geröllfeldes quere ich noch zwei kleinere Bäche. Vermutlich hatten sich die drei zu einer einzigen Wassermasse verbündet.

    Auf der anderen Seite angekommen stoße ich auf eine Wandergruppe. Sieben Senioren sind es. Ich frage, ob sie in der Hütte übernachtet hätten. Das haben Sie. Und somit war die Hütte bis auf das letzte Bett belegt. Ich freue mich richtig, dass ich gestern an der schönen Stelle mein Zelt aufgestellt habe und nicht mehr weitergegangen bin. Als ich erzähle, dass ich Norge på langs laufe, berichten sie, dass sie gestern ein Pärchen mit einem Hund betroffen hätten, die das gleiche machen. Joakim und Marie. Dann gehe ich weiter und jetzt mit gutem Tempo. Der Weg ist hier recht gerade, recht fest und es geht nur hin und wieder ein paar Geländestufen bergauf. Der Regen legt nun wieder etwas zu und mit fortschreitenden Kilometern schwindet meine Motivation. Es ist einfach kein Wetter, um Pause machen aber gleichzeitig brauche ich bald mal eine. Ich nehme mir vor, wenigsten den Ballvatnet zu erreichen. Hier sollte ich die Hälfte des heutigen Tages geschafft haben. Heute stehen nur 21 Kilometer auf dem Plan, weil ich gestern gut vorgearbeitet habe. Jetzt würde Musik helfen, aber das versuche ich gar nicht mehr. Überhaupt geht mir wieder einmal nur wenig im Kopf herum. Es gibt einfach nichts mehr, was mich beschäftigt. Über alles habe ich irgendwie schon einmal nachgedacht. Es sind nur oberflächliche Gedanken oder Erinnerungen, die gerade planlos durch meinen Kopf tanzen, immer wieder unterbrochen von Gedanken wie, „Boah, is datt anstrengend“, „freue ich mich auf trockene Füße“ und „wie weit is es denn noch??“. Ein Tag wie heute ist einfach kein Highlighttag. Wenn ich ihm etwas gutes abgewinnen möchte, dann glaube ich, dass das heute gutes Training in Sachen Durchhaltevermögen und Akzeptanz unangenehmer Umstände ist. Ich esse unterm Gehen ein paar Stücke Schokolade. Den See sehe ich schon lange, wirklich näher kommt er scheinbar nicht. Aber irgendwann ist es geschafft. Hier biegt ein Weg zur Ballvatnethytta ab. Würde diese am Weg liegen, hätte ich hier eine Pause gemacht. Aber so müsste ich mehrere hundert Meter extra machen. Ich gehe weiter. Im kurz vor eins setze ich mich im Regen einfach auf einen Stein. Körperhaltung ist etwas anderes. Ich hänge da wie ein Schluck Wasser in der Kurve und schaufle einhändig Nussmischung in mich hinein. Der Regen wird weniger und hört dann sogar auf. Meine Regenjacke klebt an meinen Armen. Undicht ist sie nicht aber auch hier gibt es Kondensation. Die Füße sind warm, obwohl sie im Wasser stehen. Feucht ist etwas anderes. Das hier ist, als würde man einen Wanderschuh nehmen, einen Liter Wasser hineingießen und direkt mit dem Fuß hineinschlüpfen. Und dann geht man damit mehrere Stunden wandern, um diese Schuhe dann nach dem Ausflug in der feuchten Kälte des Vorzeltes zu lagern. Ich frage mich, warum ich das hier so gut annehmen kann, mich aber im Alltag bei viel weniger unangenehmen Themen immer wieder in negativen Gedankenspiralen wiederfinde. Hier halte ich relativ viel einfach aus. Ich würde mich freuen, wenn solch ein Trainingstag wie der hier sich auch auf meinen Alltag nach Norge på langs auswirken würde.

    Nach der Pause sind es noch 7,5 Kilometer. Für rund eineinhalb Stunden regnet es nicht. Dennoch ist das Vorankommen zäh. Ich liege aber sehr gut in der Zeit. Kein Wunder. Ich habe kaum Pausen gemacht und wenn dann nur kurz. Bei 18 Kilometern habe ich das Ende des Sees erreicht und mache noch eine Pause. Es ist kurz nach zwei. Dann quere ich noch einige breite aber nicht tiefe Flüsse. Ich steige mit den Schuhen einfach ins Wasser. Das macht heute eh keinen Unterschied mehr. Immer wieder bleibe ich kurz stehen. Ich bin durch. Um drei Uhr habe ich mein Pensum für heute geschafft und finde nicht weit von einem Bach einen Platz für mein Zelt. Als ich es aufbaue, sehe ich, dass der komplette Zeltinnenboden nass ist. Ich hätte heute morgen doch das Innenzelt aushängen und separat verpacken sollen. Hätte.

    So gut es geht, wische ich die Feuchtigkeit mit meinem Handtuch auf, aber eine Restfeuchte bleibt. Zum Glück regnet es gerade nicht und ich lasse den Wind durch das Zelt pusten, während ich mich schon mal für‘s Waschen vorbereite. Tatsächlich trocknet das Zelt relativ schnell. Ich gehe runter zum Bach und nutze den letzten Rest Disziplin, um mich komplett nass zu machen und zu waschen. Dann gehe ich zum Zelt und lege mich in meinen Schlafsack. Es dauert bis mir wieder richtig warm ist. Aber dann schlafe ich ein, irgendwann gegen 16.30 schätze ich. Um 18.30 werde ich wieder wach. Für einen kurzen Moment zeigt sich die Sonne draußen. Dann wird es wieder grau und teilweise nieselt es. Ich mache mir etwas zu essen und schreibe meinen Tagebucheintrag. Morgen erreiche ich Sulitjelma. Auf einem Campingplatz, leider 5 Kilometer vor dem Supermarkt, wartet das vierte Paket auf mich. Wahnsinn! Es ist zwar noch viel zu gehen, aber die Etappen sind jetzt richtig übersichtlich. Nach Sulitjelma geht es ca. 9 Tage nach Abisko in Schweden. Zwei Tage später erreiche ich mein fünftes Paket in Innset. Von da geht es weiter nach Kilpisjärvi in Finnland, von dort nach Alta und dann steht die finale Etappe zum Nordkap an.
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