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  • Day 92

    Innset - Jierdni

    August 30, 2023 in Norway ⋅ ⛅ 10 °C

    Ich werde früh wach und muss auf’s Klo. Wieder Durchfall. Auch meine Kopfschmerzen sind nicht weggegangen. Ich überlege, noch eine Nacht hier zu bleiben. Aber so richtig gemütlich ist es auch nicht. Mein Schlafsack ist klamm und ich will eigentlich nur alles trocknen, packen und dann weiter. Vielleicht tut mir die Bewegung gut. Weil ich nicht mehr schlafen kann, schreibe ich meinen Footprint von gestern, morgens um 5.00 Uhr. Aber dazu muss ich mich richtig motivieren. Auch gestern fühlte sich alles wie Arbeit an. Das Ändern der Kilometer und des Spendenstands auf meiner Webseite und andere Recherchen.

    Draußen regnet es immer wieder. Laut Wetterbericht dauert der Regen noch bis mittags an. Ich frühstücke im Zelt, um Kai, der gestern angekommen ist und heute Nacht in der Gamme geschlafen hat, nicht zu wecken. Nach dem zweiten Kaffee sind die Kopfschmerzen tatsächlich weg. Ich bin zwar hundemüde und energielos, aber ich fühle mich jetzt nicht mehr so richtig kränklich.

    Um 7:30 Uhr gehe ich in die Gamme. Kai ist schon wach und beginnt, sich für seinen ersten Arbeitstag hier fertig zu machen. Ab 8:00 Uhr habe ich die Hütte für mich und breite alle meine Sachen aus. Dann geht es unter die vorerst letzte heiße Dusche und von dort direkt in die stinkende Wanderkleidung. Danach fange ich an zu packen. Ich lasse mir viel Zeit, da mein Handy und mein GPS noch an der Steckdose hängen und noch einige Zeit laden müssen. Draußen ist auf einmal richtig was los. Alle Hunde bellen und heulen wie verrückt. Heute steht Hundetraining an. Alex hat einen Wagen bereitgestellt, den einige Hunde später ziehen werden. Die Hunde wissen natürlich, was los ist. 85 Hunde bellen und heulen durcheinander, als ob jeder rufen würde „Hier, nimm mich, nimm mich!“. Als ich mit dem Packen fertig bin, sind Alex, seine Helfer und der Hundeschlitten allerdings schon vom Hof.

    Um 9:30 Uhr mache ich mich auf den Weg. Der Regen hat mittlerweile aufgehört, aber es ist noch ziemlich grau. Es gibt aber auch erste blaue Flecken am Himmel. Nun gehe ich die Straße bergauf, auf welcher ich beim Hinweg mit dem Auto mitgenommen wurde. Richtig fit fühle ich mich nicht, trotzdem freue ich mich, wieder unterwegs zu sein. Dreieinhalb Kilometer geht es die Straße bergauf bis zum Stausee. Als ich oben ankomme, zeigen sich erste Sonnenstrahlen. Und jetzt zeigt sich, dass die Landschaft um mich herum wieder um einiges bunter geworden ist. Ich habe das Gefühl, dass sich die Landschaft ab jetzt jeden Tag merklich verändert. Auch die Sonnenauf- und Untergangszeiten ändern sich jetzt deutlich schneller. In zwei Wochen wird die Sonne eine ganze Stunde früher untergehen.

    Für die nächsten 3 km entscheide ich mich, nicht den klassischen Wanderweg an der DNT-Hütte vorbei zu gehen, sondern der Straße am See entlang zu folgen. Das spart mir 50 Höhenmeter und 200 Meter Strecke. Nicht viel, aber alles, was ich mir einfacher machen kann, ist heute willkommen. Und so gehe ich im Sonnenschein zwischen den vielen grüngelben Birken und etlichen unbewohnten Ferienhäusern am See entlang. Der Rucksack ist wieder deutlich schwerer. Durch die Schokolade aus Abisko und das neue Verpflegungspaket aus Innset ist wieder einiges dazu gekommen. Diesmal habe ich allerdings relativ großzügig aussortiert. Vier Fertiggerichte habe ich zurückgelassen. Außerdem noch einiges anderes an Kleinkram, was ich nicht brauche, was aber andere Wanderer vielleicht gebrauchen können. In vielen Hütten gibt es eine Kiste, wo Wanderer Dinge hinein tun, die sie nicht mehr brauchen und jeder kann sich daran bedienen.

    Nach mehr als sechs Kilometern habe ich das Ende der Straße erreicht. Von nun an führt ein Pfad weiter und ab jetzt bin ich wieder auf dem regulären Wanderweg. Ich mache eine Pause und setze mich an einen Stein gelehnt neben den Pfad. Da ich noch Netz habe schaue ich, ob es beim OVB schon einen Beitrag gibt. Tatsächlich! Leider hinter einer Bezahlschranke. Aber den ersten Monat für 99 Cent gönne ich mir. Ich finde, der Artikel ist richtig gut geworden und ich fühle mich insgesamt gut wiedergegeben. Ich bin gespannt, ob der Artikel auch in einer Printausgabe erscheint und natürlich, ob er weitere Spender generiert. Ich esse noch etwas Schokolade. Da kommt die Schweizer Gruppe von gestern vorbei. Sie wurden die Straße von der Huskyfarm bis zum Stausee gefahren. Wir reden noch kurz, dann gehen sie weiter. Ein paar Minuten später beende auch ich meine Pause. Es dauert nicht lange, dann habe ich die Gruppe eingeholt. Ist mir fast etwas unangenehm, da ich erst wenige Minuten vorher gesagt habe, dass ich es heute langsam angehen lasse. Aber Solven, der Schweizer, der die Gruppe anzuführen scheint, kennt das schnelle unterwegs sein aus eigener Erfahrung von seiner Norge på langs Tour 2019.

    Ich quere einen Fluss über eine kleine geländerlose Holzbrücke. Auf der anderen Seite geht es wieder Richtung See. Ab hier geht es durch einen Birkenwald entlang des Hanges. Zur linken, oberhalb des Hanges ragt ein Berg mit dunklen Felsen steil empor, zur rechten liegt der See. Es geht ständig auf und ab über teils rutschigen Untergrund. Ich freue mich jetzt schon, wenn es später ins Fjell geht. Nach einigen Kilometern öffnet sich der Wald. Viele der Blaubeerbüsche sind hier bereits richtig rot gefärbt. Schade, dass die Sonne sich gerade wieder mal versteckt hat. Nach eine paar hundert Metern erreiche ich die Gaskas-Hytta. An einer der Hütten wird gerade gearbeitet. Ich werde freundlich empfangen und irgendwas motivierendes wird mir lächelnd auf Norwegisch zugerufen. Erst reden wir englisch und ein Mann und eine Frau, vermutlich im Rentenalter, berichten mir, dass erst vor zwanzig Minuten noch zwei deutsche hier vorbei gekommen seien, die auf dem Weg zum Nordkap sind. Das werden wohl Daina und Daniel gewesen sein. Die Frau aus der Gruppe spricht fließend deutsch. Sie erklärt mir, dass sie die 50 Jahre alte Hütte um 40 Zentimeter angehoben haben, damit sie nicht durch die Feuchtigkeit verfault. Über ein Jahr haben sie daran gearbeitet. Alles mit Freiwilligen. Wieder einmal ein tolles Beispiel, das zeigt, wie viel unbezahlte Arbeit hinter den ganzen Hütten steckt, wie viel unermüdlicher Einsatz.

    Ich verabschiede mich und gehe weiter. Jetzt geht es weg vom See in ein ansteigendes Tal. Hier mache ich eine Pause. Leider hat sich die Sonne immer noch versteckt und es ist kühl. Nur noch sieben Kilometer stehen heute auf dem Programm. Ich habe mich entschieden, die Etappe nach Kilpisjärvi nicht so schnell wie möglich mit 29 Kilometern am Tag zu machen, sondern mir einen Tag mehr Zeit zu lassen. So sind es „nur“ 24 Kilometer am Tag. In Anbetracht meines Zustandes sicher die bessere Wahl. Außerdem hatte ich mir eh vorgenommen, ein wenig zu entschleunigen. Nach ein paar Händen voll Nussmix und etwas Schokolade geht es wieder weiter. Die Baumgrenze ist schnell erreicht. Ein Wanderer kommt mir entgegen und spricht mich direkt auf Deutsch an. Hä? Ob ich der dritte sei, der zum Nordkap läuft. Ah! Er hat auch mit Daina und Daniel gesprochen und die beiden hatten ihm erzählt, dass heute noch jemand kommen wird, der NPL läuft.

    Ich gehe weiter. Von nun an wird es etwas steiler. Steigung ist aktuell das, was mir am direktesten meinen aktuellen Zustand vor Augen hält. In der Ebene komme ich immer gut voran. Aber beim bergauf gehen merke ich, dass ich nicht fit bin. Später flacht die Steigung etwas ab, aber es geht weiter bergauf. Je höher ich komme, desto steiniger wird es. Irgendwann ist es reines Geröll, auf dem ich mich bewege. Dann habe ich mein Tagesziel erreicht. Hier mangelt es nicht an Steinen, mit denen ich meine Heringe in den Boden schlagen kann. Aber es mangelt an Boden, wo ich meine Heringe reinschlagen kann. Die letzten Meter habe ich mich richtig geschleppt. Jetzt zwinge ich mich, einen Zahn zuzulegen. Das hilft tatsächlich manchmal, um aus dem „sich schleppen“-Modus herauszukommen. Selbst dann, wenn man eigentlich total müde ist. Ich komme an einzelnen Stellen vorbei, wo ich mein Zelt aufstellen könnte. Aber hier ist kein Wasser in der Nähe. Dann komme ich an Wasser, aber hier ist kein Platz für mein Zelt in der Nähe. Irgendwann habe ich den höchsten Punkt erreicht und es geht bergab in ein wunderschönes Tal. Weiter unten sehe ich grüne Wiesen und Bäche. Bis dahin überwinde ich noch einiges an Geröll. 2,5 Kilometer habe ich zusätzlich gemacht und mittlerweile ist es auch schon kurz vor fünf. Nicht weit von einem Wasserfall stelle ich mein Zelt direkt zwischen mehreren Bächen auf. Der Platz ist ideal, zumindest bei der aktuellen Wettervorhersage. Bei viel Regen hätte ich hier Angst, nachts weggespült zu werden. Aufs Waschen habe ich heute so gar keine Lust. Ich fröstel eh schon leicht und habe das Gefühl, dass mein Körper irgendwas ausbrüten möchte. Aber da hilft vermutlich nur Widerstand. Am Bach mache ich mich einmal komplett nass und ich friere im Wind. Aber ich trockne mich schnell ab und gehe ins Zelt. Kurze Zeit später fange ich an, im Schlafsack aufzutauen. Dann gibt es was warmes zu essen. Mittlerweile ist es 18.00 Uhr. Für meinen Footprint bin ich zu müde. Ich gebe meiner Müdigkeit nach und schlafe ein. Ich werde zwar mehrmals wach und in der Nacht und ich spüre wieder meine Beine, die sich gerne in unterschiedliche Richtungen bewegen wollen. Aber am nächsten Morgen fühle ich mich tatsächlich ganz gut! Draußen muss es in der Nacht deutlich kälter gewesen sein als sonst. Nicht nur mein Außenzelt, selbst das Innenzelt ist von innen mit Kondenswasser benetzt.
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